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Fünfter Jahrgang.

No 17.

Samstag, 29. April 1882.

Schweizerisches Proteftantenblatt

Herausgeber:

Pfr. A. Altherr und E. Linder in Basel, Pfr. Bion in Zürich.

Wir sollen nur nicht in Sinn nehmen, daß der heilige Geist gebunden
sei an Jerusalem, Rom, Wittenberg oder Basel, an deine oder eine andere
Person. In Christo allein ist die Fülle der Gnade und Wahrheit.
Decolampad an Luther.

Erscheint jeden Samstag. Man abonnirt auf jedem Postamt der Schweiz und des Auslandes. Preis halbjährlich franko zugesandt 2 Fr. Wer das Blatt in Basel gratis erhalten will, kann dasselbe in der Buchdruckerei J. Frehner, Steinenvorst. 12, abholen.

Charles Darwin.

Mit dem Tode Darwin's ist einer der glänzendsten Sterne am wissenschaftlichen Himmel der Gegenwart erloschen, ein Stern, dessen Glanz den einen Theil der gebildeten Welt in staunendes Entzücken, den andern in ängstliche Unruhe verseßte. Aehnlich wie auf theologischem Gebiete das ,Leben Jesu“ von Strauß, hat das im Jahr 1859 erschienene Werk Darwin's „über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl“ für die Naturwissenschaft Epoche gemacht, bahnbrechend, umgestaltend, mit durchschlagender Präzision und unwiderstehlicher Wahrheitskraft. Und ähnlich wie Strauß ist Darwin der Mann geworden, um dessen Namen sich der große Streit zwischen einer veralteten und einer neu auftauchenden Weltanschauung dreht. Was man „Darwinismus“ und „darwinische Theorie“ nennt, ist nichts anderes als die systematische Durchführung der Idee einer natürlichen Entwicklung und eines gesetzmäßigen Zusammenhangs der orga= nischen Wesen, eine Vertauschung der alten Wundervorstellung gegen die natürliche Anschauung, daß die Welt in allen ihren Theilen von unabänderlichen Geseßen regiert wird. Daher die Freude der Einen, neue Blicke thun zu können in den Haushalt der Natur, und der Schreck der Andern, die durch die neue Theorie die alten religiösen und sittlichen Begriffe ge= fährdet glaubten.

Man irrt aber sehr, wenn man glaubt, Darwin habe durch seine Schriften dem hergebrachten kirchlichen Glauben einen Stoß versehen oder geradezu eine alles organische Leben umfassende und erklärende Theorie aufstellen wollen. Zumal jene Behauptung, welche für die große Menge als der Inbegriff der Darwin'schen Theorie gilt, daß nämlich der Mensch vom Affen abstamme, rührt nicht im mindesten von Darwin her, sondern ist eine

voreilige und unwissenschaftlich gezogene Schlußfolgerung einiger materialistischer Apostelköpfe. Man mag ja auf dem Wege gewissenhafter Forschung auf einen natürlichen Zusammenhang in der Entwicklung von Thier und Mensch gelangen, und es fällt uns nicht ein, der forschen den Gelehrtenarbeit ein solches Ergebniß verbieten zu wollen Darwin selbst hat mit jener Behauptung nichts zu thun.

Darwin war überhaupt nicht der Mann, der nach einigen gemachten Beobachtungen sogleich mit ein paar kecken Strichen ein neues Gesammtbild von Himmel und Erde entwirft; seine Stärke und seine Riesenarbeit bestand in der sorgfältigen und gewissenhaften Erforschung eines ganz engbegrenzten Gebietes. Schon vor ihm hatte ein anderer Darwin, wahrscheinlich ein Verwandter, mit Vorliebe das Leben der Pflanzen und die Gesetze der organischen Entwicklung durchforscht, und vereinzelt waren hie und da von Philosophen und Naturforschern die Grundgedanken des jezt sogenannten Darwinismus ausgesprochen worden. Des großen Gelehrten Verdienst war nun, diese Gedanken mit genialem Forscherblick und gewissenhafter Untersuchung zu einem System auszugestalten. Nachdem er in den Dreißiger Jahren auf einer mehrjährigen Reise um die Erde sich ein reiches Material für seine Untersuchungen gesammelt, lebte er seit 1842 auf seinem Landsiß in der Grafschaft Kent, durch schwächliche Gesundheit an seine Wohnung gebunden, ein Stubengelehrter in eigentlichstem Sinne, und veröffentlichte hier die Resultate seiner Beobachtungen und Untersuchungen, die er unverdrossen durch sein Leben fortseßte. Seine Arbeiten beschränkten sich stets auf das eine enge Gebiet, und nie hat er den Weg streng wissenschaftlicher Behandlung verlassen, niemals einer bestrickenden Hypothese zu lieb etwas gesagt, was er nicht exakt zu beweisen vermochte, niemals eine andere Absicht gehabt, als in dem Umkreis des von ihm behandelten Gegenstandes die volle und reine Wahrheit zu finden.

Und doch haben seine Veröffentlichungen die Welt so mächtig erregt und ihn in den Augen aller Gläubigen sogar zu einem Attentäter auf Religion und Kirche gestempelt. Wie war doch das möglich? Wie kann ein Mann, der gelehrte Bücher schreibt über die Rankenfüßler, über die Befruchtung der Orchiden durch Insekten, über die Veränderungen und Geseze in der Abstammung der Thiergeschlechter, wie kann ein solcher Mann

in allen Gesellschaftskreisen so viel von sich reden machen?

Offenbar weil das Gesetz, das er im engen Umkreis seines speziellen Forschungsgebietes entdeckte, ein allgemeines, durch die ganze Welt gehendes Gesez ist, das Gesetz der natürlichen Entwicklung des einen aus dem andern. Das ist der große Werth der modernen Weltan

schauung, daß sie den Maßstab ihrer Untersuchung nur an einem einzelnen Punkt anlegen darf, um ein überall geltendes Gesetz zu finden. Da es keine Ausnahmen vom Naturgeseh gibt, keine Durchbrechungen des Naturzusammenhangs, keine Wunder, so braucht der Forscher nicht erst die einzelnen Fälle alle wieder neu zu untersuchen; dasselbe Geseß wiederholt sich in allen; von dem einen schließt er mit Sicherheit auf den andern. Was somit Darwin im Kleinen entdeckt, hat die heutige Welt sofort auf’3 Große und Allgemeine bezogen und war erfreut, auch hier ihre Voraussetzung eines durch alle Wesen hindurchgehenden Naturzusammenhangs bestätigt zu finden. Im Einzelnen sind die Aufstellungen Darwin's sowie die Folgerungen seiner Schüler immerhin der nähern Untersuchung bedürftig; manches ist jezt schon wieder überholt; im Großen und Ganzen aber wird seine Theorie Recht behalten.

Aber wie stimmt das zu den Begriffen Religion und Moral? Stößt der Darwinismus nicht das Christenthum vom Throne? Wir meinen : vielleicht das traditionelle Christenthum mit seiner überlieferten Anschauung von der Schöpfung, der Entstehung der ersten Menschen und dem Verhältniß zwischen Körper und Geist; aber nimmermehr das ächte Christenthum, das die Wahrheit besigen und immer besser das Walten des großen Gottes verstehen möchte. Wir halten es hierin mit einem der besten Theologen unseres Jahrhunderts, der gesagt hat: „Unzweifelhaft taugt das wissen„schaftliche Leben nur so viel, als es ein christliches ist. Aber dies darf „ja nicht etwa so verstanden werden, als wäre die christliche Wissenschaft „etwas anderes als eben die Wissenschaft an sich in ihrer gesunden, d. h. ,,freien Entwicklung. Eine aparte christliche Wissenschaft gibt es nicht; „wer eine solche anstrebt, bringt ein zwitterhaftes Unding heraus, das dem „Christenthum nur zur Schande gereicht. Die Kirche darf daher auch nie ,,hemmend eingreifen in die freie Entwicklung der Wissenschaft, nicht einmal „in die ihrer eignen, der Theologie. Im Interesse ihres eignen Bestehens „mag sie sich wohl oft dazu versucht fühlen; aber sie soll nicht behaupten, „daß sie sich im Interesse des Christenthums dazu veranlaßt finde. Das „Christenthum kann mit der Wissenschaft nie in Conflikt ge= „rathen.“

Von dieser Anschauung aus ist die Fehde, welche von kirchlichen und theologischen Kreisen aus gegen die Darwin'sche Theorie geführt wurde, eine wahrhaft bemühende Erscheinung. Erstlich ist doch die Zeit vorüber, wo die Theologie als die Zusammenfassung alles Wissens galt und darum über alles und jedes die unfehlbare Lehre zu haben behauptete. Zum andern sehe man doch, welchen ungeheuren Anstoß die Schriften Darwins der heu

tigen Naturforschung gegeben. Die alte Anschauung, wonach jede Pflanzen= und Thiergattung unmittelbar so wie sie ist, von Gott geschaffen worden, hatte den Forschungstrieb vollständig lahmgelegt; wo eine Sache fir und fertig aus Schöpfers Hand hervorgeht und ewig so bleibt wie sie ist, gibt es nichts mehr zu forschen. Darwin eröffnete dagegen ein noch unbebautes unermeßliches Feld interessanter Untersuchungen und Entdeckungen, indem er dazu anleitete, für Wesen von verschiedener Art und Lebensweise eine gemeinsame Ur- und Grundform zu suchen. Nicht umsonst ist Botanik und Zoologie in Verbindung mit geologischen und paläontologischen Studien gegenwärtig ein Lieblingsgebiet der Naturforscher; der Fleiß lohnt sich eben hier wieder in schönster Weise durch die Seligkeit der Erkenntniß.

Wie wenig endlich Darwin selbst sich eines feindlichen Gegensazes gegen Religion und Kirche bewußt war, geht daraus hervor, daß er persönlich sehr religiös, und zwar orthodox kirchlich war. Wir möchten das leßtere zwar nicht gerade als mustergültig bezeichnen, aber wenn wir vernehmen, wie der gelehrte Mann Sonntag für Sonntag mit seinem Gesangbuch zur Kirche wandelte, wie er täglich bei Tisch sein Gebet sprach, und wenn wir sehen, daß in seinen Schriften auch nicht ein Wort steht, das einen seindseligen Ton gegen die Religion enthielte, so mögen wir daraus schließen, daß naturalistische Wissenschaft und religiöse Denkweise nicht durchaus Gegensäße sein müssen.

Wir zählen mit Recht Darwin zu den größten Forschern unserer Zeit, und wenn wir lesen, daß seine Leiche neben derjenigen des großen Newton beigesetzt worden sei, so sehen wir darin einen Akt der Rechtfertigung, welchen das englische Volk dem so oft geschmähten Manne schuldig war.

L.

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Für unsere Kleinen.

Am Tage nach meiner Ankunft im Bad Liebenstein saß ich unter Badegästen vor dem Kurhause. Auf erkundigende Fragen nach den besuchenswerthesten Orten der Umgegend und den etwa vorhandenen Merkwürdigkeiten wurden mir dieselben genannt, und einer der Anwesenden fügte endlich hinzu, daß zu den Merkwürdigkeiten Liebensteins auch ein „alter Narr" gehöre, der tagtäglich mit den Bauernkindern des Dorfes herumspringe. Am andern Tage erfuhr ich, daß sich bei Liebenstein auch eine Erziehungsanstalt befinde, unter der Leitung von Friedr. Fröbel. Der Name war mir nicht unbekannt; ich hatte von seinen Kindergärten gehört und Einiges gelesen. Noch selbigen Tages besuchte ich ihn; er war der alte Narr", den die Kurgäste meinten. Ich fand den Mann in einer kleinen

Thalvertiefung, in der Nähe seiner Wohnung, mitten unter 30-40 Bauernkindern, welche sich, geführt und geleitet von erwachsenen Töchtern, spielend und singend umherbewegten. Ich war im Kindergarten. Fr. Fröbel, ein Greis von fast 70 Jahren, aber in noch jugendlicher Frische, gab die Spiele an und spielte mit. Die Kinder, meist in schlechter Kleidung, zum Theil zerlumpt und unvollständig, barfuß und ohne Kopfbedeckung, Knaben und Mädchen von 2-10 Jahren, spielten Spiele, die ich nachher unter den üblichen Namen näher kennen lernte. Entsprechende Liedchen begleiteten die muntere Thätigkeit der Kinder, deren Haltung den besten Eindruck machte und auf deren Gesichtchen kindliche Freude zu lesen war. Nach etwa einer Stunde endigte das Spiel, die Kinder stellten sich paarweise zusammen, die Kindergärtnerinnen nahmen die kleinern Kinder bei der Hand, und ein Schlußlied, von Allen gesungen, begleitete den heitern Zug nach dem Dorfe zurück."

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Diese Erzählung Ad. Diesterweg's, des berühmten Pädagogen, deutet sowohl das Schicksal Fr. Fröbel's, wie die Absicht des nach ihm genannten Kindergartens an. Fröbel war einer jener Menschen, die von ihrer Gegenwart verlacht, erst von den kommenden Geschlechtern gewürdigt werden. Ein Sohn der großen Revolution hat er, wie sein Geistesbruder Heinrich Pestalozzi, den Anstoß zu einer natur- und vernunftgemäßen Menschenerziehung gegeben. Als eine große, ewige Gottesoffenbarung erschien ihm das Gesetzmäßige des Natur- und Menschenlebens. Darauf wollte er die Erziehung des Menschen bauen, und sein besonderes Verdienst ist es, diese Erziehung als eine solche, die von frühester Jugend und vom Mutterleib an beginnen muß, allen Denkenden auf die Seele gebunden zu haben. Der einfache, große Gedanke seines Kindergartens ist: nicht mechanisiren und einpfropfen, sondern entwickeln und Kraft wecken! Heraus mit den Kleinen aus der dumpfen Stube ans helle Licht und an die frische Luft! Fort mit dem Gängelband, der Schablone und dem erzwungenen Stillsißen, dem Kinde freie, spielende Bewegung und Thätigkeit gegönnt! Weg mit dem welken Kram mechanischer, geisttödtender Gedächtnißübungen, entwickelt mit dem Kinde spielend seine gottgeschenkte Schaffens- und Gestaltungsluft! Dämpfet den Geist nicht, sondern gebt ihm entsprechende Nahrung, so werdet ihr selbstdenkende, sich selbstbeherrschende und sich selbsthelfende Menschen erziehen! Für diesen seinen Lebenszweck ließ er sich von der dumpfen Mitwelt ruhig einen alten Narren und von den Pietisten einen Gottlosen schelten. Seine Saat ist aufgegangen, nnd am legten 21. April 1882, hundert Jahre nach seiner Geburt, hat eine große und über die ganze Erde verbreitete Schaar seiner Anhänger dankbar seiner gedacht als eines Mannes, der schon Millionen von Kindern ein besseres Verständniß bereiten und ihren Lebensmorgen verschönern geholfen hat.

Mit seinem Kindergarten ist es nun wie mit der christlichen Kirche : Wie das Christenthum größer ist als jede einzelne Kirche, so ist Fröbel's Erziehungsprinzip eben auch größer als dieser und jener Kindergarten. Es ist der Sauerteig, der allmälig die gesammte Jugenderziehung zu durchdringen berufen ist. Manches, sehr Vieles von dem, was er anstrebte, ist über seinem Grabe bereits eingeführt worden, und ganz ohne Einfluß ist er auch auf die Kleinkinderschule vom alten Schlag nicht geblieben. Daz

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