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S. 61 ff.) aus seinem Nachlaß veröffentlicht. »Wenn irgend eine Gedichtgattung,« sagt Herder (S. 63), »ein Proteus unter den Nationen geworden ist, so hat die Ode nach der Empfindung, dem Gegenstand und der Sprache ihren Geist und Inhalt und Miene und Gang so veråndert, daß vielleicht nur der Zauberspiegel des Aesthetikers dasselbe Lebendige unter so verschiedenen Gestalten erkennt. Die Dithyrambe der Griechen ist etwas durchaus Anderes als die hebräische Hymne, und auch innerhalb Griechenlands selbst scheint jedes besondere Vaterland den griechischen Odendichter wieder besonders zu bestimmen, so daß (S. 66) Theben Pindar, Sparta Alkman, Teos Anakreon, Lesbos Sappho erzeugte; und diese Verschiedenheit zu untersuchen ist ebenso nöthig, als es nöthig ist, zu fragen, warum Sophokles und Euripides nicht Shakespeare und Racine sind.« Und noch bestimmter heißt es in dem gleichzeitigen »Versuch einer Geschichte der Dichtkunst« (ebend. S. 102): »Man hat einen Begriff der Ode festsetzen wollen; aber was ist die Ode? Die griechische, römische, orientalische, skaldische, neuere, ist nicht völlig dieselbe; welche von ihnen ist die beste, welche sind blos Abweichungen? Ich könnte es leicht beweisen, daß die meisten Untersucher nach ihren Lieblingsgedanken entschieden haben, weil jeder seine Begriffe und Regeln blos von Einer Art Eines Volks abzog und die übrigen für Abweichungen erklärte. Der unparteiische Untersucher nimmt alle Gattungen für gleich würdig seiner Bemerkungen an, und sucht sich also zuerst eine Geschichte im Ganzen zu bilden, um nachher über Alles zu urtheilen.« Und in der Abhandlung »>Von der Verschiedenheit des Geschmacks und der Denkart unter den Menschen« giebt Herder (ebend. S. 188) seiner tiefen Erkenntniß von der nothwendigen Wandelbarkeit des dichterischen Ideals sogar die humoristische Wendung: »Ein guter ehrlicher Mann, der die Welt nur vom Markt, vom Kaffeehause oder höchstens aus dem Hamburgischen Correspondenten kennt,

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staunt so sehr, wenn er über eine Geschichte kommt und findet, daß sich mit dem Klima, mit den Erdstrichen und den Låndern Denkart und Geschmack åndern, als Paris sich bei dem Einzuge eines indianischen Prinzen nur immer wundern kann. Seine Verwunderung löst sich endlich in ein Gelächter auf; was doch nicht, ruft er aus, für fabelhaftes Zeug in den Büchern steht; wer wird dies glauben! Oder er hålt alle die Nationen für respective Narren; warum? weil sie eine andere Denkart haben, als ihm seine Frau Mama, seine werthe Amme und seine wohlweisen Schulkameraden einpflanzten. Machen wir uns nicht oft dieses Fehlers theilhaftig, wenn wir die Denkart der Wilden sogleich für fabelhaft oder thöricht erklären, weil sie von der unsrigen abgeht? Und doch lachen wir über die Chinesen, die ihr Land für das Viereck der Welt hielten und uns arme Bewohner der ganzen übrigen Welt für Fraßengesichter und Ungeheuer in die vier Winkel dieses Vierecks malten. Warum? Uns kannten sie nicht und sich hielten sie für die Monopolisten der Einsicht und des Geschmacks. Wie oft muß man glauben, in China zu sein, wenn man im gemeinen Leben tåglich solche chinesische Urtheile hört, die aus Unwissenheit und Stolz alles das verwerfen, was ihrer Denkart und Fassung widerspricht.«

Im Jahr 1773, in der Abhandlung über die »Ursachen des gesunkenen Geschmacks bei den verschiedenen Völkern, da er geblühet« (3ur schönen Literatur und Kunst, Bd. 15, S. 51) hat Herder diese Anschauung in den schlagenden Satz zusammengefaßt: »So verschieden die Zeiten sind, so verschieden muß auch die Sphäre des Geschmacks sein, obgleich immer einerlei Regeln wirken; die Materialien und Zwecke sind zu allen Zeiten anders.«<

Und lange Zeit beschäftigte sich Herder mit den Plånen eingehender Literaturgeschichtswerke. Der erste jugendliche »Versuch einer Geschichte der Dichtkunst« ist weit und tiefsinnig angelegt. Ebenso trug er sich mit einer Geschichte des Liedes, welche die

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weitere Ausführung seiner Ubhandlung über die Ode sein sollte. Und ganz besonders oft scheint Herder der lockende Gedanke nahegetreten zu sein, durch eine Geschichte der griechischen Dichtung der unmittelbare Ergänzer und Fortbildner Winckelmann's zu werden, dessen Kunstgeschichte ihm von Jugend auf ein leuch= tendes Vorbild gewesen. »Ein Winckelmann in Absicht auf die Kunst, sagt Herder im zweiten Theil der Fragmente (1767, S. 273. Zur schönen Literatur und Kunst, Bd. 2, S. 61), »konnte blos in Rom aufblühen; aber ein Winckelmann in Absicht der Dichter kann auch in Deutschland hervortreten und mit seinem römischen Vorgänger einen großen Weg zusammenthun.« Und doch fållt auch hier sogleich der tiefe Unterschied scharf in das Auge. Während Winckelmann immer und überall nur die ganz unbedingte und rückhaltlose Nachahmung der Alten predigt, stellt Herder die Forderung, daß eine solche Geschichte klar den Gegensatz zwischen dem wahren und allgemeinen Ideal der Griechen in jeder ihrer Dichtarten und zwischen ihren blos individuellen National- und Localschönheiten hervorhebe, damit der Neuere sich der todten Nachahmung entwöhne und vielmehr zur Nachahmung seiner selbst ermuntert werde.

Keines dieser beabsichtigten Geschichtswerke hat Herder ausgeführt; zu einem gründlichen Ausbau fehlten noch überall die nöthigen Bausteine. Allein weit anregender und bahnbrechender, als es vorzeitige Beschränkung jemals vermocht hätte, wirkte die glückliche Allseitigkeit jener tiefen und feinen Anempfindungsfähigkeit, mit welcher Herder raftlos sogleich alle wichtigsten Epochen der gesammten Dichtungsgeschichte der verschiedensten Zeiten und Völker durchwanderte. Auf der Höhe dieser Sehweite erschien auch das, was bereits bekannt war, in durchaus veränderter Gestalt und Beleuchtung; ja ganz neue oder doch bisher ganz unbekannte Welten wurden entdeckt und erobert. Die Wissenschaft wurde vertieft und erweitert; und in die auf

strebende Dichtung der Gegenwart drang belebend und kråftigend frischer Morgen- und Frühlingshauch.

Nur wer ein so offenes Auge für das Wesen und die vielgestaltigen Entwickelungsbedingungen der Volkspoesie hatte, konnte über Homer sprechen, wie Herder in den Kritischen Wäldern über Homer sprach. Mit so tiefer Empfindung für das ächt Dichterische war noch niemals das Volksthümliche und Ursprüngliche der Homerischen Dichtung, ihre bildliche Kraft und an= schauliche Wahrheit erfaßt worden; selbst von Lessing nicht. Angeregt von Blackwell und Wood keimten in Herder von Jugend auf, wenn auch nur als dunkle Ahnungen, jene großen Ideen, durch deren wissenschaftliche Ausgestaltung Friedrich August Wolf in die Betrachtung Homer's und der epischen Dichtung einen so weitwirkenden Umschwung gebracht hat. Betrachtete Herder schon als Jüngling in seinem »Versuch einer Geschichte der Dichtkunst« (Lebensbild, Bd. 3, a. S. 120) Homer nur als die höchste Blüthe und als den organischen Abschluß der epischen Sånger, welche Homer vorangegangen waren und deren Ruhm vor dem Ruhm Homer's erbleichte, wie der Schein der Morgensterne vor dem Glanz der Sonne, so pflückte Herder in der That nur die reife Frucht seiner eigenen Aussaat, wenn er, inzwischen durch Wolf's und Villoison's Untersuchungen bereichert und fortgebildet, in der Abhandlung über »Homer und das Epos« (3ur schönen Literatur und Kunst, Bb. 10, S. 292) Homer's Epos als »die Gesammtstimme der Gesangsvorwelt, als »das aus vielen und vielerlei Sagen ålterer Zeit kunstreich emporgehobene Epos« bezeichnete.

Nur wer ein so offenes Auge für das Wesen und die viel-]]

gestaltigen Entwicklungsbedingungen der Volkspoesie hatte, konnte so von Grund aus neue Anschauungen über den Ursprung und den dichterischen Geist der biblischen Schriften gewinnen, wie wir sie bei Herder von Anbeginn finden. Die Bibel war für Herder seine erste Bildungsquelle gewesen; nur der Bibel zu

lieb, war Herder, wie er noch in seinem spåteren Alter (Zur Religion und Theologie, Bd. 5, S. 23) erzählte, Theolog ge= worden; in seinen Kinderjahren hatte er Hiob, den Prediger, • Jesaias und das Evangelium gelesen, wie er sonst nie ein Buch auf der Welt las. Schon in einer seiner frühesten Schriften, im Versuch einer Geschichte der Dichtkunst, stemmt sich Herder (Lebensbild, Bd. 1, 3, a. S. 112) fest gegen die Ansicht, auch die dichterische Seite der Bibel nur als unmittelbar göttliche Wirkung zu betrachten und den Ursprung derselben vom Himmel zu holen; selbst für Lowth, den damals feinsten Kenner der hebräischen Dichtung, welcher an dieser Lehre von der unmittelbar göttlichen Eingebung festhielt, hat Herder nur die spottenden Worte, Lowth sei entweder zu sehr Redner oder zu gläubiger Nachbeter der Juden und ihrer christlichen Nachfolger. Eine lange Reihe von Abhandlungen aus den Jahren 1768 und 1769 (Lebensbild, Bd. 1, 3, a. S. 393-631), welche Herder unter dem Namen einer Archäologie des Morgenlandes zusammenzustellen gedachte und welche spåter die Grundlagen seiner Schrift über die älteste Urkunde des Menschengeschlechts wurde, ist ganz und gar von dem Grundgedanken getragen, die ålteste alttesta= mentliche Dichtung, die Schöpfungsgeschichte, die Geschichte der Sündfluth und die Geschichte Mofis als alte orientalische Nationalgesånge zu betrachten; wer in dieser Einfalt nicht Größe fühle, der fühle keine Poesie des sinnlichen Anschauens. In das Jahr 1778 fållt die kleine, aber hochwichtige Schrift Herder's über Salomon's Lieder der Liebe, wohl das Zarteste, was Her'der jemals geschrieben hat. Nie bethåtigt sich die feine dichterische Nachempfindung und Nachbildung Herder's herrlicher als hier in dieser Uebersehung der tief empfundenen altmorgenländischen Minnegesånge; sowohl die Deutungswuth mystischer Ueberschwenglichkeit, welche dem hohen Liede so gern die fremdartigsten und unnatürlichsten Anschauungen unterlegt, wie der geschmack

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