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Zur Geschichte der Barkiden1).

Von Konrad Lehmann.

I.

Hannibals Alpenübergang als Marschleistung.

Von jeher hat der Alpenmarsch des grossen Karthagers die Aufmerksamkeit des Forschers wie des Laien auf sich gelenkt, und zu allen Zeiten ist er als eine Riesenleistung angestaunt worden. Doch stellte man sich, beeinflusst durch die Schilderungen der Quellen von den Nöten des Heeres an den drei besonders schwierigen Stellen, wohl meist ein ununterbrochenes Marschieren in unwegsamen Engtälern des Hochgebirges vor. Diese Auffassung indessen wird durch eine genauere Betrachtung des von Hannibal gewählten Weges nicht unwesentlich geändert, insofern man erkennt, dass die Grösse der Leistung weniger in der Ueberwindung ungewöhnlich zahlreicher und schwieriger Felsenhänge als in der rücksichtslosen Zurücklegung grosser Tagemärsche in einem allerdings unbequemen. aber nur zum Teil wirklich schwierigen Gelände liegt.

Im ersten Teile meines Buches Die Angriffe der drei Barkiden auf Italien (Leipzig, B. G. Teubner 1905) trat ich für den Weg über den Kleinen St. Bernhard ein. Alle wesentlichen Einwände, die von der Kritik dagegen vorgebracht worden sind, werden von mir im Anhang zur Besprechung der Livius-Literatur in den Jahresberichten des Philologischen Vereins zu Berlin für 1909 unter dem Titel Hannibals Alpenreg besprochen. Ich bin auch bei erneuter Nachprüfung der Frage zu dem Ergebnis gelangt, dass die Quellenzeugnisse die Mont-Genèvre- und die Mont-CenisTheorie verbieten und ausschliesslich für die St. Bernhard-Theorie sprechen).

Der Alpenmarsch begann sogleich hinter Rovon bei Le Port-St. Gervais d. h. an der Stelle des Isère-Tals, wo die Heersäule sich hart an den Fuss der Gebirgswände schmiegen musste. Etwa 17 km weiter stiess die Spitze auf das erste Hindernis", den von den Allobrogern besetzten Bec de l'Echaillon ). In der Nacht besetzte Hannibal seinerseits diesen Felsen 1) Bei der Redaktion eingegangen im März 1908.

2) Zur Orientierung füge ich am Schluss des Aufsatzes im Exkurse a. eine kurze Inhaltsangabe meiner Ausführungen in den Jahresberichten d. Phil. Vereins 1909 an. 3) Vgl. den Exkurs b. Das erste Hindernis.

und deckte in der Frühe des nächsten Morgens von hier aus den Durchzug des Heeres. Dann rückte er in die benachbarte Allobrogerstadt (wahrscheinlich an der Stelle des heutigen Veurey) ein und lagerte hier. Am dritten Tage trat er den weiteren Vormarsch durch das etwa 120 km lange, sehr breite und ganz ebene Tal der mittleren Isère an und stiess am sechsten Tage1) auf ein zweites Hindernis, die Creuzaz-Schlucht vor Cevins, wo die flache Talsohle plötzlich aufhört. Am 7. Tage begann der eigentliche Gebirgsmarsch, durch die Engtäler der oberen Isère, doch noch immer ohne starke Steigung. Am 9. Tage stieg das Heer zur Passhöhe des Kl. St. Bernhard empor und rastete hier bis zur Frühe des 11. Tages. Dann begann es den Abstieg. Sogleich hinter La Thuille bereitete der Uebergang über die Schutthalde der Taillaud-Schlucht grosse Schwierigkeiten; doch gelangte der grösste Teil des Heeres noch an demselben Tage hinüber bis ins Dora-Baltea-Tal bei Pré St. Didier. Am Morgen des 13. Tages stiess die Nachhut mit den Elefanten wieder zum Gros des Heeres, und es begann der Talmarsch längs der Dora Baltea durch eine etwa 100 km lange, ziemlich breite und nur an wenigen Stellen durch Felsen eingeengte, ebene Niederung. bis am 15. Tage der Rand des PoTieflandes bei Borgo Franco d'Ivrea erreicht wurde.

Die Gesamtstrecke des Alpenmarsches beträgt gegen 290 km. es kämen also auf den Tagesdurchschnitt, ohne Berücksichtigung der Rasten. noch nicht 20 km. Doch waren die einzelnen Tagesleistungen sehr verschieden, und weil sich bei dem Ansatz in meinem Buche einzelne Tagemärsche von 40 km fanden, versagten ihm einige Kritiker die Anerkennung und glaubten gerade in den Marschleistungen, wie ich sie von Hannibals Truppen verlangte, einen Hauptgrund gegen die St. BernhardTheorie zu finden). Oehler z. B. spielt folgenden Trumpf gegen mich aus (B. ph. W.. Sp. 81): Das sind unmögliche Marschleistungen! Wer das etwa nicht glauben will, weil Th. Mommsen in seiner Römischen Geschichte gleichfalls Hannibal von dort (Pré St. Didier) nach Ivrea in drei Tagen gelangen lässt, der lese die Worte des besten militärischen Kenners der Westalpen, des Obersten Perrin (Marche d'Annibal des Pyrénées au Pô, Paris 1887, S. 9): Die Tagemärsche unserer Heere übersteigen nicht das Mass von 20 km und betragen auf schwierigem Gelände nur 16-18 km. Setzt sich jemand in solchen rein militärischen Fragen mit dem Urteil erfahrener Offiziere derart in Widerspruch, so kann er keine Zustimmung erwarten".

Die Behauptung dieses Kritikers nötigt mich, den von ihm empfohlenen Massstab auf seine Brauchbarkeit nachzuprüfen. Perrins Urteil ist 1) Vgl. den Exkurs c. Die Tagezählung.

2) Oehler, Berl. philol. Wochschr. 1906. Sp. 81 u. 84 und Jahresber. d. Philol Vereins XXXII (1906), S. 33 f. Fuchs, Ztschr. f. d. östrch. Gymnas. 1907, S. 252 f. Kromayer, Gött. Gel. Anzgn. 1907, S. 455 u. 457.

keineswegs falsch. und doch darf man eine solche Aeusserung einer fachmännischen Autorität nicht unbesehen und in allen Fällen als Beweisstück benutzen. Denn Perrin spricht an jener Stelle von Hannibals Marsch in Spanien unter Annahme einer Armee à l'effectif de 102 000 hommes". und das von ihm angegebene Mass von Marschleistungen trifft in der Tat zu für die gewöhnlichen Reisemärsche grösserer Heeresverbände. Indessen eine befriedigendere, weil vollständigere Auskunft finden wir in jedem militärischen Handbuch. Z. B. Poten, Handwörterbuch der gesamten Militärwissenschaften. Bd. VI, S. 323: „Das Durchschnittsquantum der Marschleistung ist 3 Meilen pro Tag, wobei der 4. Tag Ruhetag ist. Es würde aber zweckmässig sein, diese Summe der Leistung niemals als feststehend zn betrachten, da sie im Kriege nur in den seltensten Fällen innegehalten wird, ja überhaupt nie als die Summe dessen gilt, was ohne Ueberanstrengung geleistet werden kann". Noch bestimmter ist sogar die Auskunft in Meyers Konversationslexikon 6. Aufl. 1906 unter „Marsch". Dort heisst es: Die Länge des Marsches richtet sich nach der der Truppe zufallenden Aufgabe und dem Verhalten des Feindes. Man nimmt etwas über 20 km täglich als normale Leistung für Reisemärsche grösserer Massen an mit einem Ruhetage aller 3-4 Tage. Doch muss, Doch muss, wenn es die Lage erfordert, bei Kriegsmärschen viel mehr (40-50 km) geleistet werden können, wobei aber, wenn, wie bei Eilmärschen, die Ruhetage längere Zeit ausfallen, oder, wie bei Gewaltmärschen, die äusserste Ausnutzung aller Kräfte stattfindet, die Tüchtigkeit der Truppe schnell sinkt".

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Die Kriegsgeschichte liefert zahllose Bestätigungen für die Tatsache, dass, wenn es der Kriegszweck erfordert, das Normalmass der Reisemärsche bedeutend übertroffen werden kann, sogar trotz Ausfallens der Ruhetage. Zur Klärung des Urteils halte ich es für zweckmässig, eine Reihe solcher Belege anzuführen.

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B. v. Baumann, Die längsten und schnellsten Märsche aller Zeiten (Neue militärische Blätter, hrsggb. v. G. v. Glasenapp. Berlin 1883) Bd. 23, S. 313: Massenas Korps legte 1809 vom Rhein bis zur Iller auf schlechten Wegen 36 Meilen in 9 Tagen zurück, dann zusammen mit Oudinots Korps 23 Meilen in 5 Tagen". Bd. 7 (1875), S. 346: „Ganz abgesehen von dem Vorrücken unter beständigen Kämpfen in den ersten 3 Tagen, marschierte die Division (Masséna im Sept. 1796) einschliesslich des Uebergangs über die Etsch, zu dem sie sich die Uebergangsmittel herbeischaffen und darauf gewiss einen grossen Teil des Tages verwenden musste, von Trient bis Sanguinetto, mehr als 26 Meilen, in 6 Tagen". Bd. 23, S. 119: Napoleon legte 1808 in Spanien mit 50 000 Mann in 10 Tagen nicht allein die Strecke von Madrid bis Astorga, 43 Meilen (= 322 km), zurück, sondern überschritt dabei auch das Guadaramagebirge mitten im Winter und passierte den von den Winterregen angeschwollenen Esla".

Bei Balck. Taktik (Berlin 1903) III, S. 403 ff. s. weitere Beispiele. Z. B. S. 407 Bernadottes Korps marschierte vom 26. Oktober bis 1. November 1806, also in 7 Tagen, 272 km d. h. innerhalb dieser Zeit durchschnittlich 39 km an jedem Tage, für die Zeit vom 15. Oktober ab in 24 Marschtagen (mit einem Ruhetag am 21. Okt.) 675 bis 692 km, also durchschnittlich 29-30 km. C. v. d. Goltz, Das Volk in Waffen (3. A. Berlin 1884). S. 200 ff.: Junot legte im November 1807 bei seinem Zuge gegen Lissabon die 35 deutschen Meilen von Salamanca über Ciudad Rodrigo nach Alcantara in nur 5 Märschen durch unwirtliche Gegenden und bei dichtem Schneegestöber zurück (also täglich über 50 km). v. FreytagLoringhoven, Marschanordnungen und Marschleistungen unter Napoleon (Beiheft zum Militär-Wochenblatt 1893), S. 247 f.: „Wir müssen uns davor hüten, dass unser an strenge Ordnung gewöhntes Auge nicht Dinge für unmöglich hält. wie sie 1806 von den Franzosen geleistet sind, damit auf uns nicht einst erneut die Worte Anwendung finden, die der Marschall Lannes am 29. Okt. 1806 an den Kaiser schreibt: Wenn die Preussen 25 bis 30 km marschiert sind, glauben sie alles getan zu haben, was möglich ist, und wollen nicht glauben, dass wir 50-55 km täglich leisten'. Diese Worte sind keine Grosssprecherei des Marschalls, denn er hatte sie damals bereits wahrgemacht, sie enthalten aber eine bittere Kritik der damaligen preussischen Führer und zeigen, wohin man mit dem Festhalten. an Friedensgewohnheiten, an den schematischen Begriffen von einer normalen Marschleistung von 20-30 km im Kriege gelangt“.

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Was nun sozusagen die Marschvorschriften des Altertums anlangt. so lesen wir bei Vegetius I, 9: Militari gradu XX milia passuum horis quinque dumtaxat aestivis conficienda sunt, pleno autem gradu, qui citatior est, totidem horis XXIV milia peragenda sunt (also am Vormittage unter gewöhnlichen Verhältnissen 30. auf beschleunigten Märschen 36 km) 1). Erforderte es die Kriegslage. so ging man naturgemäss auch im Altertum bisweilen weit über dieses Durchschnittsmass hinaus. Curios Marsch in Afrika i. J. 49 v. Chr. von der Küste bei Aquillaria bis an den Bagradas bei Utica belief sich auf 100 km, und diese Strecke wurde von den 2 Legionen in 2 Tagen zurückgelegt. Cäsar durchmass i. J. 52 auf seinem Marsche an den Elaver gegen Litaviccus in 28 Stunden (einschl. einer dreistündigen Rast) mit 4 Legionen (etwa 16 000 Mann) nicht weniger denn 75 km. Aber auch für Marschleistungen, bei denen Heere längere Zeit hindurch täglich durchschnittlich 30 km oder sogar noch mehr zurücklegten, bietet das Altertum abgesehen von Fällen, deren Ueber

1) Wenn Perrin S. 16 dagegen polemisiert und eine Marschleistung von 6 bzw. 72 km als Stundendurchschnitt für unmöglich erklärt, so ist dazu zu bemerken, dass Vegez nicht an Stunden zu 60 Minuten, sondern an horae aestivae denkt, d. h. die ganze Zeit vom Aufgang bis zum Untergang der Sonne, dividiert durch 12, also für den Hochsommer etwa 75 Minuten.

lieferung nicht über jeden Zweifel erhaben ist, z. B. Scipios Marsch vom Ebro nach Neukarthago (209 v. Chr.) in angeblich 7 Tagen (Pol. X, 9, 7 u. Liv. XXVI, 42, 6) zuverlässige und kontrollierbare Beispiele, z. B. Cyrus' d. J. Marsch von Sardes nach Mesopotamien (vgl. Droysen, Heerwesen und Kriegführung der Griechen S. 84. Anm.), Cäsars Marsch von Corfinium nach Brundisium (Fröhlich, Das Kriegswesen Cäsars S. 207) und der Marsch des Ti. Sempronius Longus von Lilybäum nach Ariminum i. J. 218 v. Chr.. 1200 km in 40 Tagen (Fröhlich, Die Bedeutung des 2. pun. Krieges. 1884. S. 60 f.).

Im Gebirge sind naturgemäss die Marschstrecken geringer. Doch liefert die Kriegsgeschichte auch hier Beispiele, die uns veranschaulichen können, wie bedeutend das Durchschnittsmass eines Reisemarsches hinter der Wirklichkeit eines Kriegsmarsches zurückbleiben kann1).

C. v. d. Goltz (Einiges rom türkischen Heere und seinen Soldaten. Daheim 1904, Nr. 17. S. 20) zeigt. was Truppen selbst in den Bergen zu leisten vermögen. Die bei den verschiedenen Mobilmachungen im Innern Anatoliens aufgebotenen Redif- (d. h. Landwehr-)Bataillone marschierten über die Berge auf einfachen Saumpfaden doch fast regelmässig sechs Wegestunden d. h. 30 km am Tage und das an den sechs Wochentagen hintereinander". S. 22: Noch denke ich gern an einen Marsch durch das romantische Bergland von Zagora im südlichen Pindus nördlich des Sees von Janina zurück, wo eine schwache Infanterie-Kompagnie mich begleitete. Es war ein Montenegro im kleinen, das wir durchzogen. Seine Mannschaft hatte er (der Führer der Kompagnie) zu beiden Seiten des Bergpfades aufgelöst, und an den Hängen kletterten die wackeren Burschen wie die Gemsen hinauf und hinab durch den wilden Wald, über gestürzte Baumstämme und Felsstücke hinweg, an Giessbächen und an steilen Matten entlang. Ein Trunk Wasser aus der Hand am nächsten Bergquell und um die Mittagszeit ein Stück Brot und Ziegenkäse bildeten dabei die einzige Erquickung. Wir waren an 15 Stunden unterwegs, obwohl wir in der Luftlinie nicht mehr als etwa 45-50 km zurücklegten, aber es wurden mehrere Gebirgspässe überschritten, von denen der bedeutendste über 1800 m hoch lag".

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Auch unsere Landsleute vollbrachten in den Gebirgen Nordchinas recht stattliche Marschleistungen. A. v. Müller (Die Wirren in China. 1) Wenn es sich bei den anzuführenden Beispielen vielfach nur um kleinere Truppenkörper handelt, so sind sie für den Vergleich mit Hannibals Alpenmarsch doch nicht von der Hand zu weisen. Denn es ist zu berücksichtigen, dass einerseits zwar eine grosse Armee erheblich mehr unter Marschstockungen zu leiden hat. andererseits aber Hannibals Tagesleistungen nicht so gar weit hinter jenen modernen zurückzubleiben brauchten, da die Heereskolonne sicherlich sehr lang auseinandergezogen und eine Vereinigung aller Truppen in einem Lager durchaus nicht an jedem Abend erforderlich war, vielmehr in Wirklichkeit nur am 2. und 9. Tage stattfand, bis zu einem gewissen Grade auch am 6. und 13. Tage.

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