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B.

Aesthetische Studien.

I. Zur Aesthetik des Dramas.

(1868 und 1875.)

1. Der Stoff.

Das erste am Drama ist der Stoff. Nichts ist charakteristischer für den Dichter als die Wahl des Stoffs; denn die Form ist immer mehr oder minder uniformirt, und lässt an den übrig bleibenden Differenzen die Eigenthümlichkeit des Dichters nur wie durch eine schwer entzifferbare Hieroglyphenschrift durchblicken (man denke an den Charakter der Handschrift), wogegen der Stoff etwas gedanklich Gegebenes, also unmittelbar Verständliches ist. Wenn man sich überzeugen will, wie charakteristisch für den Dichter die Wahl des Stoffes ist, so braucht man sich nur zu vergegenwärtigen, dass dasselbe sogar für den Gesangscomponisten gilt; denn auch kein grosser Musiker hat je einen seinem innersten Wesen widerstrebenden Stoff componirt, vielmehr zeigt sich stets die Wahlverwandtschaft auf's Deutlichste. Gluck's Stoffe repräsentiren die schöne und schlichte Hoheit der Renaissance, die Mozart's lassen seine kritiklose kindliche Unschuld erkennen, die in der begnadigten Unermesslichkeit seines Genies aus jeder Blume Honig saugt; Beethovens Fidelio zeigt uns in der Gattenliebe die höchste Keuschheit eines tiefinnerlichen Gemüths; Weber greift zum Volksmährchen und zum Ritt in's alte romantische Land; Wagner zur deutschen Sage mit ihrer Reckenhaftigkeit und mystischen Lyrik; Auber verlangt meistens von seinem Stoff nichts weiter als die tändelnde Grazie des Salons mit der Intrigue an Stelle des Conflicts; Meyerbeer findet kein Mittel zu schlecht, wenn es nur blendet, und bringt so ein Mosaik von meist anmotivirten Effecten; Verdi fühlt sich nur heimisch in der Victor

Hugo'schen Romantik des Grässlichen. Bei dramatischen Dichtungen ist natürlich der Stoff noch weit bezeichnender für die Eigenthümlichkeit des Dichters als bei Opern für die des Componisten.

Der Stoff ist weit wichtiger für den Erfolg eines Stückes, als man im Allgemeinen glaubt, nicht in dem Sinne, wie heutzutage die Leute von der Neuheit des Stoffes überrascht sein wollen, sondern in Rücksicht auf die Vereinigung vieler Erfordernisse, wodurch die guten Stoffe so selten gemacht werden, dass die feinfühligen Griechen in ihrer klassischen Zeit lieber ganz auf die Neuheit des Stoffs verzichteten, und dafür dieselben Stoffe zu immer höherer künstlerischer Vollendung führten. Lessing sagt (kleine Ausgabe VII, Seite 211-212): „Die Fabel ist es, die den Dichter vornehmlich zum Dichter macht: Sitten, Gesinnungen und Ausdruck werden zehnen gerathen, gegen einen, der in jener untadelhaft und vortrefflich ist." Selbst die kunstvolle Durcharbeitung in der Form kann einen natürlichen Mangel im Stoff nicht ersetzen oder vergüten, sondern höchstens für das ungeübtere Auge übertünchen.

Einen Stoff ganz aus sich selbst zu erfinden und zugleich in dramatischer Gestalt auszuführen, scheint für die Kraft Eines Menschen, selbst des grössten Genies, eine kaum zu bewältigende Aufgabe zu sein; von Shakespeare wenigstens ist uns nur bei einem Stücke (die beiden Veroneser) keine Quelle bekannt, aus der er seinen Stoff geschöpft hat, und dieses ist eines seiner schwächsten. Dem Anfänger wird stets die Umarbeitung eines ihm schon in dramatischer Form gegebenen Stoffes am besten gelingen, da er schon eine Vorstudie der Dramatisiruug in die Hand bekannt, und namentlich bei mangelhafter Vorarbeit eine Menge vom Vorgänger gemachter Fehler gar nicht mehr versucht sein wird zu begehen.

Der Stoff muss erstens poetisch sein. Ich will hier nicht auf eine Auseinandersetzung dessen eingehen, was poetisch ist, wohl aber kann ich einiges anführen, was unpoetisch ist. Hierzu gehören Geschichtschroniken (Shakespeare, Raupach), die weder die epische Einheit der Massenhandlung, noch die dramatische Einheit der Einzelhandlung haben; ferner alltägliche Begebenheiten des gemeinen Verkehrs oder Familienlebens, die wegen Dürftigkeit der Conflicte nüchtern und prosaisch wirken (Kotzebue, Iffland etc.) Der Stoff muss zweitens dramatisch sein. Dramatisch ist nur das, was durch Handlung äusserlich sichtbar gemacht werden kann. Eine

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Begebenheit, wenn sie noch so interessant und poetisch ist, wenn sie einen Conflict zwischen widerstrebenden Affecten noch so scharf zuspitzt, ist doch für ein Drama völlig unbrauchbar, wenn nicht alle wesentlichen Momente der Entwickelung solche sind, dass sie naturgemäss zu einer äusseren Manifestation durch Handlung drängen (z. B. Goethe's Tasso). Ein Stoff, dessen Begebenheiten in interessanten lyrischen Situationen gipfeln, ist ein Opernstoff, aber kein Dramenstoff (z. B. Käthchen von Heilbronn). Der Stoff muss drittens bühnenfähig sein, also eine gewisse Länge nicht überschreiten, und in eine gewisse Zahl von möglichst gleichmässig bemessenen, nach Zeit und Raum einheitlichen Abschnitten (Acten) zerfällbar sein, deren jeder eine gewisse Steigerung in sich trägt, und mit einer wirkungsvollen, auf die Fortsetzung spannenden Begebenheit schliesst, deren jeder ausserdem eine Steigerung des vorhergehenden darstellt, bis das Ganze in der Schlusskatastrophe gipfelt. Das Gesetz der Steigerung ist ein allgemeines Kunstgesetz. Gerade darum sind Beethoven's C moll-, heroische und neunte Symphonie so ungeheuer in ihrer Wirkung, weil man bei jedem Satze das Gefühl hat, als wäre es unmöglich, ihn noch zu überbieten, und nun doch der folgende wirklich diese Steigerung bringt. Nur wenige Stoffe entsprechen allen diesen, ganz äusserlich durch das Wesen der Schaubühne bedingten Anforderungen. Es kann ein Stoff sehr poetisch und dramatisch sein, aber es will schlechterdings keine Eintheilung in Acte gelingen, die Einheit der Zeit in sich haben, oder keine solche Eintheilung, dass, wenn die Hauptepochen der Handlung zu Actschlüssen genommen werden, die Acte eine einigermassen gleiche Länge erhalten. Oder aber der Stoff ist derart, dass er das Interesse in der Mitte der Entwickelung stärker in Anspruch nimmt, als nach dem Ende zu. An solche Stoffe ist schon unsäglich viel Mühe und Arbeit nutzlos verschwendet worden. Man erfindet eher einen glücklichen neuen Stoff aus unscheinbaren Keimen, als dass man einen schon vorliegenden Stoff so umändert, dass derartige Unzuträglichkeiten an ihm verschwinden. Schon das bisher Angeführte wäre hinreichend, um begreiflich zu machen, wie unendlich selten ein vollkommen geeigneter Dramastoff ist, und dass man an einem solchen, der in den meisten Richtungen grosse Vorzüge bietet, mit einzelnen Uebelständen Nachsicht haben muss, wenn überhaupt Dramen geschaffen werden

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