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Das selbstverleugnende Schaffen für das Ganze, die Ausbildung des ,,Gemeindranges, der jede Lücke zu verschliessen eilt", das ist die Aufgabe des Menschen, wie der reife Faust sie fasst.

Im Weiterschreiten find' er Qual und Glück,
Er, unbefriedigt jeden Augenblick.

Ja, diesem Sinne bin ich ganz ergeben,

Das ist der Weisheit letzter Schluss:

Nur der verdient die Freiheit und das Leben,

Der täglich sie erobern muss.

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Es stellt sich hier als der Weisheit letzter Schluss das erweiterte und rechtverstandene Verjüngungsmittel heraus, welches Mephisto dem Faust in der Hexenküche angiebt, schwer zu arbeiten und einfach zu leben, nur dass Mephisto dort die Sache lächerlich macht, indem er bloss das Bauernleben und die Bauernarbeit anführt, während die Regel eine ganz allgemeine Geltung für jede Arbeit hat, die an und für sich schon ihrem Begriff nach productiv für das Ganze ist.

Was nun die persönliche Stellung des Faust zu diesem Princip betrifft, so ist sie dadurch alterirt, dass sein Schaffen ihm nicht als ein aus seinen natürlichen Kräften entspringendes, also nicht als sein Schaffen bewusst ist, sondern als durch Mephisto vermittelte Zauberkünste. Dies quält ihn, und doch ist es zu spät, von vorn mit eigener Kraft zu beginnen; nun erst springt ihm die Thorheit seiner vergeudeten Jugend, wo er auf diese Weise hätte beginnen können und sollen, recht schmerzlich in die Augen.

Könnt' ich Magie von meinem Pfad entfernen,

Die Zaubersprüche ganz und gar verlernen,
Stünd' ich, Natur, vor Dir, ein Mann allein,
Da wär's der Mühe werth, ein Mensch zu sein.
Das war ich sonst, eh' ich's im Düstern suchte,
Mit Frevlerwort mich und die Welt verfluchte.

So hat sich Faust, mit dem Schicksal, ein Mensch zu sein, wenigstens in der Idee versöhnt, hat den Fluch gegen sich und die Welt als frevelhaft anerkannt, und eingesehen, dass es sein eigener Irrthum, Verkehrtheit oder Schuld war, wenn er den Gedanken dieser Versöhnung erst am Ende eines falsch veranlagten Lebens findet. Die unerlässliche Vorbedingung dieser Versöhnung ist aber wohlgemerkt der selbstverläugnende unbedingte Verzicht auf eigene Freude, Genuss, oder Befriedigung, selbstlose Hingebung an Vaterland und Menschheit und Ergreifen der rastlosen That nicht um der

Befriedigung, sondern um des „Weiterschreitens" willen. Nicht darin hat er seine Meinung geändert, dass die Reize der Welt und die Instincte des Menschen, welche auf dieselbe reagiren, „Lockund Gaukelwerk von Blend- und Schmeichelkräften", d. h. trügerische Illusionen vom Standpunkte des Individuums betrachtet, seien, sondern er verflucht sie jetzt nur deshalb nicht mehr, weil er es nicht mehr als einen Vorwurf, sondern als ein Verdienst dieser Illusionen anerkennt, dass sie die Seele in das Leben gebannt halten, und ihr Kraft geben, natürlich mit der Natur zu ringen und Freiheit sich täglich zu erkämpfen.

So hat Mephisto seine Wette nicht bloss dem Wortlaut nach verloren; Faust, der sich wenigstens in der Idee zur vollen Versöhnung mit dem Leben durchgerungen hat, er hat die Vorhersagung des Herrn im himmlischen Vorspiel nicht zu Schanden gemacht:

Es irrt der Mensch, so lang' er strebt. . . .
Und steh beschämt, wenn Du erkennen musst:
Ein guter Mensch in seinem dunkeln Drange
Ist sich des rechten Weges wohl bewusst.

In seinem dunkeln Drange, d. h. instinctiv, hat auch Faust die letzte Lösung des Faustischen Problems nur gefunden; einen Grund dafür, dass dies die Lösung wirklich ist, und es keine andere geben kann, besitzt er nicht.

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Befreit von allen Illusionen persönlicher Glückseligkeit und seiner ewigen persönlichen Unbefriedigtheit gemäss, hat sein unstillbarer Lebensdrang mit Nothwendigkeit auf den Ausweg verfallen müssen, sich ohne Hoffnung auf eigene Befriedigung der Thätigkeit für das Ganze hinzugeben, und da er nicht mehr das Seine sucht, so kann ihm auch für sein Theil keine Enttäuschung mehr widerfahren. Er handelt aus der charakterologischen Nothwendigkeit heraus, rastlos zu streben und thätig zu sein, er handelt nicht mehr für sich, weil er die persönlichen Illusionen hinter sich hat, also handelt er für Andere; so macht er seine Absicht wahr, ,,das eigene Selbst zum Selbst der Menschheit zu erweitern", aber nicht mehr durch den unfruchtbaren Versuch, ihr Wohl und Weh auf seinen Busen zu häufen", sondern durch fruchtbare Thätigkeit für dieselbe. Ob er aber hiermit irgend etwas erreicht, oder auch nur erreichen kann, ob er überhaupt zweckmässig oder zwecklos handelt in dieser Thätigkeit für den Fortschritt, daran denkt er

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nicht, er setzt nur ersteres instinctiv voraus. Dies ist die Grenze der Goethe'schen Lösung des Faustproblems, dass sie erstens, so wie sie vorliegt, nur eine individuell berechtigte ist, also z. B. für Individuen von schwächerem Lebensdrang eine entgegengesetzte, quietistische Lösung möglich erscheinen lässt, und dass sie zweitens die Möglichkeit ausser Acht lässt, dass wenn das Weiterschreiten auch für das Volk ein ziel- und zweckloses Laufen ist, dass dann auch die That des Einzelnen für dieses Weiterschreiten ziel- und zwecklos wird, und dann nur noch als Resultat eines, jeder Ueberlegung spottenden Thätigkeitsdranges möglich bleibt. Jedenfalls kann das „freie Volk auf freiem Grunde" kein letztes Ziel repräsentiren, da in ihm die faustischen Naturen ebensogut existiren werden, und nach Erreichung dieses Zieles das Thätigsein eines jeden für alle Anderen doch nur ein zum Narren haben Aller durch Alle bedeuten würde, wenn von vornherein jeder weiss, dass jeder für sich auf Glück verzichtet. Man müsste also mindestens den Glau

ben an eine Vorsehung bei Faust voraussetzen, die mit der Geschichte der Menschheit noch etwas anderes jenseit derselben bezweckt, andernfalls behält Mephisto das letzte Wort:

O glaube mir, der manche tausend Jahre

An dieser harten Speise kaut,

Dass von der Wiege bis zur Bahre

Kein Mensch den alten Sauerteig verdaut.
Was soll uns denn das ew'ge Schaffen?
Geschaffenes zu Nichts hinwegzuraffen!

,,Da ist's vorbei." Was ist daran zu lesen?

Es ist so gut, als wär' es nicht gewesen,

Und treibt sich doch im Kreis, als wenn es wäre.

Ich liebte mir dafür das Ewig-Leere.

Wie aber, wenn Faust und Mephisto beide Recht hätten, und nur der Eine das einzig mögliche letzte Ziel, der Andere den einzig möglichen Weg zu diesem Ziel verkännte?

VII. Schiller's Gedichte: „Das Ideal und das Leben“ und „Die Ideale".

(1873.)

Die in der Ueberschrift genannten beiden Gedichte dürften nach Inhalt und Form den Höhepunkt der Schiller'schen Gedankendichtung bezeichnen, den er im August 1795 erreichte; die vorhergehenden Productionen verhalten sich mehr wie Anläufe oder Nebenbetrachtungen zu diesen beiden, die späteren zeigen schon wieder grössere Entfernung von seinem philosophischen Intermezzo und wenden sich mehr der Darstellung des realen Lebens zu. Beide Dichtungen liegen so nahe beisammen (Briefe an Humboldt vom 9. und 21. August), dass wir wenigstens nicht constatiren können, ob anderweitige Productionen zwischen dieselben fallen, und dennoch zeigen dieselben einen Contrast, der zur näheren Betrachtung auffordert.

In seinen ästhetisch-philosophischen Studien war Schiller von dem Kant'schen schroffen Gegensatz von Sinnlichkeit und Vernunft ausgegangen, und hatte, in der Richtung der Kant'schen „Kritik der Urtheilskraft" fortschreitend, die wahre Vermittelung dieses Gegensatzes in dem Gebiete der Schönheit zu finden geglaubt, deren Verwirklichung er durch einen „Spieltrieb," d. h. einen freithätigen lebendigen Gestaltungstrieb bedingt dachte. *) Auf diesem Wege hoffte er anstatt der von Kant geforderten einseitigen Unterordnung der Sinnlichkeit unter die Vernunft eine Harmonie beider Seiten zu erzielen (Br. üb. d. ästh. Erz. Nr. 12), und an Stelle der in dem

*) Vgl. als bis jetzt beste Gesammtdarstellung der Schiller'schen Aesthetik Schaslers „krit. Gesch. der Aesthetik" S. 572–653.

Distichon „Gerne dien' ich den Freunden u. s. w." verspotteten rigoristischen Moral des abstracten kategorischen Imperativs eine unmittelbar concrete Sittlichkeit der schönen Seele" zu gewinnen. Dieser letztere Gedanke über das Verhältniss des abstracten Moralgesetzes zu concreter Tugend aus innerer schöner Harmonie der Neigung und Pflicht findet in dem Gedicht „Das Ideal und das Leben" seinen prachtvollen Ausdruck in Strophe 13 und 14 der ursprünglichen Fassung:

Wenn ihr in der Menschheit traur'ger Blösse
Steht vor des Gesetzes Grösse,

Wenn dem Heiligen die Schuld sich naht,

Da erblasse vor der Wahrheit Strahle

Eure Tugend, vor dem Ideale

Fliehe muthlos die beschämte That.

Nehmt die Gottheit auf in Euren Willen,

Und sie steigt von ihrem Weltenthron.

Des Gesetzes strenge Fessel bindet

Nur den Sclavensinn, der es verschmäht;

Mit des Menschen Widerstand verschwindet
Auch des Gottes Majestät.“

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,,Losgesprochen sind von allen Pflichten,
Die in dieses Heiligthum sich flüchten" . . .

D. h. die Autorität der in der einseitigen Form des Gebots auftretenden Pflicht ist in der inneren Harmonie der Tugend erloschen, die der schönen Seele zur Natur selbst geworden ist; die Pflicht hört auf, als Pflicht empfunden zu werden, wenn die Neigung ihr zuvorkommt.

Entspricht das Gedicht nach dieser Richtung vollständig der Theorie Schillers, so deutet die erste Strophe an, dass auch nach der andern Seite, der Erhebung und Verklärung der Sinnlichkeit und ihrer Versöhnung mit dem Geist durch das Reich der Schönheit, Schiller ursprünglich seiner ästhetischen Theorie treuen Ausdruck geben wollte:

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