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3) daß für den Kleinhandel mit geistigen Getränken kein Patent mehr ertheilt werde;

4) daß über Hausväter, welche durch Unmäßigkeit und Liederlichkeit ihre Kinder dem sichern Ruin entgegenführen, rechtzeitig die Bevogtigung ausgesprochen werde;

5) daß dem Schnapselend verfallenen Eltern unnachsichtlich die elterliche Gewalt entzogen und die Kinder verkostgeltet werden, wenn nöthig mit besonderer Staatsunterstüßung.

Wir wünschen der Berner Kirche von Herzen Glück dazu, daß sie statt des unfruchtbaren dogmatischen Streits so frisch in die wirkliche Noth des Lebens eingreift. Dadurch kann die Kirche am ehesten wieder alle bessern Elemente im Volk um sich schaaren und das Gefühl wecken, daß es über dem Gegensatz der religiösen Ansichten ein großes, ungeheures Gebiet gibt, auf welchem man zusammen arbeiten kann und muß, im Glauben, welcher durch die Liebe thätig ist. Was freilich die Trunksucht betrifft, so können die oben genannten Beschlüsse ihre Quellen nicht verstopfen, denn diese liegen in andern tiefern sozialen Mißständen, besonders in der innerlichen Verödung großer Volksschichten und im bösen Beispiel von oben herab.

Am festlichsten ist es aber lezte Woche in Basel hergegangen, denn da fanden von Montag bis Freitag die berühmten christlichen Feste des protestantisch-kirchlichen Hilfsvereins, der Freunde Israels, der Bibelgesellschaft und des Missionshauses statt. In diesen Tagen ist Basel immer wieder das geistliche Zion, nach welchem sie aus der Schweiz, dem Elsaß und dem Schwabenland in Schaaren gepilgert kommen. Mit welch erwartungsvollen Mienen steuern sie dem schönen gastlichen Haus zu, und wie wohl muß es den aus der Ferne gekommenen Pilgern um's Herz sein, hier in christlicher Bruder- und Schwesterliebe bewillkommt zu werden! Gastfreundschaft ist schon an sich etwas Gutes, wenn sie aber aus dem lebendigen Gefühl der Glaubensgemeinschaft fließt und in der Liebe zu einem großen Werk ihren Ewigkeitsgrund hat, so wird sie besonders schön. Wenn in diesen Tagen der Basler Festwoche Unbekannte verschiedener Nationen und Sprachen sich als Brüder in Christo behandeln und der schwäbische Kornbauer im Palaste und Park des Basler Seidenfabrikanten sich wie daheim fühlen darf, so liegt darin etwas wie Erfüllung jener hohen Weissagung, daß einst die Wölfe bei den Lämmern wohnen werden.

Mit der Feier des protestantisch-kirchlichen Hülfsvereins hat das Fest am Montag Nachmittag zu St. Leonhard begonnen. Da sind die Abgeordneten der verschiedenen kantonalen Hülfsvereine mit den Mitgliedern des Basler Vorvereins gewöhnlich mit einer noch kleinen Gemeinde, meist aus der Stadt, anwesend die eigentliche Festarmee rückt erst allmälig an den Bahnhöfen ein. Herr Pfarrer Heußler von Allschwyl las den Jahresbericht über die gesammte Thätigkeit des Hülfsvereins in der Schweiz vor, war aber, wie er selbst offen gestand, mangelhaft vorbereitet und sagte viel zu oft: „Das will ich jetzt übergehen." So viel wurde aber doch klar und bleibt wahr, daß der Verein an evangelischen Glaubensgenossen in katholischen Gegenden immer sehr viel Gutes thut. Uns interessirte besonders, wie von den zwei Gemeinden Ragaz und Rheinfelden berichtet wurde, welche der Basler Vorverein nicht mehr unterstüßt, weil sie liberale Pfarrer gewählt haben. Sie wurden, wie sich denken läßt, nicht empfohlen, aber daß

beide Gemeinden im Wachsen begriffen sind, ist doch anerkannt worden, wir können sogar sagen, daß sie blühen. Es ist halt doch schade, daß Basel diesen Riß in's schöne Hülfswerk hineinbrachte. Ein rührendes Zeichen, wie so ein evangelisches Kirchlein unter Katholiken den Leuten lieb wird und an's Herz wächst, gab ein Arbeiter in Baar, welcher der dortigen evangelischen Gemeinde seine Ersparnisse vermachte zur Anschaffung von Abendmahlskelchen zum „Andenken des bittern Leidens und Sterbens Jesu Christi."

Am Dienstag Vormittag kam die Reihe an den Verein der Freunde Israels, bei schon fast ganz gefüllter Kirche. Ein schöner Gemeindegesang eröffnete die Feier (Wann schlägt die angenehme Stunde...) und es ist eine Freude, wie nicht bloß die Frauen, sondern auch die alten Männer und Jünglinge alle ihre Melodien auswendig und zwar tapfer singen, und was gibt es denn Erhebenderes als die Macht eines guten Chorals! Der Agent des Vereins und Vorsteher des Proselytenhauses in Basel, Herr Pfarrer Heman verband mit seinem Jahresbericht eine lehrreiche Deutung der jüngsten Judenverfolgungen, welche ein Gericht Gottes seien über diejenigen, die sich noch immer nicht zum Christenthum befehren; hätte er nur noch beigefügt, daß sie auch ein Gericht sind über die Christen, deren unchristlichen Fleischessinn sie offenbaren. Darin stimmten wir ihm bei, daß den 40,000 aus Rußland vertriebenen Juden ihr Unglück dazu dienen kann, sie aus dem Zustand roher Versumpfung zu retten und mit abendländischer Bildung in Berührung zu bringen, also Gott auch hier zum Guten wenden wird, was die Menschen böse gemacht. Auch die Ansprache von Lic. Schlatter aus Bern, eines ächten vollkarätigen St. Gallers in Aussprache und naturwüchsigem, feurigem Pathos war ein gutes und gediegenes Stück geistiger Arbeit, eine feine und fromme Schußrede für den herrlichen Schat, den Israel als Gottes Bundesvolk in irdenem Gefäß trägt. Aber demüthigend ist, was Herr Heman über den sichtbaren Erfolg der Vereinsarbeit mittheilen mußte. Man denke sich eine Jahreseinnahme von 15,000 Fr. und kaum einen eigentlich Bekehrten! Wohl sind 16 frühere Proselyten mit 4800 Fr. unterstügt worden, und wir wollen hoffen, daß die 300 Fr., welche auf einen Proselyten fallen, nicht das einzige Band sei, welches sie mit dem Verein verbunden erhält, aber den Eindruck bekam ich entschieden, daß der Verein ein entseßlich hartes Erdreich bearbeitet. Der Bericht gesteht denn auch ein, daß die Proselyten die Arbeit des Vereins zu sehr nur als eine Versorgung betrachten und es ist gewiß charakteristisch, daß im vergangenen Jahr drei junge Juden sich zur Annahme des Christenglaubens bereit erklärten, aber alle unter der Bedingung, daß man ihnen hernach die nöthigen Geldmittel zum Studium der Medizin darreiche! Wir rechnen es dem Comite zur Ehre an, daß es diesem offenbaren Schachergeist nicht willfahrt hat, und zur Ehre auch das, daß solche schmerzliche Erfahrungen ehrlich eingestanden werden! Das geschieht nicht überall.

Am Dienstag Nachmittag, beim Fest der Bibelgesellschaft, war die St. Leonhardskirche wenigstens im Schiff vollständig angefüllt. Das Werk, das Volk und die Aermsten im Volk mit Bibeln zu versorgen, ist ja gewiß gut; wenn wir die Wahl hätten, entweder aus allen Büchern der Welt oder aus der Bibel zu unterrichten und zu predigen, wir würden unbedenklich bei dem einzigen Buch bleiben. Aber der Jahresbericht, von Pfr.

Brenner in Frenkendorf vorgetragen, scheint uns den Werth der bloßen Verbreitung der Bibel viel zu hoch anzuschlagen, und was ein Colporteur aus den innern Kantonen aus seinen Erfahrungen des Weiten und Breiten berichtet, ist sehr nichtssagend. Deßhalb weil in einer Werkstatt der eine Gesell das Testament annimmt und der andere es zurückweist, ist der Erstere noch kein Geretteter und der Andere noch kein Verlorner. Man darf die Bibel nicht behandeln wie ein Kruzifir, vor welchem man bloß einen Knix machen muß, um als Christ zu passiven, und noch weniger ist sie ein Fetisch, dessen bloße Anwesenheit dem Hause schon Glück bringt. Die Hauptsache bleibt denn doch, daß die Bibel gelesen, und wenn gelesen, auch verstanden und beherzigt werde. Das ist Aller große und schwere Aufgabe und an dieser Arbeit betheiligen sich auch die Liberalen in der Kirche, so viel Gott ihnen dazu die Kraft schenkt. Es war darum von den beiden Gastrednern, dem Herrn Dekan Wethli aus Wallisellen und dem Herrn Dekan Kübel aus Eßlingen, sehr übel angebracht, ihre Vorträge gar so reichlich mit Ausfällen gegen die liberale Richtung zu spicken; wir haben dieses Hepp-Hepp-Rufen in Basel so zum Ueberfluß, daß wir dem Züribiet und dem Schwabenland noch davon abgeben könnten.

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Einen gemüthlichen Charakter hatte am Mittwoch Morgen die Jahresfeier des Frauenvereins in der gefüllten St. Martinskirche. Da wurde über den Verein und die beiden Anstalten für Missionskinder berichtet viel schwere Prüfungen, besonders durch Krankheit, und viel Glaube, der die Welt überwindet. Die Missionskinder sangen ein Lied der Hoffnung auf das Kommen Jesu Christi und zwar nach der Melodie des englischen Volfs- und Liebesliedes: "Long long ago." Diese in großem Maßstab betriebene Verwandlung der gemüthvollsten und sentimentalsten Volksmelodien ist eines der Mittel, welche den massenhaften Zulauf der pietistischen Richtung, besonders von Seite des jungen Frauenvolks erklären. Die Ansprache von Missionar Welsch über die Versuche einer christlichen Frauenerziehung in Indien berichtete, wie auch in Indien die Frauen im Allgemeinen außerordentlich zähe am ererbten Väterglauben, dort also am Gößendienst, hangen und die Männer oft mit den Mächten des Fanatismus einschüchtern, daß diese dem Fortschritt bloß innerlich" anhangen dürfen! War diese im gewöhnlichen Missionsdialekt, dem schwäbischen, gehaltene Ansprache still und sanft und wie das Mondlicht, so diejenige des Missionarz Weiß aus Afrika das gerade Gegentheil davon. Er protestirt mit Recht dagegen, daß man sage, es sehe jetzt in der Christenwelt selbst so arg aus wie im Heidenland, es sei denn doch immer noch ein bedeutender Unterschied, und leistete den Beweis dafür sehr drastisch mit der Beschreibung, wie ein afrikanischer Häuptling unter seinen zwanzig Weibern schaltet und waltet, die er kauft, gelegentlich auch vermiethet und eben als eine Waare willkürlich wieder beseitigt. Es ist gewiß Alles wahr, es widerlegte die thörichte Rede, daß so ein Missionar besser in der Christenheit bliebe, und setzte den Segen der christlichen Kultur in ein helles Licht, aber starke Nerven hatten die tausend zarten Frauen und Jungfrauen, welche da zuhörten.

Seinen Höhepunkt erreicht das Fest jedesmal in der St. Leonhardskirche am Mittwoch Nachmittag, welcher dem eigentlichen Missionswerk gilt. Da waren auch dieses Jahr wieder Schiff und Emporen überfüllt, und biz in die Chöre und die Vorhallen hinaus lauschte die andächtige Menge, es

mochten nahe an zweitausend sein, dem Missionsbericht und den Ansprachen der Missionare Walter aus Indien und Buck aus Afrika. Schließe dich dieser Versammlung noch so sehr mit der kühlen Absicht des Kritikers an, der Geist eines großen Werkes gibt dem schlichten Wort und dem mächtigen Choralgesang eine besondere Kraft, die auch dich ein wenig mit fortreißt. Warum denn auch nicht? Wenn nach deiner Ansicht die 905,000 Fr., welche das Missionshaus im Jahr 1881 einnahm, viel besser im Kampf gegen Armuth, Verwahrlosung und Laster unter uns im Vaterland verwendet würden, so sind nun eben die Tausende, welche dazu fröhlich mitgesteuert, anderer Meinung und halten die Christentaufe eines Chinesen oder Afrikaners mit keiner Summe für zn theuer erkauft. Sie sollen ihres Glaubens leben und wir darnach streben, daß wir für die nach unserer Ansicht dringendsten Werke der innern Mission eine ebensolche Opferwilligkeit aufweisen. Und selbst für den Fall, daß es mit den Zahlen der sog. Bekehrten (anno 1881 waren es 461), die zu kontrolliren eine Unmöglichkeit ist, ganz bedenklich happerte und sehr oft schon der Empfang eines christlichen Almosens als eine Bekehrung tarirt würde: den größten Segen erfährt die Missionsgemeinde dennoch an sich selber durch die sammelnde und begeisternde Kraft, welche jede Glaubensgemeinde erfährt, die zu gemeinsamem Werk und gemeinsamen Opfern sich aufrafft. Diese Kraft läßt sich nicht wegleugnen bei einem Werke wie die Mission, durch welches ein Pfarrer in Basel im Jahr 1881 Sohn und Tochter und Schwiegersohn im Sande Afrikas verlor, ohne Neue, im Schmerze frohlockend. Die Mission steht eben im Dienst eines großen Ideals, dem in irgend einer Form jeder Christ huldigt und das wie jedes rechte Ideal diejenigen segnet und tröstet, die in seinem Dienste fallen.

Sieh, das Heer der Nebel flieht vor des Morgenrothes Helle,
Und der Sohn der Wüste kniet dürstend an der Lebensquelle;
Ihn umleuchtet Morgenlicht: Jesus hält, was er verspricht.

Nächsten Montag und Dienstag den 3. und 4. Juli wird der schweizerische Verein für freies Christenthum in Zürich seinen sogenannten Reformtag halten. Diejenigen, welche daran Theil nehmen können (und möchten deren sehr viele sein!) werden einen recht vorzüglichen Festprediger, Pfarrer Beyring in Trogen, und eine feine Abhandlung von Prof. Biedermann, des großen wissenschaftlichen Theologen, über unsere, der liberalen Christen, Stellung zu Christus und ein erstes originelles Votum darüber von unserm Freund, Professor Ed. Langhans in Bern zu hören bekommen. Daneben wird hoffentlich auch noch Zeit bleiben, diese und jene brennende praktische Angelegenheit in kleinem oder großem Kreis zu berathen und, last not least, alten Kampfgenossen die Hand zu drücken und neue Freunde kennen zu lernen. Glück auf!

Kirchenzeddel Sonntag den 2. Juli 1882.

Münster

Morgenpredigt 9 Uhr Stockmeyer

A.

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A. Linder

Altherr

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Wirth
Wirth

Böhringer

Drud und Expedition von J. Frehner, Steinenvorstadt 12, Basel.

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Fünfter Jahrgang.

No 28.

Samstag, 15. Juli 1882.

Schweizerisches Proteftantenblatt

Herausgeber:

Pfr. A. Altherr und E. Linder in Basel, Pfr. Bion in Zürich.

Wir sollen nur nicht in Sinn nehmen, daß der heilige Geist gebunden
sei an Jerusalem, Rom, Wittenberg oder Basel, an deine oder eine andere
Person. In Christo allein ist die Fülle der Gnade und Wahrheit.
Decolampad an Futher.

Erscheint jeden Samstag. Man abonnirt auf jedem Postamt der Schweiz und des Auslandes. Preis halbjährlich franko zugesandt 2 Fr. Wer das Blatt in Basel gratis erhalten will, kann dasselbe in der Buchdruckerei J. Frehner, Steinenvorst. 12, abholen.

Aeber das Recht des Pfarramts.

Bei der Jahresfeier des st. gallischen Reformvereins, welche Sonntag den 25. Juni in Rorschach stattfand, hat der Direktor Gustav Wiget über das Recht der Religion und ihren Dienst an der Gemeinde im dortigen Kirchlein ein kräftiges und erfreuliches Wort geredet, das wir dem „Rel. Volksblatt" entnehmen, um es unsern Orts so viel wie möglich verbreiten zu helfen. Nachdem er de profundis den Nachweis geleistet, daß Kunst, Wissenschaft und Moral die Religion nie zu ersehen vermögen, hielt er dem Pfarramt, das in unsern Tagen so vielfach als fünftes Rad am Wagen angesehen wird, eine Schußrede, wie man sie schöner nicht erwarten kann, es ist zugleich auch ein Spiegel, darin Jeder erkennen mag, worin es ihm noch fehlt.

„Wir bedürfen, sagte Wiget, der Religion, und wir bedürfen auch der kirchlichen Gemeinschaft und bedürfen des Pfarrers. Wir bedürfen zunächst des Predigers, der aus dem Vollen schöpft, das „Leben kennt und der Hörer Bedürfniß“, der im Christenthum den Beweis des Geistes und der Kraft und nicht Schlagwörter zum Streite sucht, der auf der Warte einer philosophischen Weltbildung die Zeichen der Zeit zu deuten versteht und aus der Tiefe eines religiösen Gemüthes eine befriedigende Antwort schöpft auf die höchsten Fragen des Menschenherzens, der mit hohem Ernst die sozialen Schäden der Gegenwart aufdeckt und ihre Quellen zu verstopfen sucht, der ohne Menschenfurcht das Gemeine bekämpft und das Unrecht und das sittliche Urtheil auch da unerschrocken ausspricht, wo Legalität und Konvenienz es zu ersticken drohen.

„Wir bedürfen zweitens des Pflegers der Armen und des Fürsprechers der ehrlichen Leute. Die Güter und Genüsse dieser Erde sind ungleich vertheilt und Viele wandeln ohne besonderes Verschulden ihr

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