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Eine Bedingung muss allerdings in der Verfassung des Bundes erfüllt sein, wenn derselbe nicht gerade durch sein Vorhandensein Herrschaftsconflicte und Kriege heraufbeschwören soll: das Gewicht der Stimmen, welche die Staaten im Bundesrath führen, muss jederzeit proportional der Macht sein, welche die Staaten repräsentiren, ihr Verhältniss muss sich somit auch proportional dem Machtverhältniss ändern. Eine solche stattgehabte Aenderung des Machtverhältnisses geht aus den Resultaten der Statistik über Einwohnerzahl, Volkswohlstand, Budget, Heeresmacht u. s. w. mit einer nichts zu wünschen übrig lassenden Deutlichkeit hervor; es handelt sich nur darum, sich über eine officielle Formel zu einigen, in welcher diese Momente zum entsprechenden Ausdruck gelangen, und das Stimmgewicht nach jeder neuen statistischen Aufnahme (Volkszählung) nach dieser Formel zu reguliren. Weil das Stimmgewicht der Staaten ausser allem Verhältniss zu der Macht derselben stand, und weil von allen Mitgliedern eigentlich nur zwei die zur Selbstbehauptung nöthige Macht besassen, darum war der ehemalige deutsche Bund ein so naturwidriges Gebilde politischer Afterweisheit; in einem künftigen europäischen Bunde werden diese Mängel nicht vorhanden sein, sondern es werden höchstens 10 Staaten sein, von denen jeder die nöthige Widerstandskraft und Grösse besitzen wird, und wird jeder einen seinen reellen Machtverhältnissen entsprechenden Einfluss besitzen. Ein Bedürfniss, den Bund tiber Europa hinaus auszudehnen, dürfte so lange nicht vorliegen, als in Asien kein Staat vorhanden ist, welcher nach Macht und geographischer Lage einen Angriff auf einen europäischen Staat unternehmen könnte; Kriege zwischen geographisch getrennten Erdtheilen sind bei der modernen Art der Kriegführung durch Massen ohnehin unmöglich, es sei denn gegen wilde oder halbwilde Völkerschaften, um die es sich hier nicht handeln kann.

Nehmen wir nun die Möglichkeit der Errichtung eines europäischen Bundes als einer über den Nationalstaaten stehenden moralischen Person als zugegeben an, nehmen wir ferner als erwiesen an, dass ein solcher Bund hinreichende Autorität besässe, um die im gewöhnlichen Laufe der Dinge unter Staaten vorkommenden Streitigkeiten friedlich beizulegen, und somit ein unendlich viel wirksameres Mittel als irgend ein anderes wäre zur Sicherung dauernden Friedens ohne Beschränkung der freiesten Culturent

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wickelung, so würden wir dennoch die Frage, ob solche Einrichtung den Krieg überhaupt unmöglich machen würde, entschieden verneinen müssen, wobei wir aber sofort zu bemerken haben, dass die theoretische Entscheidung dieser Frage den practischen Werth einer solchen Institution nicht im Geringsten zu schmälern vermag, da es sich in der Praxis niemals um das absolut Unmögliche, sondern immer nur um das mehr oder minder Wahrscheinliche handelt. Wenn nämlich auch durch den Bund ein Recht über den Staaten geschaffen wird, so hat dieses Recht doch ebenso wie das innerstaatliche politische Recht nur eine äusserliche, keine innerliche (ethische) Garantie. Auch die inneren Verfassungsfragen sind Macht fragen, nicht Rechtsfragen im juristischen Sinne; wenn die Macht der Parteien sich wesentlich geändert hat, muss sich auch die Verfassung ändern, gleichviel ob auf verfassungsmässigem Wege oder durch Revolution; denn auch die inneren Staatsverfassungen sind nur der formelle Ausdruck thatsächlich bestehender politischer Machtverhältnisse (diesen von Lassalle trefflich ausgeführten Gedanken hat Lasson nicht berücksichtigt, wenn er alles innerstaatliche Recht als strictes Recht behandelt und darauf einen specifischen Unterschied vom internationalen Recht gründet). Auch im Staate kann das staatliche Band jeden Augenblick durch Secession zerrissen werden. Jeder Theil des Staates ist rechtlich gebunden an das Ganze, aber die höhere Pflicht ist ihm doch die der Selbsterhaltung, und wenn der Fall ausnahmsweise eintritt, dass die Verfügungen eines Staates die Lebensinteressen und die Existenz eines seiner Theile bedrohen, so kann man den Verzweiflungskampf der Secession auch innerhalb des Staates entbrennen sehen, und nicht immer ohne Erfolg für die Secessionisten. Auf ganz dieselbe Weise und unter genau denselben rechtlichen Verhältnissen ist auch ein Secessionskrieg eines oder mehrerer Staaten des Bundes gegen den Bund möglich. Derselbe kann, wie wir erwähnten, schon dadurch ausbrechen, dass die Institution des Bundes ihrem Zweck zuwider zur Förderung kurzsichtiger Sonderinteressen gemissbraucht und dadurch ein oder einige Staaten des Bundes in ihren Lebensbedingungen bedroht werden. Es kann ferner eine Umwandlung in den Nationalitäten von solcher Tragweite vor sich gehen, dass die Modificabilität der Bundesverfassung dieser Aenderung nicht folgen kann, und eine Sprengung des Bundes erfolgt; zum Verständniss dieser Eventualität hat man

v. Hartmann, Stud. u. Aufs.

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sich zu vergegenwärtigen, dass die Nationalitäten ebenso wie die Sprachen im fortwährenden Fluss sind, und wie diese eine Tendenz zur Agglomeration und Verminderung der Zahl nach in sich tragen, welche mit Steigerung der Verkehrsmittel steigt. Endlich kann ein allgemeiner Verfall des staatlichen Lebens in Europa eintreten, eine Versumpfung der Völker in Corruption und Materialismus, die das luftreinigende Ungewitter des völkererschütternden und wieder zur Besinnung führenden Krieges aus sich gebiert, welches die Vorsehung sich gleichsam als ultimo ratio für solche Fälle reservirt. Dies alles sind aber Möglichkeiten, welche die unmittelbare Erwägung nicht beeinflussen können; wie auf Erden nichts für die Ewigkeit ist, so wird es auch ein europäischer Bund nicht sein. Aber deshalb wird man nicht verkennen dürfen, dass er auf lange Zeiten hinaus friedenbringend und segenspendend wirken würde. Mag man dann ruhig auf die objective Vernunft der Dinge bauen, dass jede neue Krisis auch ihre neuen Heilmittel in sich trägt, jedenfalls wird man eine solche fruchtbare Einrichtung als anzustrebendes Ziel nicht aus den Augen verlieren dürfen, welche ein dringendes, allen Staaten gemeinsames Interesse wirksam zu befriedigen verspricht. Als eine Illusion aber müssen freilich auch wir den Glauben betrachten, dass dieses Ziel schon jetzt, vor einer vollständigen Umgestaltung der Karte von Europa in ein einfaches System grosser Nationalstaaten, verwirklicht werden könne; im Gegentheil wird diese unerlässliche Vorbedingung der grossen europäischen Friedensära nur durch eine Reihe uns vielleicht in nicht allzuferner Zukunft bevorstehender Kriege erreicht werden können, welche an Grossartigkeit der aufeinander platzenden Gewalten alles in der Weltgeschichte bisher Dagewesene überragen dürften, und auf welche uns mit Anspannung aller unserer Kräfte würdig und weise vorzubereiten unsere nächstliegende Aufgabe ist.

VII. Ist der Pessimismus trostlos?

(1869.)

Der Weltschmerz ist seit einigen Jahrzehnten in Deutschland sehr in Misscredit gekommen; man hat ihn bewitzelt, bespöttelt und verhöhnt, man hat ihn verdammt, weil er schlechterdings unpraktisch sei und als narkotisch lähmendes Gift wirke, - aber widerlegt hat man ihn nicht. Freilich giebt es kaum etwas Verächtlicheres und Ekelhafteres als jenen aus impotenter Blasirtheit entspringenden Weltschmerz, der die Trauben sauer schilt, weil er sie nicht mehr geniessen kann, weil er sich nämlich aus Unmässigkeit den Magen daran verdorben hat; freilich ist es ein jämmerlicher Anblick, der Weltschmerz jener andern weichgeschaffenen Molluskenseelen, denen die Knochen und Muskeln zum Widerstande fehlen und deren überzartes Nervensystem bei der leisesten Berührung krankhaft zusammenzuckt, die aber dafür mit wahrhaftem Genuss in der Tiefe ihres schönempfundenen Schmerzes schwelgen. Dieser nervös-schönselige Weltschmerz ist mit seiner süsslichen Larmoyance fast ebenso widerlich wie der blasirte. Wenn letzterer aus erworbener Impotenz entspringt, so ersterer aus einer angeborenen; die Mischung beider ist der häufigste Fall. Wenn aber auch psychische und physische Abnormitäten zunächst auf den Weltschmerz verfallen sind, und noch heute das grösste Contingent zu demselben liefern, folgt daraus, dass dasjenige, was der praktisch-thätige Mensch im Drange seines instinctiven Strebens und Schaffens nicht zu bemerken pflegt, darum nicht existirt? Oder bemerkt er es vielmehr nur darum nicht, weil angeborener Leichtsinn oder Trieb und Arbeit ihn nicht dazu kommen lassen, sich in dem nöthigen Grade auf sich selbst zu besinnen, so dass die zunächst durch Krankheit hervorgerufene Selbstbeobachtung ihm erst einen Fingerzeig geben muss? Nicht der Inhalt

jenes Fürwahrhaltens ist das Verächtliche, sondern die inneren Ursachen, welche bei jenen das Fürwahrhalten dieses Inhalts bestimmen. Schon eine bestimmte Beschaffenheit des Charakters (Dyskolie) kann bei vollkommener Gesundheit den Menschen dazu bringen, an allem, was ihm begegnet, vorzugsweise die schlimme Seite herauszufinden, und Befürchtungen und Sorgen leichter zugänglich zu sein als Hoffnungen und Zuversicht, so dass es sich bei einem solchen nur darum handelt, aus den Gesammteindrücken seiner Erfahrungen einmal in philosophischer Abstraction das Facit zu ziehn.*) Wenn nun aber der besonnene Denker von mittlerer Charakteranlage kommt, und durch eine ruhige, uninteressirte philosophisch-anatomische Section des Lebens jenen Inhalt bestätigt findet, kann dann das Verächtliche, was durch jene inneren Ursachen des Fürwahrhaltens die Sache selbst in Misscredit gebracht hatte, noch ferner mit Recht auf diesen Inhalt übertragen bleiben, oder darf es gar rückwärts dazu benutzt werden, die Gründe, aus denen der Denker seine Ueberzeugung schöpfte, zu verdächtigen? Indem der Inhalt jenes zuerst in poetischem Gewande auftretenden Weltschmerzes Gegenstand der Wissenschaft wurde, ist auch die Frage nach seiner Wahrheit eine rein wissenschaftliche geworden, und nur durch wissenschaftliche und sachliche Gründe dürfen die Beweise für dieselbe widerlegt werden. Dies ist bis her nirgends geschehen.

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So lange die Wissenschaft und Reflexion sich des Gegenstandes noch nicht bemächtigt hatte, gingen Optimismus und Pessimismus als zwei instinctive Weltanschauungen unbegründet neben einander her. Der Optimismus als ein aus dem lebendigen Triebe folgender Glaube an das Ziel des Naturtriebes, an's Leben, repräsentirte die

*) Thut er dies, so kann man leicht glauben, dass seine Dyskolie die Folge seiner pessimistischen Weltanschauung sei, während sie doch gerade ihr mitwirkender Grund ist. Bei Charakteren, welche nicht schon von Natur zur Dyskolie neigen, wird der Pessimismus an und für sich keineswegs dahin wirken, sie den realen Genüssen des Lebens zu entfremden, sondern nur den illusorischen, welche mehr Unlust als Lust bringen, während der Werth einer Musik, die Macht der Wissenschaft und der Geschmack von Austern und Champagner für den Pessimisten dieselben sind wie für den Optimisten, nur dass letzterer sie als selbstverständlich hinnimmt, ohne deu Genuss recht zu beachten, während dem Pessimisten jede Lust durch den Contrast sich von dem dunkeln Grunde seiner allgemeinen Weltanschauung um so lichter abhebt.

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