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ebensowohl fordert als ermöglicht, so wird es staatliche Pflicht seiner Leiter sein, diese Aenderung mit allen Mitteln zu versuchen, deren Risico nicht grösser erscheint als der von ihnen zu erwartende Nutzen. Kein Franzose sieht den Frankfurter Frieden anders als mit diesem selbstverständlichen Vorbehalt geschlossen an, und wir doctrinäre Deutsche müssen endlich einsehen lernen, dass diese Auffassung der Dinge die einzig richtige und sachgemässe ist, nach der wir uns richten müssen, die wir aber auch in anderen Fällen vice versa ohne ethische Scrupel zu unseren Gunsten practisch zu verwerthen lernen müssen. Es wäre die sinnloseste Ungerechtigkeit, die Unzerreissbarkeit von Verträgen zu behaupten, nachdem die Situation, aus welcher sie hervorgingen, sich wesentlich geändert, und es ist ein Beweis von der vollständigen Unklarheit des europäischen Publikums über die Natur politischer Beziehungen, dass eine solche in der Sache begründete Veränderung als formell ungerecht empfunden wird, weil und wofern sie den abgeschlossenen Verträgen zuwiderläuft (z. B. in Bezug auf Russlands Verhalten in der Pontusfrage). Es könnte offenbar nichts Ungerechteres und Unbilligeres und Unvernünftigeres gedacht werden, als wenn die Nachkommen für ewige Zeiten durch alle Generationen hindurch durch Verträge gebunden sein sollten, welche die Inferiorität ihres Staates besiegeln, auch dann noch, wenn das Machtverhältniss sich geradezu umgekehrt hat. Ein Vertragsrecht im juristischen Sinne wird eben durch völkerrechtliche Verträge nicht begründet, und der Gerechtigkeit im Sinne vernunftgemässer Billigkeit entspricht es ganz allein, dass die Verträge geändert werden, wenn die Machtverhältnisse sich geändert haben (S. 62). Es thut sehr noth, die Beurtheilung der internationalen Verhältnisse, welche durch die Phraseologie der Staatsmänner oft absichtlich verdunkelt wird, von allen fremdartigen Gesichtspunkten zu befreien und im allgemeinen Bewusstsein den Unterschied zwischen dem sogenannten Völkerrecht und dem innerstaatlichen Recht zur Klarheit zu bringen (S. 53). „In dem grossen weltgeschichtlichen Processe geht das Schwache unter, weil es werthlos ist, und das Starke besteht, weil es an dieser Stelle und zu dieser Zeit der grossen Aufgabe des menschlichen Geschlechtes besser zu dienen vermag. Das ist die ewige Gerechtigkeit der Weltgeschichte" (S. 75).

Der schwächer gewordene Theil sucht nun aber die ihm in

v. Hartmann, Stud. u. Aufs.

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dem Vertrage zugestandene Stellung zu behaupten, sei es, dass er an die Veränderung der Machtverhältnisse wirklich nicht glaubt, sei es, dass er sich, obwohl er dieselbe anerkennt, durch sophistische Berufung auf das formelle Vertragsrecht behaupten zu können glaubt (obwohl er selber in der Lage des stärkeren keineswegs so unsinnig sein würde, eine solche Berufung zu respectiren). So kann es zu der Nothwendigkeit kommen, die stattgehabte Veränderung der Machtverhältnisse zu erweisen, beziehungsweise zu erproben, und dieser Erweis oder diese Probe ist der Krieg. Jeder der Kriegführenden will nicht den Krieg, sondern den Frieden, aber den Frieden unter seinen Bedingungen; der Krieg ist also einerseits beständig der werdende Friede, und andererseits ein Mittel zur Führung der Unterhandlungen über die Bedingungen des Friedens (S. 73). Der Krieg ist nur Kampf der Staaten, nicht der Einzelnen; jede Feindseligkeit, Härte oder Grausamkeit gegen Einzelne, insofern sie nicht durch den Zweck der Kriegführung unmittelbar geboten wird, ist einfach Unsittlichkeit und Verbrechen, das von Menschen gegen Menschen unter dem Vorwande des Krieges verübt wird. „Es sind nicht Zugeständnisse der Humanität, der Milde und Menschenfreundlichkeit, die der Entsetzlichkeit des Krieges dies oder jenes Einzelne abzuziehen suchen; sondern vielmehr, es wird hinweggethan, was der Bosheit der Menschen angehört, und der reine und wahrhafte Charakter des Krieges wird aus der Entstellung und Fälschung wiederhergestellt" (S. 77).

Man mag über das Princip des Völkerrechts denken wie man will, so steht so viel fest, dass zwei kriegführende Staaten sich, abgesehen von der kriegsrechtlichen façon de vivre, im reinen Naturzustande befinden, in dem von einem Recht in keiner Weise mehr die Rede sein kann. Was der Besiegte mit dem Sieger macht, hängt ausschliesslich davon ab, erstens wie weit er ihn wehrlos gemacht, um ihm ungestraft das Schlimmste anthun zu können, und zweitens was sein eigenes Interesse ihm vorschreibt zu thun (S. 82). Hat der Sieger, was wohl selten vorkommen wird, jeden Widerstand vollständig gebrochen, so hindert ihn nichts, den besiegten Staat seinem Staatsgebiete ohne Rest einzuverleiben, wenn er glaubt, dass dies seinen Interessen entspricht. Dies würde z. B. unfehlbar der Ausgang eines Krieges zwischen Belgien und Frankreich, oder zwischen Holland und Deutschland sein. Ob die Einwohner des einverleibten

Staates damit einverstanden sind, ist ganz gleichgültig; sie darum zu befragen, wäre eine frivole Comödie; die sonst als möglich und zweckmässig erkannte Einverleibung von dem Ausfall der Antwort abhängig zu machen, und sie bei verneinendem Resultat der Abstimmung zu unterlassen, wäre ein politischer Blödsinn, der in der Geschichte niemals vorgekommen ist und niemals vorkommen kann. Wenn nun der siegreiche Staat es seinen Interessen dienlicher findet, nur einen Theil des besiegten Landes seinem Gebiete einzuverleiben, so gilt hinsichtlich der Befragung der Einwohner nicht nur ganz dasselbe, sondern die Sache wird dadurch noch widersinniger, dass man alsdann einem Theil eines Volkes ein Bestimmungsrecht über staatliche Lebensfragen zugestehen würde, welche niemals dem Theil, sondern immer nur dem Ganzen zukommen kann, wenn man nicht die Grundlage alles staatlichen Lebens in Frage stellen will (S. 84). Das abzutretende Land gehört in politischer Beziehung nicht den darauf wohnenden Menschen, sondern dem besiegten Staate; nur diesem letzteren als moralischer Person kann die Entscheidung darüber zustehen, ob er auf Grund einer solchen Abtretung einen neuen Staatsvertrag mit dem siegreichen Staate eingehen will, der den Frieden wiederherstellt (S. 83). Den politischen Rechten und der Freiheit der Bewohner des abgetretenen Gebietes wird durch die stipulirte Freiheit der Optation der ihnen convenirenden Nationalität volles Genüge gethan, und ihnen jede Möglichkeit benommen, sich über eine hinsichtlich ihrer Person über ihren Kopf hinweg getroffenen Entscheidung zu beklagen (S.84). Wenn Napoleon III. die widerliche Posse einer Volksabstimmung der abzutretenden Gebiete in solchen Fällen aufführte, so wird Niemand so kindlich sein, zu glauben, dass er im Fall einer verneinden Antwort auf die Annexion verzichtet hätte; er sorgte vielmehr rechtzeitig für die Antwort, die er haben wollte.

2. Die Zukunft des Völkerrechts und der europäische Bund.

Treten wir, nachdem wir das Princip des Völkerrechts festgestellt, der Frage näher, welche Aussichten sich für einen weiteren Ausbau desselben und künftige vermehrte Friedensbürgschaften darbieten, so müssen wir noch einmal uns daran erinnern, dass alle

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ethischen Gesichtspunkte im eigentlichen Sinne ebenfalls so lange unanwendbar sind, als die Staaten souverän, und ihre Verträge mithin keine äussere Garantie von Seiten einer unbedingt überlegenen Macht besitzen, dass wir demnach ganz ausschliesslich auf solche Einrichtungen angewiesen bleiben, welche in dem wohlverstandenen selbstsichtigen Interesse der Staaten ihren Ursprung nehmen und ihr Bestehen verbürgt finden. Hierzu gehören unzweifelhaft die allgemeinen völkerrechtlichen Bestimmungen, welche die äussere Form der staatlichen Beziehungen regeln, und welche sich auf nebensächlichere Punkte beziehen, die nicht das Lebensinteresse des Staates direct berühren. Hier gebietet die Klugheit eine allgemein zusagende Ordnung, welche meistens schon dadurch garantirt wird, dass eine Verletzung derselben mit Repressalien bedroht ist, und dabei doch nur einen, die nachtheiligen Folgen in der öffentlichen Meinung keineswegs aufwiegenden Nutzen gewährt. Nun ist aber vieles von demjenigen, was sehr wohl auf diese Weise zu ordnen wäre, noch höchst unklar, oder doch nur in Büchern zu finden, welche die Privatansichten einzelner Gelehrten ausdrücken. Es ist von Wichtigkeit, über diese Punkte ein allgemeines Einverständniss der Staaten zu gewinnen (S. 93, 104), was am besten auf einem Congress ad hoc möglich wäre, und eine präcise Formulirung der völkerrechtlichen Grundsätze aufzustellen, deren etwa wünschenswerthe Modificationen sich durch die Praxis schon herausstellen würden. Das für alle Theile Zweckmässige zu finden, müsste aber das ausgesprochene Princip dieser Codification sein, wenn nicht gerade aus ihr wieder neue Conflicte entstehen sollen, indem eine einmal sanctionirte Unzweckmässigkeit von gewisser Seite selbstsüchtig aufrecht zu erhalten unter Berufung auf die formelle Sanction versucht werden könnte. Regelmässig in gewissen Zeiten wiederkehrende Congresse würden sieh mit dieser Revision und zunehmenden Vervollständigung des Codex neben anderen Fragen beschäftigen können (S. 102). Jedenfalls würden sie das geeignetste Mittel sein, um zu constatiren, welche Fragen des Völkerrechts dahin gereift seien, um sie durch übereinstimmenden Beschluss der Staaten zu Grundsätzen zu formuliren (S. 103).

Weit schwieriger wird die Sache, wenn es sich um politische Cardinalfragen handelt, und um Verträge, welche aus dem gegenseitigen Machtverhältniss der Staaten hervorgehen.

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Hier handelt es sich zunächst darum, dass der Wille des Staates als einer moralischen Person rein zum Ausdruck gelange, und nicht durch Einmischung des Privatwillens der Staatsleiter getrübt werde. Glücklicherweise ist die öffentliche Meinung gegenwärtig eine solche Macht geworden, dass blosse Willkürkriege der Herrscher nicht mehr so leicht vorkommen können (S. 38), sondern allemal einen tieferen Conflict zur Ursache haben, auch da, wo nur Willkür massgebend zu sein scheint. Um so grösser ist dagegen die Gefahr geworden, dass die Actionen der Staatsmänner beeinflusst werden durch die in Sympathien und Antipathien hin- und herschwankenden Stimmungen der Massen und derer, die im Namen dieser Massen das Wort in der Oeffentlichkeit führen“ (S. 86). „Denn schwere Irrthümer und heftige Leidenschaften bilden sich in drängenden Situationen unter einer Menge leichter und entschiedener aus als bei einzelnen Menschen, und das Gefühl der Verantwortlichkeit wird leichter getragen, wo dasselbe sich auf eine Vielheit vertheilt, als wo man sie allein zu übernehmen hat. Das Wünschenswerthe ist vielmehr, dass der Eine, der an höchster Stelle die Action des Staates vertritt, mit dem Wesen des Staates von Natur und Herkommen durchaus verwachsen ist, dass er in seinem Amte für sich nichts eigentlich mehr zu fürchten oder zu hoffen hat, was von dem Gedeihen und dem Interesse des Staates verschieden wäre, und dass er, wo eine Gefahr der Abweichung vorhanden ist, unter der regen Controle der mitwirkenden Staatsbehörden und des gesammten Volkes stehe" (S. 96). Damit das Volk diese Controle üben könne, muss unter den Staaten die möglichste Offenheit der Aussprache stattfinden, und die Verhandlungen der Oeffentlichkeit *) nicht vorenthalten werden (S. 95). Damit andererseits nicht die Sympathien und Antipathien des Volkes durch ihre Pression auf die Regierung die staatsmännischen Gesichtspunkte fälschen, muss darauf gedrungen werden, dass die Regierungen so stark dastehen, um bei verkehrten Volksstimmungen unbeeinflusst von diesen und im Widerspruch mit

*) Meiner Ansicht nach gilt dies erst für ein späteres Stadium der europäischen Staatengeschichte nach definitiver Constituirung der Nationalstaaten, während in der gegenwärtigen Uebergangsperiode das Widerspiel geheimer Bündnisse und Verträge noch nicht entbehrt werden kann, das mit offenen Karten unmöglich ist.

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