ภาพหน้าหนังสือ
PDF
ePub

lose Wahn des alten Rationalismus, welcher in der Bibel nur eine Spreutenne kahler Moral sah, war für Jeden, der kein Arg an gesunder Sinnlichkeit nimmt, für immer vernichtet. Und nachdem bereits 1780 die Briefe über das Studium der Theologie diesen Gesichtspunkt lebendiger Volksdichtung über die gesammte Bibel ausgedehnt hatten, erschien 1782 Herder's be= rühmtes Buch über den Geist der hebräischen Poesie, von welchem Herder mit vollem Recht sagen konnte, von Kindheit auf habe er es in seiner Brust genährt. Die hebräische Poesie war ihm die älteste, einfachste, herzlichste Poesie der Erde, eine Poesie voll des innigsten Naturgefühls, und doch ganz und gar nur das dichterische Innewerden und Anschauen Gottes und seiner Werke, das sich bald zur Entzückung hebt, bald zur tiefsten Unterwerfung herabsenkt; die hebräische Poesie war ihm die naturwüchsige und volksthümliche Dichtung eines Volkes, dessen ganzes Sein und Wesen von dem tiefsten und kräftigsten Gottesbewußtsein durchglüht und erfüllt ist. Wer Alles in überirdischem Glanz sehen wolle, sehe zuleht gar nichts. Frei von allen theologisch zünftigen Voraussetzungen und Vorurtheilen hat dieses gewaltige Buch, das leider unvollendet geblieben ist, erst wieder die Augen für die unvergångliche Poesie der Bibel geöffnet. Die herkömmliche sogenannte Einleitung in das alte Testament ist, wenn sie den Namen der Wissenschaft beansprucht, in ihrem innersten Wesen nichts als Literaturgeschichte der Juden.

Nur wer ein so offenes Auge für das Wesen und die vielgestaltigen Entwicklungsbedingungen der Volkspoesie hatte, konnte in so großartiger Weise der Erforscher und Wiedererwecker der' alten Volksliederschäße werden, wie es Herder geworden ist. Man belächelt jezt die überschwengliche Begeisterung, mit welcher Herder der Verkünder des vermeintlichen Offian's wurde; diese Begeisterung war der warme, wenn auch irregeleitete Ausdruck derselben Richtung, welche ihn mit so erfolgreicher Vorliebe zum

Volkslied und zur Volkssage führte. Herder erhob die vereinzelten Unregungen Lessing's zu wirklich wissenschaftlicher Be= deutung. Das Volkslied war ihm die Blume der Eigenheit eines Volkes, seiner Sprache und seines Landes, seiner Geschäfte und Vorurtheile, seiner Leidenschaften und Anmaßungen, seiner Musik und seiner Seele. Mit unvergleichlicher Beweglichkeit des Geistes und mit wunderbarer Kunst der Nachbildung sammelte und überseßte er die Stimmen der Völker unter allen Erdstrichen und aus allen Zeitaltern; gleich aufmerksam auf die Gemüthslaute der Grönländer, Lappen, Tataren, Wenden und Morlaken, wie auf die Laute der Schotten, Spanier, Italiener und Fran= zosen. Dies ist das greifbarste und darum auch das anerkannteste Verdienst Herder's. Und doch wird man diesem Verdienst nicht in seinem vollen Umfang gerecht, wenn man die gewaltigen wissenschaftlichen Anschauungen außer Acht läßt, welche Herder sogleich aus diesen neuen Entdeckungen zu ziehen wußte. Was Herder 1773 in seiner herrlichen Abhandlung »>Ueber Ossian und die Lieder alter Völker« (3ur schönen Literatur und Kunst, Bd. 7, S. 7 ff.), was er in der Einleitung zum zweiten Theil der von ihm 1779 bei Weygand in Leipzig herausgegebenen >> Volkslieder« über die finnliche Kraft und Anschaulichkeit, über die schwunghafte zwingende Frische und Kühnheit des Volksliedes sagte, ist bis auf den heutigen Tag unübertroffen und hat für die Wiederbelebung unserer eigenen Liederdichtung die segensreichsten Früchte getragen. Und von nicht minder unermeßlichem Einfluß war der geniale Scharfsinn, mit welchem Herder immer und überall den größen geschichtlichen Hintergrund dieser schlichten Volksphantasie hervorhob. Einige der allerfruchtbarsten Zweige der heutigen Wissenschaft haben hier ihre triebkräftige Wurzel. Es zeigte und bethätigte sich glänzend, was Herder gedacht und erstrebt hatte, wenn er in jenen ringenden Rigaer Lehrjahren einen Montesquieu der Literaturgeschichte verlangte. Herder ist

es gewesen, welcher die ersten Grundlagen zum Aufbau der vergleichenden allgemeinen Literaturgeschichte, des Erforschens der Poesie in allen Gestalten und Wandlungen, gelegt hat. In der Abhandlung über die »Aehnlichkeit der mittleren englischen und deutschen Dichtkunst« (3ur schönen Literatur und Kunst, Bd. 7, S. 52) ist diese hohe Aufgabe in folgenden Såßen ausgesprochen: »Die gemeinen Volkssagen, Märchen und Mythologien find gewissermaßen Resultat des Volksglaubens, seiner finnlichen Anschauungen, Kräfte und Triebe, wo man träumt, weil man nicht weiß, glaubt, weil man nicht sieht, wo man mit der ganzen ungetheilten und ungebildeten Seele wirkt; also ein großer Gegenstand für den Geschichtschreiber der Menschheit, für den Poeten und Poetiker und Philosophen. Sagen einer und derselben Art haben sich mit den nordischen Völkern über viele Lånder und Zeiten ergossen, jeden Ortes aber und in jeder Zeit sich anders gestaltet; wo sind die allgemeinsten und sonderbarsten Volkssagen entsprungen, wie gewandert, wie verbreitet und getheilt?«< Ferner (S. 63): »Die kriegerische Nation singt Thaten, die zårtliche singt Liebe; das Volk von warmer Leidenschaft kann nur Leidenschaft dichten, wie das Volk unter schrecklichen Gegen= stånden sich auch schreckliche Götter dichtet. Eine Sammlung solcher Lieder aus dem Munde eines jeden Volks über die vornehmsten Gegenstände und Handlungen seines Lebens, in eigener Sprache, gehörig verstanden, erklärt und mit Musik begleitet, wie würde es die Artikel beleben, auf die der Menschenkenner bei allen Reisebeschreibungen doch immer am begierigsten ist, die Artikel von der Denkart und den Sitten der Nation, von ihrer Wissenschaft und Sprache, von Spiel und Tanz, Musik und Götterlehre. Wie die Naturgeschichte Kräuter und Thiere beschreibt, so schilderten sich hier die Völker selbst. Man bekäme von Allem anschauenden Begriff; und durch die Aehnlichkeit oder Abweichung dieser Lieder an Sprache, Inhalt und Tönen und

insonderheit in Ideen der Kosmogenie und der Geschichte ihrer Båter ließe sich auf die Abstammung, Fortpflanzung und Vermischung der Völker wie viel und wie sicher schließen!« Und Herder ist es gewesen, welcher, so lückenhaft seine Kenntniß des Einzelnen war, auch die ersten Grundlagen zum Aufbau der altdeutschen Philologie gelegt hat, wenn anders dieselbe nicht blos Herausgabe und Kritik der Texte, nicht blos Grammatik, sondern in Wahrheit Wissenschaft des deutschen Alterthums ist. Besonders wichtig ist auch hier wieder die Abhandlung von der Aehnlichkeit der mittelalterlichen englischen und deutschen Dichtung. Unter der wärmsten Anerkennung der spurlos vorübergegangenen Bemühungen Bodmer's stellt sie das höchste Ziel dieser neu zu schaffenden deutschen Alterthumswissenschaft auf, indem sie (S. 51) verlangt, daß eine Geschichte des deutschen Mittelalters nicht blos eine Pathologie des Kopfes, d. h. des Kaisers und einiger Reichsstånde sein solle, sondern eine Physiologie des ganzen Nationalkörpers, der Denkart, Bildung, Sitte und Sprache. Herder seht (S. 50) mahnend hinzu: »Mir ist noch keine Geschichte bekannt, wo die deutsche Feudalverfassung recht charakteristisch für Deutschlands Poesie, Sitten und Denkart behandelt und in alle Züge nach fremden Låndern verfolgt wåre.« Såhe Herder die heutige Wissenschaft, freudig würde er in das Goethe'sche Wort einstimmen, daß, was man in der Jugend wünscht, man im Alter die Fülle hat.

Und diese hehre geschichtliche Auffassung gab Herder auch eine andere Stellung zu Shakespeare, als bisher die Zeitgenossen innegehabt hatten. Die wichtigste Urkunde seiner Shakespearebetrachtung ist jene inhaltsvolle und warmempfundene Abhandlung über den großen englischen Dichter (3ur schönen Literatur und Kunst, Bd. 20, S. 271), welche, wie aus einem Briefe Herder's (Nachlaß, Bd. 3, S. 81) hervorgeht, bereits 1771 begonnen, aber erst 1775 vollendet und veröffentlicht wurde; sie

bezeugt sattsam, daß sie zwar Lessing's Dramaturgie zur Voraussetzung hatte, zugleich aber deren schöpferische Fortbildung war. Lessing hatte seinem nächsten Zweck gemäß vorzugsweise die tief innere Verwandtschaft Shakespeare's mit den Alten hervorgehoben; Corneille komme ihnen freilich in der mechanischen Einrichtung, Shakespeare aber, so sonderbare und ihm eigene Wege er wähle, im Wesentlichen nåher. Weil Lessing die antike Tragödie und die Tragödie Shakespeare's in gleichem Abstand von dem Zopf des französischen Classicismus erblickte, so meinte er Sophokles und Shakespeare in der That unter sich selbst gleich und übereinstimmend; wir wissen aus der Geschichte seines Bildungsganges, wie seine ersten eingehenden Sophokles- und Shakespearestudien genau in dieselbe Zeit fallen. Herder dagegen betonte auf's schårfste den tiefen, durch die Verschiedenheit des Volksnaturells und des Zeitalters bedingten geschichtlichen Gegensaß. Aus den von Grund aus verschiedenartigen Ursprüngen des griechischen und des nordischen Theaters suchte er (S. 273) zu erweisen, daß Sophokles' Drama und Shakespeare's Drama zwei Dinge seien, die in gewissem Betracht kaum den Namen gemein haben. Die griechische Tragödie sei gleichsam nur aus Einem Auftritt, aus dem Impromptu der Dithyramben, des mimischen Tanzes, des Chors, entstanden; dieser habe allmålich Zuwachs und Umschmelzung bekommen; aus solchem Ursprung habe sich das griechische Trauerspiel zu seiner Größe emporgeschwungen und sei Meisterstück des menschlichen Geistes, Gipfel der Dichtkunst geworden. Jene Simplicitat der griechischen Fabel, jene Nüchternheit griechischer Sitten, jenes Kothurnmäßige des Ausdrucks, die Musik, die Gestalt der Bühne, die Einheit des Orts und der Zeit, welche die eigensten Merkmale der griechischen Tragik seien, liege daher ganz ohne Kunst und Zauberei natürlich und wesentlich im Ursprung der griechischen Tragik selbst; diese Eigenheiten seien die Schlaube, in welcher die Frucht gewachsen. Wie ganz anders, fährt Herder

« ก่อนหน้าดำเนินการต่อ
 »