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anderswo, weil das Volk noch eine unpolitische rohe Masse ist und wir das Räderspiel der politischen Factoren dort weniger als irgendwo anders kennen. Augenblicklich sind die Beziehungen noch vortrefflich, aber diese Beziehungen ruhen auf vier Augen, auf denen des Kaisers und seines greisen Premierministers. Soweit laut Presse und Privatmittheilungen Volksmeinungen sich überhaupt herausgebildet haben, stimmen dieselben durchweg in der Antipathie gegen das Deutschthum überein. Nur hervorragende Persönlichkeiten von kosmopolitischer Bildung vermögen das Deutschthum zu schätzen, weil sie es achten gelernt haben; der gewöhnliche Russe aber (ebenso wie der Pole und Tscheche) hasst das Deutschthum gerade deshalb, weil es ihm wider Willen in gewisser Hinsicht Achtung abzwingt, weil er sich des Gefühls der Ueberlegenheit des Deutschen nicht erwehren kann und doch das Bedürfniss hat, den Stolz seines Nationalgefühls gegen denselben zu behaupten. So hasst stets die inferiore Race die superiore, das aufstrebende Volk das anf seinem Gipfel stehende, es sei denn, dass ersteres überhaupt des Nationalgefühls baar sei, wie die Deutschen im vorigen Jahrhundert den ihnen damals überlegenen Franzosen gegenüber. Russland ist überhaupt noch nicht lange in die politische Geschichte Europas eingetreten und ist namentlich unser Nachbar so eigentlich erst seit der letzten Theilung Polens geworden; alsdann hat die gemeinsame Abwehr gegen die masslosen Uebergriffe Frankreichs, später die heilige Alliance gegen die Schrecken der Revolution und zuletzt der Krimkrieg mit seinen Folgen das Zutagetreten des naturgemässen Verhältnisses hintangehalten; endlich liegt das politische Bewusstsein des russischen Volkes noch in tiefem Schlummer, aus dem ein kleiner Theil desselben erst seit 1848 mit den convulsivischen Bewegungen eines Schlaftrunkenen sich aufzurütteln beginnt. Je mehr dieses Erwachen fortschreitet, desto mehr muss der natürliche Hass des inferioren slawischen Stammes gegen den germanischen sich entwickeln, wie derselbe überall bereits in voller Blüthe steht, wo, wie in den polnischen Grenzdistricten und den tschechischen und südslawischen Ländern Oesterreichs, eine nähere Berührung zwischen Slaven und Deutschen stattgefunden hat. Dieser Hass ist so urwüchsig und naturnothwendig, dass die verschiedenen slawischen Stämme, wie sehr sie sich auch unter einander hassen, dennoch solidarisch sind und sich solidarisch wissen in ihrem gemeinsamen Hass

gegen den verfluchten Deutschen. Selbst die Polen in ihrem Hass des Unterdrückten gegen den russischen Unterdrücker fühlen sich doch ethnographisch, culturhistorisch und sprachlich diesem Unterdrücker verwandt und vermögen ihn zu verstehen, gegen das Deutschthum aber empört sich ihr innerstes nationales Gefühl als gegen eine in physischer und geistiger Beziehung unheimlich überlegene Culturmacht, während doch der deutsche Volkscharakter ihnen nicht nur unverständlich und antipathisch, sondern auch wegen gewisser schon oben berührter Züge verächtlich erscheint, daher denn auch das Wort „Deutscher" ihr stärkstes und verächtlichstes Schimpfwort bildet. Wenn die Stunde der Entscheidung für die Polen kommen sollte, ob sie mit Deutschland gegen den russischen Unterdrücker oder mit Russland gegen den verhassten Deutschen kämpfen wollen, so ist es sehr wahrscheinlich, dass ihr Naturgefühl und Raceninstinct bei den meisten dominiren würde und dass sie ihren Frieden mit Russland gegen Deutschland machen würden.

Wiewohl der Charakter des gemeinen Russen der beste unter allen Slawen ist und selbst in Familiensinn, Treue u. a. m. gewisse Aehnlichkeiten mit dem deutschen Volkscharakter zeigt, so muss doch auch bei ihm der Naturhass der inferioren Race gegen die superiore Nachbarrace mit fortschreitendem Bewusstsein wachsen und mit zunehmendem Einfluss auf die Regierung das Land nothwendig in eine Deutschland unfreundliche Haltung drängen, ohne dass wir dabei gleich an die exaltirten Träume der russischen Panslawisten zu denken brauchen. Frankreich, der politische Vertreter des durch Deutschland überholten Romanenthums, wird unermüdlich am russischen Hofe schüren und wühlen und nicht aufhören, das russische Bündniss nachzusuchen, und sei es auch zu dem höchsten Preise (Preisgebung des Orients an Russland). Es wäre schliesslich nur in dem natürlichen Gang der Geschichte begründet, wenn das aufstrebende Slawenthum dem in décadence befindlichen Romanenthum die Hand böte, um ihren gemeinsamen, wenn auch aus entgegengesetzten Ursachen entspringenden Hass gegen das in Blüthe stehende Germanenthum in Deutschland zu befriedigen. Man sagt zwar mit Recht, Russlands geschichtliche Mission liege nicht in Europa, sondern in Asien, aber nicht immer haben die Völker sich ausschliesslich mit ihrer eigentlichen geschichtlischen Mission beschäftigt und so richtig es ist, dass Russland in Asien mit viel geringeren Mitteln

viel dauerndere Erfolge erzielen kann, ebenso wahr ist es auch, dass alle barbarischen Eroberungsvölker zu jeder Zeit der Geschichte sich nicht auf weite öde Länder von geringerer Widerstandsfähigkeit, sondern auf schwererer zu bekriegende und reichere, vor allen Dingen aber sofortige Beute verheissende Staaten gestürzt haben. So wird auch Russland durch politische Klugheit uach Südosten als auf das wahre Feld seiner fruchtbaren Thätigkeit gewiesen; aber wer steht dafür, dass immer die Klugheit in Petersburg herrschen wird und dass nicht die instinctive Volkseifersucht eines Tages mächtig genug wird, die Dämme der Klugheit zu durchbrechen und sich auf den cultivirten Westen zu stürzen? So lange Russland das Weichselland Polen besitzt, so lange wird es nicht verschmerzen, dass die Weichselmündung nicht sein ist, und so lange noch ein dentschredender protestantischer Gutsbesitzer in den russischen Ostseeprovinzen wohnt, so lange wird Russland die Furcht vor einer an ein starkes Deutschland sich anlehnenden deutschen Opposition nicht verlieren. Dies sind zwei politische Nebengründe für den künftigen Antagonismus zwischen Deutschland und Russland. Bis jetzt ist Russland noch in der Periode begriffen, wo es sich auf seine eigne ungeheure Volhskraft staunend besinnt und die künftige Entfaltung derselben vorbereitet. Hierzu bedarf es unbedingt noch für einige Zeit der Ruhe und des Friedens und deshalb sind auch die bezüglichen Versicherungen seiner Regierung ganz ehrlich gemeint; aber in wenigen Jahren wird der Zeitpunkt herannahen, wo die wesentlich nach preussischem Muster durchgeführte Armeereorganisation ihre ganze Tragweite entfaltet hat, und wo das Eisenbahnnetz die zunächst erforderliche Vollständigkeit erlangt hat. Dann dürfte irgend ein äusseres Ereigniss, wie etwa ein slawischer Bürgerkrieg in Oesterreich, oder ein neues Aufflammen der orientalischen Frage, oder selbst nur ein Personenwechsel an massgebender Stelle leicht dazu führen, dem stets erneuten Andrängen Frankreichs nach einem Offensivbündniss nachzugeben und in solcher Lage kann der mächtige Zug der Ereignisse selbst stärker sein als die ausgesprochensten persönlichen Sympathien der Fürsten (man denke an 1866).

Es war das Resultat unserer Betrachtungen, dass das von allen Seiten feindlichen Angriffen ausgesetze Deutschland zwar mehre sichere Feinde hat, die nur auf einen Conflict mit einem Dritten

lauern, um ihm in den Rücken zu fallen, aber keinen sichern Freund, keinen Nachbarn, der durch unerschütterliche Solidarität der Interessen mit ihm verknüpft wäre. Man hat in neuerer Zeit eine solche Solidarität der Interessen vielfach zwischen Italien und Deutschland zu erkennen geglaubt, und so wenig die Existenz derselben in Frage zu stellen oder die in Italien aufdämmernde Erkenntniss derselben zu bestreiten ist, so dürfte es doch einerseits gerechten Zweifeln unterliegen, ob ein solches Bündniss auch die Probe des Unglücks, ja sogar nur die der drohenden Gefahr bestehen würde, und ist andrerseits zu bemerken, dass Deutschland bei solchem Bündniss künftig in noch höherem Maasse als Preussen im Jahre 1866 der Gebende und Italien der Empfangende sein würde. Ohne zu wissen, ob und welche positiven Abmachungen zwischen Italien und Deutschland getroffen sind, kann man soviel voraussagen, dass, im Fall Frankreich wahnsinnig genug sein sollte, den Rachekrieg gegen uns ohne jeden Bundesgenossen zu beginnen, Italien sich diesmal mit Freuden an dem Kriege betheiligen und gern den ihm sicher daraus erwachsenden Gewinn einstreichen würde. Von unserm Standpunkt ist für diesen Fall nur zu bemerken, dass eine solche Bundesgenossenschaft für uns ziemlich überflüssig sein würde, da wir Frankreich auch ein zweites Mal ohne fremde Hülfe in seine Schranken zurückweisen können. Gesetzt den andern Fall, Frankreich und Russland ständen gegen Deutschland und Oesterreich, dann könnte der Zuwachs der italienischen Armee, die etwa auf 150,000 Mann Feldtruppen zu veranschlagen wäre, uns in der That nützlich werden, indem sie eine französische Feldarmee von etwa gleicher Stärke von uns ablenkt, also auch für uns eine gleiche Truppenzahl zur stärkeren Vertheidigung unserer Ostgrenze disponibel macht. In diesem Falle dürfte vielleicht noch auf die Stichhaltigkeit des italienischen Bündnisses zu rechnen sein, schwerlich aber in dem andern, allerdings für die nächsten Jahre wenig wahrscheinlichen Fall, dass wir von einer Coalition Frankreichs mit einer zweiten Grossmacht unter Neutralität der dritten angegriffen werden. Immerhin ist die Freundschaft Italiens für uns schon insofern werthvoll, als sie das Zustandekommen von gegen uns gerichteten Coalitionen von vornherein erschwert. Keinesfall aber dürfen wir von dem Vertrauen auf die Bundesgenossenschaft eines so jungen und noch so wenig in sich selbst befestigten Staates den Glauben an die Sicherheit unserer

eigenen staatlichen Existenz abhängig machen; vielmehr dürfen wir uns auf nichts verlassen als auf uns selbst, eingedenk der alten Wahrheit, dass Freunde im Glücke überall zu finden, im Unglück aber mit der Laterne zu suchen sind. Wir müssen uns die Möglichkeit klar machen, dass bei den unaufhörlichen Rachegedanken Frankreichs doch einmal durch irgendwelche unerwartete Wendung eine zweite Grossmacht bei Neutralität der dritten sich zu Frankreichs Verbündetem gegen uns hergeben könne, und dass wir dann allein auf unsere eigene Kraft gestützt einen Krieg gegen zwei Grossmächte zugleich zu führen haben können. Nur wenn wir einer solchen Eventualität uns gewachsen wissen, nur dann können wir ruhigen Auges auf unsere politische Zukunft sehen, und das Bestehen des Deutschen Reichs für gesichert halten, denn die Coalition aller drei continentalen Grossmächte gegen Deutschland dürfte wohl ausser Acht zu lassen sein, theils weil sie zu unwahrscheinlich ist, theils weil wir doch nicht im Stande wären, uns für solchen Fall im voraus hinlänglich zu rüsten.

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Man kann in militärischer Hinsicht die continentalen Grossmächte in zwei Classen theilen: solche ersten Ranges sind Russland und Deutschland, solche zweiten Ranges sind Oesterreich und Frankreich; erstere beiden sind im Stande, Operationsarmeen in Gesammtstärke von etwa 600,000 Mann, letztere nur solche von etwa 400,000 Mann aufzustellen.*) Wenn unsere Reserven, besonders in den nicht altpreussischen Theilen Deutschlands, noch immer im Wachsen sind, so sind es die Russlands mindestens in gleichem Maasse. Russland ist also der einzige Gegner, der uns völlig gewachsen, aber auch für sich allein entschieden gewachsen ist. Mag seine Organisation schwerfälliger, seine Truppenconcentration schwieriger, seine Mobilmachung langsamer, seine Intendantur und Verpflegung mangelhaft sein, so sind doch dies alles Mängel, die bei der Defensive weniger zur Sprache kommen, und schon durch die der Defensive günstige geographische Beschaffenheit des Landes

*) Für das Jahr 1877 dürften die Operationsarmeen Russlands und Deutschlands auf etwa 750,000, die Frankreichs auf 650 680,000, die Oesterreichs auf 550,000, die Italiens auf 220,000 Mann zu schätzen sein. Man sieht, dass die Verhältnisse sich dann für uns noch ungünstiger gestalten als bei den obigen Schätzungen aus dem Jahre 1872.

v. Hartmann, Stud. u. Aufs.

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