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Pfarrwahl und Kinderraub.

Kurz nach der Wahl eines ersten Geistlichen freisinniger Richtung in der Bundeshauptstadt Bern wurde daselbst am hellen Tag ein siebenjähriger Knabe des Herrn Bürki, desselben Herrn, welcher jüngst eine prachtvolle Sammlung Alterthümer zu Geld machen ließ, von einer Dirne aus der pietistischen Verberschule geholt und dessen Vater die Drohung zugestellt, daß er sein Kind nur dann lebend wieder finden solle, wenn er an einem bezeichneten Ort 50,000 Franken deponire. Es ist betrübend, daß dergleichen sizilianische Räubergeschichten in unserer Schweiz auch nur probirt werden wollen, und Jedermann fühlte sich wie von einem Alp befreit bei der Nachricht, daß der schändliche Erpressungsversuch rechtzeitig entdeckt und der Knabe folgenden Tages gesund und heil seinen Eltern wieder in die Arme geführt worden sei. Aber nicht weniger betrübend ist für unser Gefühl, daß ein pietistisches Blatt sich soweit erniedrigen kann, dieses Verbrechen mit der Reform in Verbindung zu bringen. Der „christliche Volksbote“ schreibt nämlich nach allerlei Fabeleien von wunderbarer Fügung und Erhörung vieler Gebete wörtlich Folgendes: „Das ist eine Antwort auf die legte Pfarrwahl. Wer Ohren hat zu hören, der höre!“

Angenommen, der Knabe hätte statt der pietistischen Lerberschule die liberale Staatsschule besucht, dann würde der „Volksbote" ohne Zweifel von wunderbarer Fügung und Gebetserhörung ganz geschwiegen und in die Welt hinaus geschrieben haben: Seht, in eurer ungläubigen Staatsschule sind die Kinder am hellen Tage nicht mehr ihres Lebens und vor Dirnen sicher! Und angenommen, bei der Pfarrwahl hätte die Partei des „Volksboten" gesiegt, dann wäre der Kinderraub gewiß keine Antwort darauf ge= wesen! So drehen Etliche vom Geist der Wahrheit verlassene Leute die Thatsachen der Geschichte, wie die Worte der Bibel ganz nach Bedürfniß und Neigung ihres fleischlichen Sinnes.

Anzeige. Im Depot der freisinnig religiösen Schriften, Münsterberg 12, sind sämmtliche im Verlag des Schweizerischen Vereins für freies Christenthum erschienene Schriften, sowie eine hübsche Auswahl in Konfirmationserinnerungen, Buchzeichen und Stammbuchblättern, ferner Berchtholds Buch vom wahren Christenthum und das vom deutschen Protestantenverein herausgegebene Andachtsbuch zu haben. A. St.

Bei Kaspar K¤üsli, lith. Kunstanstalt Zürich, sind in Partiebezügen zu haben :

Trauungsblätter in geschmackvollem Farbendruck à 25 Centimes. Konfirmationsblätter, bisherige Ausgabe, anstatt 15 nur 10 Cts. Konfirmationsblätter, neue Ausgabe, 20 Centimes; mit Sprüchen (50 neue zur Auswahl) 5 Ets. mehr. H 668 Z

Druď und Expedition: Vereinsbuchdruckerei, Spalenvorstadt 3, Basel.

Fünfter Jahrgang.

N. 14. Samstag, 8. April 1882.

Schweizerisches Proteftantenblatt

Herausgeber:

Pfr. A. Altherr u. Pfr. E. Linder in Basel, Pfr. Bion in Zürich.

Wir sollen nur nicht in Sinn nehmen, daß der heilige Geist gebunden sei an Jerusalem, Rom, Wittenberg oder Basel, an deine oder eine andere Person. In Christo allein ist die Fülle der Gnade und Wahrheit.

Decolampad an Futher.

Erscheint jeden Samstag. Man abonnirt auf jedem Postamt der Schweiz und des Auslandes. Preis per Vierteljahr franko zugesandt 1 Fr. Wer das Blatt in Basel gratis erhalten will, kann dasselbe in der Vereinsbuchdruckerei, Spalen 3, abholen.

Um Tage der Konfirmation.*)

Es war ein wunderbar schöner Frühlingsmorgen, wie man in den letzten zehn Jahren keinen erlebt hatte. Schon lange bevor die Glocken erklangen, hatte sich eine größere Schaar festlich gekleideter Kirchgänger vor der Kirche zusammengefunden. Mitten hinourch gingen in Haftigem und doch feierlichem Schritt schwarz und weiß gekleidete Knaben und Mädchen dem der Kirche nahe gelegenen Schulhause zu. Dort sollten die Konfirmanden sich sammeln, um dann in feierlichem Zuge unter dem Geläute der Glocken, geleitet von dem Pfarrer, wie eine Heerde hinter ihrem Hirten, in's Gotteshaus zu wandern.

In den vordersten Bänken der Kirche saß ein Mann von bleichem, schmächtigem Aussehen; er mochte wohl am Anfang der vierziger Jahre stehen; auf seinem Haupte sah man noch kein graues Härlein; allein seine ganze Haltung, seine schmale Gestalt, sein gebeugter Rücken gaben nur zu deutlich zu erkennen, daß ihn Krankheit quäle, daß wohl seine Tage gezählt seien. Als er die Schritte der Konfirmanden im Kirchgang vernahm, wurde er noch bleicher, als er schon gewesen, und beim Anblick eines Knaben und eines Mädchens, die neben einander einher gingen, indeß sonst Knaben mit Knaben und Mädchen mit Mädchen gesellt waren, da füllte sich sein Auge mit Thränen. Es waren seine Kinder, Zwillinge, die so herzinnig miteinander verbunden waren, daß auch in der ernsten Stunde der Konfirmation sie nicht von einander lassen wollten. Die Mutter, versteckt in der großen Schaar von Müttern, welche den Altar umringten,

*) Aus einem soeben erschienenen Büchlein von Fr. Riff, Pfarrer in der Ruprechtsau.

blickte mit ängstlichen Mienen bald auf den Gatten, bald auf die beiden Kinder. Sie hatte tausendfachen Grund, besorgt zu sein. Ihr Mann war schon seit einem Jahr von schwerer Herzkrankheit ergriffen. In der leßten Zeit hatte sich das Uebel auf eine sehr bedenkliche Weise gesteigert; und nur in Folge einer großen, übergroßen Willensanstrengung war es ihm möglich gewesen, heute den Kirchgang anzutreten. Wird er aber auch bei dieser außergewöhnlich langen Feier aushalten können? Wird nicht mit Einem Male seine Kraft zusammenbrechen? Ist nicht das Schlimmste zu befürchten ? Das waren die Gedanken, die des armen Weibes Herz bewegten. Doch gottlob! es ging besser, als sie gedacht. Die Konfirmation hatte ihren schönen Verlauf. Aller Augen füllten sich mit Thränen der Rührung, als die Zwillinge vor dem Altar zusammenstanden und der Pfarrer ihnen mit Händeauflegung den Segen ertheilte. Auf des Vaters Angesicht leuchtete es wie ein Verklärungsglanz, wie ein stilles Dankgebet, daß Gott ihn noch diese Stunde hatte erleben lassen. Seine Kinder faßten seine Hände, als er nach geen= digter Feier mit ihnen nach Hause wanderte, und den Rest des Tages, wenn er auch nicht viel redete, saß er so selig mitten unter den Seinen, zuerst ein halbes Stündlein in dem schon gut durchwärmten, sonneerfüllten Garten und dann in dem kleinen Sälchen neben der Wohnstube. Vor dem Schlafengehen, nachdem er noch aus dem 51sten Psalm den zwölften, dreizehnten und vierzehnten Vers gelesen, und ein kurzes, aber aus seinem innersten Herzen hervorquellendes Gebet gesprochen, reichte er den beiden Kindern jedem ein blau eingebundenes Büchlein, mit der Bitte, sie möchten es als ein Andenken an den heutigen Tag tren bewahren und den Inhalt desselben ihrem Herzen einprägen.

Den andern Tag erschien der Vater nicht zum Frühstück; in der Nacht hatte er Erstickungsanfälle gehabt, die ihn außerordentlich ermüdeten. Es ging noch einige Tage lang; am Charfreitag Nachmittag wurde er beerdigt. Hinter seinem Sarge schritten die Zwillinge; sie hielten sich bei der Hand, wie dort, als sie zur Konfirmation in die Kirche traten; auf ihrem Gesichte konnte man lesen, daß, wenn auch das tiefste Erdenleid sie erfaßt, sie doch auch ein Stückchen Himmelsfrieden in der Seele trugen. Was sie am meisten mit Trost erfüllt hatte, das waren die Worte des Büchleins, das am Abend des Konfirmationstages ihr Vater ihnen in doppelter Abschrift in die Hände gelegt, und das sie nun schon zu verschiedenen Malen mit thränendem Auge gelesen hatten. Der Inhalt dieses Büchleins war folgender:

Liebe Kinder! Als vor einem Jahr die Krankheit mich erfaßte, die mir schon so viele Schmerzensstunden gebracht hat, habe ich Gott inbrünstig

gebeten, er möge mir doch das Leben erhalten bis zu dem Tag, wo ihr beide zur Konfirmation vor dem Altare knieen werdet. Wie es scheint, soll diese meine Bitte erhört werden. Ich fühle mich zwar äußerst schwach und nur mit größter Anstrengung und mit zitternder Hand schreibe ich diese Worte nieder. Allein ich hege dabei das Vertrauen, daß ich erst nach Eurer Einsegnung werde zum ewigen Frieden eingehen. Ich fürchte das Sterben nicht; aber das Scheiden von Eurer Mutter und von Ench, liebe Kinder, fällt mir schwer, schwerer, als Ihr es Euch nur denken mögt. Doch ge= rade darin erkenne ich die Herrlichkeit unseres Christenglaubens, daß ich unter dieser Kreuzeslast nicht zusammengebrochen, daß mitten in allem Leid ich wieder in meinem Gott so selig bin

Liebe Kinder, ich habe gestern nicht weiter schreiben können, Das Herz klopft so heftig in mir, daß ich mühsam mit dem Athem ringe. Ich möchte Euch sagen, wie es mir ergangen ist auf meinem Lebenswege. Es ist mir nicht gerade leicht geworden. Ich habe frühe meine beiden Eltern verloren. Des Vaters erinnere ich mich nicht; aber das Bild meiner Mutter ist mir in der Seele geblieben. Ich durfte nur die Augen schließen, so ruhte ihr mildes Auge auf mir. Dieses Auge hat mich wunderbar behütet in mancher Stunde der Anfechtung. Im Hause meiner Pflegeeltern ward mir viel Liebe zu Theil; und doch fühlte ich stets etwas in mir, wie ein stilles Heimweh. Das Beste aber, was mir geworden, verdanke ich dem Pfarrer, der mich konfirmirt hat. Es war kein hochbegabter Mann; seine äußere Erscheinung war gering; aber er hatte ein Herz so lauter wie Gold; dabei war sein Glaube so einfach, so kindlich; seine religiösen Grundsäße, wenn auch nur wenige der Zahl nach, trug er mit solcher Wärme vor und wußte sie so den Kinderherzen einzuprägen, daß sie sich mit denselben für allimmer unauflösbar verbanden. Wenn auch später in vielen Beziehungen meine religiöse Erkenntniß gewachsen ist, so hatte ich doch stets das tiefe Friedensgefühl, daß ich nur fortzubauen hatte auf der mir im Religionsunterricht gewordenen Grundlage. Möge dieses Glück auch Euch, liebe Kinder, zu Theil geworden sein!

Ich fühle mich heute wohler, als alle diese Tage, und möchte diese schöne Stunde, wo die Sonne so freundlich auf meinen Schreibtisch fällt, benützen, um Euch von dem zu reden, von dem ich mit freudigem Munde sagen kann, daß er der Kern und Stern. meines ganzen innern Lebens gewesen und es noch ist. Ich habe mich immer aller Grübeleien über Jesus entschlagen. Die zwei Sprüche, die mir Alles sagten, und mir völlig ge= nügten, sind die zwei Worte im Evangelium Johannis: „Der Vater ist größer denn ich" und "Ich und der Vater sind Eins", eins nämlich in

Heiligkeit und Liebe. Dazu kam der Ausspruch Jesu: „Des Menschen Sohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist". In allen meinen Nöthen,`Kämpfen und Anfechtungen, wenn ich im Geist ihn suchte, zu ihm aufschaute, habe ich die Kraft seiner rettenden Liebe erfahren, habe ich ihn gefunden im vollsten Sinne des Wortes als meinen Heiland

Heute nur ein kurzes Wort, um Euch zu sagen, daß die schönste Gabe aus Jesu Hand mir die ist, daß ich Gott mit ganzem Herzen Vater nennen kann. Wenn mir dieses Eine Wort Vater genommen würde, so würde es auf einmal Nacht um mich werden. Ich kann kaum mit Worten aussprechen, welch' eine Fülle von Trost, von Friede, von Freude mir in dem Einen Gedanken liegt, daß ein treues Vaterherz über mir wacht, daß eine treue Vaterhand mich leitet, daß Alles, auch die schwerste Prüfung, aus geliebten Händen kommt. Mein höchstes Streben war stets darauf gerichtet, meinem himmlischen Vater gegenüber völlig klar und wahr zu sein, und wenn ich in Sünde und Leichtsinn mich von ihm abgewendet, ihn zu suchen und mich wieder an sein Herz zu legen. Vaterliebe ist der Art, daß sie gar nicht aufhören und absterben kann. Alle andere Liebe mag schwinden, aber die Vater und Mutterliebe, sie wird nicht müde. Diese Liebe ist uns am schönsten geschildert im herrlichsten aller Gleichnisse vom verlorenen Sohn. O habt auch Ihr, liebe Kinder, dieses Gleichniß lieb von ganzer Seele und prägt es immer mehr Euern Herzen ein. Was leider meine Vaterliebe Euch nicht geben kann, das wird Euch Alles in der Liebe des himmlischen Vaters zu Theil werden.

Am Tage der Konfirmation wird Jedes von Euch eine eigene Bibel von mir erhalten. Möge diese Bibel Euch begleiten bis an Euer Lebensende. Die Bibel kann man nie ganz auslesen, und würdet Ihr sie hundert Mal von Anfang bis zu Ende durchlesen, Ihr würdet jedes Mal darin neue Schäße der Erkenntniß und neue Segnungen finden. Die Bibel wächst mit dem Menschen; je mehr man hat, desto mehr gibt sie einem. Es liegt in ihr eine wunderbare Verjüngungskraft. Es gibt in ihr eine große Anzahl von Aussprüchen, die unmittelbar das Herz bewegen, jenen reifen Früchten vergleichbar, die beim geringsten Schütteln des Baumes einem in die Hand fallen, und im Munde vergehend, einem wunderbar erquicken. Allein auch da, wo beim ersten Lesen man nur leere Aeste sah, sieht man später Früchte sich erzeigen, die man nicht geahnt, und die wie über Nacht daran sich gebildet haben. Wie oft habe ich mit anbetendem Staunen erfahren, daß, wo ich früher nichts gesehen, ich die unvergleichlichsten, herrlichsten Lebensworte gefunden.

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