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und in ganz derselben Weise im alten schwedischen Recht vorkommt1). Und noch heute zeigen sich die letzten Spuren nicht nur im Brot und Salz der Russen, sondern auch mitten unter uns, in unserem modernen Hochzeitsmahl und in dem Zutrinken der Brüderschaft 2). Ehrwürdige Reste aus sehr alter menschlicher Vergangenheit!

So also mag im Uraltertum die ganze Sippe beider Teile als Zeuge aufgerufen sein, gerade wie die Götter HOMER's bei ihren Schwüren Himmel und Erde und das Stygische Wasser zu Zeugen rufen, und in Birma zur Form einer rechtswirksamen Schenkung gehört, dass Wasser tropfenweise zur Erde vergossen wird und die Priester unter Ablesung heiliger Formeln alle Götter und Menschen als Zeugen herbeirufen 3). Das erstarkte Recht späterer Zeit bedurfte dieser Feierlichkeit als Regel nicht mehr; aber man zog, wie in der Urzeit die ganze Hausgenossenschaft, in Ermangelung schriftlicher Urkunde, damit man bei entstehendem Streit >Wissende« hätte, Zeugen zu. Von der Zuziehung kam auch ihre Bezeichnung; so heissen sie in alten Rechtsquellen die gezogenen Zeugen« (testes tracti) 4). Aber so konnte man sie auch aus einem andern Grunde benennen. Denn bekannt ist die Sitte unserer Altvordern, bei wichtigen Rechtshandlungen, insbesondere dem Setzen von Grenzsteinen, Jungen unversehens derbe zu ohrfeigen, damit sie noch dereinst in ihrem Alter sich des Backenstreichs und damit des Vorgangs erinnern sollten. So sagt schon das alte Volksrecht der ripuarischen Franken"), dass man bei der Über

1) GRIMM, Rechtsaltertümer, S. 192.

2) Über die Bedeutung des gemeinschaftlichen Mahles bei den Eheschliessungen, vergl. oben Bd. 1, S. 208 ff.; bei der Eingehung der Blutsbrüderschaft, Bd. 2, S. 58, Anm. 1.

3) BASTIAN, Völker des östlichen Asiens, Bd. 2, S. 227, Anm. ".

4) GRIMM, Rechtsalterttimer, S. 144, 857; über die Vertragszeugen im alten Babylon, vergl. BRUNO MEISSNER, Beiträge zum altbabylonischen Privatrecht, S. 5.

5) tit. 60, ed SOHм, S. 88.

WILUTZKY, Vorgeschichte des Rechts II

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gabe verkaufter Grundstücke kleinen Jungen Maulschellen geben und sie in die Ohren zwicken solle. Aber man hatte es ehedem auf die Ohren nicht bloss der Urkunds, sondern überhaupt aller Zeugen abgesehen. Im alten Rom zupfte man die Zeugen, die vor Gericht gefordert wurden, am Ohr, und PLINIUS erklärt dies etwas seltsam damit, dass unten im Ohr der Sitz des Gedächtnisses sei und dass dieses durch das Anpacken zum Zeugnis angerufen würde1). Auch dies scheint ein unaustilgbarer Glaube zu sein, wie man heute noch das Gedächtnis unaufmerksamer Jungen auf diese etwas unholde Weise zu schärfen sucht. Im alten Bayern spielte man auch den erwachsenen Zeugen dergestalt mit, was anderwärts in deutschen Landen nicht bekannt war, sodass man eine solche Anmahnung die Zuziehung von Zeugen nach bayrischer Sitte (more Bajoariorum) nannte 2).

So also konnte man in der Tat von herbeigezogenen Zeugen sprechen. Ihre Zuziehung selbst wird uns als universale Sitte bei Vertragsschlüssen bestätigt3). Roms und seiner Vorgänger, der semitischen Völker, taten wir Erwähnung und unserer Altvordern, bei denen wir auch des alten Islands und des alten Schwedens gedenken müssen1); ganz ebenso aber war es in Indien. Auch hier geschah der förmliche Abschluss des Kaufgeschäfts, solange noch nicht die Schriftlichkeit aufkam, vor Zeugen. So sagt das altehrwürdige Gesetzbuch des MANU3): »Wer auf dem Markt vor Zeugen irgend einen Gegenstand durch Kauf an sich bringt und den Kaufpreis bezahlt, der erwirbt dadurch das gesetzliche Eigentumsrecht darauf.« Und dasselbe galt bereits in Urzeiten im alten Babylon, wie

1) PLINIUS 11, 45 (103), 251.

2) GRIMM a. a. O., S. 144, 145.

3) POST, ethnolog. Jurisprudenz, Bd. 2, S. 621, FRIEDRICHS, Universales Obligationenrecht, S. II.

4) FRIEDRICHS a. a. O., S. II, 12.

5) 8, 201.

uns das Gesetz des Königs HAMMURABI, der um 2250 v. Chr. lebte, bestätigt 1).

Ebenso wie die Urkundzeugen sich bis auf den heutigen Tag erhalten haben, ist es auch mit dem Handschlag, einer alten Vertragsform der indogermanischen Völker. Bei den meisten von ihnen finden wir das feierliche Einschlagen der Hand in die hingehaltene Hand des andern, oder das gegenseitige Berühren der Fingerspitzen). So war es zu den ältesten Urväterzeiten, und gerade so ist es noch heute, dass der Handschlag als Zeichen des Abschlusses gilt und auch unser >>topp!<< ist nichts anderes als ein dem heutigen Geschlecht sonst verschollenes Wort für »schlag ein3).<

Dies wollte ich von den Formen der Verträge in alter Zeit sagen. Wie hierbei religiöse Vorstellungen beherrschend eingewirkt haben, wird zu entnehmen sein; aber Eines möchte ich noch erwähnen, wie auf früheren Stufen das bürgerliche und das Strafrecht sich noch als wenig gesondert erweisen, und eins in das andere hinübergreift. Sahen wir vorhin, dass zuweilen der religiöse Fluch dem Vertragsbrüchigen droht, durch dieses furchtbare Übel aber die bürgerliche Schuld gesühnt ist: so wird anderwärts der Schuldner zur Strafe gezogen. Das Nichtbezahlen der Schuld gilt als ein Vergehen und durch die Strafe der Gläubiger als befriedigt ob er mit dieser Art von Befriedigung immer Anlass hatte völlig zufrieden zu sein, scheint dem modernen Menschen freilich ein ander Ding. So, um ein Beispiel anzuführen, wurde bei den Cherokesen, einem nordamerikanischen Rothautstamm, der Schuldner, der nicht zahlte,

1) Ebenda, § 9.

2) DIO CASSIUS 48, 37 (bei REIMARUS, S. 554), wo die Triumvirn sich zur Bekräftigung ihres Bundes die Rechte geben (deži opisev čdoozv); GRIMM, Rechtsaltertümer, S. 138 und 605; POST a. a. O., S. 621, 670;

FRIEDRICHS a. a. O., S. 14.

3) GRIMM a. a. O., S. 605.

ausgepeitscht; durch die Schläge galt die Schuld als getilgt 1). Und bei den konservativen Chinesen finden wir als Nachklang, dass der säumige Schuldner Bambusprügel erhält ). Wir sehen hier also in naiver Weise die Wege bereitet, auf denen der Staat im Civilprozess die Entscheidung der Streitigkeiten an sich zieht. Die Allgemeinheit ist es, die die Sache des einzelnen zu ihrer Sache macht. Das Sondereigentum kann sein Recht nicht selbst wahren und stellt sich unter den Schutz von Religion und Staat; aber beide raffen zunächst die Angelegenheit völlig an sich, und der Gläubiger, dessen Sondereigentum noch auf schwachen Füssen ist, muss sich bescheidentlich und mit üblem Trost zur Seite stellen. Wie schwer es in alter Zeit war, zu seiner Forderung zu kommen, besonders wenn der Schuldner in einem anderen Gemeinwesen wohnte, wie Raub mit Raub, Delikt mit Delikt erwidert wurde und ohne eine kräftige Hand nicht auszukommen war, lehren uns auch die homerischen Dichtungen an mancher Stelle3).

An einer dieser Stellen begegnet uns die auf den ersten Blick befremdliche Wendung, dass der ganze Stamm in Anspruch genommen werden soll für den Schaden, den einzelne Stammesgenossen auf einem unternommenen Raubzuge zugefügt haben 4). Wie ist dies zu verstehen? Wie wir die Gesamtheit als Vorgängerin des Individuums sahen, so ist es auch konsequent mit der Schuld; so beginnt die Geschichte des

1) WAITZ, Anthropologie, Bd. 3, S. 131.

2) DAVIS, the Chinese, Bd. 1, S. 233: A period is allowed by law on the expiration of which the debtor becomes liable to the bamboo if his obligations are not discharged. Ähnliches kommt nicht nur bei den Hottentotten (VON BURGSDORFF in Zeitschrift, Bd. 15, S. 351), sondern auch bei den alten Indern und Persern vor. (FRIEDRICHS, Universales Obligationenrecht, S. 33, 34).

3) Odyss. 21, 17; Ilias 11, 685 ff.; vergl. auch Odyss. 3, 367, wo die verkleidete Athene eine Wanderung in die Ferne, um eine Schuldforderung an Ort und Stelle einzuziehen, vorgibt.

4) Odyss. 21, 17: χρεῖος, τό ρά οἱ πᾶς δῆμος ὄφελλεν.

Obligationenrechts mit der Gesamtverbindlichkeit, und am Eingang stehen die Worte: >> Alle für Einen und Einer für Alle.<< Denn dies war der Zustand der ältesten Zeit: Schuldner war nicht der Einzelne, sondern die Gesamtheit, die hinter ihm stand, Stamm, Dorf oder Sippe 1). So wird uns von den Hottentotten berichtet, dass, falls der Schuldner nicht zahlen kann, seine Verwandten zur Zahlung der Schuld verpflichtet sind). Dies ist aber in Afrika auch weit verbreitetes Negerrecht 3). Und ebenso weit weg in Neuseeland, wo bei den Maori der Ehemann, dem die Frau entrann, sich wegen einer Entschädigung nicht nur an den Ehebrecher, sondern an dessen ganze Verwandtschaft halten kann 4).

Dergestalt hafteten die alten genossenschaftlichen Verbände und Sippen, wie sie zu Gedeih und Verderb zusammensassen, zunächst auch gemeinschaftlich für die Schulden, und hat sich das Sondereigentum, wie dies auf der Seite des Aktivvermögens bereits von uns festgestellt wurde, sicher ebenso langsam und in denselben Stadien auf der Passivseite des Schuldverhältnisses entwickelt. Hier ist es nun interessant, wie sich die Auffassung der alten Zeiten zu dem Problem stellte, das der Tod des Schuldners bereitete. Bei dem Aktivvermögen ging man vielfach davon aus, dass es an Leib und Knochen des Eigentümers gebunden war, die Sachen ihm daher über den Tod hinaus gehörten und, wie Waffen, Kleider und Schmucksachen

1) POST, Ethnologische Jurisprudenz, Bd. 1, §§ 42, 87; GIERKE, Genossenschaftsrecht, Bd. 2, S. 383 ff. Hierhin können vielleicht auch die Urkunden No. 36 und 87 bei PEISER, Babylonische Verträge des Berliner Museums, S. 51 und 119 gezogen werden.

2) VON BURGSDORFF in Zeitschrift, Bd. 15, S. 351.

3) KOHLER ebenda, Bd. 11, S. 451.

4) HELLWALD in TREWENDT's Handwörterbuch, Bd. 5, S. 303. Erwähnt mag werden, dass als die ehrenvollste Sühne bei solchen Gelegenheiten der Empfang von Land gilt: Lande sagen sie, ist der einzige Schatz, welcher dem Werte eines Weibes gleichkommt.<

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