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I. Zur Orientirung in der Philosophie der letzten

hundert Jahre.
(1875.)

1. Die Geschichte der Philosophie und ihre lelzte

Epoche.

Die Geschichte der Philosophie ist kein gleichmässig forlaufender Strom, sondern eine vorwärtsschreitende Wellenbewegung, deren Berge und Thäler mit der Steigerung und dem Verfall des Culturlebens der geistig begabtesten Völker in engem Zusammenhange stehen. Lassen wir die chinesische und indische Philosophie bei Seite, weil dieselbe mit der abendländischen Entwickelung nicht in unmittelbarer Continuität steht, so haben wir hauptsächlich vier Wellen oder Epochen zu unterscheiden, die griechische, die mittelalterliche, die des Reformationszeitalters und die des letzten Jahrhunderts. Jede dieser Bewegungen steht im Allgemeinen auf den Schultern ihrer Vorgängerinnen, behandelt im Wesentlichen dieselben Grundprobleme, wenn auch in modificirter Gestalt, und führt sie aus neuen Gesichtspunkten zu vollendeterer Verarbeitung. Wenn die Philosophie des Mittelalters noch durch den gemeinsamen Boden der ungetheilten christlichen Kirche und der lateinischen Sprache zur Einheit zusammengehalten war, so macht sich bei der geistigen Völkertrennung im Reformationszeitalter eine Spaltung auch des philosophischen Entwickelungsganges in eine mehr speculative und eine mehr empirische Richtung geltend, deren letztere besonders in England und Frankreich gepflegt wurde. Beide Länder befinden sich noch heute in dieser philosophischen Periode, und die letzte und höchste Epoche, welche die Geschichte der Philosophie zu Tage gefördert hat, ist bis in die neueste Zeit in ihren Wirkungen fast ganz auf Deutschland beschränkt geblieben. Darum muthen

uns die meisten ausländischen philosophischen Schriften der Gegenwart an, als ob sie modernisirte Bearbeitungen von Büchern wären, die aus dem vorigen Jahrhundert stammen.

Das Eigenthümliche dieser neuesten Epoche besteht darin, erstens dass sie in Kant mit einer Synthese der deutschen und englischen Philosophie, d. h. der speculativen und empirischen Richtung der Philosophie des Reformationszeitalters begann, und dass sie mit viel deutlicherem Bewusstsein als eine ihrer Vorgängerinnen die Errungenschaften aller früheren Perioden in sich aufnahm und auf höherer Stufe des Gedankens verarbeitete. Wer daher dasjenige kennen lernen will, was die Menschheit durch ihre gesammte philosophische Geistesarbeit letzten Endes errungen hat, der darf dasselbe nirgends anders suchen als bei der deutschen Philosophie des letzten Jahrhunderts, und das Studium vergangener Perioden kann in Bezug auf die gestellte Aufgabe immer nur einen propä deutischen Werth haben. Da die deutsche Philosophie von Kant an principiell die Synthese der speculativen und empirischen Richtung des Reformationszeitalters ist, so muss insbesondere der bis in die Gegenwart fortdauernde und auch nach Deutschland importirte französisch-englische Empirismus des 18. Jahrhunderts nicht für befugt erachtet werden zum Einspruch gegen die ihm bis jetzt in der Hauptsache unverständlich gebliebene deutsche Philosophie; nur darum kann der Streit sich drehen, ob bei einer bestimmten Gestalt der deutschen Philosophie dieses Jahrhunderts die empirische Seite eine relativ zu geringe Beachtung gefunden habe. Und da ist denn allerdings zuzugeben, dass gerade die begabtesten unter den Nachfolgern Kant's, welche die philosophische Entwickelung am nachdrücklichsten gefördert haben, ein Uebergewicht der speculativen über die empirischen Elemente in ihren Systemen zeigen, während diejenigen, welche sich bemühten, vornehmlich die empirische Seite der Kant'schen Philosophie zu höherer Ausbildung zu führen (Krug, Fries, Benecke), im Ganzen Leistungen von geringerer Bedeutung zu Stande gebracht haben. Es wird daher als eine im historischen Entwickelungsgange der Philosophie begründete Forderung zu bezeichnen sein, dass eine neue Philosophie, welche allen Forderungen der Vergangenheit und Gegenwart gerecht zu werden beabsichtigt, vor allem das rechte Gleichgewicht der empirischen und speculativen Elemente in sich herzustellen habe. Ohne Zweifel ist diese

Aufgabe in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts leichter erfüllbar als in der ersten, weil die riesigen Fortschritte der empirischen Wissenschaften auf allen Gebieten gegenwärtig der Philosophie ein weit reicheres Material zu gedanklicher Verarbeitung entgegenbringen. Der mangelhafte Zustand der empirischen Wissenschaften im Anfang dieses Jahrhunderts erklärt ebensowohl die Dürftigkeit der Leistungen derjenigen, welche die Philosophie nach der empirischen Seite zu fördern suchten, als die Nothwendigkeit für die hervorragenden Geister, in dem kühnen Fluge der Speculation einen Ersatz für das mangelhafte empirische Material zu suchen. Gegenwärtig, wo die Reaction gegen die speculative Blüthenzeit der neuesten deutschen Philosophie in ersichtlicher Abnahme begriffen, und das mehrere Jahrzehnte gegen dieselbe genährte Vorurtheil im Schwinden ist, thut es noth, den dauernden Kern dieser grossen Entwickelungsperiode aus dem ihn umhüllenden Beiwerk herauszuschälen. Von empirischer Seite her bieten sich dagegen der Philosophie so neue und eigenartige Probleme zur Verarbeitung, dass es nach dieser Richtung einer neuen selbstständigen Gedankenarbeit bedarf, und dass der Rückblick auf die genannten Nachfolger Kant's, welche in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts mehr die empirische Richtung gepflegt haben, nur noch von untergeordnetem Interesse sein und geringe Ausbeute liefern würde.

Wenn demnach die philosophischen Aufgaben der Gegenwart nach empirischer Seite hin eine selbstständige, von den geschichtlichen Vorarbeiten minder beeinflusste Behandlung der Probleme erfordern, so concentrirt sich die Aufgabe des geschichtlichen Rückblicks wesentlich auf die speculativen Systeme des letzten Jahrhunderts, welche selbst wieder untereinander in einem organischen Zusammenhang stehen, und die in den früheren Perioden zum Theil bereits behandelten Probleme auf höherer Stufe neu präcisiren und tiefer und umfassender als je zuvor durcharbeiten. Nur wem alles Verständniss für philosophische Gedankenbildung versagt ist, nur der kann die Thatsache einer, wenn auch nicht geradlinigen, so doch spiraligen, Entwickelung in der Geschichte der Philosophie verkennen, und in derselben ein wüstes Chaos von allerhand Unsinn und einigen guten Gedanken sehen, nur der wird unfähig sein, den positiven Werth unserer nachkantischen Philosophie zu begreifen, und die speculativen Epochen früherer Zeiten zu würdigen.

Wenn die, wie bemerkt, in dem aufklärerischen Empirismus des vorigen Jahrhunderts stecken gebliebenen Engländer sich bemühen, die völkerpsychologische und historische Schranke ihres Denkens als eine allgemeine und nothwendige Beschränktheit des menschlichen Geistes zu erweisen*) und alle Blüthezeiten der Speculation als die Zeiten des wissenschaftlichen Verfalls zu enthüllen**), so kann man sich darüber weiter nicht wundern, zumal wenn man die sprachlichen Schwierigkeiten berücksichtigt, welche dem Ausländer das Studium der neueren deutschen Philosophie machen muss. Wenn aber neuerdings sich sogar Deutsche finden, welche unter pietätsloser Preisgebung der unsern höchsten nationalen Ruhmestitel bildenden Geistesschätze die unserm Volke eigenthümliche Nachäfferei des Fremdländischen selbst auf das Gebiet der Philosophie übertragen***), so kann man darin nur noch einen sich selbst erniedrigenden theoretischen Cynismus erblicken, dessen Motiv in der Effecthascherei durch dreiste Negation (wegen des Bewusstseins der Unfähigkeit zu positiver Production) zu suchen ist. Wer dagegen in der Geschichte der Menschheit einen fortschreitenden Entwickelungsgang und in der Entwickelung der Wissenschaft die höchste Blüthe der menschlichen Culturentwickelung erkennt, der wird sich schwerlich zu dem Glauben an die absurde Behauptung überreden lassen, dass einzig und allein die Geschichte der Philosophie in der Geschichte der Wissenschaft eine solche Ausnahmestellung habe, dass ihr eine eigentliche Entwickelung abgesprochen werden müsse, oder doch nur in negativem Sinne als zum Bewusstsein Kommen ihrer principiellen Berechtigungslosigkeit und Unwissenschaftlichkeit zugestanden werden könne. Wer nicht die geistige Befähigung besitzt, neben den in der Geschichte der Philosophie vertretenen empirischen Elementen auch ihre speculativen positiv zu würdigen, der sollte wenigstens soviel Bescheidenheit üben, sich des Mitredens und Urtheilens in philosophischen Dingen zu enthalten, ähnlich wie ein mathematisch Ungebildeter sich des Urtheilens über den Werth der höheren Mathematik zu enthalten pflegt. Wer dagegen genug phi

*) Vgl. Herbert Spencer's „Grundlagen der Philosophie", erster Theil: „Das Unerkennbare“.

**) Vgl. Lewes',,Geschichte der Philosophie".

***) Vgl. Dühring's ,,Krit. Gesch. der Philosophie", und Lange's,,Gesch. des Materialismus".

losophischen Kopf besitzt, um die speculativen Elemente der älteren philosophischen Systeme congenial zu reproduciren, der wird, wenn die deutsche Sprache seine Muttersprache ist, mit etwas redlicher Mühe und Arbeit auch allemal zu der Einsicht gelangen können, dass in keiner früheren Periode die philosophischen Probleme so in ihrer Tiefe erfasst worden sind und so energische und vielseitige Förderung erfahren haben, wie in der deutschen Philosophie seit Kant. Von der oben erwähnten Classe von Ausnahmen abgesehen besteht auch über diese Thatsache in den philosophischen Kreisen des deutschen Publikums Uebereinstimmung der Ansichten; nur darüber gehen die Meinungen auseinander, wieviel relatives Gewicht dem einen oder dem andern der Systeme des letzten Jahrhunderts beizumessen sei. Als Gegengewicht gegen die theilweise Verachtung der deutschen Philosophie in Deutschland zeigen uns gerade die letzten Jahre die erfreuliche Erscheinuug, dass auch in Frankreich und im englisch redenden Amerika das Bedürfniss fühlbar wird, sich mit der deutschen Speculation näher und gründlicher bekannt zu machen.

2. Kant und seine Nachfolger.

Am wenigsten Widerspruch findet die Schätzung Kant's. Fast alle Nachfolger, die grossen wie die kleinen, haben auf ihn Bezug genommen und an ihn angeknüpft; seine genialen Andeutungen haben mehr als einer Generation Stoff zur philosophischen Verarbeitung geboten, aber seine Mängel und Irrthümer haben auch als Irrlichter gar manchen dazu verlockt, sich in den Sumpf seiner pedantischen Neoscholastik zu verrennen. Charakteristisch für Kant's Stellung in der Geschichte der Philosophie ist jedenfalls schon der Umstand, dass alle späteren selbstständigen Denker ihn nur als Ausgangspunkt weiterer nothwendiger Entwickelung verehrt haben, und dass es den unproductiven Köpfen der dürftigsten Art überlassen blieb, die Kant'sche Philosophie als das wahre, in der Hauptsache untibertreffliche und nur in nebensächlichen Punkten der Modification bedürftige System anzupreisen. Solche Gentigsamen im Geiste reichen dann wohl jenen Feinden aller Speculation die Hand zum Bunde, welche in Kant die empirische Seite hervorkehren, und auf deren unbestreitbare und unbestrittene Verwandtschaft mit dem englisch-französischen Empirismus pochen. Nun ist

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