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aufgewachsen sind, wahrlich nicht kleiner, als der alte Gott der Kirche, sondern größer, wunderbarer und reicher als jener.

Es ist ein ganz grundloser Vorwurf, wenn man von den Reformern sagt, sie glauben an keinen Gott; sie haben vielmehr alle Ursache, den Altgläubigen zu erwiedern: wir sind in dieser Hinsicht reicher und beglückter als ihr; ihr müßt bei jedem Blick in's Weltall zittern um Euern Gottesglauben; wir heben unsere Augen in die Höhe und sehen, und jedesmal vernehmen wir die alte und doch ewig neue Sprache der Gestirne, jenes Urwort, gehört vor Abraham und Christ, das Wort der Ewigkeit: Er ist!

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Ein Blick in den gestirnten Himmel verkündet uns aber noch mehr : die liebende Sorge dieses Gottes, der trotz der Unendlichkeit der Welt das Einzelnste und Kleinste regiert, als wäre dieses allein da. Er nennt sie alle mit Namen und führt ihr Heer bei der Zahl herauf, daß auch nicht eines fehlt“, so drückt sich der Prophet in einfachem Bilde aus. Für unsere Fassungskraft und Vorstellung ist diese Thatsache zu groß, aber eine Thatsache ist sie doch. Wir Menschen können für eine kleinere oder größere Zahl von anvertrauten Mitmenschen denken und sorgen, aber je größer die Zahl, um so geringer unsere Theilnahme für das Einzelne. Unter der Menge verliert sich der Einzelne aus unsern Augen. Wenn im kleinen Dorf ein Unglück geschieht, so richtet sich unsere Theilnahme mit ganzer Kraft auf den einen Unglücklichen, aber wenn auf dem Schlachtfeld Tausende fallen, so sind wir nicht im Stande, jedes Einzelnen dieser Tausende liebend zu gedenken, und doch ist Jeder für sich ein Mensch gewesen mit Freuden und Leiden, mit einer Welt voll Interessen im Herzen, und Jeder läßt bei den Seinigen eine unausfüllbare Lücke zurück. Im engen Kreis steht Jeder dem Andern nahe; im einsamen Thal oder auf hoher Alp werden uns die paar Menschen, mit denen wir verkehren, bekannt und lieb und interessant, aber im Gewühl der großen Stadt gehen wir aneinander vorüber, ohne nach einander zu fragen, ohne einander kennen zu wollen.

Von Cäsar erzählt man, daß er als Feldherr alle Soldaten seiner Armee mit Namen gekannt habe; aber das war doch eben auch nichts weiter als ein gutes Gedächtniß; von einer gleich starken liebenden Sorge für die Einzelnen konnte ja keine Rede sein. Und wenn es Menschen gibt, die für jenes Schiller'sche „Seid umschlungen Millionen“ schwärmen, allezeit lieber für Tausend sorgen möchten als für zwei oder drei, so weiß man, daß sich hinter dieser scheinbaren Weitherzigkeit, die ja in Wirklichfeit unmöglich ist, nur ein schwächliches Gefühl verbirgt, das lieber andächtig schwärmt als gut handelt. Die menschliche Liebesthätigkeit hat ihre sehr eng gezogene Grenze; die göttliche dagegen ist schrankenlos, sie waltet durch's Ganze, als ob sie des Einzelnen nicht gedächte, sie sorgt für's Einzelne, als ob sie darüber des Ganzen vergäße.

Diese Thatsache steht vor Aller Augen da; sie ist nicht wegzuläugnen; man braucht nur die Augen aufzuthun und zu sehen. Allerdings will es uns oft scheinen, als ob diese Thatsache durch zahlreiche Fälle von Zerstörung durch Naturgewalt, Ungerechtigkeit durch Menschenhand widerlegt

werde, und der Mensch mit seinem engen Gesichtskreis ist bald bereit, sich dadurch stören zu lassen, besonders wenn er seine Blicke blos auf solche Einzelheiten richtet und das Ganze außer Auge läßt. Aber diese scheinbaren Widersprüche sind doch mit eingeordnet in's Ganze und erscheinen eben nur uns als solche, weil wir sie mit dem kleinen Maßstab unserer Wünsche und Gedanken messen. Keinem Wesen in der Welt hat Gott die Ewigkeit seines Bestandes garantirt; oben am Himmel erlöschen Sterne, unten auf Erden stürzen die Berge und sterben die Menschen; ein fortwährendes Werden und Vergehen, Blühen und Verwelfen gehört mit zur Weltordnung; Frost und Hiße, Sommer und Winter, Tag und Nacht sollen ja sein, so lange die Erde besteht. Und darin besteht eben die Sorge des Ewigen für den Einzelnen, daß an ihm das Gesetz sich vollzieht, das zum großen unendlichen Weltplan paßt, und daß jedes Ding, klein oder groß, sei's durch sein Werden oder sein Vergehen, seinen Tribut an die Vollziehung des göttlichen Weltplans entrichten muß, wie oben am Himmel, so auch unten auf der Erde.

Darum taugt es, um ein wahres und volles Gottvertrauen zu besißen, nicht, wenn wir blos den Maßstab unserer Wünsche an unser Schicksal anlegen. Zu ächtem Gottvertrauen gehört auch ein Einblick in das Ganze des göttlichen Willens und ein Gehorsam, sei's zum Wirken, sei's zum Leiden, sei's zum Werden, sei's zum Vergehen. Also nicht in den Staub, nicht in die Ecke geschaut, wenn Sorgen uns bedrängen! Nicht die einzelne schlimme Erfahrung allein in's Auge gefaßt, wenn Trübsal uns drückt, sondern: Hebet Euere Augen in die Höhe und sehet! Da verliert sich die Einzelsorge im Gedanken an das Allgemeine, da werden wir klein im Gefühl des Unendlichen, da schämen wir uns unserer winzigen Interessen Angesichts des wohlgeordneten und wohlgeleiteten Weltalls, und wir sagen schließlich mit dem frommen Dichter:

Du bist ja nicht Regente,
Der Alles machen soll;
Gott fist im Regimente,

Der führet Alles wohl.

2.

Eine Stimme aus Deutschland.

Unsere Zeit steht vor schweren Kulturaufgaben, die ihr zur Lösung zugefallen sind. Die politischen und sozialen Fragen und der „Kulturkampf“ segen den Geist besonders unseres deutschen Volkes in gewaltige Thätigkeit. Und da draußen Lauern die Neider oder gar Feinde unserer kaum errungenen Einheit und Größe. Gefahren überall! Und doch muß lauterm und festem Wollen und Ringen zuletzt der Sieg werden. Solche Lage schafft ernste Gesinnung, ruft allerwärts sittliche Kräfte auf den Tummelplay des Lebens. So sind gegenwärtig für die geringe religiöse Einwirkung, welche die Gemüther erfahren, andere Interessen gefunden, welche Bewegung in die

Herzen bringen; man merkt es weniger, daß die Thätigkeit der Kirche an den Gebildeten unserer Nation seit einiger Zeit hier und dort völlig ruht. Und doch könnte die Kirche gerade jezt eine herrliche Mission auf unserer deutschen Erde erfüllen, wenn sie den streitenden Mächten jenen Geist der Milde, der Schonung, der Versöhnlichkeit einflößte, der zum Wesen der Religion gehört. Jedes der Prinzipien, die zum Kampfe wider einander entbrannt sind, hat wenigstens einige Berechtigung; nicht ihre gegenseitige Vernichtung, sondern die Verständigung, die gegenseitige Ergänzung muß die Frucht des gegenwärtigen Ringens sein. Das ist aber nur dann möglich, wenn die Leidenschaften der streitenden Persönlichkeiten sich abkühlen, wenn diese die Nuhe gewinnen, in welcher man die Sache der Gegner prüft, wenn sie zu der Selbstverleugnung gelangen, die auf das Eine oder Andere des Eigenen um des Ganzen willen verzichten. kann.

Eine solche vermittelnde und versöhnende Kraft besißt aber die Neligion der Orthodoxie nicht; es liegt vielmehr in der Art der Leztern, es ist ihr Bedürfniß, ihr Leben, selbst Partei zu sein. So liebäugelt sie seit Jahrzehnten mit den politischen Rückschrittlern, die schmollend, und wo es geht, hemmend und störend der einheitlichen und freiheitlichen Entwicklung unsers deutschen Volks im Wege stehen.

Wie wenig es im Charakter der Orthodorie liegt, Liebe zu üben, Friede zu halten, Eintracht zu pflegen, darüber wird uns schon aus ferner Vergangenheit sehr unerfreuliche Kunde. Die Zeiten der christlichen Kirche, in welcher man den Glauben in bestimmte Sagungen zu bringen suchte, sind die dunkelsten und beschämendsten in der gesammten Geschichte des Reiches Gottes. In den ersten Jahrhunderten nach Christo, als man noch in aller Einfalt seinem Herrn und Erlöser diente, und die großen sittlichen Jimpulse, die dieser gegeben, durch die Apostel und nach ihnen durch apostolisch gesinnte Männer in den Gemeinden nachwirkten, da glänzte die Mehrheit der Christen unter den Heiden durch die Lauterkeit ihrer Gesinnung und die Reinheit ihres Wandels; da schien durch sie selbst dem alternden Nömerreiche ein neuer, verjüngender, lebenweckender Geist eingeflößt zu sein. Als man aber den Schwerpunkt der Religion aus der Gesinnung, aus dem Leben in das Bekenntniß legte, als der Streit um Dogmen begann, als sich unter Zuckungen, die schon die tödtliche Krankheit verkündigten, eine christliche Orthodoxie bildete, da brach auch schnell die Lockerung der Sitten herein, da tauchten in der Christenheit heidnische Sünden wieder auf, da konnte die Kirche auch den Verfall des Römerreichs nicht mehr aufhalten, da riß dieses jene mit in seinen Sturz. Und wie freventlich ward damals das von dem Stifter selbst gegebene, höchste Gebot der Liebe verleugnet! Wilde Thiere, so versicherten die dem Glaubensgezänk staunend zuschauenden Heiden, wüthen nicht ärger gegen einander, als die Christen thun.

So haben auch die Glaubensstreitigkeiten der Reformationszeit schon bald nach Luthers Tod die Leidenschaften der Führer und der Menge oft zu blinder Wuth aufgestachelt, und der von seinen „rechtgläubigen“ Vorkämpfern aufgestachelte Pöbel schreckte selbst vor dem Widerstand gegen die von Gott gesetzte Obrigkeit nicht zurück. Ja das Gebot des Apostels Paulus, „Jedermann sei unterthan der Obrigkeit“, ist nicht bloß von ka

tholischen, sondern auch von evangelischen Glaubenszeloten mit Hinweis auf das andere Schriftwort, „Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen“, im Dienste ihres Glaubensegoismus oft genug mit Füßen getreten worden. „Und der König absolut, wenn er unsern Willen thut", dieses Wort Chamisso's paßt nicht bloß auf katholische Jesuiten, sondern auch auf protestantische.

Die Orthodorie stützt sich in ihren Herrschansprüchen auf das 300jährige Zurechtbestehen der Bekenntnißschriften und redet viel Schönes vom Glauben der Väter, obgleich Luther selbst in seinem berühmten Schreiben an König Heinrich VIII. von England mit dieser Art von Begründung sehr unhöflich verfährt. „Warum“, so fragt er hier, „sind denn wir Deutsche Christen worden, so vorhin unsere Vorfahren in deutschen Landen allesammt Abgötter verehrt haben? . . . Wenn die Jahre recht macheten, wäre ja der Teufel der Allergerechteste auf Erden, der nun über 5000 Jahre alt ist." Hätte Luther, der hier so grundverständig seine Kirchenreform zu vertreten wußte, für die reformatorische Bewegung in der Schweiz_mehr Verständniß gehabt; hätte er in Marburg die ihm von Zwingli dargebotene Bruderhand ergriffen; wäre in seinem Verhalten diesem Manne gegenüber nicht schon die Unart der Orthodoxie, andere Ansichten nicht gelten zu lassen, in ihrer ganzen Härte hervorgetreten; wäre später Melanchthon, als er nach Luthers Tod mit der Schweizer Reformation Fühlung suchte, von den lutherischen Orthodoxen unterstützt worden, statt von ihnen verlästert und beschimpft zu werden: dann gäbe es heut zu Tage vielleicht keinen Gegensay der Lutheraner und Reformirten, und die Verschiedenheit der Bekenntnisse dieser beiden Religionsparteien wäre längst ausgeglichen, oder sie bewegten sich friedlich neben einander innerhalb der auf Grund des evangeLischen Christenthums und besonders des großen Gesetzes der Liebe geschlossenen Gemeinschaft, zum Zeugniß, daß evangelische Christen über die Thatsachen und Lehren ihrer Kirche zwar nachdenken und ihre Gedanken auch in aller Klarheit und Bestimmtheit darlegen, aber nicht darüber unchristlichen Streit erheben wollen.

Und wie die Orthodoxen die Vereinigung der schweizerischen und der deutschen Reformation hintertrieben haben, so haben sie, und nicht bloß in deutschen Landen, auch die fernere Zersplitterung des Protestantismus vorzugsweise zu Wege gebracht. Die innerhalb des Letteren meist unter geringen Abweichungen von dem Glauben der Mehrheit entstehenden, durchweg wirkliches religiöses Leben bekundenden Bewegungen verlangten für sich in vielen Fällen nur Duldung. Aber die Orthodoxen versagten diese Duldung, drängten sie mittels der ihnen zur Verfügung gestellten Staatsgewalt aus der Kirchengemeinschaft hinaus und zwangen sie zur Sektirerei. Auch zum Uebertritt in den Katholizismus hat die gehässige Schmäh- und Verfolgungssucht der Orthodoxie schon Menschen von warmer Jesuliebe gedrängt. Das Kernlied, "Mir nach, spricht Christus, unser Held", diese Zierde unseres evangelischen Gesangbuchs, dichtete der fromme, gemüthvolle, aber von dem Dogmengezänk der Lutherischen Strenggläubigen angeeckelte Johann Scheffler, als er nach schweren innern Kämpfen sich entschloß, vor denen, die ihn im vermeintlichen Dienst der Religion „mit den schwersten Ver

läumdungen und Lästerungen, mit unzähligen Schimpf- und Spottreden, wie mit einem großen Heere von Hornissen anfielen“, in der katholischen Kirche Ruhe und Frieden zu suchen.

In Wirklichkeit ist die Verschiedenheit der Bekenntnisse innerhalb des Protestantismus, wenn sie nicht in Folge orthodoxer Heßereien zu offenen Spaltungen führt, nicht blos kein Uebel, sondern sie ist ein Vorzug, dessen wir uns freuen dürfen; ste ist ein Beweis, ein Zeugniß geistigen Lebens und Schaffens; sie ergibt sich auch ganz natürlich und mit Nothwendigkeit aus dem Geist der Lehre Jesu selbst. Wenn schon jene Fischer und die anderen Männer aus dem ungelehrten Volk, die der Erlöser sich zu Jüngern erwählt hatte, nach dem Tod ihres Meisters die elementaren Wahrheiten und Grundsäße des Glaubens und Lebens, in welchem sie von ihm unterwiesen worden waren, jeder in der ihm eigenen Weise weiter verbreiteten, so daß sich schon in den Büchern des Neuen Testaments nicht blos Verschiedenheiten, sondern wirkliche Gegensätze finden: wie sollten diese Verschiedenheiten und Gegensätze sich nicht noch vermannigfachen, nachdem im Lauf der Zeiten das Christenthum zu einem Gegenstand des eingehendsten gelehrten Studiums gemacht und möglichst in seine tiefsten Tiefen eingedrungen wurde! Traten doch, da jeder Mensch gewissermaßen eine in sich selbst abgeschlossene und eigenthümliche kleine Welt ist, die verschiedensten Geister denkend und sinnend an diese größte aller menschlichen Aufgaben; suchten doch die verschiedensten Bedürfnisse Befriedigung und Erquickung an diesem großen Lebensquell. Wenn ferner Menschen selbst Dingen und Erscheinungen gegenüber, die sie sinnlich wahrnehmen, sehen, hören, mit Händen greifen können, oft ganz entgegengesetzte Standpunkte einnehmen, wie sollten dann in der Religion alle dasselbe glauben, fühlen, wollen, diesem für menschliches Denken und Untersuchen theilweise so wenig erreichbaren Lebensgebiet, das eben deshalb, wie es schon einige Bücher der heil. Schrift bekunden, sowohl der philosophischen Klügelei als auch der dichterischen Phantasie einen so ungeheuren Spielraum gewährt! Der ge= sunde Menschenverstand muß es sofort erkennen, daß Verschiedenheiten, ja selbst Gegensäte der Anschauungen, der Ueberzeugungen hier absolut _unvermeidlich sind. C. N.

Der Seufzer eines Einsamen.

Mehr Menschen als man glaubt leiden innerlich unter dem kirchlichen Streit. Sie sind auf dem Wege des Nachdenkens und der Erfahrung vom orthodoren Glauben weit abgekommen, aber ihre Umgebung versteht sie nicht und die gegenwärtig herrschende Reaktion zwingt sie zum Schweigen. So ein unverstandener Stiller im Lande muß der jüngst verstorbene Professor Albrecht Wolters gewesen sein. In seiner von W. Beyschlag herausgegebenen Lebensskizze findet sich, wie wir dem „D. Prstbl.“ entnehmen, folgender Brief, den wir den Seufzer eines Einsamen nennen:

„Ich bin hier so allein, wie ich in C. war. Und doch bedarf ich, daß man mich aufrichtet, daß man mich beständig vor mir selbst verwahrt

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