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wurde der freilich längst vorbereitete Bruch mit Goethe durch Herder's hartes Urtheil über Goethe's Natürliche Tochter herbeigeführt, deren antikisirende Haltung seiner gesammten Kunstanschauung von Grund aus widerstrebte.

Hier ist die Wiege jenes jungen Dichtergeschlechts, das sich nicht blos in Shakespeare, sondern auch in Hanns Sachs und in die alten deutschen Volksbücher vertiefte.

Und wie håtte sich der schäßereiche Schacht der alten Volkspoesie öffnen können, ohne alle bisher geltenden Kunsturtheile und Werthbestimmungen durchweg zu verändern! Der vielstimmige Gesang der v. chiedensten Zonen und Zeiten predigte nur die eine große Lehre, welche Herder in der herrlichen Abhandlung über Ossian und die Lieder der alten Völker (Zur schönen Literatur und Kunst, Bd. 8, S. 14) aussprach: »Je wilder, d. h. je lebendiger, je freiwirkender ein Volk ist (mehr heißt das Wort nicht!), desto wilder, d. h. desto lebendiger, freier, sinnlicher, lyrisch handelnder müssen auch seine Lieder sein. Je entfernter von künstlicher wissenschaftlicher Denkart, Sprache und Letternart das Volk ist, desto weniger müssen auch seine Lieder für's Papier gemacht und todte Letternverse sein; vom Lyrischen, vom Lebendigen und gleichsam Tanzmåßigen des Gesanges, von lebendiger Gegenwart der Bilder, vom Zusammenhang und gleichsam Nothdrang des Inhalts und der Empfindungen, von Symmetrie der Worte und der Silben, vom Gange der Melodie und von hundert andern Sachen, die zur lebendigen Welt, zum Spruch und Nationalliede gehören und mit diesem verschwinden, - davon und davon allein hångt das Wesen, der Zweck, die ganze wunderthätige Kraft ab, die diese Lieder haben, die Entzückung, die Triebfeder, der ewige Erb- und Luftgesang des Volks zu sein!« Die Schranken der Reflexionsdichtung sind gefallen. Selbst bis in die Betrachtung der Fabel und des Epi

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gramms übertrågt Herder seine neuen Anschauungen. Poesie ist nur, wo Natur, Naivetät, Gemüth und Phantasie ist.

Wer wird behaupten wollen, daß Herder allein jene tiefe Erregung der Geister hervorgerufen habe, welche die siebziger Jahre des achtzehnten Jahrhunderts in der Geschichte der deutschen Dichtung so åußerst denkwürdig macht? Wir brauchen nur hinüber nach England zu schauen, auf Macpherson und Chatterton, auf Cowper und Robert Burns, um zu gewahren, daß die geschichtlichen Vorgånge und Bedingungen, welche Herder erzeugten, überall wirkten und walteten. Aber gewiß ist, daß in Deutschland diesem dunklen Drången und Ringen die richtigen Bahnen und Ziele Keiner so kräftig wie Herder gezeigt hat. In Herder's Wiedererweckung der Volkslieder wurde das alte Mårchen vom Verjüngungsbrunnen geschichtliche Wahrheit. Vor Ullem Goethe's und Bürger's Bildungsgeschichte muß man betrachten, um das Vollgewicht dieser Thatsache lebendig nachzuempfinden. Am ersten und greifbarsten bekundete sich die Macht dieser Einwirkung naturgemåß in der Lyrik. Erst jest hörte man wieder den frischen und innigen Naturton åchter Empfindung; und diese unverfålschten Herzensklånge erschufen sich eine sinnlichere und bildlichere Sprache und seßten den Reim wieder in seine alten Rechte ein. Wo Lied und Gesang als untrennbar gedacht und empfunden wurde, war die schleppende Odendichtung unrettbar verloren. Und mit dem singbaren Liede erstand und erstarkte zugleich der schlichte Volkston der Romanze und Ballade, welche durch Gleim's verhångnißvolles Vorbild sich zum Niedrigkomischen verflacht und entwürdigt hatte. Die neue deutsche Lyrik kam urplößlich, wie die Blume im Frühling plößlich aus dem Boden sproßt.

Was Wunder, wenn wir Herder auch in der Musik, welche er als die natürliche Schwester der Dichtung betrachtete, als Freund und Verehrer schlichter Volksmelodien, als begeisterten Bewunderer und Kenner des alten italienischen Kirchenstils, als

warmen Beförderer eines reinen evangelischen Kirchengesanges erblicken?

Besonders wichtig aber ist Herder auch für die bildende Kunst geworden. Auch hier hat Herder eine völlig neue Epoche eingeleitet; ein Verdienst, das meist übersehen wird, weil die Wirkungen nicht so schnell und so unmittelbar eintraten wie in der Dichtung.

Obgleich ihm, dem im fernen Norden Weilenden, alle eigenen Erfahrungen und Anschauungen fehlten, hatte ihn doch Winckelmann's Kunstgeschichte auf's mächtigste ergriffen und zu dem emfigsten Studium der kunstwissenschaftlichen Schriften Leffing's, Mengs', Hagedorn's, der Englånder und Franzosen geführt. Bei der neuen und tiefen Einsicht, welche Herder vom Wesen der Poesie hatte, wurden ihm die Befangenheiten und Einseitigkeiten seiner nächsten Vorgånger sogleich lebendig fühlbar. Es nöthigt zu immer steigender Bewunderung der seltenen Jugendkraft Herder's, wenn wir sehen, daß die fruchtbaren Gedanken, welche er 1778 in seiner »Plastik« aussprach, bereits in dem 1768-1770 theils in Riga, theils auf der Reise geschriebenen Vierten kritischen Wäldchen vollständig ausgebildet vorliegen. Wir wissen, wie es der Grundmangel der durch Winckelmann und Rafael Mengs emporgekommenen Kunstanschauung war, daß sie dem herrschenden Zopf des französischen Rococo gegenüber den Weg, groß, ja, wo möglich, unnachahmlich zu werden, einzig und allein in die ausschließliche Nachahmung der Antike stellte, so daß selbst die besten italienischen Meister des sechzehnten Jahrhunderts, daß selbst Rafael vor dieser schroffen Ausschließlichkeit zurücktreten mußten; die hoheitsvollen Formen der antiken Kunst wurden als für alle Zeiten bindend und undurchbrechbar betrach= tet. Wir wissen, welche gefährliche Bedeutung diese Enge der Anschauung namentlich für die Malerei gewann; hatte bisher die gesammte neuere Plastik einseitig unter der Uebermacht der Ma=

lerei gestanden, so übertrug man jeht nicht minder einseitig auf die Malerei die Geseze statuarischer Zeichnung. Auch Lessing hatte, wie die Nachträge zum Laokoon sattsam bezeugen, an dieser Einseitigkeit keinen Anstoß genommen. Wie aber håtte Herder mit seinem offenen Sinn für das individuell Geschichtliche, für das lebendig Gefühlte und Naturwüchsige, an diesen gewaltsamen Beschränkungen sein Genüge finden können? Sowohl die starre Unwandelbarkeit solcher vermeintlich zeit- und ortloser Idealform wie die unkünstlerische Stilvermischung des Bildnerischen und Malerischen hat Herder bekämpft.

Wer Einsicht in das unverbrüchliche Wesen der Plastik hat, wird wahrlich nicht widersprechen, wenn Herder (3ur schönen Literatur und Kunst, Bd. 19, S. 68) die Bildwerke der Griechen als »Muster der Wohlform«, als Darstellung der »einfachen reinen Menschennatur« und darum als »Leuchtthürme« bezeichnet, die dem Schiffer, der nach ihnen steuert, sichere Fahrt bieten; zumal Herder sogleich hinzuseht, daß die Griechen uns nur Freunde, nicht aber Gebieter, nur Führer und Vorbilder, nicht aber Unterjocher sein sollen. Von der Malerei dagegen fordert Herder den lebendigsten Wechsel der Gestalten je nach dem Wechsel der Geschichte und Menschenart. Herder stand in der Anerkennung der alten deutschen Malerschulen noch sehr vereinzelt, als er auf seiner Reise nach Italien am 10. August 1788 aus Nürnberg (3ur Philosophie und Geschichte, Bd. 21, S. 255) an die Seinigen schrieb: »Unter allen Gemålden, die es hier giebt, interessirt mich Dürer am meisten; solch ein Maler möchte ich auch gewesen sein. Sein Paulus unter den Aposteln, sein eigenes Bild, sein Adam und Eva, sind Gestalten, die in der Seele bleiben; auch sonst habe ich von ihm schöne, schöne Sachen gese-, hen; auch ein Gemälde von ihm in der Burg, da er in seiner Krankheit sich wie einen Halbtodten gemalt hat und den rechten Aufschluß seiner Gesichtszüge und des ganzen vornehmen kråf

tigen reinlichen Wesens giebt, das in ihm gewohnt hat. Sonst auch viele andere schöne Sachen, die an eine Zeit deutscher Art und Kunst erinnern, die nicht mehr da ist und schwerlich je wiederkommen dürfte.« Und von demselben Standpunkt beurtheilte Herder auch das Wesen und die Geschichte der Baukunst. Zwar sehen wir zuerst auch ihn in die herrschende Verachtung der Gothik noch rückhaltslos einstimmen, wenn er sie in einem am 2. December 1769 zu Paris geschriebenen Tagebuchblatt (Lebensbild, Bd. 2, S. 428) nur künstlich im Kleinen nennt, ohne Sinn für das Große, ohne Simplicitåt, ohne menschlichen Ausdruck, ohne Freude; aber schon 1773 veröffentlichte er in den Blåttern für deutsche Art und Kunst die jugendmuthige Verherrlichung Erwin von Steinbach's von Goethe, und seitdem ist Herder der geschichtlichen Würdigung der Gothik unwandelbar treu geblieben. Es ist eines der schönsten Kapitel in Herder's Ideen zur Geschichte der Menschheit, welches (Zur Philosophie und Geschichte, Bd. 7, S. 298) die großen Meisterwerke des Mittelalters preist und die gothische Baukunft aus der Verfassung der Städte und dem Geist der Zeiten erklårt; »wie die Menschen denken und leben,«< heißt es dort, »so bauen und wohnen sie.« Der hohe Begriff der künstlerischen Monumentalitåt, seit Jahrhunderten aus dem Bewußtsein der Menschen geschwunden, war auch für die bildende Kunst in Herder wieder aufgelebt, wenn auch erst schwankend und dåmmernd. Und damit war jener verderbliche Wahn von einem entwicklungslosen, ewig bindenden Formenideal, welcher die Kunst zu todter philologischer Nachahmung verdammt, in der Wurzel vernichtet. Die durch Zeit und Volksthümlichkeit bedingte Eigenart des schaffenden Künstlers, seine Ursprünglichkeit und Schöpferlust, war wieder in ihr Recht eingesetzt. »Die Wahrheit,« sagt Herder einmal (Zur schönen Literatur und Kunst, Bd. 20, S. 18), »war zu allen Zeiten dieselbe; daß jeder wahrnehmende Mensch aber seinen Gegenstand eigen schildern kann, als ob er

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