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Die Zahl der Teilnehmer am Helvetierfeldzug

im Jahre 58 v. Chr. Geb.

Von B. A. Müller.

In der Ueberlieferung über den Siedelzug der Helvetier nach dem Lande der Santonen 1) im Jahre 58 v. Chr. Geb. ist eine Reihe von statistischen Angaben über die Zahl der wehrfähigen Auswanderer und aller Teilnehmer, sowie über die Höhe der Verluste und die Gesamtsumme der in die alte Heimat zurückgekehrten Helvetier, Tulinger und Latoviker enthalten, deren Betrachtung und Untersuchung zuletzt von Curt Wachsmuth 2) energisch gefördert worden ist. Die bei weitem wichtigste unter diesen Notizen geht auf die Kommentarien Caesars selbst zurück, der sich bei seiner Darlegung ausdrücklich auf urkundliches Material bezieht: auf die in griechischen Buchstaben niedergeschriebenen Aufzeichnungen 3), die den Siegern im Lager der Feinde nach der Entscheidung von Bibracte in die Hände fielen. Die Stelle lautet folgendermassen: de bello Gall. I 29. In castris Helvetiorum tabulae repertae sunt litteris Graecis confectae et ad Caesarem relatae, quibus in tabulis nominatim ratio confecta erat, qui numerus domo exisset eorum, qui arma ferre possent, et item separatim pueri, senes mulieresque. Quarum omnium rerum summa erat capitum Helvetiorum milium CCLXIII, Tulingorum milium XXXVI, Latoricorum XIIII, Rauracorum XXIII, Boiorum XXXII; et his, qui arma ferre possent, ad milia XCII. Summa omnium fuerunt ad milia CCCLXVIII. Horum, qui domum redierunt, censu habito, ut Caesar imperaverat, repertus est numerus milium C et X. Wachsmuth hat mit Recht betont, wie der Glaube an die Richtigkeit dieser Zahlenangaben dadurch gewinnt, dass die I 25, 6 überlieferte Stärke der Mannschaften der Boier und Tulinger im Einklang mit

1) Vgl. Otto Hirschfeld, S.B. Berl. Ak. 1896 S. 453 ff.

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2) Klio III (1903) S. 281/287. Nach ihm sind, ohne auf seine Ausführungen Bezug zu nehmen, auf den Gegenstand noch eingegangen G. Veith, Geschichte der Feldzüge C. Julius Caesars. Wien 1906, S. 76 f. 493 f. und Camille Jullian, Histoire de la Gaule. Paris 1908. II 3 ff., besonders 6, 7.

3) Zum Gebrauch der griechischen Schrift bei den Galliern vgl. Cäsar Gall. VI 14,3. S. ferner O. Hirschfeld CIL XII (1888) S. 966 u. tituli und besonders den titulus Celticus litteris Graecis confectus aus dem Gebiet der Vocontier, ebd. S. 162, sowie Hirschfeld, Westd. Zeitschr. VIII (1889) 134/5, R. Forrer, Lothr. Jahrbb, XV (1903) 125 und M. Siebourg, Westd. Zeitschr. XXIII (1904) 318/9. — Da die Wahrscheinlichkeit und sogar die Möglichkeit einer Volkszählung bei einem so wenig civilisierten Stamm, wie die Helvetier es waren, anlässlich einer Auswanderung immer noch gelegentlich bezweifelt wird, sei hier auf eine bisher zu Cäsar noch nicht angeführte Parallele verwiesen: Genserich liess 429 bei der Auswanderung nach Afrika die Stärke seines Volkes feststellen, wohl, wie man vermutet hat, um den zur Unterbringung des Volkes nötigen Schiffsraum zu ermitteln. Vgl. hierüber zuletzt Ludwig Schmidt, Byzantin. Zeitschrift XV (1906) 620/1.

ihrer Zahl beim Beginn des Trecks steht, und dass die Einzelposten der Wehrfähigen auf ganze und sogar halbe Hunderte genau durchgerechnet sind.

Dieser Mitteilung über die Zahl der Kämpfer und aller Auswanderer zusammen treten gegenüber die Notizen einerseits bei Polyaen, über dessen leider kaum mit Sicherheit nachweisbare Vorlage hier auf Melbers Ausführungen verwiesen sei1), und andererseits bei Appian in der Kɛλtzη und Plutarch im Leben Caesars, die, wie man jetzt fast übereinstimmend annimmt, im letzten Grund auf Asinius Pollios Geschichtswerk zurückgehen 2): Polyaen. strat. VIII 3: Καίσαρ Ἑλουηττίοις ἐπολέμει . . . καὶ Ῥωμαίοις ἔπῃεσαν τριάκοντα (ή i. e. οκτώ cod. Florent.) μυριάδες, ὧν εἴκοσι τὸ μάχιμον ἦσαν.

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Appian. Gall. 3: Kaioaq Ελουητίους καὶ Τιγυρίους ἀμφὶ τὰς εἴκοσι μυριάδας ὄντας ἐνίκησεν.

...

Plutarch. Caes. 18: EẞýrTIOι zai TiyiQivot πλῆθος ὁμαλῶς τριάκοντα μὲν αἱ πᾶσαι μυριάδες ὄντες, εἴκοσι δὲ αἱ μαχόμεναι μιᾶς δέουσαι. Das im ersten und dritten Zeugnis vorliegende Zahlenverhältnis zwischen Kämpfern und der Gesamtbevölkerung ist schon aus inneren Gründen unmöglich eine Zahl muss also unrichtig überliefert sein. Im Verlauf dieser Erörterung wird es sich herausstellen, dass die mitgeteilte und unzweifelhaft überlieferte Gesamtstärke mit Wahrscheinlichkeit als zutreffend bezeichnet werden kann; die Ziffer der uazóuevo, welche in der überlieferten Form übertrieben hoch ist, dürfte demnach die falsche sein. Es drängt sich die Annahme auf, dass, wenn nicht in unseren Quellen, so doch in den Quellen unserer Quellen die Wehrfähigen in Uebereinstimmung mit den bevölkerungsstatistischen Nachweisen im Feldarchiv der Helvetier und der aus ihnen geschöpften Notiz Caesars auf 9 oder 10 Myriaden angegeben waren. Auch die 200 000 bei Appian, die dann ganz vereinzelt in unserer Ueberlieferung stehen, sind schwerlich richtig: sie müssen entweder in 9 oder 10 Myriaden geändert werden, worunter allein die Kämpfer zu verstehen sind, oder wir müssen vermuten, dass hier die 30 Myriaden der Gesamtbevölkerung herzustellen sind.

Eine andere Gruppe von Nachrichten gewährt uns Aufschlüsse über die Zahl der in die alte Heimat zurückgekehrten Helvetier, Tulinger und Latoviker, die mit der von Caesar auf Grund einer Zählung gewonnenen Ziffer übereinstimmt, und über die Summe derjenigen, welche in bello ceciderunt. Caesars Angaben ergänzt hier eine von Wachsmuth ausführlich besprochene Notiz des Orosius, dessen Schilderung der gallischen Kämpfe sonst fast ganz auf den Kommentarien fusst: hist. VI, 7, 5. horum fuit, cum primum progressa est, omnis multitudo Helvetiorum, Tulingorum, Latobogiorum,

1) Jahrbücher für klassische Philologie. Suppl.-Band XIV (1885) 674/683. 2) Vgl. zuletzt die kurze Bemerkung von Joh. Kromayer, Antike Schlachtfelder in Griechenland II (1907) 435, 1, wo die Arbeiten von E. Schwartz und E. Kornemann benutzt sind.

Rauracorum et Boiorum utriusque sexus ad centum quinquaginta et septem milia hominum; ex his quadraginta et septem milia in bello ceciderunt, cetera in terras proprias remissa sunt. Aehnlich lautet Plutarch Caes. 18, also wohl Asinius Pollio: καλῷ .. τῆς νίκης ἔργῳ κρεῖττον ἐπέθηκε τὸ συνοικίσαι τοὺς διαφυγόντας ἐκ τῆς μάχης τῶν περιόντων βαρβάρων καὶ καταναγκάσαι τὴν χώραν ἀναλαβεῖν, ἣν ἀπέλιπον, καὶ τὰς πόλεις, ἃς διέφθειραν, ὄντας ὑπὲρ δέκα μυριάδας. In der folgenden Stelle, in der es sich dem Zusammenhang nach nur um die Helvetier, nicht auch um ihre Bundesgenossen handeln kann, sind leider die Zahlen verderbt: Strabo IV 3, 3 p. 193 C. ὁ πρὸς Καίσαρα τὸν Θεὸν πόλεμος, ἐν ᾧ περὶ τετταράκοντα μυριάδες σωμάτων διεφθάρησαν, τοὺς δὲ λοιποὺς σώζεσθαι με θῆκεν εἰς ὀκτακισχιλίους. Wachsmuth scheint mir den offenkundigen Schäden dieser Stelle gegenüber die richtige Heilung mit der Vermutung gefunden zu haben, dass hier die Myriaden und Chiliaden ihren Platz wechseln müssen. Es mag noch hervorgehoben werden, dass am Anfang dieses langen Paragraphen bei einer Bemerkung über die Länge des Rheins Asinius Pollio zitiert wird, und dass die Notizen über die Helvetier am Ende dieses Absatzes, wie schon Paul Otto 1) bemerkt hat, mit der bei Plutarch und Appian erhaltenen Tradition übereinstimmen. Wenn also jemand diese Stelle mittelbar oder unmittelbar auf Asinius Pollios Geschichtswerk zurückführen will, wird man diese Vermutung nicht gerade mit entscheidenden Gründen widerlegen können. Auf jeden Fall fügen sich aber, mag man nun diese Annahme teilen oder zurückweisen, die überlieferten Zahlen dann folgendermassen ohne grosse Differenzen untereinander zusammen: Bei Appian und Plutarch wird die Rückkehr von über 100 000 Auswanderern gemeldet; nach dem Verhältnis zwischen der Stärke der Helvetier einerseits und der allein mit ihnen zurückgekehrten Latoviker und Tulinger andrerseits müssen unter diesen 100 000 etwa 84 000 Helvetier oder, da ihre Verluste wohl durch den Abgang des ganzen Gaus der Tiguriner) und der 6000 des Gaus Verbigenus stärker als die ihrer Bundesgenossen gewesen sein dürften, rund 80 000 gewesen sein, die in der alten Heimat wiederangesiedelt wurden; dieselbe runde Zahl ist bei Strabo hergestellt. Ferner entfallen bei einem Gesamtverlust von 47000, den Orosius meldet, entsprechend dem Verhältnis der Gesamtstärke zu der Summe der Helvetier, wie es sich aus Caesars Notizen ergibt, 33600 auf sie, eine Zahl, die wir bei ihren unverhältnismässig grossen Verlusten unbedenklich auf 40000 abrunden dürfen. Diese Ziffer stimmt wiederum mit der von Wachsmuth durch Konjektur bei Strabo gewonnenen Summe von 40000 überein. Es heben sich also selbst geringe Widersprüche in unseren Nachrichten auf; die überlieferten statistischen Angaben ergänzen sich gegenseitig.

1) Leipziger Studien zur klass. Philologie XI. Suppl.-Bd. (1889) 289.

2) Sie bildeten nach Cäsar Gall. I 12, 2 fast den 4. Teil ihres Stammes, werden also rund 15000 Wehrfähige gezählt haben.

Unsere Zeugnisse stimmen also überein in der Summe der Zurückgekehrten, für die ein unzweifelhaft sicherer man kann wohl sagen

urkundlicher Nachweis in dem Ergebnis der von Caesar veranstalteten Zählung vorlag. Ja, dieses Resultat wird fast zum Ueberfluss noch dadurch bestätigt, dass wir aus der Höhe des Kontingents, das die Helvetier im Jabre 52 zum Entsatz von Alesia abgehen lassen, auf eine Bevölkerung von 80-90000 im Lande des Hauptstammes schliessen müssen 1). Da unsere Nachrichten aber in den Angaben über die Gesamtbevölkerung auseinandergehen, muss jede Untersuchung über diese Zahlen bei den Mitteilungen Caesars einsetzen. Ich kann hier nur Wachsmuth beistimmen, welcher meint, dass das Primäre die Zahlen der Wehrfähigen sind, und dass die anderen Ziffern auf die von ihm besprochene und durch Parallelstellen erläuterte Weise erschlossen sind. Es ist ferner auch meine Meinung, dass die 47 000 Gefallenen bei Orosius sich nur auf die Wehrfähigen beziehen. Dagegen glaube ich ihm nicht folgen zu dürfen, wenn er die Weiber, Kinder und Greise des Trecks den Kämpfern an Zahl etwa gleichsetzt und 19 bis 20 Myriaden als Gesamtsumme der Auswanderer berechnet. Denn mir will die Art und Weise, wie er aus unseren Quellen das Verhältnis zwischen Kämpfern und Nichtkämpfern bestimmt, durchaus nicht zutreffend, geschweige denn zwingend erscheinen. Wie minderwertig und wie ungenau in der Zahlenangabe der Bericht Polyaens über die Niederlage der Tiguriner am Arar) ist, ferner wie unsicher alle Schlüsse aus den Zahlen bei Appian und Plutarch sind, hat Wachsmuth selbst ausdrücklich betont. So bleibt nur der eine von ihm angeführte Fall übrig, in dem eine Angabe über das Verhältnis zwischen Kämpfern und Nichtkämpfern vorzuliegen scheint. Ich kann ihm nur beistimmen, wenn er schätzt, dass unter den ungefähr 20 000 Menschen, die zwischen dem Tag von Bibracte und der endgültigen Wiederansiedelung ums Leben kamen, 13000 wehrfähige Männer und 7000 Weiber, Kinder und Greise waren. Aber dieses ganz merkwürdige Verhältnis zwischen den beiden Gruppen, das der wirklichen Gliederung der Bevölkerung nach Alter und Geschlecht in keiner Weise entspricht, kann nur zufällig und durch Umstände bedingt sein, welche uns unbekannt sind. Nähmen wir an, dass unter den 6000 homines 3) des Gaus Verbigenus, die heimlich zu entfliehen versuchten, keine Frauen und Kinder waren, was möglich ist, so würden allerdings unter den übrigen 14 000 beide Teile gleich sein. Doch diese Zahl ist zu niedrig, um Schlüsse auf das grosse Ganze zu gestatten, und wenn irgendwo, so müssen wir bei Schätzungen dieser Art die Wohltat des Gesetzes der grossen Zahl geniessen, was hier nicht der Fall ist.

So glaube ich denn anders vorgehen zu müssen, um die Höhe der

1) Vgl. die treffenden Ausführungen von Julius Beloch, Rhein. Mus. N. F. LIV (1899) 423.

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Gesamtbevölkerung zu erschliessen. Wie Caesar nach Wachsmuths Annahme, der ich gefolgt bin, auf Grund einer antiken statistischen Hypothese aus der Zahl der Wehrfähigen durch Multiplikation mit 4 die aller Auswanderer gewonnen hat, dürfen auch wir unserer Berechnung einen Verhältnissatz zu Grunde legen, zumal da uns unser Zeitalter mit seinen statistischen Tabellen und seiner genauen Kenntnis der Altersgliederung in der Bevölkerung eine sachlich richtigere Proportion zu finden gestattet als die im Altertum angewendete von 1: 4. In einem Lande wie dem damaligen Helvetien dürfen wir für den Fall der Auswanderung jeden, der überhaupt ein Schwert zu führen vermag, als Wehrfähigen zählen 1), also jede männliche Person zwischen 16 und 60 Jahren. Auf 100 Menschen kommen nun in den modernen Kulturstaaten 28,4-31 Männer dieses Alters 2).

Dass auch im Altertum die erwachsenen Männer im wehrpflichtigen Alter von 17-60 Jahren etwa ein Drittel oder gegen 30% der Gesamtbevölkerung ausmachen, hat der bewährteste Erforscher dieser Verhältnisse auf dem Gebiet des Altertums, Julius Beloch, ausgeführt 3). Dieser Prozentsatz wird nicht wesentlich erhöht, wenn wir als wehrfähig noch die Altersklasse der 16 jährigen Männer zufügen. Es ist freilich möglich, dass das Verhältnis der erwachsenen wehrfähigen Männer noch ein wenig höher angenommen werden muss, da wohl auch unter den Sklaven, wenn auch nicht den Hörigen der Helvetier die arbeitsfähigen Männer wie auch in Griechenland und Rom stärker als unter den Freien vertreten gewesen sein mögen. Die hier erschlossene Proportion der Wehrfähigen zum ganzen Volk kehrt einmal in unserer Ueberlieferung wieder, wenn wir annehmen dürfen, dass der Verlust an Kämpfern und Nichtkämpfern im ganzen Feldzug ungefähr verhältnismässig gleich gewesen ist: wir sind in der Lage abzuschätzen, wieviel Wehrfähige in die Heimat zurückgekehrt sind. Von den 92000 Kämpfern bei Beginn des Krieges, die Caesar erwähnt, gehen ausser 47000 Gefallenen bei Orosius noch die Kontingente der nicht wieder in den alten Sitzen angesiedelten Boier und Rauriker ab, die ich mit Wachsmuth am Ende des Feldzuges auf 4000 und 3000 Mann veranschlagen möchte. Es finden sich dann unter 110000 Menschen 38 000 Wehrfähige: das ist wenig mehr als ein Drittel. Legen wir den gewonnenen Verhältnissatz zwischen den Kampffähigen und dem ganzen Volk von 30 oder wenig mehr zu 100 oder auch von rund 1 zu 3 zu Grunde, so erhalten wir als Summe aller Teilnehmer an der Auswanderung, wenn wir nach oben abrunden, die Zahl 300 000. Es darf wohl zur Empfehlung dieser rechnerisch gefundenen Ziffer erwähnt werden,

1) Vgl. auch Beloch, Rhein. Mus. a. a. O. 431, 1.

2) Dieses Resultat ergibt sich aus den Tabellen in H. Rauchbergs Artikel Altersgliederung der Bevölkerung im Handwörterbuch der Staatswissenschaften von Conrad, Elster, Lexis und Loening I3 (1908) 422–428.

3) Die Bevölkerung der griechisch-römischen Welt. Leipzig 1886 S. 53/54.

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