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bereitet wurde, in Deutschland sogleich auf's tiefste und nachhaltigste zündete. Allein wenn Goethe einmal in einem seiner Gespräche mit Eckermann (Bd. 2, S. 169) åußert, daß aus seiner Lebensbeschreibung nicht genugsam erhelle, was seine Bildung den Bewegungen der gleichzeitigen französischen Literatur verdanke, so gilt dies nicht blos von seiner eigenen Bildungsgeschichte, sondern von seiner Darstellung und Ableitung der Bildungsgeschichte jener denkwürdigen Zeit überhaupt. Die eigentliche Wurzel der deutschen Sturm- und Drangperiode ist das Naturevangelium Rousseau's. Was stumm und ahnungsvoll im Herzen der deutschen Jugend gelegen, das hatte durch Rousseau Leben und Bewußtsein, Ziel und Richtung, Gehalt und Gestalt gewonnen.

Von dem dåmonischen Zauber, den der mahnende Weckruf | Rousseau's nach Natur und Ursprünglichkeit, nach Wiedergeburt und Verjüngung, auf die nächsten Zeitgenossen ausübte, und zwar mehr noch in Deutschland als in Frankreich, können wir uns heute kaum noch eine genügende Vorstellung machen. Schon 1751, bei der Anzeige der ersten Schrift Rousseau's, hatte Lessing (Lachm. Bd. 3, S. 202) gesagt, man könne von diesen hohen Anschauungen und Gesinnungen nicht ohne heimliche Ehrfurcht reden. Inzwischen aber war die Wirksamkeit und das Ansehen Rousseau's unablässig gestiegen. Selbst Kant, der doch auf's tiefste alle Schwårmgeister haßte, konnte sich der großartigen Gedankenwelt Rousseau's nicht entziehen. Es wird erzählt, daß ihm einmal über dem Studium Rousseau's das Unerhörte begegnete, daß er seinen gewohnten tåglichen Spaziergang vergaß; und am 16. August 1766 schrieb Scheffner an Herder (Lebensbild, Bd. 1, 2. S. 165), Kant weile mit seinen Gedanken jest beständig in England, weil Hume und Rousseau dort seien. Besonders aber schaarte sich die Jugend um Rousseau. Für Herder war während seiner Königsberger Studentenjahre Rouf

seau sein unausgeschter Verkehr; und auch noch in Riga blieb ihm derselbe für alle seine kühnen und genialen Zukunftspläne der bestimmende Leiter und Führer. Goethe hegte, wie sein Tagebuch aus der Straßburger Zeit (Briefe und Aufsåße, herausgegeben von A. Schöll, S. 96) beweist, die lebhafteste Vorliebe namentlich für Rousseau's religiöse Ideen. Es ist eine sehr bedeutsame Thatsache, daß Kestner in einem herrlichen Briefe (vgl. Goethe und Werther 1854, S. 37), in welchem er uns Goethe in den ersten Monaten feines Weglarer Aufenthalts schildert, ausdrücklich hervorhebt, daß Goethe ein Verehrer Rousseau's sei, wenn er auch nicht zu dessen blinden Anbetern gehöre; Werther und Faust sind ohne Rousseau undenkbar. Heinse mit seinem Drang nach sinnlicher Naturfülle bezeichnet sich als »verfeinerten Rousseauisten«. Lenz wünscht eine Bildsåule Rousseau's unmittelbar neben einer Bildsäule Shakespeares, und die Neue Heloise ist ihm das beste Buch, das jemals mit französischen Lettern gedruckt worden. Klinger ist sein ganzes reiches und wechselvolles Leben hindurch niemals aus dem Banne Rousseau's herausgetreten. Schiller widmet dem begeisterten Lob Rousseau's eines seiner frühesten Gedichte; und seine ersten dramatischen Dichtungen, von den Räubern bis zum Don Carlos, was sind sie anderes als der kraftvoll dichterische Ausdruck des tiefen revolu= tionåren Grollens, das der nach Natur und Freiheit lechzende Jüngling durch die Schriften Rousseau's in sich genährt und gesteigert hatte? In der Rechtswissenschaft, im Erziehungswesen, überall dieselben tiefgreifenden Einwirkungen. In Rousseau's Namen, sagt Goethe im dreizehnten Buch von Wahrheit und Dichtung, war eine stille Gemeinde weit und breit ausgesået. Und noch in Niebuhr's Jugendzeit, die doch fast um ein Menschenalter spåter fållt, war, wie Niebuhr in seinen Vorlesungen über die Geschichte des Zeitalters der Revolution (Bd. 1, S. 83) berichtet, Rousseau der Held Aller, die nach Befreiung strebten. Immer zahlreicher

wurden in Deutschland die, Parkanlagen englischer Art, deren Reize Rousseau in der Neuen Heloise so warm empfindend gefeiert hatte; und bald gab es in Deutschland keinen irgend größeren Park mehr, in welchem nicht eine kleine künstliche Insel oder ein stilles Waldversteck mit der Büste Rousseau's geschmückt war.

Die geschichtliche Stellung der Sturm- und Drangperiode zu den großen Bestrebungen des deutschen Aufklärungszeitalters ist daher genau dieselbe wie die geschichtliche Stellung Rousseau's zu Voltaire und zu den französischen Encyklopädisten.

Wie in Rousseau, so auch in der deutschen Sturm- und Drangperiode das heiße Hungern und Dürsten nach tieferer Gemüthsinnerlichkeit und das zornmüthige Ankämpfen gegen Alles, was in Leben, Sitte und Denkart, in Wissenschaft und Dichtung, diesem Verlangen nach Natur und Freiheit sich hindernd entgegenstellt; und wie in Rousseau, so auch in der deutschen Sturm- und Drangperiode zugleich dieselbe Verzerrung dieser tieferen Innerlichkeit in die eitelsste Gefühlssophistik, welche oft wieder verwirrte und gefährdete, was durch die Siege der Aufklärung für immer gelöst und errungen schien.

Aus der verrotteten Gegenwart und Wirklichkeit sollte der Mensch wieder zurückkehren zu dem verlorenen Paradies seines unverlierbar angeborenen Naturzustandes. Aus der herzschnürenden Enge der herrschenden Aufklärungsbildung sollte der Mensch sich wieder erheben und erlösen zum unverbrüchlichen Idealismus des Herzens, zur unverkümmerten Erfassung und Erfüllung seiner vollen und ganzen, reinen und ursprünglichen Menschennatur. Doch zunächst trat nur die eine Einseitigkeit an die Stelle der anderen. Die Jahre der Sturmund Drangperiode sind die Flegeljahre der deutschen Bildung; und zwar um so ungebårdiger, je mehr die Enge und Stille des Daseins Phantasie und Gemüth ganz auf sich selbst wies, je mehr bei der Erstorbenheit aller öffentlichen Dinge jedes Gegengewicht einer bedeutenden Wirklichkeit fehlte. Man träumte den holden Traum, auch das Leben poetisch leben zu dürfen; und man ver

stand unter dieser Poesie des Lebens nur die Eingebungen und Gelüfte ungebundener Gemüthswillkür. Man wollte die Philisterhaftigkeit bekämpfen; und man verfiel in die trübste Phantastik.

Natur, Natur! »>Unter allen Besitzungen ist ein eigen Herz

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die kostbarste, und unter Tausenden haben sie kaum Zwei.« »Das Leben soll der lebendige Athem ber Natur sein, nicht das schale Lied des gewöhnlichen moralischen Dudeldeis!« - » Mögen sie immer Bollwerke vor ihr Herz postiren; wohl uns, daß wir frei athmen!«<»>Erkennt Natur auch Schreibepultgesete, taugt für die warme Welt denn ein erfrorner Sinn?«<

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Ueberall ein unbedingtes Streben, alle Grenzen zu durchbrechen; überall unmuthiger Uebermuth.«< »Nur kleine Seelen knieen vor der Regel; die große Seele kennt sie nicht.«<

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Zwei hochragende Genien waren die Führer der Sturmund Drangperiode, Herder und Goethe.

Herder übertrug das Naturevangelium Rousseau's auf die Forderungen des dichterischen Empfindens und Schaffens. Er ist dadurch wesentlich der Vorkämpfer der jungen Dichterschule geworden; es fielen die lehten Schranken moralisirender Absichtlichkeit, in welche selbst noch Lessing gebannt gewesen. Und durch die wissenschaftliche Erforschung und Erkenntniß der naturwůchsigen menschlichen Bildungsanfånge und deren allmålicher folgerichtiger Entwicklung, wurde er der Begründer einer neuen Sprach-, Religions- und Geschichtswissenschaft, auf deren Bahnen wir noch heute fortwandeln, wenn auch unendlich bereichert und vorwärtsgeschritten.

Am tiefsten und mächtigsten aber gåhrte und wühlte die neue Zeitrichtung in Goethe, dem genialen Dichterjüngling, der nur darum ein so großer und gewaltiger Dichter wurde, weil er ein so großer und gewaltiger Mensch war. Was der Grundgedanke und die treibende Kraft seines ganzen Lebens ist, das Verlangen nach voller und ungetrübter Entfaltung und Bethå

tigung der vollen und ganzen Menschennatur, das Ideal reinen und freien Menschenthums auf dem Grunde vollendeter harmonischer Bildung, das keimte und knospete schon jeħt in ihm, wenn auch zunächst nur als unbestimmter dunkler Drang, als überschäumendes Unendlichkeitsgefühl. Einerseits daher im Gök, im Prometheus und in der Fausttragödie, deren erste Conception schon in diese Zeit fällt, das trohige ungestůme Titanenthum, das ungebåndigte Stürmen und Drången nach einer besseren und kraftvolleren Menschenart, nach schrankenloser Erkenntniß und Thatkraft; und andererseits im Werther die tiefe Klage über den Verlust des erträumten Naturzustandes, das leidenschaftliche Murren und Grollen gegen die Hårte und Kålte der widerstrebenden Wirklichkeit, die dem drångenden Geist die Flügel beschneidet und sein kühnes Emporstreben gewaltsam herabbeugt, der selbstquålerisch brütende Weltschmerz, das empfindsame und schönselige Schwelgen des Herzens in sich. »Warum so grenzenlos an Gefühl und warum so eingeengt in der Kraft des Vollbringens? Warum diese süße Belebung meiner aufkeimenden Ideen und deren dumpfes Dahinsterben unter der Ohnmacht der Menschen? Daß ich mich so hoch droben fühle, und doch nicht sagen soll, du bist Alles, was du sein kannst; hier, hier steckt meine Qual!«

Ein Jahrzehnt darauf lenkte Schiller dies revolutionåre Grollen auf Staat und Gesellschaft; einer der Wenigen, in denen auch die politische Seite zu leidenschaftlichem Ausdruck kam.

Und rings um diese großen Führer die gesammte deutsche Jugend, von denselben Stimmungen und Empfindungen getragen; aber krankhafter und unreifer.

Viel thörichtes Singen und Sagen von der Urkraft und Göttlichkeit des Genies, dessen Recht und Pflicht es sei, sich selbst voll und ganz auszuleben; und dabei die naiv komische Gewißheit eines Jeden, selbst ein solch göttliches Genie zu sein, das

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