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Mittelalter wurden die Schuldner, die nicht zahlten, gestöckt und geblöckt und ihren Gläubigern zu Hand und Halfter überantwortet1). Und der Sachsenspiegel) sagt: >Wer einen Mann vor Gericht um solche Schuld fordert, die er nicht bezahlen und für die er nicht Bürgen setzen kann, dem soll der Richter für das Geld den Mann ausantworten, den soll er halten gleich seinem Ingesinde mit Speise und mit Arbeit. Will er ihn »spannen mit ener Helden«, das mag er tun, anders soll er ihn nicht peinigen. Entlässt er (der Gläubiger) ihn oder entläuft er ihm, so wird er damit des Geldes (der Geldschuld) nicht ledig; so lange er es ihm nicht zahlen und nicht voll bringen kann, so ist er immer sein Pfand für das Geld (so is he immer sin pand vor dat geld)«. Und, was unter dem »spannen mit ener Helden zu verstehen ist, ergibt das alte Bild zu dieser Stelle des Sachsenspiegels, wo der Schuldknecht, der ein gabelförmiges Werkzeug zum Tagewerk trägt, an den Füssen gefesselt ist. Ähnliche Bestimmungen finden wir im alten schwäbischen Landrecht3) wo statt helde von Eisenpant oder Isenhalt gesprochen wird, und in den Stadtrechten von Lübeck, Magdeburg u. s. w.4).

So also war es im Mittelalter. Aber sogar bis in die neuere Zeit lassen sich in unserem eigenen Lande Spuren derartiger Auffassung verfolgen. Ich meine das sogenannte >Verserven<< (auf gut deutsch »Verknechten«), das auf deutschen Auswandererschiffen bis zum Jahre 1831 vielfach üblich war nnd für das Überfahrtsgeld geradezu ein Pfandrecht an der Person des Auswanderers begründete, da er sich nicht nur zu Diensten verpflichtete, sondern sogar die Übertragung (Ver

1) GRIMM, Rechtsaltertümer, S. 614; vergl. auch SIMROCK, Der gute Gerhard und die dankbaren Toten, S. 153 ff.

2) 3, 39, §§ 1, 2.

3) Vergl. Ausgabe von WACKErnagel, (1840), S. 230.
4) GRIMM, Rechtsaltertümer a. a. O,

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äusserung) dieser Dienste möglich war, sodass man nicht wohl von einem blossen Dienstvertrag sprechen kann1).

nur

Aber zurück in die Vorzeit, deren Durchforschung diese Blätter gewidmet sind! Wir finden diese harte Herrschaft des Gläubigers über den Schuldner, die den alten Zeiten des Vertragsrechts eigentümlich ist, auch bei den Galliern. Von ihren sozialen Verhältnissen entwirft uns Cäsar) ein geradezu jammervolles Bild. »Der gemeine Mann ist fast Sklave, von allen zurückgewiesen und von jeder Staatsverhandlung ausgeschlossen. Der grösste Teil begibt sich daher, gedrückt von den Schulden, den vielen Abgaben oder den Misshandlungen der Grossen, in den Dienst des Adels, der daduch über sie alle Rechte erhält, welche sonst Herren über Sklaven haben.<< Also auch hier, wie in Athen beim Auftreten des Solon, ist die Schuldknechtschaft zu einer wahren Geissel geworden, die gesunde Verhältnisse nicht aufkommen liess dass sich für dieses Land kein Solon fand, und sich die Folgen dieser Zustände durch die Jahrhunderte hindurch geschleppt haben, so dass wir in Taines bändereichen Schilderungen die kurzen Sätze des Cäsar in ihrem wesentlichen Inhalt noch für die Zeit vor der französischen Revolution bestätigt finden. Die Verknechtung des Schuldners treffen wir aber auch in Indien an hier auch in der offenbar auf alte Zeiten zurückgreifenden Anwendung, dass auch der Sohn zur Abdienung herangezogen werden konnte 3). Seltsam ist der Druck, den man dort zu Lande auf den Schuldner übte, um ihn zur Zahlung zu nötigen: entweder physisch, indem man ihn in seinem Hause regelrecht belagerte und ihm Wasser und Lebensmittel abschnitt, bis Hunger und Durst zur Befriedigung des Gläubigers zwangen eine Form der Zwangsvollstreckung, die auf kriegerische Leidenschaften und ein hohes Alter ihres

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1) KOHLER in Zeitschrift, Bd. S, S. 80 ff.

2) bell. gall. 6, 13.

3) So im Dekan; Zeitschrift, Bd. 8, S. 120 ff.

Ursprungs hinweist - oder moralisch in der ganz eigentümlichen Gestaltung, dass der Gläubiger droht sich zu erhängen, wenn er nicht befriedigt wird1). Wunderbares Volk, dessen Sitten einen tiefen Zwiespalt des Charakters enthüllen! Dort tritt uns der glänzende Krieger der Heldenepen entgegen, hier der das Leben verachtende Grübler, dem wir in den indischen Dichtungen unter den Blütenbäumen der Büsserhaine begegnen. Seltsames Land der Helden und der Mönche, prunkvoller Ritterschaft und hoffnungsloser Knechtschaft! Ist das nicht das Abbild der Menschheit selbst, deren Innerstes wie das Meer sich ewig gleich und ewig ungleich ist?

Und ähnlich in Hinterindien, in welchem wir die Einwir kung indischer Kultur und Rechtssätze schon so oft festge. stellt haben. Auch hier in Birma treffen wir auf die Schuldknechtschaft gerade wie in Indien 2).

Während wir hier durchweg die Verknechtung des Schuldners als eine von sehr alter Zeit her bestehende Einrichtung finden, gibt es aber auch Völker, bei denen, so viel man weiss, dieses Institut niemals bestanden hat. Die Ägypter und ihr mutmasslicher, segensvoller Einfluss auf die Hellenen sind bereits erwähnt. Dasselbe gilt aber auch von den Chinesen 3). Diese Ausnahme ist für die Menschheit im Hinblick auf den gewaltigen Umfang des chinesischen Reichs nicht zu unterschätzen.

Dagegen sehen wir die Schuldknechtschaft bei den Kal. mücken1), und ebenso ist sie den Malaien und besonders den Bugis auf dem grossen ostindischen Archipel bekannt). Diese

') Zeitschrift, Bd. 8, S. 126. Vergl. über das auf ähnlichem Gedankengange beruhende Mansami der Inder (Drohung, dem eigenen Kinde den Kopf zu zerschmettern) oben S. 12, Anm. 1.

2) KOHLER in Zeitschrift, Bd. 6, S. 200.

3) KOHLER ebenda, Bd. 6, S. 383.

4) KÖHNE cbenda, Bd. 9, S. 469.

5) KOHLER in Zeitschrift, Bd. 6, S. 347; Derselbe in Zeitschrift für Handelsrecht. Bd. 32, S. 66.

Stämme haben die Schuldknechtschaft aber auch in der milderen Form, dass die Schuld abgearbeitet werden kann1).

In Afrika findet sich die Einrichtung weit verbreitet und namentlich bei den westafrikanischen Mandingovölkern ganz allgemein3). Aber auch hier gibt es Ausnahmen, wie das grosse Negerreich von Bornu in Mittel-Sudan, wo der Schuldner, der nicht im Stande ist, zu bezahlen, und dies beweist, frei ausgeht. Der Richter sagt dann: >Gott möge euch die Mittel geben. Trifft ihn jedoch der Gläubiger später mit zwei Toben oder einem roten Käppchen (also jedenfalls in einem nach Landesübung stattlichen Anzuge), so führt er ihn zum Kadi, wo ihm alle überflüssigen Kleidungsstücke ausgezogen und zur Bezahlung hingegeben werden3).

Die Schuldknechtschaft ist also die eine Konsequenz jener alten Anschauung, dass die Schuld dem Leibe des Schuldners anhafte; und sie ist uns geläufig aus dem, was wir aus Schule und Studium von der antiken Geschichte wissen. Viel fremdartiger erscheint uns eine andere Folgerung, die aus diesem alten Grundsatz floss, die Haftung der Leiche des Schuldners für die von dem Lebenden einst eingegangene Schuld. Kraft dieser Einrichtung hielt sich der Gläubiger an den Leib des Entseelten und liess ihn nicht bestatten'). Der stärkste Druck auf die Familie zur Bezahlung der Schuld, wenn man bedenkt, was für einen Wert gerade in ältester Zeit auf

1) WAITZ, Anthropologie, Bd. 5, S. 146.

2) POST, Ursprung des Rechts, S. 100; KOHLER in Zeitschrift, Bd. 11, S. 445; wegen der Betschuanen Deutsch-Südwest-Afrikas Zeitschrift, Bd. 15, S. 330, 331; wegen Centralafrika MACDONALD, Africana, London 1882, Bd. 1, S. 166, wonach der Mann seine Weiber, Schwestern, Brüder und selbst Vater und Mutter zur Tilgung einer Schuld verknechten kann.

3) POST, Anfänge, S. 274. Eine auffällige Ausnahme bilden die Galla, die, obwohl sie Sklaven in ziemlicher Menge haben, doch die Schuldknechtschaft nicht kennen (SCHURTZ, Urgeschichte der Kultur, S. 154).

4) KOHLER, Shakespeare vor dem Forum der Jurisprudenz, S. 20.

die Bestattung gelegt wurde, und wie nach der herrschenden Vorstellung der nicht gehörig mit den vorgeschriebenen Totenopfern bestattete Verstorbene unrettbar dem Verderben im Jenseits verfallen war. Im Hinblick auf diesen Ahnenkultus primitiver Zeit und die Verzweiflung, in welche die Angehörigen durch die Unmöglichkeit der Bestattung versetzt werden mussten, ein geradezu teuflischer Druck auf die Leidtragenden! Und doch so hat die Menschheit gegen sich selbst gewütet ist dieses Hyänenrecht des Gläubigers weit verbreitet gewesen. Wir finden es bei den alten Ägyptern in der seltsamen Form, dass der Schuldner die Mumien seiner Eltern verpfänden konnte 1) - in der Tat eine ganz merkwürdige Auffassung, dass die toten Eltern als Bürgen dienen mussten und noch nach ihrem Tode mit dem längst entseelten Leibe hafteten. So konnte ein leichtsinniger Sohn nicht nur sich selbst, sondern auch Vater und Mutter, die sich beim Ableben dessen gar nicht versehen hatten, in die Ewigkeit hinein zu Grunde richten.

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Dies geschah nun bei den Ägyptern, wenn der Sohn die Eltern versetzte; als Massnahme der Zwangsvollstreckung aber finden wir die Inanspruchnahme der Leiche des Schuldners im späteren römischen Recht. Hier artete es unter den byzantinischen Kaisern zu einem derartigen Missbrauch aus, dass die Kaiser Justin und Justinanus sich in besonderen Erlassen dagegen wenden mussten 2). Ebenso finden wir diese eigen

1) DIODOR, I, 92, 93.

2) C. 6, C. 9, 19; praefatio und C. 1, Nov. 60, C. 5, § 1, Nov. 115. Spuren aus früherer Zeit, welche sich dahin deuten lassen, in 1. 5 pr. D. 48, 6; 1. 1, § 6, D. 47, 10; 1. 8, D. 47, 12; vergl. hierüber ferner KOHLER, Shakespeare, S. 20; ESMEIN, Débiteurs privés de sépulture. Extrait des Mélanges d'Archéologie et d'Histoire publiés par l'Ecole française de Rome 1885; insbesondere die dort S. 231 ff., citierte und besprochene Stelle aus den Schriften des heiligen Ambrosius von Mailand, und die Klageformel aus DURANDS Speculum Juris, wo die Ausgrabung der ohne Berücksichtigung der Rechte eines Gläubigers begrabenen Leiche begehrt wird.

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