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Gebet eines Charifäers.

Das zürcherische Obergericht hat jüngst in einem Streithandel die Bezeichnung „Pharisäer" als Beleidigung tarirt, ähnlich wie ein anderes Gericht früher die Bezeichnung „Jesuit" als Beschimpfung erklärte. Mit welchem Recht? Ohne Zweifel gab es im Orden der Pharisäer viele Mitglieder, die als Privatleute ganz wacker waren, brave Familienväter, treuherzige Freunde, wie man unter den heutigen Jesuiten auch persönlich gutmüthige, gastfreundliche, joviale, liebenswürdige Menschen finden kann. Es ist ja wohl überhaupt kein menschlicher Verein unter dem Himmel, in welchem sich nicht gute und schlechte Charaktere, Edle und Spizbuben begegnen. Aber wenn irgend etwas feststeht, so ist es wohl dies, daß Jesus das pharisäische System als zur Oberflächlichkeit, Scheinheiligkeit, Heuchelei führend bekämpft und für alle Zeiten gebrandmarkt hat. Angenommen, Jesus hätte darin Unrecht gehabt, so ändert dies nichts an der Thatsache, daß die auf ihm fußende christliche Tradition dahin geführt hat, heute in der ganzen Christenheit den Namen Pharisäer als gleichbedeutend mit einem falsch frömmelnden, innerlich unlautern, scheinheiligen und heuchlerischen Menschen erscheinen zu lassen, und selbst in diesem Fall schiene uns die Auslegung des zürcherischen Obergerichts als vollkommen richtig. Wahrscheinlich hat aber Jesus, obschon er nicht das Glück hatte, zu Füßen unserer kritischen Theologen zu sißen, das pharisäische System besser gekannt als irgend einer von uns, und in seinem religiösen und sittlichen Gehalt ganz richtig beurtheilt. Wir trauen ihm das wirklich zu und so hat es auch der Dichter verstanden :

Ich dank' dir Gott und bin gar froh, Ich danke dir, daß mich die Welt
Daß ich nicht bin ein Sünder so,
Daß ich gern geh' zur Kirche hin
Und sit' im eignen Kirchstuhl drin.
Auch dank' ich für die Taufe gar,
Tadurch ich bin ein Christ fürwahr,
Und nicht ein Türk' und Heide blind,
Die allesammt verdammet sind.

Ich dank' dir, daß die Obrigkeit
Mir Schutz und Sicherheit verleiht,
Und daß ich hab' das Burgerrecht
Und bin ein Herr und nicht ein Knecht.

In Ehren und in Anseh'n hält,
Und daß gesetzlich ist mein Sinn
Und ich nicht ein Aufrührer bin.
Ich danke dir, daß ich auch Geld
Hab' hier und dorten ausgestellt,
Und daß die Schuldner ohne Frag'
Mir richtig zinsen auf den Tag.

Dann endlich noch sag' ich dir Dank
Gar tief gerührt für Speis und Trank,
Daß ich versorgt bin bis in's Grab-
Und d'rum auch keine Zweifel hab'!

Kirchenzeddel Sonntag den 25. Juni 1882.

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Fünfter Jahrgang.

No 26.

Samstag, 1. Juli 1882.

Schweizerisches Proteftantenblatt

Herausgeber:

Pfr. A. Altherr und E. Linder in Basel, Pfr. Bion in Zürich.

Wir sollen nur nicht in Sinn nehmen, daß der heilige Geist gebunden
sei an Jerusalem, Rom, Wittenberg oder Basel, an deine oder eine andere
Person. In Christo allein ist die Fülle der Gnade und Wahrheit.
Decolampad an Futher.

Erscheint jeden Samstag. Man abonnirt auf jedem Postamt der Schweiz und des Auslandes. Preis halbjährlich franko zugesandt 2 Fr. Wer das Blatt in Basel gratis erhalten will, kann dasselbe in der Buchdruckerei J. Frehner, Steinenvorst. 12, abholen.

Eine Heerde und Ein Hirt,

„Es wird Eine Heerde und Ein Hirte sein!" Dieses Wort Jesu ist eines derjenigen, welche uns in Staunen versehen wegen der Großartigkeit und Weitherzigkeit des darin ausgesprochenen Gedankens. Sagt es ja doch nichts mehr und nichts weniger aus als den felsenfesten Glauben an eine Zukunft, wo alle Völker unter dem Scepter Einer Religion zusammengehören werden, das sie gerade in derjenigen Angelegenheit, welche trauriger Weise bisher soviel Zerwürfniß und Streit verursacht hat, einmal Frieden haben werden. Es würde uns vielleicht weniger wundern, solch ein Wort von einem Propheten unserer Zeit zu vernehmen. Unsere Zeit ist ja vorwiegend kosmopolitisch; Handel und Verkehr, Erfindungen und Fortschritte aller Art verwischen die Grenzen zwischen Volk und Volk und mit Vorliebe betreibt man gegenwärtig die Vereinigung der Nationen in dem was nothwendig und nüglich ist. Speziell in Religionssachen ist ein Missionseifer erwacht, welcher, wenn auch nicht seiner Methode nach, aber doch seines Grundgedankens wegen begrüßt werden muß. Wenn die Basler Missionsleute von einer Verkündigung des Evangeliums an alle Völker reden, so zollen sie damit dem kosmopolitischen Zug unserer Zeit ihren Tribut.

Also aus der Gegenwart gesprochen, würde uns ein solches Wort nicht so sehr staunen machen. Aber vor zweitausend Jahren gesprochen, zu einer Zeit, wo die nationalen Schranken noch viel ängstlicher gehütet wurden, und von einem Manne gesprochen, der so wenig äußere Garantie für die Erfüllung bieten konnte wie Jesus, das war ein staunenswerther Idealismus, vor dem all unsre heutigen Zukunftsgedanken verblassen.

„Es wird Eine Heerde und Ein Hirte sein!" Hat sich nun dieses Wort erfüllt? Nach einer Seite hin scheint wenigstens die Erfüllung sich zu vollziehen: das Christenthum hat ja eben die Sonderreligionen der einzelnen Völker verdrängt und sich selbst als eine allgemeine Religion in der Gestalt einer allgemeinen (katholischen) Kirchengemeinschaft ausgeprägt. Und fortwährend arbeitet es daran, auch die noch nicht christlich gewordenen Völker zu gewinnen und so für sich Propaganda zu machen. Aber neben dieser Thatsache steht eine andere. Sogleich in den ersten Zeiten und von da an bis in unsere Tage haben sich innerhalb der christlichen Kirche Zer

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klüftungen und Glaubensverschiedenheiten geltend gemacht, welche scheinbar das schöne Jesuswort Lügen strafen. Es heißt zwar in der Apostelgeschichte, daß die erste Christengemeinde Ein Herz und Eine Seele" gewesen sei, aber man weiß auch, daß tiefgehende Differenzen die Parthei der Petriner und die der Pauliner von einander schieden. Die Konzilien der spätern Zeit haben zwar unter viel Sorge und Mühe die christlichen Gedanken in möglichst festgefügte und zu allgemeiner Gültigkeit gelangte Bekenntnisse gemodelt, aber man weiß auch, unter wie vielen Streitigkeiten der Ansichten und Partheien und wie oft mit einfacher Unterdrückung gegen= theiliger Anschauungen diese Bekenntnisse zu Stande gekommen sind. Die katholische Kirche hat sich in ihren blühendsten Zeiten als eine geschlossene und achtunggebietende Einheit präsentirt und mit Feuer und Schwert Jedem den Mund geschlossen, welcher diese Einigkeit im Glauben zu durchbrechen wagte, aber daß sie eben dieses Feuer und dieses Schwert immer wieder und gegen so Viele anwenden mußte, zeugt nicht für das Vorhandensein einer wirklichen Eiheit, ist vielmehr ein Beweis, daß stetsfort denkende Köpfe sich im Widerspruch mit der befohlenen Kirchenlehre befanden. Die protestantische Orthodoxie hat es ebenso versucht, durch ein abgeschlossenes Dogmensystem ihre Kirchenglieder als im Glauben einig darzustellen, und der Staat half damals redlich mit, die Leute an der Leine des orthodoren Glaubens festzuhalten, aber gerade in selbiger Zeit, wo die kirchliche Orthodoxie Meister war, eiserten die Prediger auf den Kanzeln wie nie zuvor und nie nachher gegen alle möglichen isten und -aner, als ob sie nichts Wichtigeres zu thun hätten, als eine kirchliche Anschauung gegen drei oder vier andere als die allein richtige zu vertheidigen.

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Und heutzutage steht es geradezu so, daß ein vernünftiger Mensch die Hoffnung auf eine Einigung der Christen im Glaubensbekenntniß aufgeben muß. Unter dem Einfluß des zu Recht erhobenen Grundsages der Glaubens- und Gewissensfreiheit hat sich die heutige Christenheit nicht nur in Konfessionen, sondern in Richtungen, in Vereine, in Sekten so vielfach zersplittert, und ist es so wenig möglich, diese wieder unter Einen Hut zu bringen, daß man sich wirklich fragen kann: Ist's am Ende nicht ein leerer Traum, die Einigung aller Menschen, unter dem Scepter Einer Religion? Eine Heerde und Ein Hirte!" Wir glauben troß allem für das Gegentheil zeugenden Augenschein an dieses Wort; wir können darum in dieser Zersplitterung der Kirche in eine Unzahl von Ansichten nur eine von Gott gewollte Sprengung des alten Kirchenthums, eine göttliche Nothwendigkeit erblicken. Wir sagen: die so lange und so mühsam und schließlich doch vergeblich gesuchte Einheit in der dogmatischen Lehre ist ein Ding der Unmöglichkeit; der Gedanke, tausend und aber tausend Menschengeister, von denen jeder wieder anders geartet ist, unter Einen dogmatischen Hut zu bringen, ist unvollziehbar und die Propaganda für eine in der Dogmatik einige Menschheit eine Täuschung. Nicht nur zeigt sich heutzutage mehr als je die praktische Unmöglichkeit, sondern auch die theoretische, denn wer will über die wichtigsten und heiligsten Dinge eine fertige Lehre zu geben sich vermessen? Wer will z. B. die Frage nach Gott, nach seinem Wesen und Walten in einem Bekenntnißsaß ausdrücken? Ja sogar die Faustische Frage: wer darf sagen, ich glaub ihn oder ich glaub ihn nicht, läßt sich nicht mit einigen Artikeln eines Bekenntnissez abthun. Oder nehmen wir

die Frage der Unsterblichkeit! Wie viel unter sich verschiedene Vorstellungen davon fursiren unter unsern gegenwärtigen Christen, und wer will sagen: die oder jene ist die allein richtige? Es ist unsre Pflicht, es einmal ganz und voll anzuerkennen, daß eine Einigkeit der Christen unter dem Scepter eines Dogmas niemals möglich sein wird, daß vielmehr die Mannigfaltig= keit der Ansichten das Gottgewollte, das Natürliche und Rechte sei.

Worin sollen wir denn diese Einheit suchen? Wir denken in der Gesinnung statt im Dogma, im Charakter statt im Bekenntniß, im Geist statt im Buchstaben. Oder ist denn nicht fromme Gesinnung, christlicher Geist das was Christus und die Apostel Glauben genannt haben? Wo haben sie je die Zustimmung zu einem formulirten Bekenntniß darunter verstanden? Es ist freilich eine alte Wahrheit, die wir hiemit aussprechen, aber es ist dennoch so, und ohne unsre Schuld, daß sie erst in der Gegenwart zu ihrer Geltung kommen kann. Und auch die Geschichte zeigt diese Wahrheit. Welche Zeiten waren denn die besten in der Entwicklung der christlichen Religion? Nicht diejenigen der äußern und orthodoxen Glaubenseinheit, sondern diejenigen, wo die Lehre im Fluß war, wo aber ein starker feuriger Geist der Wahrheitsliebe und Ueberzeugungstreue die Herzen erfüllte!

Dieser Geist ist wohl etwas, das nicht so leicht zu definiren und vorzuzeigen ist wie ein Bekenntniß, aber er ist der eigentliche Nerv und das wirkliche Band aller Christen. An diesem Kennzeichen haben sich die Frommen überall erkannt. Und nach diesem Zeichen beurtheilen auch wir die Menschen, wir mögen es zugestehen oder nicht. Wir schauen auf den Charakter, nicht auf das Bekenntniß, auf die That, nicht auf das Wort; der bekenntnißtreueste Mensch ist uns zuwider, wenn wir ihn in seiner Gesinnung als niedrig, gemein oder schlecht erfinden; der ungläubigste Mensch steht uns hoch und wir ziehen vor ihm den Hut ab, wenn er uns als ein braver, gewissenhafter, edler Mensch sich zeigt. Wir urtheilen nach dem Charakter, nicht nach dem Bekenntniß. Warum soll dieses Urtheil nicht maßgebend sein für die ganze Christenheit ?

Eine Heerde und Ein Hirte!" Dieses Wort halten wir sonach für eine sich einst erfüllende Weissägung. Wir glauben, daß es eine Summe von Ueberzeugungen und Grundsägen gibt, in welcher alle Völker einst werden übereinstimmen können, und wir glauben, daß das die Grundsätze des richtig verstandenen Christenthums sein werden. Wir glauben, daß es möglich ist, für die zahlreichen Brüche, in welche die gegenwärtige Christenheit sich zersplittert hat, den gemeinschaftlichen Nenner zu finden. Darum ist der Missions gedanke auch der unsrige, aber der gegenwärtige Missions be = trieb nicht nach unserm Sinn, weil er das Neß einer dogmatischen Einheit über die Völker ausbreiten will, statt die christliche Bildung und Sitte zu pflanzen. Darum sehen wir auch in einer gemischten Ehe kein Unglück, weil wir die wahre Einigkeit der Eheleute nicht im protestantischen oder katholischen Dognia, sondern in der frommen, liebreichen Gesinnung erblicken; darum schwärmen wir auch für eine konfessionslose Schule und einen konfessionslosen Religionsunterricht, weil wir glauben, daß es eine Summe von allgemein anerkannten religiösen und moralischen Grundsätzen gibt, welche zusammengestellt und gelehrt werden können, ohne daß das Gewissen des Einzelnen verletzt wird. Wenn einmal die Schule diesen Weg gefunden

haben und gegenüber der Pfaffenherrschaft den Sieg behalten wird, dann sind wir um einen guten Schritt näher der Erfüllung des Wortes von der Einen Heerde und dem Einen Hirten!

Allerlei Fefte.

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Als ich vor Jahren mit einem schottischen Protestanten im Postwagen über den Malojapaß fuhr, sagte er im Verlauf des Gesprächs: „Your Sunday is not God's day, it is a day of pleasure." Was hätte dieser strenge Puritaner letzten Sonntag in Basel gedacht, wenn er die Schaaren Volks gesehen, die sich vom frühen Morgen bis spät in die Nacht durch die fahnengeschmückten Straßen bewegten, wenn er aus dem Lindenhof, dem zoologischen Garten, dem Sommerkasino, dem Stadtkasino, der bayerischen Bierhalle und von vielen andern Orten her fröhliche Musik gehört, wenn er sogar den Zug der Sänger und Zuhörerschaaren in das ehrwürdige Münster gesehen, darin die Choräle, Vaterlands- und Liebeslieder, das Applaudiren mit angehört hätte, zu einer Stunde, wo sonst die Abendpredigt stattfindet, welche mit Bewilligung des Kirchenvorstands den Play geräumt und sich in die Elsbethenkirche geflüchtet hatte. So etwas ist in der That dem herrlichen Basler Münster in 700 Jahren noch nicht passirt; es ist nach Ansicht des „Christlichen Volksboten“ ein „ernster Charakterzug unserer Zeit“ und steht ohne Zweifel in einem innigen Zusammenhang mit der politischen und kirchlichen Umwälzung, die sich die lehten zehn Jahre in Basel vollzog und noch lange nicht abgeschlossen ist. Aber wenn wir gleich auch nicht jedes der zahllosen Feste vertheidigen möchten, die Sonntag um Sonntag im Vaterland gefeiert werden: das war doch auch eine Andachtsstunde im Münster, diese fast ohne Ausnahme so guten und würdigen Lieder anzuhören zwei volle Stunden, und deßhalb, weil es ein Vergnügen war, hat es Gott gewiß nicht mißfallen, Gott hat auch die Freude geschaffen, und ihn loben, daß er uns die Gabe des Singens und Liebens, ein wunderschönes Vaterland und als Gut der Güter die Freiheit geschenkt, dieses Lob entweiht auch den herrlichsten Kirchenbau nicht, ebenso wenig als den Sonntag.

Eine sehr wohlthätige Einrichtung haben sie im Kanton Bern an ihren kirchlichen Bezirksfesten, an welchen sich ohne Unterschied der theologischen Richtung die Gemeinden eines Bezirks und ihre Geistlichen vereinigen. Da wird in meist geschmückter Kirche unter Mitwirkung von Gemeinde- und Chorgesang nicht etwa miteinander gestritten, wer den rechten Glauben habe, sondern da werden keck alle möglichen wichtigen sozialen Fragen bei den Hörnern gefaßt, religiös beleuchtet und die Mittel zur Lösung berathen. Da waren sie Sonntag den 11. Juni in Grindelwald, und hörte eine über 600 Personen zählende Versammlung den Pfarrer Trechsel an über die „Trunksucht, die Verwüsterin unserer Volkskraft": Wie steht's damit? Was sagt die Bibel dazu? Was ist dagegen zu thun? Und die Versammlung beschloß einstimmig folgende Ziele anzustreben:

1) daß das Wirthschaftsgewerbe und der Kleinhandel mit Schnaps beschränkt werde;

2) daß Trunkenheit bei Strafurtheilen der Gerichte nicht mehr als mildernder Umstand angerechnet werde;

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