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müthlos erweist, so auch nach demselben; denn sie weiss sich mit Romeo nichts anderes zu sagen, als dass beide das abgedroschene Witzspiel über Nachtigall und Lerche, Sonnen- oder Mondenschein uns nochmals auftischen. Wem in gewissen Situationen der Witz nicht ausgeht, der liefert damit den sichersten Beweis, dass er kein Gemüth hat. Die Tagelieder, denen diese Scene nachgebildet ist, stammen aus einer Zeit conventioneller höfischer Kunstdichtung, wo die Liebe selbst ein verkünsteltes Spiel der Eitelkeit und Phantasie war, das nach einem Codex conventioneller höfischer Regeln betrieben wurde; sie sind romanischen Ursprungs und für Deutschland und England stets importirte, wenn auch eifrig copirte, Waare geblieben. Wer wird im Ernste glauben, dass die Liebenden Nachtigall und Lerche oder Mond und Sonne verwechseln, oder durch ihre Behauptungen einander wirklich zu täuschen hoffen? Wenn aber keins von beiden annehmbar, so ist das ganze ein bewusstes Spiel der Phantasie mit leeren Hülsen tauben Witzes, die sie sich an Stelle des natürlichen Ausdrucks echter seelenvoller Innerlichkeit darbieten. Die deutschen Vertheidiger solcher Scenen wären zu entschuldigen, wenn wir in der heimischen Dichtung nichts besässen, woraus wir uns ein Beispiel entnehmen könnten, wie deutsches Gemüth und jungfräuliche Innigkeit sich äussert; aber für Leute die ihren Goethe gelesen haben, ist solche shakespearomanische Verblendung unentschuldbar. Im Allgemeinen giebt man bereitwillig zu, dass in diesem Stücke der hochpathetischen, schwülstig-tiefsinnigen Ausdrücke und gezwungenen Bilder mehr vorkommen als in den meisten andern Werken Shakespeare's" (Gervinus I, 258), und erklärt dies richtig theils durch des Dichters Jugend, theils durch die von Concepten und Antithesenwerk strotzende nächste Quelle (das Gedicht von Brooke); im Besondern aber bemüht man sich nichts desto weniger, die geschmacklosen und anstössigen Scenen und Stellen als Wunderwerke der Poesie weiss zu waschen.

Wir müssen nach diesen Betrachtungen die Frage, ob „Romeo und Julia" noch als dramatische Verkörperung unsres Ideals der Liebe angesehen werden könne, entschieden verneinen. Othello ist uns noch heute das Drama der Eifersucht, Macbeth noch heute die Tragödie des Ehrgeizes, aber Romeo und Julie nicht mehr das Drama der Liebe. Die Ursachen hierfür liegen theils in dem bedenklichen Ton, der den Verkehr der Geschlechter im England

Shakespeare's beherrschte, theils in der Beschaffenheit der Quelle, welche ihren nationalen italienischen Charakter in keinem Punkte verleugnet. Wir sind einerseits in unserer Auffassung der Liebe über die Zeit Shakespeare's hinausgeschritten und haben unsre Gefühlsweise verfeinert und vertieft; andrerseits sind wir nicht Romanen sondern Germanen, nicht Italiener sondern Deutsche, und haben als solche ein wesentlich anderes Ideal der Liebe, ein anderes Ideal des Mannes und ein anderes des Weibes. Die romanische Liebe geht in einer durch Phantasie und Esprit veredelten Sinnlichlichkeit auf, die deutsche ruht vor Allem in den Tiefen des Gemüths, für das die Romanen nicht einmal ein Wort haben. Von dem deutschen Manne verlangen wir in allererster Reihe Männlichkeit, eine geschlossene, ihrer selbst bewusste ruhige Kraft; der Romane scheut den hiermit leicht verbundenen schwerfälligen Ernst und begntigt sich statt eines echten Mannes gern mit einem Cavalier von noblesse und générosité. Von der Jungfrau erwarten wir unbedingt, wenn nicht von vornherein der Erscheinung aller Duft und Schmelz abgestreift sein soll, weibliches Zartgefühl, an dessen reservirte Feinfühligkeit wir ziemlich hohe Ansprüche stellen; dem Romanen erscheint die vorwiegend receptive und passive Beschaffenheit unseres Frauenideals leicht als zimperliche Langweiligkeit, er verlangt vielmehr feurige Phantasie, hinreissenden Schwung und reizende Ueppigkeit. Romeo und Julia entsprechen mithin ziemlich wohl den romanischen Idealen, aber sie contrastiren auf das Schroffste mit den deutschen. Die erste Seite dieser Thatsache wird für unser kosmopolitisches Interesse genügen, um das Stück auch trotz seiner dramatischen Mängel und trotz der Fremdartigkeit seines Inhalts mit um so ungetrübterem Genusse stets von Neuem zu lesen und mit anzusehen, je deutlicher wir uns ein für allemal die Heterogeneïtät der dargestellten Empfindungen mit den unsrigen zum Bewusstsein gebracht haben, und je weniger wir deshalb an dieser einmal klar begriffenen Fremdartigkeit noch Anstoss zu nehmen geneigt sind.

Bei alledem bleibt die Frage offen, wie Shakespeare in seiner sonst echt germanischen Gefühlsweise dazu kam, das Problem der Liebe das einzige Mal, wo er es zum Mittelpunkt einer Tragödie machte, nicht nur nach einer romanischen Quelle, sondern auch wesentlich im romanischen Sinne zu behandeln. Wenn

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wir mit Recht überzeugt sein dürfen, dass unser modernes deutsches Ideal der Liebe das tiefere, feinere und edlere ist, so muss man darüber stutzen, dass Shakespeare sich mit der Darstellung einer niedrigeren Entwickelungsstufe dieser Idee begnügte, wie dieselbe sich in einem ihm fremden Nationalcharakter entfaltet und befestigt hatte. Für einen Dichter zweiten oder dritten Ranges würde zur Rechtfertigung vielleicht der Hinweis darauf gentigen, dass die Geschlechtsliebe in England zur Zeit der Elisabeth sich im Durchschnitt von den romanischen Zuständen wohl nicht so sehr wie jetzt unterschied; indessen ein Dichtergenius ersten Ranges soll und kann sich über die durchschnittliche Denk- und Empfindungsweise seiner Umgebung mindestens um eine Stufe erheben, und Shakespeare selbst hat nach anderen Richtungen die glänzendsten Beweise für diese Möglichkeit geliefert. Wenn er gerade in der Sphäre der Geschlechtsliebe diese Verfeinerung und Vertiefung des Zeitgeschmacks unterlassen hat, so kann der Grund dafür nur in einem bestimmten Mangel seiner natürlichen Veranlagung und geistigen Entwickelung gesucht werden, in einem mangelnden Verständniss für das Verhalten edler Weiblichkeit und Jungfräulichkeit bei dem Keimen, Wachsen und Blühen der Geschlechtsliebe. Er hat uns die schönsten Bilder zartfühlender Weiblichkeit in den verschiedensten Lebensbeziehungen zu zeichnen gewusst: die treue Gattin in Desdemona und Imogen, die zärtliche Tochter in Cordelia, die Patriotin und Mutter in Volumnia; nur die Art, wie das edle Weib dazu gelangt, sich dem Manne hinzugeben, hat er nicht nach unserm Geschmack zur Erscheinung zu bringen vermocht. (Wie abstossend erscheint uns nicht die Desdemona, die mit dem ältlichen Mohren davonläuft, im Vergleich zu der durch Misstrauen gekränkten Unschuld in den letzten Acten!) Es ist eine Forderung der Gerechtigkeit, den gerade in diesem Punkte so weit vorgeschrittenen Leistungen unserer Dichter gegenüber diese schwache Seite des vielfach überschätzten Briten energisch zu betonen, aus welcher allein Verirrungen begreiflich werden, wie die abscheuliche Werbescene Richard's III., die uns wie ein dem ganzen weiblichen Geschlecht in's Angesicht geschleuderter bitterer Hohn vorkommt.

VI. Der Ideengehalt in Goethe's Faust.

(1871.)

1. Faust's Charakter.

Goethe's Faust ist als Dichtwerk bald himmelhoch gepriesen, bald vielfach angefochten und bemängelt worden, aber Niemand hat bis jetzt bestritten, dass dies Werk durch seinen fundamentalen Gedankengehalt von unberechenbarer Bedeutung, und zwar von typischer Bedeutung sowohl für das Ringen der ganzen Menschheit, als auch speciell für das der deutschen Volksseele, ein treuer Spiegel deutscher Verirrungen und Geistes kämpfe und dadurch ein Führer zur tieferen Selbsterkenntniss eigenen Wesens für das deutsche Volk geworden ist. Der Anschaulichkeit der Dichtung gemäss ist aber dieser Ideengehalt in durchaus individueller Gestalt geboten (von eingestreuten Sentenzen ist hier natürlich nicht die Rede), und das Typische der Darstellung besteht nicht in abstracter Allgemeinheit der Figuren und Vorgänge, sondern darin, dass die lebendig individualisirten Gestalten jeden von uns sofort eine Verwandtschaft mit uns selbst erkennen lassen, also eine Menge Einzelfälle nicht begrifflich unter sich befassen, sondern repräsentativ vertreten, wenn auch wegen der individuellen Abweichungen nur in mehr oder minder annähernder Weise. Wenn der Mephistopheles als Personification einer in's Uebermenschliche karrikirten menschlichen Einseitigkeit sich von abstracter Allgemeinheit minder frei hält, so gilt doch obiges Lob in uneingeschränkter Weise vom Faust selber. Er ist es daher auch vorzugsweise, der als Repräsentant des ganzen Menschen hauptsächlich das gedankliche Interesse auf sich lenkt, während Mephistopheles mehr als gelegentliches Correctiv den augen

blicklichen und vorübergehenden Einseitigkeiten Faust's gegenüber dient, und nur in seltenen Momenten einen endgültig höheren Standpunkt als dieser behauptet, insoweit die ihm in Folge seiner Freiheit von menschlichen Illusionen eignende grössere Klarheit und Unbefangenheit des Denkens nicht durch teuflische Affecte gehässiger Bosheit getrübt wird. Es wird demnach vor Allem der Charakter und die psychologische Entwickelung des Faust sein, welche wir in Betrachtung zu ziehen haben, wenn wir uns die Grundideen des Faust zum Bewusstsein bringen wollen.

Goethe selbst schlägt im Faust die fundamentale Bedeutung des Charakters sehr hoch an; auf die Frage des Faust: Was bin ich denn?" antwortet Mephisto:

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Freilich liegt darin eine absichtlich deprimirende Unwahrheit, insofern die Möglichkeit der menschlichen Entwickelung geläugnet wird, welche doch der ganze Faust predigt; aber die Wahrheit bleibt bestehen, dass nur auf dem Fundamente des als Verhängniss vorgefundenen Gegebenen, nicht aber unabhängig und ohne Rücksicht auf dasselbe, ein Höherstreben möglich ist. Letzteres aber will Faust in seinem titanenhaften Drange zu Anfang, und deshalb hat Mephisto Recht, ihn zu verspotten,*) da er mit seinem „,Allein ich will" das Unmögliche möglich machen zu können glaubt.

In Anbetracht der fundamentalen Bedeutung der natürlichen psychologischen Mitgift werden wir unsere Betrachtung mit der Persönlichkeit des Faust zu beginnen haben, wie dieselbe vor dem Anfang des ersten Acts aus den zerstreuten Aeusserungen des Gedichts zu reconstruiren ist. Diesen psychologischen Hintergrund im Helden muss jede gute Dichtung so weit als nöthig durchscheinen lassen, und der dramatisch nicht zu rechtfertigende lange Monolog des Faust im ersten Act dient zum Theil diesem Zwecke.

Wie aus der Scene ,,vor dem Thor" hervorgeht, ist Goethe's

*) Lasst ihn (den Poeten) Euch das Geheimniss finden,
Grossmuth und Arglist zu verbinden,

Und Euch mit warmen Jugendtrieben
Nach einem Plane zu verlieben.

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