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dass die Maxime nicht das Gesetz allein zur hinreichenden Triebfeder in sich aufnimmt, sondern noch anderer Triebfedern bedarf, also dass pflichtmässige Handlungen nicht rein aus Pflicht gethan werden. Dazu komme noch ein Doppeltes, was unter Voraussetzung der Heteronomie nicht gelte: nämlich, dass, was nach dem Princip der Autonomie der Willkür zu thun sei, für den gemeinen Verstand ganz leicht einzusehen sei und dass dem kategorischen Gebote der Sittlichkeit Genüge zu leisten (d. h. die erkannte Pflicht zu erfüllen) in jedes Gewalt sei zu aller Zeit. 1

Was den im Begriffe der Autonomie als Selbstgesetzgebung liegenden scheinbaren Widerspruch betreffe: so sei diese eigene Gesetzgebung so zu verstehen, dass der Mensch als Noumenon das Gesetz gebe, als Phänomenon es erhalte. Drücke auch die Majestät des Gesetzes den Menschen als Phänomenon nieder, so wirke doch die Achtung vor dem Gesetze dermassen erhebend, dass nach Ueberwindung der Furcht und des Zitterns die Hoffnung auf Vermehrung der sittlichen Kraft, ja sogar die Bereitwilligkeit zur Gesetzeserfüllung sich einfinde, obschon der Mensch nie dahin kommen könne, alle moralischen Gesetze gern zu thun; denn dies sei nur dann denkbar, wenn in ihm nicht einmal mehr die Möglichkeit der Begierde, die zur Abweichung reize, vorhanden sei; dann aber müsste die Achtung vor dem Gesetze zur Liebe des Gesetzes, die Moralität und Tugend zur Heiligkeit selbst werden, ja das Geselz müsste aufhören Gebot zu sein: doch dies anzunehmen, sei religiöse oder moralische Schwärmerei. 2

Da diese Sätze direct und indirect auch gegen Ursprung und Inhalt des biblisch-christlichen Sittengesetzes polemisieren, so mögen die biblischen Urteile hier eine Stelle finden, die Kant's Prämissen widersprechen.

1) Krit. d. pract. Vernunft 64 f.; Relig. innerhalb d. Grenzen d. Vernunft 22. 42 f. 52.

2) Krit. d. pract. Vernunft 139 ff. 149 ff. 230 ff.; Religion innerhalb d. Grenzen d. Vernunft 18 f. 55 ff. 87 ff. Vgl. Erdmann, Gesch. d. Philos. II, 348 ff. Zur Kritik vgl. Pünjer, Die Religionslehre Kant's 1874; Hildebrand, Grundlinien der Vernunftreligion Kant's 1875. Jener betont besonders die Selbstwidersprüche Kant's bei Bestimmung von Religion und Sittlichkeit, dieser weist die Unmöglichkeit einer blossen Vernunftreligion nach. Thilo, Gesch. d. Philosophie 233 f. (1881, 2. Aufl.).

Dass im Innern des Menschen ein Gesetz sich vorfinde, das mit absoluter Machtvollkommenheit ausgerüstet seine Forderungen fort und fort ausspreche, dessen Ursprung aber für uns rätselhaft sei, ist eine der Grundlehren auch des neuen Testamentes (Röm. 2, 14 ff.; 7, 15 ff.). Aber es erscheint da nicht als Vernunftgesetz, geschweige als absolutes Vernunftgesetz: von der erfahrungsmässigen sittlichen Beschaffenheit des Menschen ausgehend protestiert das Christentum (wie jede positive Religion) gegen den angeblichen Vernunftursprung des höchsten Gesetzes sowie gegen dessen Absolutheit. Des Menschen vous erscheint derart durch die in σάρξ und μέλη dominierende ἁμαρτία geknechtet, dass die erste Forderung des Christentums die μetávola ist, d. h. völlige Umwandelung des vous. Diesem finster gewordenen Auge fehlt die Sehkraft für das hoch über dem Menschen, wie er ist, stehende Heilige (Matth. 6, 23). Ihm kann das oberste Gesetz weder entstammen noch entsprechen (Röm. 7, 12. 14).2 Dieses oberste Gesetz ist seinem Ursprunge nach göttlich (vóuos to deou

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1) Matth. 3, 2; 4, 17; 5, 3. 6; Joh. 3, 5. 8. 3; 1, 3. 5. 11 f.; Eph. 2, 8; 4, 17. 18. 23. 24. Die pevτávora ist keineswegs nur That des Menschen, sie vollzieht sich nicht ohne göttlichen Gnaden- und Geistesbeistand; vgl. Weiss, Bibl. Theologie 68-70. 243 ff.

2) Im neuen Testamente findet sich vouc an 22 Stellen: 19 mal in den Paulinischen Briefen, 2 mal in der Apokalypse, 1 mal bei dem Pauliner Lucas; die Vulgata übersetzt vous meist mit sensus (Röm. 1, 28; 11, 34; 12, 2; 14, 5; 1 Cor. 1, 10; 2, 16; 14, 14 f.; Eph. 4, 17; Phil. 4, 7; Col. 2, 18; 2 Thess. 2, 2; Apokal. 17, 9; Luc. 24, 45), seltener mit mens (Röm. 7, 23. 25; 1 Cor. 14, 19; Eph. 4, 23; 1 Tim. 6, 5; 2 Tim. 3, 8; Tit. 1, 15) einmal mit intellectus (Apokal. 13, 18): nie durch (Kant's) ratio. Während vous (von vocĭv), sensus (von sentire), Vernunft (von vernehmen) vorwiegend rezeptiv ist, ist die Kant'sche ratio mehr spontan, sie sucht und entwickelt, sie beurteilt und befiehlt. Dass Paulus vor allen anderen Aposteln den vous und die Notwendigkeit seiner Reformation betont, hängt mit seinem Apostolat unter den Heiden, unter den Hellenen zusammen. Als theoretisches Fassungsvermögen erscheint vous Luc. 24, 45; Phil. 4, 7; Apok. 13, 18; 17, 19; 1 Cor. 14, 14. 15. 19; als sittliche Denkart, als Gesinnung und Ueberzeugung mit Beziehung auf die Beeinflussung des Willens Röm. 1, 28; 7, 23; 11, 34; 12, 2; 1 Cor. 2, 16; 1 Tim. 6, 5; 2 Tim. 3, 8; Eph. 4, 17. 23; Tit. 1, 15; Col. 2, 18; Röm. 14, 5; 1 Cor. 1, 10; 2 Thess. 2, 2: so dass also die sittliche, die practische Anlage und Funktion des vous vorwiegend betont wird. Vgl. Delitzsch, Bibl. Psychologie 139 ff.; Beck, Bibl. Seelenlehre 48 ff.; v. Zezschwitz, Profangräcität 69 ff.; Weiss, Bibl. Theologie 247 ff. 345 f. 458. 578.

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Röm. 7, 25; 8, 7), seinem Wesen nach geistig im specifischchristlichen Sinne (Röm. 7, 12. 14): denn Gott ist Geist schlechthin (Joh. 4, 24; 16, 8-11; 2 Cor. 3, 17). Göttlich und geistig ist nicht nur Israels (Röm. 9, 4; 2, 17; 3, 2; Glt. 3, 19; Hebr. 2, 2) besonders geoffenbartes Gesetz, sondern auch das der Heidenwelt ins Herz geschriebene und angeborene Gesetz, dessen Deutung durch das Gewissen, 1 dessen Erfüllung quoa 2 (d. h. in Folge der sittlichen Naturanlage) geschieht (Röm. 2, 14 f.) oder doch geschehen sollte. (Röm. 1, 21 ff. 7, 15 ff.).

Denn ein repos (anders, nicht nur der Zahl, sondern auch der Art nach) νόμος, dessen Sitz und Organ die σάρξ, die μέλη sind und das von der ἁμαρτία ausgeht, hält den νόμος θεοῦ nieder (Röm. 7, 23. 25). Der Mensch ist erfahrungsmässig oápivos, ὑπὸ τὴν ἁμαρτίαν πεπραμένος und deshalb steht ihm der νόμος πνευματικός fremd, feindlich gegenüber; der ἔσω ἄνθρωπος und der noch nicht aller sittlichen Kritik und Energie bare vous ist ja

1) Die ouvetonos gehört zum natürlichen Geistesleben des Menschen (Röm. 2, 15; 13, 5; 1 Cor. 8, 7. 10. 12; 10, 25-29; 2 Cor. 1, 12; 4, 2; 5, 11) und fällt das Urteil über die sittliche Qualität der Handlungen und Gesinnungen (Hebr. 13, 18), auch ehe sie (ý suvelòŋsic) zur Stimme des лνεйμа (artov) im Wiedergeborenen wird. Das Wort (tò ouvaldós, später erst ouvetonos) entstammt dem Heiden tume; es findet sich nicht bei Israel, dem Volke des geschriebenen und in zahllose Satzungen (365 Verbote, 248 Gebote) gegliederten Gesetzes. Wie der vous kann auch die ouvetonos (das innere Bewusstsein um den Herzenszustand) sich verdunkeln (2 Tim. 1, 9); Wissen und Gewissen hängen zusammen wie Irrtum und Schuld (Matth. 6, 23; Röm. 1, 19 ff. 23 ff.; Eph. 4. 17-23). Vgl. Weiss, Bibl. Theologie 146. 345 f. 458. 487 f.; Ebrard, Apolog. I, 215 f.; Baumstark, Apolog. I, 210 ff. 219 ff; Luthardt, Zeitschr. f. kirchl. Wissenschaft 1880, Heft 1, 24 ff.; Harless, Ethik (6. Aufl.) 51 ff.; Ulrici, Gott und Mensch I, 634 ff.; Rud. Hofmann, Lehre vom Gewissen 1866; Kähler, Das Gewissen (I, 1: Altertum und neues Testament) 1878; Delitzsch, Biblische Psychologie 95 ff.; v. Zezschwitz, Profangräcität 75; Martensen, Ethik I,

457-473.

2) Das puse in Röm. 2, 14 legt ein Zeugnis ab für die anima naturaliter Christiana, der (Röm. 1, 19 ff.) Gott sich in der Natur (tà moiýμata) durch den vous (td vooúμeva) offenbart. Dem stoischen Gesetze (τñ qúsa ópoλorovμévos v) liegt die Wahrheit zu Grunde, dass die Naturordnung eine göttlich sanktionierte und für das Menschenleben typische ist; auch die Gleichnisse des Herrn sehen in der Naturordnung Symbole und Spuren des göttlichen, rein geistigen Lebens. (Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis.)

ohnmächtig, es zu erfüllen. 1 Unerreichbar steht das hehre Gesetz Gottes (oder des Geistes) über der gesunkenen Menschheit, so lange sie nicht durch den charismatischen Gottesgeist auf Grund eigener μετάνοια umkehrt vom Wandel ἐν ματαιότητι τοῦ νοός und ἀνανεοῦται τῷ πνεύματι τοῦ νοός (Eph. 4, 17. 23.).

Nur scheinbar leistet die Paulinische Stelle Röm. 7, 23 der Kant'schen Behauptung vom Vernunftursprunge des Sittengesetzes Vorschub, sofern die Worte τῷ νόμῳ τοῦ νοός (vgl. 7, 22: κατὰ τὸν ow avрwлоv) Kant's Satz zu bestätigen scheinen, dass der Mensch als Noumenon das Gesetz gebe (als Phänomenon es erhalte.) Doch 1) ist to voós nicht gen. auctoris, sondern lokal zu verstehen entsprechend dem vorausstehenden (ἕτερον νόμον) ἐν τοῖς μέλεσιν, abgesehen davon, dass V. 22. 25 ausdrücklich als Autor des Gesetzes Gott genannt ist. 2) Der Kant'sche Gegensatz zwischen dem Noumenon und Phänomenon des Menschen deckt sich nicht mit dem

1) Das psychologische Verhältnis zwischen vous und dem animalischen лзμа erhellt aus Eph. 4, 23; 1 Cor. 14, 14-19; vouc ist spontan, aktiv, er urteilt, indem er dialektisch von den Erscheinungen auf das Wesen schliesst; võμa ist zunächst passiv (Endung pa, afflatus divinus) und wird in rätselhafter Weise, innerlicher und heftiger als jener erregt durch Eindrücke, die sich der rationalen Kritik entziehen. Eph. 4, 23 lautet die Forderung ανανεοῦσθαι τῷ πνεύματι τοῦ νοός, d. h. nicht nur τῷ vot, sondern im Innersten, im Sanctuarium des vouс (Bengel: пvεõμa penetrale to voós; spiritus est intimum mentis). Vgl. Weiss, Bibl. Theol. 249 ff. 345 f. In 1 Cor. 14, 14 ff. stehen sich veõμɑ und voç gegenüber: den Geist entführt die ekstatische, rein persönliche und individuelle, darum objektiv unverständliche Begeisterung nach der Höhe, so dass eine Kluft sich aufthut zwischen der stürmisch erregten Gefühlsempfindung und dem nüchternen, allgemein verständlichen Vernunftausdruck; was der Geist unmittelbar empfindet in einer höheren Sphäre, soll der vouę nur übersetzen in die Sprache des gewöhnlichen Lebens; freilich versagt ihm gar leicht die Sprache gegenüber den dunkelen, der gewöhnlichen (psychologischen Erfahrung fremden Gemütsphänomenen; daher vous äxaprós èoτ für die Hörer (denn fructum habet, sed non affert). Vermag nun der vous nicht einmal, der Interpret des rein natürlichen Geisteslebens im Menschen zu sein, so ragt er vollends nicht empor zum Verständnis des πνεῦμα (ἅγιον) deo, der reformatorischen Macht der Gnade, des gottgegebenen Principes des neuen Lebens (Röm. 1, 28; Eph. 4, 17; Col. 1, 9; 2, 18; Apg. 3, 19; 26, 20; 1 Cor. 2, 16; Röm. 12, 2; Hebr. 6, 1; Apokal. 2, 21 f.; 9, 20 f.; 16, 11); vgl. Luthardt, Lehre v. freien Willen 397 ff.; Weiss, Bibl. Theol. 326 ff. 331 ff. 353 f. Ueber die relative Hoheit des vouç vgl. Weiss, a. a. O. 248-253. 386; Pfleiderer, Paulinismus (1873) 62.

Paulinischen zwischen νοῦς und σάρξ (μέλη), denn beide letztere Potenzen (im homo nondum renatus) haben bei Paulus über sich das von Kant ignorierte πνεῦμα (ἅγιον) θεοῦ, d. h. die übernatürliche Potenz der Erlösung (im homo renatus). 3) Eine Parallele zu dem Kant'schen Noumenon des Menschen könnte allenfalls bei Paulus in (1 Cor. 15, 45 ff.) dem ,,Geistesmenschen" gefunden werden, der als Urbild der neuen, zweiten Menschheit und als Antitypus der empirischen sündigen Menschheit erscheint; jedoch ist die Parallele nicht durchführbar, da Kant die Objectivität des Erlösers und des charismatischen Geistes leugnet und in subjective Gedanken oder Eigenschaften umsetzt: ein Verfahren, das als letzte Konsequenz die Identifizierung von Gott und dem Noumen on des Menschen fordert, als deren Ausfluss die absolute Geltung des Vernunftgesetzes als eines dem Menschen immanenten erscheint. 1

Kant's Erklärung: „reine Vernunft ist für sich allein practisch und giebt ein absolutes Gesetz" dürfte sich als eine Erschleichung herausstellen sowohl betreffs des Ursprunges, als des Wortlautes, als der Gültigkeit und Wirksamkeit des Gesetzes.

Unmittelbar aus der Vernunft leitet Kant sein „,absolut gültiges" Gesetz ab. Und doch ist es mit der practischen Vernunft nicht mehr res integra, nicht mehr eignet in concreto der Vernunft die ihr an sich ja zukommende Fähigkeit, allgemein Gültiges festzusetzen. Die intelligible That kommt ja auf Rechnung des Noumenon im Menschen und seiner Freiheit; und jene

1) Den Anspruch des älteren Rationalismus, seine Vernunftlehren als Kern der Schriftlehren, anerkannt zu sehen (vgl. Weiss, Bibl. Theol. 21. 24; Kahnis, Innerer Gang d. Protest. II, 102. 106 ff. 121 f.) weist u. a. Rothe (Theol. Ethik III, 161 f.) nachdrücklichst zurück. ,,Das Sittengesetz darf nicht als natürliches bezeichnet werden; von Natur liegt wohl das unabweisliche Bedürfnis desselben in uns, aber nicht es selbst, auch nicht das Vermögen es aufzufinden. Es ist somit auch kein s. g. Vernunftgesetz. Im Zustande der Integrität der Vernunft würde es überhaupt nicht vorkommen, von der alterierten kann es schlechthin nicht entdeckt werden. Es kann vielmehr nur ein positives sein, d. h. ein dem Menschen mit seinen Anmutungen sich von aussen her mit einer ihm gebietenden Autorität gegenüberstellendes. Es ist nur als göttliches denkbar (unbeschadet übrigens seiner geschichtlichen Vermittelung): denn kein natürliches menschliches Individuum steht ausserhalb der Sünde und der durch sie angerichteten Verwirrung."

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