ÀҾ˹éÒ˹ѧÊ×Í
PDF
ePub

dass in ältester Zeit, wenigstens bei vielen Völkern, es nicht nur Pflicht, sondern auch Recht der Frau war, dass der nächste männliche Verwandte des Verstorbenen sie als Gattin übernahm. Also dieselbe Idee, wie im tiefsten Grunde beim Niyoga: erlischt das Individuum durch den Tod, so wanken in den Augen dieser Geschlechter, denen die Einzelehe noch ein Neues war, ihre Grundlagen und die ältere Zugehörigkeit der Frau zu Stamm oder Familie des Mannes tritt in ihre ursprünglichen Rechte. So sehen wir in der merkwürdigen Stelle 5. Mose 25, 5-10, dass die Frau den Mann, der sich weigert, mit ihr die Leviratsehe einzugehen, wegen der ihr zugefügten Schande vor der ganzen Gemeinde beschimpfen darf. Deutlicher kann nicht zum Ausdruck gebracht werden, dass ein vollgiltiger Anspruch der Frau auf Eingehung dieser Ehe nach den alten Anschauungen bestand, und dass es eine Rechtsverletzung war, wenn der nächste Verwandte des Verstorbenen der Frau die Leviratsehe abschlug. Zugleich galt diese Weigerung sicherlich als Beschimpfung des Verstorbenen, dem man den Trost des Sohnes, der ihm allein die Totenopfer bringen konnte, versagte; denn das ist die Besonderheit der Leviratsehe wie des Niyoga, dass das so gewonnene Kind als leibliches des Verstorbenen angesehen wurde.

Uns typisch und seit unserer Kindheit innig vertraut sind die Schilderungen des Buchs Ruth, die uns diese Rechtseinrichtung alter Zeit menschlicher näher bringen, und wir sind daher gewöhnt, die Leviratsehe als Eigentümlichkeit des Rechts der Hebräer zu betrachten. Aber auch hier wird unser Gesichtspunkt durch die vergleichende Rechtswissenschaft unendlich erweitert; auch hier handelt es sich in Wahrheit nicht um die Begrenzung eines einzelnen Volkes, sondern um ein weiten Kreisen der Menschheit eigenes Institut. Im alten Hellas waren es, wie immer, die Spartaner, der Hort urältester Ideen unter den Griechen, deren konservativer Sinn auch diese Vorstellung lange festgehalten hat. Denn LYKURG betrachtete nach

dem sohnlosen Tode seines königlichen Bruders es als selbstverständlich, dass er die Witwe zu ehelichen habe, falls nicht noch ein Kind nachgeboren werden sollte1). Wir haben hierin einen Beweis dafür, dass mindestens bei den indogermanischen Völkern Europas in sehr alter Zeit, für welche uns weitere Überlieferungen fehlen, die Idee der Leviratsehe bekannt war. Es ist eine eigene Fügung, dass uns Sparta, wie ein Archiv alter Sitten, bis in die geschichtliche Zeit Erinnerungen erhalten hat, die uns sonst bei den europäischen Völkern nie und nirgend geblieben wären.

Was Sparta für die abendländischen Stämme, ist Ostindien für das Morgenland, nur noch in erhöhtem Masse, da in diesem merkwürdigsten aller Länder die Spuren der fernsten Vergangenheit niemals ganz erloschen sind. Hier sehen wir schon in den Heldenepen den Satz ausgesprochen, der die Grundlage aller dieser Rechtsgestaltungen ist: »Für die Kinderlosen ist kein Platz im Himmel«), und aus demselben Gedanken fordert die Witwe den Bruder des Verstorbenen auf: »Dein Bruder ist kinderlos zum Himmel gegangen, zeuge tugendhafte Kinder für ihn!<<3) Bezeichnend für das hohe Alter dieser Stelle ist der mutterrechtliche Ideenkreis, der sich in ihr ausspricht; denn die Aufforderung ergeht nicht etwa an den nächsten Agnaten, sondern an den von derselben Mutter mit dem Verstorbenen stammenden unehelichen Bruder, der nach Vaterrecht gar nicht verwandt wäre, aber nach konsequentem Mutterrecht nächster Angehöriger ist. Erwähnt wird die Leviratehe auch in dem altindischen Gesetzbuch des Manu, freilich nur als Recht der Familie bei der Kaufehe an der bereits bezahlten Braut des Verstorbenen und mit der Milderung späterer Zeit, dass Einwilligung der Braut vorausgesetzt wird:

1) PLUTARCH, Lykurg., C. 3; vergl. auch Mc. LENNAN, S. 273 ff.
2) Mahâbhârata, Ad. Parva, sect. 95, S. 286, sect. 120, S. 352.j
3) Mahâbhârata a. a. O., sect. 95, S. 285 ff.

>>Wenn ein Mädchen gegen Empfang eines Brautpreises zur Ehe gegeben worden ist und der Geber des Preises stirbt (vor der Hochzeit), so soll man die Braut ihrem Schwager übergeben, falls sie ihre Einwilligung hierzu gibt« 1). Erstaunlicher ist, dass wir die Leviratsehe sogar bis auf den heutigen Tag, soweit eine Witwenehe überhaupt zugelassen wird, in abgelegeneren Gegenden Ostindiens finden: so bei Stämmen Bengalens 2) wie des Pendschab3), der indischen Nordwestprovinzen*) wie der Provinz Bombay 5).

Auf wesentlich anderer Grundlage beruht die Leviratsehe, wie sie bei den dravidischen (vorarischen) noch heute fortbestehenden Volkstämmen Ostindiens vorkommt. Hier geht nicht das Bestreben dahin, dem Toten einen Sohn zu erwecken, sondern man will die Kinder des Verstorbenen seiner Familie erhalten. So wird die Leviratsehe bei den Todas in den >>blauen Bergen« des südlichen Vorderindiens geübt, wo ein Bruder oder ein anderer Verwandter des Verstorbenen die Witwe zu heiraten pflegt. »Sie (die Witwe) bleibt in der Familie ist der bezeichnende Ausdruck, den die Todas für die Rechtseinrichtung haben). So sehen wir die Leviratsehe auch bei dem dravidischen Urvolk der Gonds, ebenfalls im Dekan, noch heute in Übung 7).

Bei den Chins in Hinterindien finden wir diese Rechtssitte in einer Weise ausgestaltet, die auf alte Gruppenehe (Totemismus) hindeutet. Denn nicht nur kann der Bruder des Ver

1) Gesetzbuch des MANU, Buch 9, V. 97. Eine deutliche Anspielung auf die Leviratehe bringt übrigens schon das älteste der heiligen Bücher (Rigveda 10, 40, 2: >>Wer bringt euch zu Bett, wie die Witwe den Schwager?).

2) KOHLER in Zeitschrift, Bd. 9, S. 327.

3) KOHLER a. a. O., Bd. 7, S. 230.

4) KOHLER a. a. O., Bd. 11, S. 170.

5) KOHLER a. a. O., Bd. 10, S. 81.

6) MARSHALL, A Phrenologist, S. 207.
7) KOHLER in Zeitschrift, Bd. 8, S. 145.
WILUTZKY, Vorgeschichte des Rechts II

4

[ocr errors]

storbenen innerhalb dreier Jahre nach dessen Tode die Witwe zur Ehe begehren und hat diese ein Recht darauf, sodass sie vom Schwager, falls er sich weigert, eine Busse verlangen kann; sondern und das ist noch viel merkwürdiger, auch der Witwer soll die Schwester der Verstorbenen heiraten 1). Dies weist auf Zeiten zurück, wo alle Brüder einer Familie mit allen Schwestern einer anderen Familie als vermählt galten, und wird der Zusammenhang noch klarer, da wir alsbald dasselbe System bei dem klassischen Volk des Totemismus, den amerikanischen Rothäuten, finden werden.

Es scheint sich auch hier um sehr altes Recht des östlichen Asiens zu handeln. Denn auch bei den Ureinwohnern von Hainan (Formosa) fällt die Witwe an den nächsten Bruder des verstorbenen Mannes). Und im äussersten Westen des Kontinents, in Arabien, ist es nicht anders. Bei den Beduinen ist es noch üblich, wenn auch nicht mehr rechtliche Verpflichtung, dass die Witwe den Bruder des Mannes heiratet3).

In Afrika ist die Leviratsehe allgemein verbreitet. Im Westen bei den Ephenegern an der Togoküste findet sie sich mit der Besonderheit, dass die Witwe dem jüngeren, nicht dem älteren Bruder zufällt1). Sie wird uns auch bezeugt von den Hereros in Südwestafrika 5). In Südafrika gelten bei den Betschuanen, einem Stamm der Bantuvölker, die Kinder des Schwagers als Kinder des verstorbenen Mannes 6). Ebenso bei den Ba-Ronga an der Delagoabai') und bei den AmaxosaKaffern). Bei den heutigen Hottentotten besteht die Levirats

1) KOHLER a. a. O., Bd. 6, S. 188, 189.

2) KOHLER a. a. O., Bd. 8, S. 274, Ed. 16, S. 327, 328.

3) BURCKHARDT, Bemerkungen über die Beduinen und Wahaby, S. 91. 4) HENRICI in Zeitschrift, Bd. 11, S. 135.

5) Zeitschrift, Bd. 14, S. 301.

6) KOHLER a. a. O., Bd. 15, S. 324.

7) Zeitschrift, Bd. 14, S. 465.

8) Zeitschrift, Bd. 11, S. 237.

ehe nicht mehr; aber es ist Sitte, dass nach dem Tode des Mannes der verheiratete Bruder desselben die Witwe in sein Haus nimmt, falls sie nicht bereits grössere Söhne hat und so wohlhabend ist, dass sie ihren Haushalt ohne Not weiterführen kann1).

Auch die ostafrikanischen Negervölker üben die Leviratsehe; hier hat sie ihre anscheinende Grundlage in der Kaufehe, sodass der neue Ehemann bei ihrer Eingehung keinen Kaufpreis zu zahlen braucht; denn die Frau ist der Familie bereits gekauft). Und bei den Gallas im Innern von Ostafrika ist beim Tode des Mannes dessen Bruder verpflichtet, die Witwe zu ehelichen3).

In Australien ist die Leviratsehe den dortigen Negervölkern bekannt). Der Zusammenhang mit dem uralten Gedanken, dass die Frau dem ganzen Stamm des Mannes gehört, zeigt sich bei manchen Stämmen in der ganz altertümlichen Sitte, dass die Witwe, bis sie einem anderen Mann zugewiesen ist, als Frau aller Männer der Familiengruppe des Verstorbenen behandelt wird3). Bei den Papuas auf Neu-Guinea kann der Bruder des Verstorbenen die Witwe zur Frau nehmen). Desgleichen ist uns die Leviratsehe bestätigt von den Bewohnern der Marschallinseln) und von den Maori auf Neu-Seeland).

In Südamerika ist es ein fast bei allen brasilianischen Wilden streng geübtes Herkommen, dass nach dem Tode des Gatten dessen ältester Bruder oder, wenn kein solcher vorhanden ist, der nächste Verwandte männlicher Seite die Witwe,

1) VON BURGSDORFF in Zeitschrift, Bd. 15, S. 345.

2) KOHLER a. a. O., Bd. 15, S. 22.

3) HARTMANN, Abyssinien, S. 159.

4) Zeitschrift, Bd. 12, S. 338 ff.

5) KOHLER in Zeitschrift, Bd. 7, S. 328.

6) KOHLER a. a. O., Bd. 7, S. 373.

7) Zeitschrift, Bd. 14, S. 416.

8) BROWN, New-Zealand, S. 26.

[ocr errors]
« ¡è͹˹éÒ´Óà¹Ô¹¡ÒõèÍ
 »