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anwuchs. Und dieses volle ausgereifte Mannesalter und den Proceß, durch welchen dasselbe erreicht werden kann, hat Goethe in so weit, als es überhaupt einer Uebersetzung fähig war, im Faust bildlich dargestellt und in Worte übertragen, in unsere Sprache übersetzt. Wer daher Goethe nur nach dem fleinlichen socialen Maßstab seines eigenen engbegrenzten Lebens zu beurtheilen vermag, der wird sich vergebens bemühen, den Fauft zu begreifen, denn es ist Goethe's warmes ungestümes Lebensblut, welches in Fausts Adern fließt. Ein großer Mensch kann nur mit großartigem weitem Maßstabe beurtheilt werden; man kann einen Berg nicht mit einem Ellenstab messen, sondern bedarf eines Barometers. „Der Grundgedanke und die treibende Kraft seines ganzen Lebens,“ sagt Hettner*) von Goethe, war „das Verlangen nach voller und ungetrübter Entfaltung und Bethätigung der vollen und ganzen Menschennatur, das Ideal reinen und freien Menschenthums auf dem Grunde vollendeter harmonischer Bildung." Und die Möglichkeiten seines Daseins waren großartig und mannigfaltig. Daher die riesigen Verhältnisse des Drama's, seine titanische Stärke, das Ungeheure seiner Tragweite und seines Gesichtskreises, sein hoch- und weitherziger Idealismus, seine wunderbare Universalität, welche beinahe jede nur erdenkliche Lage und Schicht des Menschenlebens näher oder entfernter berührte. Die deutschen Literarhistoriker nennen daher den Faust mit Vorliebe ein Weltepos, und der Name ist nicht unpassend. Das unbändige Titanenthum von Goethe's Jugend (welches er in seinem „Prometheus“ und „Götz von Berlichingen" verewigt hat), der allmähliche Reifungsprozeß, welcher ihn nach seiner Rückkehr aus Italien lehrte, seine Thatkraft und Bestrebungen auf vernünftigere und erreichbarere Ziele zu richten, sein lebenslanges

*) Herm. Hettner, Goethe und Schiller, erste Abtheilung. 6. 7. ffg.

Streben nach einer besseren und vollständigeren Mannesreife und Mannhaftigkeit, die weitschauende und scharfblickende Weisheit seines hohen Alters — diese alle find als lebendige, organische Elemente sämmtlich in den „Faust“ übergegangen. Das Drama ist daher, troß all seines bruchstückartigen Aussehens, eine vollständige organische Einheit ganz in demselben Grade wie des Verfassers eigenes Leben eine solche war. Ihm selbst jedoch konnte es, so lange er selbst noch am Leben war, als eine solche nie erscheinen, und darum erscheint uns sein eigener Urtheilsspruch, daß es für immer ein Fragment bleiben müsse, eben so natürlich als be= deutsam. Betrachten wir das Werk von unserem heutigen Gesichtspunkte aus, so erscheint es uns als höchft ange= meffen, daß Goethe daffelbe nur wenige Monate vor seinem Lebensende vollendet und erst nach seinem Tode hatte erscheinen laffen. Eckermann erzählt uns ja, daß Goethe bei Gelegenheit des Versiegelns und Zurücklegens des Packets, welches die Handschrift zum zweiten Theil des "Faust" enthielt, geäußert habe: er müsse sein Leben forthin nur als ein Geschenk betrachten, denn es sei nur in der That von geringer Bedeutung, was er noch leisten werde.

Verschiedene Kommentatoren haben die Richtigkeit von Goethe's Angabe angezweifelt, daß die Idee der Dichtung schon in dem Augenblick, wo sie in ihm auftauchte, den allgemeinen Gesichtskreis und Umriß des vollendeten Wertes, wie wir es nun vor uns sehen, angenommen habe. Mir erscheint jene Angabe keineswegs unglaubhaft. Es findet sich auch, so weit ich es zu beurtheilen im Stande bin, in Goethe's ganzem umfangreichem Briefwechsel keine einzige Stelle, welche dagegen sprechen würde. Die Dichtung erlitt mancherlei Veränderungen mit dem Wandel seines künstlerischen Glaubensbekenntnisses, und die Einzelnheiten der Ausführung wurden fortwährender Kritik unterworfen; allein es erscheint mir kaum glaublich, daß der zweite Theil des „Faust" nur ein Nachgedanke, ein

späterer Einfall, ein zufälliger Anhang war, welchen Goethe dem lebenden Körper seiner ersten Conception nur angefügt habe, um gewisse künstlerische Ueberzeugungen, welche sich seit der Heimkehr aus Italien seiner bemächtigt hatten, in Umlauf zu bringen. Eine derartige Annahme würde nothgedrungen zu einer Schlußfolgerung führen, welcher gewiß kein eifriger Goethe-Leser im Ernste beipflichten würde: nämlich, daß er die Absicht gehabt habe, Fauft dem Teufel zu übergeben und dessen sämmtliche eble Bestrebungen in seinem moralischen Ruin endigen zu lassen. Schon zu der Zeit, wo das Vorspiel im Himmel geschrieben wurde (um 1797), konnte Goethe nicht mehr im Zweifel darüber sein, was für ein Endschicksal er seinem Helden geben würde. Faust war, wie wir gesehen haben, zum Typus des ganzen Menschengeschlechts ausersehen, und Goethe konnte unmöglich den Wunsch gehegt haben, im Voraus anzudeuten, daß das ganze Geschlecht in moralischem Bankerutt enden müsse. Der Herr hatte ja in der besagten Scene sogar den Glauben ausgesprochen, Faust werde, gestärkt und geläutert durch die Ueberwindung der Versuchungen, welche Mephistopheles ihm in den Weg lege, sich zu einem höheren geistigen Standpunkte erheben. Mephisto sollte auf diese Weise indirect das Mittel werden, ihm Gutes zu thun; er mußte als Teufel schaffen; allein ihn seine Wette mit dem Herrn gewinnen zu laffen, würde von des Verfassers Seite einen Grad von Pessimismus angezeigt haben, welcher eines Arthur Schopenhauer und Eduard von Hartman würdig, allein mit dem Geist und den Begriffen von Goethe's Philosophie durchaus nicht übereinstimmend ge= wesen wäre. Ueberdies würden und dies zeugt unmittelbar für unsern vorliegenden Zweck die ganze Fabel und Tendenz des ersten Theils in diesem Falle ganz anders angelegt worden sein; Mephisto's Charakter würde nicht mit solchen verhängnißvollen Beschränkungen gezeichnet worden und Fausts geistige Ueberlegenheit über ihn,

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an vielen Stellen, nicht mit solcher augenfälligen Anschaulichkeit hervorgetreten sein.

Wir dürfen also füglich annehmen, daß der zweite Theil ein eben so wesentlicher Theil der ganzen Dichtung ist, wie der erste, denn außerdem würde der Schluß des ersten Theils, welcher Faust der Macht seines Feindes überweist, irre leiten und mit dem weitherzigen, freisinnigen Geiste von Goethe's Leben in Widerspruch stehen. Wir mögen Einwendungen gegen mancherlei Dinge darin machen; wir mögen eine Anzahl Einzelnheiten als mehr oder weniger übereinstimmend mit der allgemeinen Tendenz des Werkes anfechten und kritisiren; allein die Idee an sich ist ihrem Gesichtskreis und ihrer Tragweite nach so ungeheuer, in ihrem anregenden und deutungsvollen Gehalt so unendlich, daß sie nur aus einer großartigen und wunderbar entwickelten Geisteskraft entsprungen sein konnte. Ich muß unwillkürlich mich dem Gedanken hingeben, daß auch dasjenige, was wir für Irrthümer anzusehen geneigt sind, einen innern Werth hat und mit gebührender Ehrfurcht behandelt werden sollte, denn in Goethe's Leben gibt es nichts Unbedeutendes und Werthloses.

In Emersons,,Representative Men" findet sich folgende Stelle, welche eine directe Beziehung auf das Verhältniß des ersten Theils des „Faust" zum zweiten hat: „In jedem Hause, im Herzen eines jeden Mädchens oder Knaben, in der Seele des hochfliegenden Heiligen, findet sich dieser Abgrund zwischen dem größten Versprechen idealer Kraft und der armseligen Erfahrung. Die ausdehnungsfähige Wahrheit kommt uns zu Hilfe. Der Mensch behilft sich mittelst größerer Verallgemeinerungen." Fauft hatte diesen Abgrund zu überbrücken gehofft und hofft es noch. Er sehnte sich nach dem Augenblick, zu dem er sagen konnte: „Verweile noch, du bist so schön,“ nach dem Augenblicke, wo das ideale Streben und die wirkliche Erfahrung absolut eins sein würden. Er hatte gewünscht, sich über die

Alleinstellung seiner eigenen Individualität erheben zu können, oder (wie Vischer es ausdrückt) sein individuelles Ich in das Ich des Weltalls auszudehnen. Es ist im Grunde das alte Problem einer unendlichen Seele, welche sich wund reibt an den Kerkergittern ihrer endlichen beschränkten Körperlichkeit. Zwischen diesen beiden sich gegenüberstehenden feindlichen Gewalten ist keine Versöhnung möglich; die lahme, anspruchlose, auf alles Streben verzichtende Ergebung der Alltags-Menschheit ist keine Versöhnung, sondern nur ein Kompromiß, ein Vergleich. Fausts Feuergeist war außer Stande, fich a priori in die Erfahrung der Vergangenheit zu ergeben, welche lehrt, daß es dem weisen Manne geziemt, diesen Vergleich anzunehmen und ihm die beste Seite abzugewinnen; für ihn war dies eine Umgehung des Problems, keine Lösung desselben. Er muß selber den Becher menschlichen Elends bis zur Hefe leeren, bevor er wissen kann, wie derselbe schmeckt; in einer stürmischen leidenschaftlichen Laufbahn muß er an sich selber die bittere Erfahrung des ganzen Geschlechts wiederholen und deffen Lehre von Neuem lernen. Die Lehre bleibt jedoch immer dieselbe; der Augenblick unumschränkter Glückseligkeit ist noch so fern als jemals, und nur der Schmerz und die Neue bleiben am Leben. Trotzdem ist Faust nun weiser als er war; er ist in der Tiefe seines eigenen Wesens überzeugt, daß zwischen dem Endlichen und dem Unendlichen keine Beziehung, kein Verhältniß stattfinden kann; daß das Endliche, selbst durch eine unaufhörliche Entwickelung, nicht zum Unendlichen anzuwachsen vermag, daß beide durch trennende Stufen geschieden werden. Da er aber seiner Kraft und Stärke sich bewußt ist, so entmuthigt ihn dies nicht; er fühlt sich zwar gezwungen, den Kompromiß anzunehmen, allein er ist entschlossen, demselben auch den letzten Schatten von Vortheil abzuringen, welcher ihm noch erreichbar ist. Er hat gelernt seine Bestrebungen auf das Erreichbare zu beschränken, allein er ist entschlossen, durch eine energische Anwendung aller seiner Kräfte zu ermitteln,

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