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Fünfter Jahrgang.

No 24.

Samstag, 17. Juni 1882.

Schweizerisches Proteftantenblatt

Herausgeber:

Pfr. A. Altherr und E. Linder in Basel, Pfr. Bion in Zürich.

Wir sollen nur nicht in Sinn nehmen, daß der heilige Geist gebunden
sei an Jerusalem, Rom, Wittenberg oder Basel, an deine oder eine andere
Person. In Christo allein ist die Fülle der Gnade und Wahrheit.
Qecolampad an Futher.

Erscheint jeden Samstag. Man abonnirt auf jedem Postamt der Schweiz und des Auslandes. Preis halbjährlich franko zugesandt 2 Fr. Wer das Blatt in Basel gratis erhalten will, kann dasselbe in der Buchdruckerei J. Frehner, Steinenvorst. 12, abholen.

Der Sonntag.
II. Mos. 20, 9-11.

Unter den großen religiösen, sittlichen, humanen Segnungen, welche der Menschheit durch das Volk Israel zu Theil geworden sind, nimmt die Einsetzung eines regelmäßig wiederkehrenden Feiertages, welcher bei den Ifraeliten am Samstag, unter den Christen am Sonntag festlich begangen wird, nicht den lezten Plaß ein. Das war eine der segensvollsten Stunden für die Menschheit, als Moses auf dem rauchenden Gipfel des Sinai von einer göttlichen Offenbarung ergriffen diesen genialen Gedanken faßte und dann auch sogleich mit kraftvoller Energie die Sabbatfeier als göttliches Gesetz in das Leben seines Volkes einfügte. Damals vor mehr als dreitausend Jahren konnte er nicht ahnen, daß einst späte Geschlechter nicht blos Israels sondern vieler Völker auf dem ganzen weiten Erdenrund, vom reichen Handelsmann an bis zum letzten Taglöhner, mit dankbarem Gemüthe seiner und seiner Stiftung sich erinnern würden. Aber so ist es ja durch die göttliche Weisheit geordnet: über jedem guten Samenkorn, welches der gottvertrauende Mensch in den Acker der Menschheit einsenkt, wacht der Herr mit seinem Sonnenschein und Himmelsthau und läßt es heranwachsen zum mächtigen Baum, welcher den Besitzern Jahrtausende lang fühlenden Schatten und köstliche Früchte darbietet.

Auch der Sonntag ist zu einem solchen Segens- und Lebensbaume emporgediehen. Auch wir freuen uns seines Schattens und seiner Früchte. Wenn ich aber sehe, wie vielfach verwirrt die Begriffe sind, welche sich die Menschen auch unter uns über den Sonntag und seine Begehung machen, so scheint es mir nicht unangemessen, uns wieder einmal recht eindringlich zu erinnern an das mosaische Wort: „Geder fe des Sabbattages, daß du ihn heiligest"; uns zu vergegenwärtigen allen Segen, welchen er über uns ergießt.

Stiller, heil'ger Sabbattag,
Wie ein hehrer Glockenschlag
Aus dem Dom der Ewigkeit

Tönst du durch's Gewirr der Zeit,

Daß der Mensch aus dem Gewühle
Seiner Werke zum Gefühle
Seines ew'gen Wesens komme
Und erkenne, was ihm fromme.

I.

Der Sonntag ist erstens ein Tag der Ruhe.

Der Ruhe freut sich heute die Schuljugend. Die Büchermappe bleibt im Kasten liegen und der heitere Sinn wird durch kein ABC und kein Einmaleins, durch keine Regeldetri und keine Kreislehre, durch keine Vokabeln und keine unregelmäßigen Zeitwörter getrübt. Dienstmagd und Hausfrau besorgen heute nur die für Erhaltung der Hausordnung unerläßlichen Geschäfte, aber von Scheuern und Fegen, von Waschen und Plätten und den damit so oft verbundenen stillen und lauten Verdrießlichkeiten hörst du nicht einen Laut. Der Handwerker geht heute nicht in die Werkstätte zu hämmern und zu hobeln; der Krämer hält seinen Verkaufsladen geschlossen; der große Kaufmann schreibt nicht in seine großen Rechenbücher und den Kurszettel läßt er ungelesen; der Landmann, welcher sechs Tage lang vom Morgengrauen bis zum Einbruch der Nacht buchstäblich im Schweiße seines Angesichtes gearbeitet hat, genießt heute längerer Ruhe, selbst sein Zugthier trägt nicht des Joches Last und die Sense mäht keine thauschweren Matten nieder; der Fabrikarbeiter muß heute nicht in dem weiten Fabriksaal hinter seine sausende Maschine stehen und er freut sich seiner Sonntagsruhe doppelt, wenn er bedenkt, wie öd und eintönig sein Leben ohne Sonntag wäre; wenn er alle 365 Tage des Jahres, nur von der Nacht unterbrochen, vom 1. Januar bis zum 31. Dezember Stunde um Stunde, Minute um Minute die ewig gleiche Beschäftigung verrichten müßte, ohne einmal in der Woche nach Herzenslust ausruhen und aufathmen zu können. Die sonst so geschäftige Großmutter läßt es sich heute im Sorgenstuhl behaglich sein und freut sich, daß noch eine Ruhe vorhanden ist für das Volk des Herrn, bis bald der ewige Sabbat sie in seinen Frieden aufnimmt. Ja Alles athmet Ruhe und Frieden: die Luft ist heute nicht geschwängert von Ruß und Rauch und das betäubende Getöse der Maschinen ist verstummt; die wilde Wettjagd nach Geld und Gut hat ein Ende, der Leib des Einzelnen wie der Gesammtheit freut sich lieber, wohlverdienter und auch nothwendiger Ruhe. Es ist still um uns her da wird es wohl auch stille in uns.

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Doch ich male ein Ideal. Für den nüchternen Beobachter sieht der Sonntag ganz anders aus. Die Schuljugend seufzt auch heute unter der Last von Schulaufgaben; Dienstmagd und Hausfrau verrichten manches wenig sonntägliche Geschäft; in mancher Arbeitsstätte wird ein Kleidungsstück vollendet, welches heute noch in der Gesellschaft glänzen soll; durch die Straßen eilt rastlos der Briefbote; der Geschäftsmann betritt sein Comptoir; aus vielen Verkaufsläden tönt lebhaftes Markten und Feilschen; die Weinund Bierhäuser gleichen emsigen Bienenstöcken; von den Bahnhöfen her tönt der schrille Ruf der Lokomotiven und das Stimmengewirr der Bahnbeamten, die heute statt der Ruhe doppelten Werktag haben; selbst der Landmann treibt bei drohendem Gewitter seinen Zugstier zur Matte, die Heuernte noch trocken heimzuholen. Es sind zum Theil nothwendige, unabweisliche Bedürfnisse des gesellschaftlichen Lebens, die immer härtere und aufreibendere Sorge um das tägliche Brod, zum Theil aber auch wollte es verkennen Nachlässigkeit am Arbeitstage, Habsucht und un

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mäßige Genußsucht, welche diese Verhältnisse geschaffen haben und die Menschen der Sonntagsruhe berauben.

Was sollen wir nun sagen? sollen wir die Einführung der Sonntagsruhe für alles Volk einen schönen Traum nennen, der an dem Fels der rauhen Wirklichkeit zerschelle? Unsere Zeit lehrt mich doch etwas ganz anderes. Sie lehrt mich zwar, daß der Reichthum des Lebens und die thatsächlichen gesellschaftlichen Verhältnisse sich nicht in den Schnürleib eines polizeilichen Sonntagsgeseßes einzwängen lassen, daß überhaupt die Sonntagsruhe der Langeweile, wie sie von einer von pharisäischem Sauerteig durchwirkten Richtung angestrebt wird, nicht erreichbar und nicht erstrebenswerth ist. Aber auf der andern Seite erleben wir in unsern Tagen einen kolossalen Triumph der mosaischen Feiertagsidee. Alle wahren Volksfreunde, Konservative und Sozialdemokraten, Aerzte und Geistliche, Nationalökonomen und Psychologen, Kirchenfreunde und Kirchenfeinde reichen sich heute die Hand, um allem Volke, dem Größten wie dem Kleinsten des Volkes, die Wohlthat der Sonntagsruhe zu garantiren; sie alle sind darüber einverstanden, daß in gesundheitlicher, sittlicher, geistiger, religiöser Beziehung der Sonntag mit seiner Ruhe ein Gottesengel ist, der es mit dem Menschen gar gut meint. Dabei sind sie nicht von der Absicht geleitet, einen Tag des dumpfen Hinbrütens und langweiliger Nichtsthuerei zu schaffen, wohl aber in jedem Kinde des Volkes so weit als möglich jeden Sonntag das Gefühl aufkommen zu lassen: Heute bist du einmal nicht eingespannt in das alltägliche Joch der Arbeit und des Gelderwerbes; heute bist du einmal nicht Fabrikarbeiter und nicht Handwerker, nicht Kaufmann und nicht Lehrer, heute bist du Mensch und darfst es sein. Es ist eine der schönsten humanen Aufgaben, welche sich das Geschlecht unserer Tage stellen kann; der rauhen Wirklichkeit einen Tag der Sonntagsruhe abzugewinnen für Jeden, der sechs Tage redlich gearbeitet hat; es dahin zu bringen, daß der lezte Taglöhner im Volk ohne Neid gegen Andere, ohne Wehmuth und Bitterkeit im Herzen den Sonntag begrüßen kann mit dem Wort:

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Der Sonntag ist ein Tag der Ruhe, aber er ist auch ein Tag der Freude.

Der freudige Charakter des Sonntags kommt schon in äußern Zeichen, in Symbolen zum Ausdruck. Der Name Sonntag kündet ihn uns als einen Bringer von Licht und Leben, Freude und Friede an. Aber wir denken am Sonntag auch an das Wort Martin Luthers: „Der Mensch wird zum Thier, wenn er nie einen Sonntagsrock an hat!" werfen den staubigen Kittel von uns und schmücken uns mit sauberem Festgewande. In der Familienstube glänzt der frisch gescheuerte Boden, glißern die Fensterscheiben, auf dem Tische duftet ein frischer Rosenstrauß und um

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denselben herum stehen als noch lieblichere Rosen sønntäglich geschmückt des Hauses Kinder. Und wenn sogar die Engel nach Johann Peter Hebels naivem Wort am Sonntag Rosinen statt gewöhnlicher Werktagskost ge= nießen, so erhöht auch heute ein etwas besseres Tischgericht die sonntägliche Festfreude. Aber tiefer noch geht die Sonntagsfreude der Herzen: Heute hat doch der Gatte die Gattin, die Gattin den Gatten zu traulichem Geplauder an der Seite, um zu besprechen des Hauses Angelegenheiten, der Kinder leibliches und geistiges Wohl, auszutauschen die Erfahrungen der Woche und die süßen Geheimnisse des Herzens. Man hat so viel sich zu vertrauen, man hat so viel sich zu gesteh'n!" Heute spüren es doch die Kinder wieder einmal von ganzer Seele, daß sie einen Vater und eine Mutter haben mit lebendiger Theilnahme für alles, was ihr kleines Herz bewegt. Da geht es am Vormittag an der Hand der Eltern in's Gotteshaus und am Nachmittag in den lichten Frühlingswald, um Gott selber predigen zu hören; an Regentagen aber sißen des Hauses Genossen um den Tisch und erzählen Geschichten aus vergangenen Tagen. Tritt ein am Sonntag Nachmittag in die Kammer deiner Magd. Sie liest mit Ruhe nochmals den Brief, den sie von ihren Lieben zu Hause empfangen; sie schreibt vielleicht eine Antwort und in die Antwort schließt sie zugleich ein ihre Sparpfenninge zum Troft für alte betagte Eltern. Heute findet der Freund den Freund, die Freundin die Freundin, und selbst die Einsamen und Familienlosen schaaren sich am Freudentage zusammen, um unter grünem Laubdache bei einem Glas in Ehren und muntern, reinen Liedern edle Geselligkeit zu pflegen. Auch für die Kranken und Armen ist heute Freudentag. In den Kirchen fallen für sie milde Gaben in den Opferstock; viele Herzen aber begnügen sich nicht damit, sondern gedenken des Apostelwortes, daß Wittwen und Waisen, Kranke und Elende in ihrer Trübsal besuchen ein schöner und Gott wohlgefälliger Gottesdienst ist. Und selbst Diejenigen, welche um liebe Todte weinen, feiern am Sonntag Freudenstunden wehmüthiger und doch beseligender Erinnerung auf dem Gottesacker, am „guten Orte".

Doch ich male ein Ideal, keine Wirklichkeit. Es gibt in unsern Tagen Tausende, die zu stumpf sind, sich einen Sonntagsrock zu ersparen, andere Tausende, die zu arm sind, sich einen solchen zu kaufen, und tausend Andere, die ihn nicht anziehen, wenn sie ihn auch haben. Und Diejenigen, welche ihn anziehen, ach sie verunzieren ihn durch ein gar wenig sonntägliches Gebahren, durch Thorheit und Unmaß und Sünde. Hunderte von Familienvätern leben auch am Sonntag ihren Frauen und Kindern nicht, sondern bereiten nur ihrem eigenen lieben Jch kostbare Freuden und Vergnügungen. Und soll ich noch besonders hinweisen auf die durch den Augenschein und durch statistische Tabellen festgestellte Thatsache, daß Tausenden die Sonntagsfreiheit nur eine Gelegenheit für das Fleisch ist? daß Alkohol und rohe Sinnlichkeit am Tage des Herrn ihre verheerendsten Orgien feiern? daß Tausende dem Sonntag Lebewohl sagen mit Reuequalen im Herzen und bitterem Gaumen? daß sich Tausende in Fluch _verwandeln, was ihnen Gottes Gnade zum Segen verliehen hat?

Was sollen wir dazu sagen? sollen wir sagen: die Menschen zum

Bösen geneigt, wie sie nun einmal sind, seien der Sonntagsfreude nicht werth? es wäre besser, diese ungebändigten Sklaven ihrer Triebe auch am Sonntag in das Joch der Arbeit zu spannen? Das sei ferne von uns. Sorgen wir dafür, daß zuerst wir selber und unsere Familie, unsere Dienstboten, unsere kranken Nachbarn und Freunde wirkliche Sonntags= freude empfinden. Wenn das gesellige Vereinsleben uns Sonntag um Sonntag in Anspruch nehmen und uns den Uns'rigen regelmäßig entfremden will, da prüfen wir ernstlich, ob denn wirklich der Segen, den das Vereinsleben uns und der Gemeinschaft bringt, aufzuwiegen vermag den Schaden, welchen unser Familienleben nimmt. Die Antwort dürfte bald gefunden sein, wenn wir hineinblicken könnten in so viele auch am Sonntag vereinsamte Frauengemüther, die dann allmälig voll Wehmuth und voll Bitterfeit werden; wenn wir hineinblicken könnten in so viele Kinderherzen, welche ihren Vater nie recht kennen und darum auch nie recht lieben lernen. Sorgen wir aber auch durch eine gediegene religiös-sittliche Bildung dafür, daß die nachwachsende Jugend immer mehr mit Widerwillen sich abwende von wilden rohen Freuden, die keine Freuden sind, und immer mehr Verständniß gewinne für die wirklichen, schönen, erbauenden Sonntagsfreuden. Sorgen wir, daß je mehr und mehr alles Volk den Sonntag begrüße mit des Dichters Wort:

Sei mir willkommen Tag der Freude!
Mit Orgelton und Glockenklang
Rufst du mich auf den Herrn zu preisen
Und weckst das Herz mir zum Gesang,

Nimmst von mir Sorge, Gram und Pein
Und läßt in Gott mich fröhlich sein.

III.

Der Sonntag ist ein Tag der Ruhe, ein Tag der Freude, aber er ist auch ein Tag der Weihe.

In den Evangelien wird uns erzählt, daß Jesus eines Tages von seinen Lieblingsjüngern begleitet auf einen Berg gestiegen und verklärt worden sei, so daß seine ganze Gestalt von himmlischem Lichtglanze umflossen war. Auch für uns soll der Sonntag ein weihevoller Tag sein, an welchem wir aus unsern dumpfen Gemächern emporsteigen auf den Berg der Verklärung. Von ihm aus sollen wir dann im Lichte der Ewigkeit betrachten, was die vergangene Woche an Mühe und Arbeit, an Sorge und Kummer, an Freude und Schmerz, an Jubel und Klage uns gebracht hat. Wenn uns im Laufe der Woche schweres Leid getroffen hat, von dem vielleicht unser Auge noch naß ist und wider das wir gemurrt und um dessen willen wir vielleicht Gott den Abschied gegeben haben in unserem Herzen: der heutige Tag soll uns daran erinnern, daß auch der Schmerz ein Gottesbote ist, daß es nicht gut für uns wäre, wenn alles eben nach unseren Wünschen käme und Gott keine Kreuzeslast auf unsere Schultern legte; daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Guten mitwirken müssen. Wenn die vergangene Woche uns und den Uns'rigen Gesundheit geschenkt, wenn wir hatten, was wir bedurften für Leib und Seele, wenn vielleicht sogar langgehegte Hoffnungen in Erfüllung gingen und unverhofftes Glück

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