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Sechstes Kapitel.

Das Metaphorische in der Philosophie.

Der Verstand und die Phantasie sind die uralten Feinde, welche sich auf Tod und Leben in der Welt des Geistes befehden. Jener herrscht auf dem Gebiete des Gedankens, diese auf dem der Kunst. Und doch kreuzen sich ihre Wege so oft, doch sind sie Todfeinde? Es ist eben das Verhängnisvolle, daß sie einander so notwendig bedürfen, daß der Eine ohne den Anderen nichts Rechtes leisten kann. Aber ist dies wahr? In dem künstlerischen Schaffen freilich muß die Begeisterung, muß der kühne Flug der Phantasie durch Besonnenheit geleitet und gelenkt werden, aber giebt es nicht ein reines, abstraktes Denken? Hat nicht Hegel den Beweis der Selbstentwickelung des reinen Gedankens in der Dialektik erbracht? Nein! Es war nur Schein, es war nur Wahn. Der Traum zerrann, und je holder und hehrer, je bannender er gewesen, um so nüchterner war das Erwachen. Aber es ist einmal so: es giebt kein Denken ohne Anschauung; und giebt es Anschauung ohne leise Färbung, ohne Bilder der Phantasie? „Der innerste Kern einer echten und wirklichen Erkenntnis", sagt Schopenhauer, ,,ist eine Anschauung; auch ist jede neue Wahrheit die Ausbeute aus einer solchen. Alles Urdenken geschieht in Bildern: darum ist die Phantasie ein so notwendiges Werkzeug desselben."

So sehr sich auch der Philosoph, ja selbst der strengste abstrakte Logiker in der ätherreinen Sphäre des Gedankens, fernab von den Bildern dieser bunten Erscheinungswelt, wähnen mag, so erhaben er über der Welt des schönen Scheins, die der Dichter schafft, sich dünken mag: das Denken bedarf

des Gedachten, des Objektes, und dieses übermittelt nur die Anschauung.

Die Dialektik hatte zu beweisen, daß das in sich geschlossene Denken die wirkliche Welt ergreife. Aber der Beweis fehlt. Denn allenthalben hat es sich heimlich geöffnet, um von außen aufzunehmen, was ihm von innen mangelt. Das geschlossene Auge sieht nur Phantasmen. Das menschliche Denken lebt von der Anschauung, und es stirbt, wenn es von seinen eigenen Eingeweiden leben soll, den Hungertod.1)

Das geistige Leben des Menschen ist ein einheitliches; die einzelnen Sphären desselben stehen nicht gesondert da, sondern sie berühren sich in beständiger Wechselwirkung; so auch die Thätigkeit des Verstandes und die Anschauung, so Denken und Dichten. Die Anschauung wird durchgeistigt, das Denken versinnlicht. Es ist ein schönes Wort Ludwig Uhlands: „Das Innere des Menschen strahlt nichts zurück, ohne es mit seinem eigenen Leben, seinem Sinnen und Empfinden getränkt und damit mehr oder weniger umgeschaffen zu haben. So tauchen aus dem Borne der Phantasie die Kräfte und Erscheinungen der Natur als Personen und Thaten in menschlicher Weise wieder auf. Ebenso werden auch abgezogene Begriffe wie die Formen und Verhältnisse der Zeit als handelnde Wesen gestaltet. Der Gedanke steht niemals abgeschieden neben dem Bilde, wohl aber teilt er den aus der Natur und aus der menschlichen Erscheinung entnommenen Gebilden seine eigene schrankenlose Bewegung mit, und so erhält das Natürliche, indem es teils seinen gewohnten, teils fremden und höheren Gesetzen folgt, den Zauber des Wunderbaren, die Mythendichtung im Ganzen aber den Charakter des Tiefsinns und der sicheren Kühnheit."

Auch das Erkennen und das Denken kann niemals den Charakter des Subjektiven verleugnen. Die Welt, die wir wahrnehmen, existiert doch nur so in unserem Geiste; sie erfährt in unseren Sinnen, in unserem Denkvermögen eine Umgestaltung; aber sie würde zu reinem Schein herabsinken, wenn wir nicht eine Analogie zwischen dem Bilde unserer Wahrnehmungen und den Dingen, die jene verursachen, konstruieren, wenn wir nicht eine Einheit

1) Trendelenburg, Logische Untersuchungen I3 S. 109,

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zwischen Geist und Welt bis zu einem gewissen Grade annehmen
müßten. Aber diese Analogie wird im Denken notwendig meta-
phorische Vorstellungen hervorrufen. Wir wissen nur von einer
Welt, so weit wir sie in uns erleben, d. h. so weit wir sie nach
den Gesetzen unseres Geistes umformen, unsere geistig-leiblichen
Verhältnisse ihr leihen. Das Denken und Erkennen muß daher
von dem Metaphorischen durchsetzt sein.

Aber zu dieser Thatsache und zu der Unmöglichkeit, von
dem Bildlichen der Anschauung, von der stets geschäftigen
Farbenmischung der Phantasie abzusehen, kommt hinzu, daß das
Denken aufs innigste verschmolzen ist mit der Sprache. Ist diese
auch nur der Stoff und jenes die Form, ist die Sprache nur der
Leib, das Denken die Seele, so ist doch das Denken, wenn es
sich nicht in Zeichen kundthun soll, an die Sprache gebunden;
daß diese aber durch und durch symbolisch und metaphorisch ist,
ruht in unserem physisch-psychischen Sein. Es führt keine an-
dere Brücke von dem Denken zum Sein als die Analogie; und
daher ist Denken und Sprechen metaphorisch, und daher kann
man Philosophie, d. i. die Wissenschaft der Prinzipien des Welt-
ganzen, die Wissenschaft der Wissenschaften, ein Dichten in Be-
griffen nennen; sie kann nimmer der Phantasiethätigkeit entraten,
sie wird durch die Sprache, aber auch durch die Begriffe selbst
und durch die menschliche Gebundenheit, die kein anderes Grund-
prinzip als das des Inneren und Äußeren aus dem eigenen Sein
zu entwickeln ermöglicht, durchaus metaphorisch. Es ist daher
in der That der Zusammenhang zwischen Philosophie und Poesie
ein weit engerer, als man gemeinhin annimmt; das fesselnde Band
beider ist eben das Metaphorische. Hinzu kommt die Tyrannei
der Sprache, welche feste Begriffe übermittelt und behufs Weiter-
bildung der Gedanken zu immer neuen Uebertragungen dieser Be-
griffe, d. h. also zu metaphorischer Umbildung derselben führt.
Auch hier vollzieht sich dann wie beim Mythos das Schauspiel:
was nur Symbol war, wird zur Thatsache, und umgekehrt, was
eigentlich und als Wirklichkeit gemeint war, sinkt zum (erkannten)
Bilde, zum Symbol herab; der Nachfolger wirft seinem Vorgänger
metaphorischen Ausdruck seiner Gedanken vor; und nun müht er
sich, in die alten Schläuche neuen Wein zu füllen; und so ent-
steht ein höchst interessanter Prozeß der beständigen Umprägung

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der alten Münzen, die nun einmal durch unsere begränzte Erkenntnis gegeben sind. Immer neue Analogien spielen hinein und verändern so das Weltbild im Geiste des Philosophen. Jede Zeit hat so ihr geistiges Auge; und auch in dieser Hinsicht läßt sich der enge Zusammenhang - wie bei allen Kulturerscheinungen einer individuell ausgeprägten Zeit zwischen Denken und Dichten, zwischen Philosophen und Poeten aufweisen. Kopf und Herz liegen eben dicht bei einander; das Herz versorgt auch das Hirn mit dem Lebensstrom des Blutes; auch der Philosoph vermag nicht ebenso wenig wie der Erfinder und der Entdecker - der Herzerregung, der Begeisterung zu entraten; er vermag aber auch nicht, seine Zeit mit ihren Anschauungen und Begriffen zu verleugnen; es ist somit mehr als Phrase, wenn man z. B. von Schopenhauer sagt, daß er die Philosophie der Romantik geschrieben hat, und wenn man Platon oder Hegel in Beziehung setzt zu der Poesie ihrer Zeit.

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So sehr man auch die künstlerische Anschauung in Gegensatz setzen mag zu den Begriffen; diese verleugnen jene doch selten; und der Nachweis der Irrtümer früherer Systeme gründet sich vor allem auf den Satz, daß jene ein Bild statt der Sache, eine Metapher statt eines Begriffes geben.

Doch ehe wir hierauf eingehen, mögen wir in aller Kürze und zunächst im allgemeinen uns klar machen, wie das Metaphorische in die Metaphysik, wie es in die Erkenntnistheorie ineinspielt und sodann, wie die Begriffe durch das Prinzip der Analogie, durch metaphorische Umbildung wechseln und sich umwandeln.

Die Philosophie sucht das Allgemeine im Besonderen, und die Analogie ist es vor allem, durch die sie wie alle Einzelwissenschaften die Welt des Wissens erobert, da sie ihr immer neue Subsumtionen bietet. Doch das Verhängnisvolle, die Schranke unseres Wissens, besteht darin, daß wir dem Allgemeinen immer wieder nur das Prädikat des Einzelnen beilegen können.1) Und so kommen wir aus dem Metaphorischen nicht heraus. Die Welt ist für uns teils Erscheinung als solche gehört sie der Erkenntnistheorie an teils Bild, Symbol, und das ist das Reich des Metaphorischen. „Ins Innere der Natur dringt kein erschaffener 1) Vgl. Trendelenburg a. a, O. II S. 373,

Geist." Wir müssen uns beschränken, von dem Äußeren, das wir wahrnehmen, auf ein Inneres zu schließen, das wir nicht wahrnehmen und das wir uns deuten als dem unsrigen verwandt oder metaphysisch als Urquell alles Seins, also auch des unseren. Und da fragt es sich nicht, ob es Trug, ob es Traum ist, sondern es handelt sich um die notwendigen Grenzen unseres menschlichen Erkennens, das immer Stückwerk, immer hypothetisch bleibt, um die Einsicht, daß wir die Erfahrungen an uns und in uns doch immer wieder nur als Schlüssel für die Rätsel, die uns umgeben, benutzen können. Und ist dies Nichtwissen, dies Eingeständnis, daß der Fortschritt unseres Erkennens von der (vermeintlichen) Thatsache zum Metaphorischen, vom Metaphorischen zu neuen vermeintlichen Thatsachen und so ins Unendliche fort führt, ohne je die volle Wahrheit zu gewinnen, ist diese Einsicht, daß unser Wissen nur ein Gleichnis des Unwißbaren ist, diese Einschränkung des Erkennbaren auf das reinmenschliche Maß, d. h. auf das des Inneren und Äußeren ein Unglück? Lehrt nicht Goethe, daß es das schönste Glück des denkenden Menschen ist, das Erforschliche zu erforschen und das Unerforschliche ruhig zu verehren, und ist es nicht wahr, daß, wie Hebbel sagt, für uns Menschen überall der Punkt, bis zu welchem wir vordringen können, anstatt der Wahrheit gelten muß?

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Freilich führt eine kritische Betrachtung der Geschichte der Philosophie, die eine Verkörperung der möglichen Weltprobleme bildet, zu dem Ergebnis, daß nicht nur die Ideen des Platon Hypostasierungen menschlicher Begriffe sind, sondern nicht minder die Substanz bei Spinoza mit den beiden, dem Menschenwesen abgelauschten Attributen des Denkens und der Ausdehnung, das Ich bei Fichte, das Absolute bei Hegel, der Wille bei Schopenhauer, das Unbewußte bei Hartmann nichts anderes als metaphorische Personifikationen sind. Aber ist darum alles dies Philosophieren ein Traum, ist es Lug und Trug? Wohnt ihm nicht die hehre Wahrheit inne, daß wir, als Einheit von Leib und Seele, auch die Einheit des Alls, die Einheit von Geist und Welt als Postulat der Vernunft hinnehmen müssen, und zwar, wie es dem Menschen geziemt, der doch nicht selbst der Weltengeist ist und somit diesen auch nicht erkennen kann, mit dem demütigem Geständnis unseres Nichtwissens, mit dem frommen oder resignierten Genügen an dem

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