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Wesens der evangelischen Orthodoxie die Menschheit reinigend, läuternd, vergeistigend, Wahrheit, Freiheit und Bildung schaffend gewaltig durchdrungen.

Freilich ist das Christenthum gegenwärtig mehr Sitte, Humanität, Licht, Wahrheit, Recht, Tugend, Fortschritt auf den verschiedensten Arbeitsgebieten dieser Erde. Aber ist denn das nichts Christliches? Wird der, welcher die Kindlein zu sich rief, um sie zu segnen, welcher das schwerste Verdammungsurtheil über die aussprach, die sie ärgern, d. h. irre führen, versäumen, nicht seine Lust sehen an der wachsenden Sorgfalt und Treue, mit der gerade in unserer Zeit die Pflege und Bildung der Jugend betrieben wird, an dem Eiser, mit dem man immer neue, bessere Mittel und Wege sucht, um sie zu brauchbaren Gliedern der menschlichen Gemeinschaft zu machen, an dem Heere von Unterrichts- und Erziehungsanstalten, die diesem erhabenen Zwecke dienen? Wird das Auge des, der das hungernde Volk speiste und der Armen und Kranken sich erbarmte, nicht mit Wohlgefallen auf den Tausenden von Anstalten ruhen, die als Wittwen-, Waisen-, Armenhäuser, als Blinden- und Taubstummenschulen, als Rettungs- und Versorgungs-Institute der verschiedensten Art dem Schuß, der Erhaltung der Hülflösen und Verlassenen, der Besserung der Gefallenen dienen? Kommt nicht etwas von der Gesinnung des barmherzigen Samariters zu Tage, wenn bei schweren Heimsuchungen, die einen Landbezirk, eine Stadt treffen, selbst Völker fremder Zungen ihre Gaben zu gemeinschaftlicher Hülfe spenden, wenn angesichts großen Elends sogar die Gegensäge der Confessionen schweigen? Wird der von Christus uns geoffenbarte Gott nicht sein Ja und Amen dazu sprechen, wenn die Wissenschaft gegenwärtig mehr als je zuvor die Herrlichkeit, Größe, die weise Ordnung, die Wunder der von ihm geschaffenen Welt kennen, verstehen, verehren und lieben lehrt? Wenn gerade in unserer Zeit die Geseze der Natur sich der menschlichen Forschung in der großartigsten Weise enthüllen; wenn Unwissenheit und Aberglauben selbst aus den Hütten mancher Niedrigstgeborenen sich flüchten müssen; sollte das nicht unter der Mithülfe des vom Erlöser selbst uns verheißenen Geistes geschehen, der in alle Wahrheit leitet? Lassen auch die sittlichen Zustände der Gegenwart noch viel zu wünschen übrig, so kann doch nur Unkenntniß oder Bosheit die Moral früherer Zeiten besser nennen als die unsrige; ein irgend eingehendes Studium der Vergangenheit lehrt bis zur Evidenz das Gegentheil.

Es muß bitter beklagt werden, daß ein Heer von Christen, in der irrigen Meinung, daß Orthodorie und christliche Religion dasselbe sei, der legteren mit Gleichgültigkeit, ja nicht selten mit Haß und Verachtung begegnet. Wie wenig der Geist unserer Zeit ein irreligiöser ist, ja wie mit Sicherheit ein Wiederaufleben lauterer Gottesfurcht und warmer Jesuliebe erwartet werden darf, wenn einmal die Herrschaft der Orthodoxie für immer gebrochen ist, das geht schon daraus hervor, daß unser Geschlecht gerade die zwei herrlichsten von Christo selbst in diese Welt gebrachten Himmelsgüter, den Frieden und die Liebe, in höheren Ehren hält als irgend ein früheres. Ja das christliche Volk versteht und schäßt ihren Werth, während wunderbarer Weise ein großer Theil der katholischen und evangelischen

Geistlichkeit, die Ultramontanen und die Orthodoxen, im Scheindienst Christi und seines Reiches, unter Christen Hader und Zwietracht säet.

Man begegnet heut zu Tage bei Gebildeten vielfach der Ueberzeugung, daß das Christenthum sich überlebt habe, und daß die Religion sich auf völlig neuen Grundlagen neu aufbauen müsse. Eines neuen Luthers bedürfe es, der einen neuen Glauben verkünde, neue Saaten der Gottesfurcht ausstreue. Die Orthodoxie, die mit kurzen Unterbrechungen 32 Jahr= hundert die protestantische Kirche beherrscht hat, kann stolz sein auf diesen religiösen Bankerott, vor dem eine große Anzahl wohldenkender Glieder dieser Kirche zu stehen glaubt. Glücklicherweise liegt dieser verzweiflungsvollen Stimmung ein großer Irrthum zu Grunde; sie entspringt der Verwechslung von Orthodorie und Glauben, von Confession und Religion. Die Quellen lauterster Religion sprudeln in der h. Schrift immer noch hell und reich; aber die Orthodoxie, welche bisher die Führerin der heilsbedürftigen Seelen war, hat sie zu denselben nicht geleitet; sie hat sie stets nur aus solchen Quellen trinken lassen, die ihr selbst mundeten, wenn sie jenen auch bitter und ungenießbar erschienen. Der gute Hirte ruft noch fortwährend die Mühseligen und Beladenen zu seiner Erquickung und will die Hungernden nähren mit dem Brod seines Lebens; aber die Orthodoxie kennt kaum mehr den lebenden Erlöser, sie redet nur von seinem Tode und seinem Blute. An tausend Stellen und in allen Sprachen, die das menschliche Gemüth redet und versteht, preist die Schrift den hohen Werth sitt licher Thätigkeit und spornt zu derselben an; aber die Orthodoxie läßt nicht ab zu lehren, daß wir von Natur zu jeder sittlichen Handlung unfähig, daß wir grundverderbt, daß wir geistig todt sind. Seit Jahrhunderten drängt sie sich an die weltlichen Machthaber und gaufelt ihnen vor, daß sie ihnen die Throne stüße, daß nur sie in dem Volk den Geist des Gehorsams, der Treue, der guten Sitte pflege; und sie hat doch immer nur ihr Eigenes gewollt, ihre eigenen Zwecke verfolgt, hat auch, wo die Herrscher ihr nicht zu willen waren leider waren das die Ausnahmen von der Regel entweder schmollend zur Seite gestanden, oder gar, wie in unserer Zeit die Ultramontanen, unter den Unterthanen Mißvergnügen und Trop gegen die von Gott gesezte Obrigkeit gefäet. Vorzugsweise mit ihrem Sichherandrängen an die Großen dieser Erde hat sie, deren Wortführer keineswegs immer blos in der Geistlichkeit zu suchen sind, von den Zeiten Konstantins des Großen an bis in die Gegenwart hinein ihr Dasein gefristet; aber das ganze urtheilsfähige Volk hält ihren Einfluß für einen unheilvollen, und die besten und verdientesten Männer an der Spize der Staaten leiden Schaden an ihrer Popularität, wenn sie mit dieser verderblichen Richtung gehen und auf die Stimme dieser bösen Rathgeber hören. Ihren politischen Einfluß hat die Orthodorie seit Jahrhunderten benugt, um die theologischen Lehrstühle an den Universitäten mit Männern ihrer Farbe zu besezen; deshalb huldigt auch jetzt noch die Mehrheit der Geistlichen, wenn auch nicht ihrer Herrschgier und Streitsucht, so doch ihren Dogmen, und ein Heer von Gemeinden und ihre Kinder werden in den letteren unterwiesen. Und doch sind ihre Tage gezählt; sie wird bald nur noch der Geschichte angehören, und man wird von ihr nur noch als einer

glücklich beseitigten schweren Verirrung reden. Mögen über die Frage, was religiöse und sittliche Wahrheit ist, die Urtheile noch so weit auseinander gehen das eine tritt als Bewußtsein, ja als Ueberzeugung des gegenwärtigen Geschlechts immer klarer und bestimmter zu Tage, daß die aufdringliche und herrschbegierige Orthodorie diese Wahrheit nicht ist. Sie ist gerichtet, gerichtet durch die Wissenschaft, gerichtet durch den gesunden Menschenverstand, gerichtet vor Allem durch den Geist der h. Schrift selbst.“ L.

And weiter!

In der Mark, nahe bei Münchberg, stand ehedem ein Wegweiser (ob er noch steht, weiß ich nicht), über welchen ich während meines Aufenthaltes in der dortigen Gegend oft gelächelt habe. Damals war ich jung. Jezt lache ich nicht mehr über die findliche Weisheit, die in der Aufschrift des hölzernen Armes enthalten war. Diese lautete: „Nach Libbenichen und weiter!"

Als wenn es sich nicht von selbst verstünde, daß man, wenn das Dorf Libbenichen erreicht ist, auch noch weiter gehen könnte, wofern man Bedürfniß und Lust und Kraft dazu hat. Es war das Anmuthige in dem Einfall des Dorfschulzen, welcher den Pfahl hatte sezen lassen, daß er das Allernatürlichste, das Selbstverständliche noch einmal besonders einprägte.

Allein der Einfall regt doch nicht nur zum Lächeln, sondern auch zum ernsteren Nachdenken an. Sehen wir einmal zu, was mit dem: „Und weiter!" sich Weiteres ergibt.

Wenn du, lieber Leser, auf der Eisenbahn fährst und den Anschlag gefunden haft, der nach dem Brunnen zeigt, so springst du wohl aus dem Wagen und eilst einen erquickenden Trunk zu thun oder dir Hand und Stirn zu neßen, preisest auch wohl diese verständige Anordnung der Behörde. Aber ein Anderes ist es, wenn du in einer größern Stadt in einen Hausflur trittst und an der Wand die wegweisende Hand findest mit den Worten: „Zur Restauration links." Wie gut wäre es für Manchen, wenn die Städter in gleicher Einfalt wie der Landmann dazu geschrieben hätten: Und weiter. Denn wohin geht's gar oft weiter? Da wird nicht nur gegessen und getrunken, soviel der Körper zu seiner Stärkung bedarf, sondern an ein Glas schließt sich ein zweites, ein drittes, viele, und wer weiß, wie es weiter geht.

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Ja, wenn wir das „Und weiter“ auf andere Gebiete übertragen, wäre es nicht hochnöthig, daß wir bei jedem wichtigen Schritte, den wir thun, bei jeder ernsten Maßregel, die wir treffen, bei jedem bedeutenden Beschlusse, den wir fassen, uns fragten: Und weiter? Nicht nur die verständige Ueber-, legung verlangt dies, es ist auch unsere sittliche Pflicht. Oder bist du nicht in dem Augenblicke, in welchem du wählest, meist nur auf das Allernächste bedacht? Bist du nicht befangen und geblendet von einem vorübergehenden Eindruck? Handelst du nicht in der Aufwallung des Zornes oder unter dem Zwange einer kleinlichen Scheelsucht oder geleitet von einer thö

richten Vorliebe? Wie Schweres und Schädliches kann sich an das knüpfen, was du unbedacht einleitest, wie oft muß, gerade weil du es so und nicht anders anfingest, ein Ausgang sich ergeben, der deinen eigentlichen Absichten widerspricht?

Nur was in lauterer Liebe für den nächsten, ohne Rücksicht auf die eigene Person, im Flusse reiner Hingebung und in überquellender Regung der Barmherzigkeit, was im Ausblick und in der Herzenserhebung nach oben gethan wird, nur dies bedarf nicht der Frage: Und weiter? Denn das weitere gibt der Herr in Gnaden als Vollendung dessen, was das Menschenherz Gutes empfunden und gewollt hat. In diesem Falle wird ein Pfennig zum Kapital, ein Troft- und Mahnwort zur Arznei, eine Handreichung zu einer Hülfe für das ganze Leben. In allem Anderen jedoch, was tiefer steht, was nicht seine Quelle in der selbstlosen, unbewußten Liebe hat, insonderheit in Allem, was du für dich selbst thust, frage dich unter dem ernstesten Wegweiser, der dir die richtigste Straße zeigt, frage dich unter dem Kreuze: Und weiter? (Sonntagsklänge.)

Der falsche Neger.
(Eine Fabel.)

In ferner Stadt berühmt durch Frömmigkeit,
Mit Gold und Silber immerdar bereit,
Wenn's ferne Heiden gilt zu lehren

Und sie zu Christo zu bekehren:

Da lebte einst ein braver, frommer Mann,

Er schafft den Tag lang, was er mag und kann.
Er wurde frant. Nach langen Wochen

Ist mühsam er dem Bett entkrochen.
Doch dankt er herzlich seinem Gott,
Der ihn erlöst aus großer Noth.
Dann will er endlich wieder munter
Zur Arbeit in die Fabrik hinunter,
Wo er seit manchem Jahr und Tag

Geführt so manchen Streich und Schlag.

Dort weist dem Armen herzlos man die Thür:

„Bedauern sehr!

Ihr waret krank!
Es thut uns leid!

Die Thür geht zu.

Es ist uns leid dafür!

Ein and'rer eingestellt!

S'ist so der Lauf der Welt!"
Nun steht er arbeitslos.

Er weinet nicht, sein Jammer ist zu groß.

Er rennet wochenlang von Haus zu Haus,
Nur Arbeit, Arbeit bittet er sich aus.
Er erntet Achselzucken, Grobheit auch

Nicht nur beim Fuhrmann ist die eben Brauch.
Was er erspart, es ist schon lang dahin;
Er sieht bedrohlich sich zusammenzieh'n

Des Hauswirths Stirn. Es wird ihm warm und kalt:
Kommt Hilfe nicht, schilt man ihn Lumpen bald.
Und eh' er annimmt Bettelvolks Geberden,

Soll noch der Strom Verzweiflungsgrab ihm werden.
Da sprach ein Freund: „Fort jag' die Grillen du,
Komm her zu mir und hör mir willig zu:
In Negerhaut mußt du dich hurtig hüllen,
Und bald wird dir sich jeder Wunsch erfüllen!“
Gesagt, gethan! Ein Chemiker, Herr Schwarz,
Der reibt ihn ein mit dunkelm Farbenharz;
Und säh'st du auf zu unsers Nordens Sohne,
Du schwörtest d'rauf, er wär' aus heißer Zone.
Am Abend d'rauf im Tageblatt der Stadt
Zu lesen steht ein selt'nes Inserat,
Wie selten eins die Herzen noch gerührt,

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Ach mit den meisten ist man angeführt
Ein Neger, den ein Missionar belehrt

Und der zu Christo freudig sich bekehrt
Und den des Lebens und des Schicksals Trug
Her von Newyork in diese Lande trug,

Der fleht um Arbeit, soll er nicht verhungern
Und müssig nicht und nicht als Bettler lungern!"
Das strömt zum Gasthof, wo der Schwarze weilt,
Vornehme Herren, Damen, jeder eilt.

Man zankt, man reißt sich um den schwarzen Christen
Und jeder will zu Haus ihm besser nisten.
Der radebrecht in schlechtem Deutsche schlau
Und Diener wird er bei der reichsten Frau.
Was weißem Christen nimmer ist gelungen,
Der schwarze Christ hat jedes Herz bezwungen.
D'rum rath' ich arbeitslosen Leuten
In jener Stadt, sich schwarz zu häuten.
Ihr fürchtet, daß der Handel schlimm geendet?
nein! er hat sich glücklich ganz gewendet.
Zwar kam der Trug natürlich an den Tag:
Man schwieg aus Scham. Und weil von gutem Schlag
Und treu und redlich, christlich war der Knecht,
So war er auch in weißer Haut jezt recht.

Kirchenzeddel Sonntag den 11. Juni 1882.

O. B.

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