ÀҾ˹éÒ˹ѧÊ×Í
PDF
ePub

wären, Dein, wie es scheint, ziemlich starkes Vorurtheil gegen die Philosophie zu brechen, und Dich dazu brächten, nicht nur mein jetziges Lieblingsstudium nicht länger zu verachten, sondern wo möglich selbst ein Interesse dafür zu gewinnen, damit wir in demselben, wie früher im Laboratorium, wieder gemeinsam arbeiten können.

II. Anfänge naturwissenslhaftlicher Selbst-
erkenntniss.

(1873.)

Die von Kant anhebende Umgestaltung der Philosophie traf so ziemlich zusammen mit der Entstehung einer Naturwissenschaft im modernen Sinne (Entdeckung des Sauerstoffes, Galvanismus etc.); die Philosophie wurde zur exacten Wissenschaft, indem sie das dogmatische Speculiren in's Blaue hinein vorläufig bei Seite legte, um sich über die Grenzen der Erkenntniss selber zu besinnen, die Naturwissenschaft wurde exact, indem sie zu Maass und Waage griff und ihre Schlüsse auf das Experiment baute. So trennten sich die in der älteren Naturphilosophie bisher vereinigten Seiten des Erkennens für mehrere Menschenalter, um einzeln eine um so fruchtbarere Entfaltung durchzumachen, welche sie beide zur Wiedervereinigung auf weit höherer Entwickelungsstufe tüchtig machen sollte. Ein voreiliger Versuch dieser Art war Schelling's Naturphilosophie, welche die eben erst gewonnenen Grundlagen der Naturwissenschaft als Fundament zu einem kühnen philosophischen Luftschloss zu verwenden suchte.

War die Haltlosigkeit dieser Phantasien einerseits geeignet, durch Abstossung der besonneneren Elemente der naturwissenschaftlichen Forscherwelt die sachlich entstandene Kluft zu erweitern, so hatte sie doch zugleich andererseits das Verdienst, in einer ihre Wirkungen bis in die Gegenwart erstreckenden Schule den Einheitsdrang des menschlichen Erkennens auch auf dem Gebiete der Natur zu nähren und die Nothwendigkeit einer Naturphilosophie

überhaupt neben und über der Naturwissenschaft vor Augen zu halten.

Während im ersten Drittel dieses Jahrhunderts die Philosophie vornehmlich in der durch Hegel geschaffenen Gestalt das Interesse des gebildeten Publikums in Anspruch nahm, arbeitete die exacte Naturwissenschaft in aller Stille mächtig fort und bereitete sich vor, im zweiten Drittel des Jahrhunderts die Philosophie aus ihrer Stellung zu verdrängen. Letztere arbeitete ihr dadurch in die Hände, dass sie in Gestalt des Hegelianismus durch ihr vorgebliches absolutes Erkennen masslose Ansprüche wachgerufen hatte, welche sie zu befriedigen ausser Stande war, so dass die ihr entgegengebrachte Ueberschätzung bei einer kritischen Prüfung ihrer Grundlagen nothwendig zu der Reaction einer Unterschätzung führen musste, welche sich zu einer vollständigen Verachtung der Philosophie überhaupt, als eines Phantasiegebäudes aus werthlosen Hirngespinnsten, steigerte. Die Naturwissenschaft, zum ersten Male durch ihre welterschütternden Entdeckungen das praktische Interesse des Publikums erfüllend, sah sich, um diesen Platz zu behaupten, gleichwohl genöthigt, die von ihr missverständlicher Weise gänzlich negirte Philosophie in irgendwelcher Gestalt in sich aufzunehmen, und als der mit der Materie beschäftigten Wissenschaft lag es ihr am nächsten, jene Form des vorkantischen metaphysischen Dogmatismus sich einzuverleiben, welche die Materie zum alleinigen metaphysischen Princip erhebt und welche, zu allen Zeiten ihre Vertreter findend, ihre heute noch unübertroffene systematische Darstellung in Holbach's Système de la nature erreicht hat.

Je weniger dieser Dogmatismus auf kritische Analyse seiner Grundbegriffe sich einliess, um so leichter waren seine Lehren dem Standpunkte des gemeinen Menschenverstandes zugänglich und um so eher konnten die Naturforscher sich der Täuschung hingeben, durch Annahme dieser Metaphysik sich überhaupt mit keiner Metaphysik befasst zu haben, sondern auf empirischem Boden geblieben zu sein. Dies war etwa der Standpunkt von Moleschott, Karl Vogt und Büchner.

Aber wie im ersten Drittel des Jahrhunderts die Naturwissenschaft in der Stille weitergearbeitet hatte, so wirkte jetzt die Philosophie unter der äusseren Oberfläche der sichtbaren Tagesinteressen fort; Herbart hatte eine, wenn auch räumlich beschränkte, doch

rührige Gemeinde hinterlassen und namentlich war es Schopenhauer, dessen glänzend geschriebene Werke in den 50er und 60er Jahren einem Theil der jüngeren Naturforscher als belebendes Ferment des Denkens dienten. Herbart und Schopenhauer wiesen beide, wenn auch in verschiedenem Sinne, auf Kant als den Bahnbrecher der modernen Philosophie zurück und wirkten dadurch auf ein erneuertes gründliches Studium des alten Königsbergers hin. Innerhalb der Naturwissenschaft selbst hatte eine eingehendere Behandlung der Physiologie der Sinnes wahrnehmung zur Berücksichtigung psychologischer und erkenntnisstheoretischer Probleme gedrängt, und die Selectionstheorie Darwin's war die Anregung geworden, dass die alte naturphilosophische Lehre der Abstammung der Arten von einander an dem Orte selbst, wo sie früher ihre Hauptwirkung entfaltet hatte, in Jena, einen beredten Erneuerer in Ernst Häckel fand, der in seiner „Generellen Morphologie der Organismen" in der That den kühnen Entwurf einer Naturphilosophie modernen Styls für das organische Reich der Natur lieferte.

Inzwischen war auch von neutraler Seite ein mächtiger Aufschwung erfolgt, der das Interesse von der Naturwissenschaft in wachsendem Maasse auf sich abgelenkt hatt, ich meine den grossartigen Fortschritt der geschichtlichen Wissenschaften. An Stelle der älteren Philologie war die vergleichende Sprachwissenschaft und Mythologie, an Stelle der früheren Beschränkung der Geschichte auf deren politischen Rahmen die lebensvolle Erfüllung durch die historische Entwickelung von Volkswirthschaft, Religion, Kunst und Wissenschaft getreten; kurz, die Geschichte war zur Culturgeschichte, zur Erkenntniss der Entwickelung der Volksgeister geworden und drängte auf diesem Wege unaufhaltsam zur Philosophie der Geschichte. So aber forderte sie und setzte voraus die Existenz einer Philosophie und regte, wo dieselbe zu fehlen schien, unabweislich das Bedürfniss nach einer solchen an, deutlich darauf hinweisend, dass die naturwissenschaftliche Erkenntniss allein unfähig sei, den Erkenntnissdrang des Menschen gerade nach den Richtungen zu befriedigen, in welchen der Menschengeist den eigentlichen Werth seines Lebens zu suchen genöthigt ist.

Auf diese Weise war Alles vorbereitet, um auf's neue in erhöhtem Maasse ein philosophisches Interesse in der Entwickelung des deutschen Geistes hervortreten zu lassen, und in der That

zeigt die Statistik des Buchhandels, dass in den letzten Jahren das Publikum der philosophischen Literatur eine Theilnahme entgegengebracht hat, wie solche bisher noch zu keiner Zeit erlebt worden war.

Fragen wir nun, wie die Naturwissenschaft sich dieser Erscheinung gegenüber verhält, so haben wir zunächst abzusehen von dem rohen Haufen der Handlanger, die in ihrer engbegrenzten Ameisenthätigkeit der Stoffansammlung gegen jede geistige Strömung indolent sind. Ferner haben wir abzusehen von jenen neu aufsteigenden Gestirnen, welche, von echt philosophischer Bildung durchdrungen, mit begeisterten Worten eine glänzende Aera der Vermählung von Naturwissenschaft und Philosophie verkündigen*); denn sie sind es, die ihrerseits selbst an der Herbeiführung dieser neuen Aera mitwirken.

Endlich haben wir abzusehen von jenen oben erwähnten Dogmatikern des Materialismus, welche, verdutzt über das plötzlich wieder Modewerden der von ihnen längst für todt erklärten Philosophie, sich eben so plötzlich darauf besinnen, dass sie selbst ja eigentlich die wahren und alleinigen Philosophen seien, und demgemäss ihr Schelten rohen Unverstandes gegen Andersdenkende mit verdoppeltem Selbstgefühl fortsetzen. Sehen wir, wie gesagt, von allen diesen, theils der Unzurechnungsfähigkeit, theils der Zukunft, theils der Vergangenheit angehörigen Kategorien ab, so finden wir als Resultat der besprochenen geistigen Vorgänge in den bedeutendsten Wortführern der naturwissenschaftlichen Denkweise ein Insichgehen, ein sich auf sich selbst Besinnen, das von entschiedenem Fortschritt über die frühere dogmatische Selbstgewissheit zeugt, aber doch bis jetzt auf halbem Wege stehen bleibt.

Eine interessante Kundgebung dieser Art ist der von Professor du Bois-Reymond am 14. August 1872 auf der Naturforscherversammlung zu Leipzig gehaltene (und in Leipzig bei Veit & Comp. erschienene Vortrag) „Ueber die Grenzen des Naturerke nnens". Dieser Vortrag ist eben so anziehend in dem, was er giebt, als in dem, was er nicht giebt, eben so wichtig als ein

*) Vgl. F. Zöllner „Ueber die Natur der Kometen". 2. Auflage. Vorrede S. 71.

« ¡è͹˹éÒ´Óà¹Ô¹¡ÒõèÍ
 »