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lieben Kinder! es mögen nunmehr zwei Jahre sein, da ich Euch, am leßten gepredigt und zwar von den vierundzwanzig Stücken, die ich zur höchsten Vollkommenheit in diesem Leben nöthig erachtete. Und meine Gerechtigkeit ist bisher gewesen, daß ich viel Latein in meinen Predigten eingeführet. Solches aber habe ich mir vorgenommen nicht mehr zu thun. Denn wenn ich will lateinisch reden, so will ich es mit den Gelehrten thun, die es verstehen. Sprecht mit mir ein Vater-Unser, daß ich Gnade erlange, auch fruchtbarlich zu predigen." Dann führte er in äußerst lieblicher Weise aus, wie wir unserm himmlischen Bräutigam entgegen gehen sollen. Jezt seien die rechten Wege, auf denen wir wandeln müßten, zwar sehr wüste und vielen Leuten unbekannt geworden. Aber er wolle es ihnen zeigen, was eine getreue und ehrliche Braut Christi zu thun habe. Sie müsse alle Sünde und Eitelkeit der Welt ablegen und willig das Kreuz Christi auf sich nehmen und alle Schmerzen, die mit ihm verbunden seien, geduldig tragen. Wenn dann ihre Geduld und ihre Treue bewährt erfunden, so komme der ewige Vater des ewigen Bräutigams und spreche: „Wohlauf, meine zarte auserwählte Freundin! es ist nun Zeit, daß man zur Kirche gehe; nimmt darauf den Bräutigam und die Braut, führet sie zur Kirche, trauet sie einander, bindet sie auch zusammen mit den himmlischen Banden seiner göttlichen Liebe so fest und stark, daß sie auch in alle Ewigkeit nicht wieder mögen geschieden werden. Wenn nun also durch diese göttliche Vertrauung ein Anfang zu der himmlischen Hochzeit gemacht ist, alsdann spricht der Bräutigam: mein lieber Gott und Vater! wer soll nun unser Schenke sein auf unserer Hochzeit? Darauf antwortet

der Vater: Mein vielgeliebter ewiger Sohn! dieses Amt gebühret dem heiligen Geist, der soll euer Schenke sein an meiner Statt. Darauf sättigt er sie mit der göttlichen Liebe und tränket sie mit derselben gar reichlich. Von solcher göttlichen Liebe durchdrungen kommt die Braut nun von selbst herzu, daß sie ihrer ganz und gar ver= gißt, ja auch aller Creaturen neben sich... denn die Freude und Wonne, die die Braut an und von ihrem Bräutigam empfängt, ist so groß, so herrlich, daß sie in diesem Leben kein menschliches Auge sehen, kein menschliches Ohr hören, auch kein menschliches Herz und Vernunft verstehen noch fassen mag. Gott verleihe aus Gnaden, daß wir alle Christi geliebte Bräute sein und werden und mit hellbrennenden Lampen zur himmlischen Hochzeitthüre eingehen mögen. Amen."

Als der Doktor geschlossen hatte, rief ein Mensch aus dem Haufen: „Es ist wahr!" und in demselben Augenblick fiel er wie todt nieder. Da rief eine Frau: „höret auf, Herr, oder dieser Mann stirbt uns unter den Händen." Der Doktor sprach: „Ach lieben Kinder! nimmt also der Bräutigam die Braut und führet sie mit sich heim, so wollen wir sie ihm gerne lassen. Jedoch will ich ein Ende machen und aufhören. Lieben Kinder! laßt uns alle gen Himmel rufen zu Gott unserm Herrn, denn wir haben es sicherlich alle vonnöthen, zumal wir leider also dumm und thöricht geworden sind, daß Keiner von uns ein Mitleid mit dem Andern hat, obwohl wir schon wissen, daß wir alle Brüder und Schwestern sind; und gleichwohl sind nur Wenige unter uns, die ihr Fleisch zwingen wollen, um dem Bräutigam nachzufolgen, damit eine bessere Freude und gnadenreichere Hochzeit von uns allen empfunden

werde. Ihr sollt wissen, daß man in dieser Zeit wenig Leute findet, die dem Bräutigam wahrhaftig entgegen= gehen, wie man wohl unter den Alten viele fand." Mit diesen und noch mehr Worten forderte der Doktor die Leute noch auf, eifrig nach dieser geistlichen Hochzeit zu trachten und Christo entgegenzugehen in wahrer Demuth und Gelassenheit und mit rechter gläubiger Jnnigkeit; darauf las er die Messe und gab etlichen guten Kindern den Leib des Herrn. Die Predigt hatte auf Viele einen so mächtigen Eindruck, daß sie noch auf dem Kirchhof in eine ähnliche Verzückung verfielen, wie jener Mann in der Kirche. Der Laie, welcher zugegen war, meldete es Taulern und führte ihn heraus zu ihnen. Zwölf von ihnen blieben wie todt auf dem Boden liegen. Die übrigen, an dreißig, erhoben sich und gingen. Tauler ließ jene zwölf in den Kreuzgang des Klosters bringen, damit sie keinen Schaden an ihrer Gesundheit nähmen, und zu ihrer Stärkung ihnen etwas warme Speise reichen. Auch einer Nonne war es ähnlich ergangen. Der Laie, der darauf den Doktor in seine Celle geleitete, erklärte sich über die Predigt vollkommen befriedigt und hoffte vielen Segen von ihr; dann rieth er ihm, da es Fastenzeit sei, auch vor einer größeren Versammlung den Weltkindern eine ähnliche Predigt zu halten, was ebenfalls mit vielem Segen geschah.

Tauler predigte nun wieder fleißig und wirkte als Beichtvater und als Seelsorger unermüdlich. Und weil Gott mit ihm war, so waren auch alle seine Worte mit reichen Früchten gesegnet, und sein Rath wurde überall mit großer Achtung und bereitwilligem Gehorsam aufge= nommen. Tauler war ein neuer Mensch geworden. Er

hatte sich von ganzem Herzen zu Gott bekehrt, hatte allen seinen natürlichen Besiß Gott zum Opfer gebracht, aber in Gott auch Alles zehnfach wiedergefunden. Diese ausführliche Nachricht von Taulers Bekehrung verdanken wir folgenden Umständen:

Die Unterredungen mit dem Laien und die ganze Geschichte seiner Bekehrung schrieb Tauler, wie auch vor ihm eben der Laie und nach ihm Rulman gethan hat, wieder und gab diese Notizen auf seinem Todtenbette dem Laien, mit der Bitte, ein Büchlein daraus zu machen, sie beide aber, so wie die Stadt, dabei nicht zu nennen. Nikolaus von Basel that dieses und fügte noch einige Predigten von Tauler hinzu. Das Buch, das er hieraus machte, kam in die Urkunden des Johanniterhauses. Später schrieb er an den Prior von Taulers Kloster eine Erscheinung, welche er von Tauler gehabt. Auch sie wurde dem Buche noch beigefügt, und so entstand die „Historia des ehrwürdigen D. Tauleri," welche vielen Ausgaben von Taulers Predigten beigegeben ist. Daß der darin genannte Doktor auch wirklich unser Tauler, und der Laie jener Nikolaus von Basel sei, was man in Zweifel ge= zogen hat, geht mit Zuverlässigkeit aus dem Memoriale des Straßburger Johanniterhauses, welches sich noch auf der dortigen Stadtbibliothek befindet, hervor, indem dort bestimmt erklärt wird, daß Nikolaus von Basel, welcher die Bekehrung Rulmans vermittelt habe, der gnadenreiche und erleuchtete Laie gewesen sei, der den großen Meister der heiligen Schrift strafte und bekehrte also, daß er zu einem erleuchteten, gnadenreichen und hohen Leben kam, nachdem er ihm eine hohe Predigt von vierundzwanzig, nach dem ABC geordneten Stücken eines vollkommenen

Lebens gethan, wie es in jenem Büchlein lateinisch und deutsch niedergeschrieben sei. Daß die Stadt Straßburg und nicht Köln, wie Einige behaupteten, der Ort der Bekehrung Taulers gewesen, ist außer Zweifel deshalb, weil Straßburg gerade von Basel, dem Wohnort des Laien, so weit entfernt liegt, als in der Historia angegeben wird, nämlich 30 Meilen.

Nachdem die Prüfungszeit Taulers vorüber war, trat er mit neuer Kraft und Freudigkeit wieder in sein Predigtamt ein. Er nahm zu an göttlichem Leben und ward immer reichlicher erfüllt mit der Gnade des heiligen Geistes. Nikolaus blieb, so lange er lebte, sein treuer Freund und gab ihm viele Beweise seiner Anhänglichkeit. Durch ihn war Tauler nicht allein zur wahren, demüthigen, das eigene Selbst ganz und gar verleugnenden Gottesfreundschaft gelangt, er hatte auch einen Blick gethan in die tiefen Bewegungen, welche damals in der Christenheit sich vorbereiteten. Obschon als Dominikaner zur Bekehrung der Kezer berufen, war er selbst geistig durch einen sogenannten Kezer überwunden und erst vollkommen innerlich bekehrt worden. Er hatte darum wohl erkannt, daß es in der Kirche Christi noch höhere Geseze gebe als die römischen Canoues et Decreta. Wenn er selbst auch seiner Kirche getreu geblieben ist, auch zum Gehorsam gegen dieselbe fleißig ermahnte, so drang er doch nunmehr immer entschiedener auf die innere Glaubensgerechtigkeit vor Gott und die Erneuerung des Herzens, und hinderte die Bestrebungen derjenigen nicht, welche solche Gerechtigkeit und Wiedergeburt in einem freieren Dienste Christi suchten, als ihn die römische Kirche vorschrieb. Tauler hatte durch seine Bekehrung eine thatsächliche

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