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Fünfter Jahrgang.

N. 5.

Samstag, 4. Februar 1882.

Schweizerisches Proteftantenblatt

Herausgeber:

Pfr. A. Altherr u. Pfr. E. finder in Basel, Pfr. Bion in Zürich.

Wir sollen nur nicht in Sinn nehmen, daß der heilige Geist gebunden sei an Jerusalem, Rom, Wittenberg oder Basel, an deine oder eine andere Person. In Christo allein ist die Fülle der Gnade und Wahrheit.

Oecolampad an Futher.

Erscheint jeden Samstag. Man abonnirt auf jedem Postamt der Schweiz und des Auslandes. Preis per Vierteljahr franko zugesandt 1 Fr. Wer das Blatt in Basel gratis erhalten will, kann dasselbe in der Vereinsbuchdruckerei, Spalen 3, abholen.

Die Biele der kirchlichen Reform.

Erschrick nicht, wenn man dir sagt, du seiest ein Reformer oder eine Reformerin. Hätte es keine Reformer gegeben in Staat und Kirche und Gesellschaft, so gäbe es kein Evangelium, kein öffentliches Recht, keine Volksbildung und keine Republik, denn auf dem Wege der Reformen, oft sehr stürmischer und blutiger Reformen, haben alle diese Güter einst errungen werden müssen.

Auch die gegenwärtige Reform in unserer protestantischen Kirche geht auf gute, hohe, heilige Ziele los, die vor Gott und Menschen offen dargelegt werden dürfen. Man kann sie in die zwei kurzen Säße zusammenfassen: erstens Glaubensfreiheit innerhalb der Kirche und zweitens Anwendung des Evangeliums auf das alltägliche Leben.

1. Glaubensfreiheit innerhalb der Kirche. Was unsere theure schweizerische Bundesverfassung uns an Glaubensfreiheit gebracht hat, daß Niemand zu einer religiösen Handlung oder Steer gezwungen und daß Niemand seiner religiösen Ansichten wegen in seinen bürgerlichen Rechten verkürzt werden dürfe, das ist schon etwas recht Gutes und Großes. Aber die Glaubensfreiheit innerhalb der Kirche, was die Reform anstrebt, ist etwas ganz Anderes und nicht weniger werthvoll. Denn die Glaubensfreiheit, welche in der Bundesverfassung steht, kann eine Kirche nicht daran hindern, ihren Angehörigen dieses und jenes schwere Joch aufzulegen, wie ja bei= spielsweise die katholische Kirche ihre Gläubigen im strengsten Zwange halten darf. Diese haben durch die Verfassung nur das Austrittsrecht. Und eben

davon möchte die Reform unsere protestantische Kirche vollständig befreien, daß jeder Protestant in seiner Kirche ein vollberechtigtes Mitglied sein kann, ohne sich zu irgend etwas zwingen zu lassen, was gegen seine, hoffentlich wohl erwogene, ernstliche und heilige Ueberzeugung ist. Die Reform möchte eine protestantische Kirche haben, in welcher jeder Bekenntniß-, Taufund Abendmahlszwang verboten ist, Glaubensfreiheit für Pfarrer und Volk, das gerade Gegentheil von der römischen Kirche, in welcher der Gehorsam oberstes Gesetz ist und bleiben wird, für den Hirten, wie für die Heerde.

2. Anwendung des Evangeliums auf das alltägliche Leben. Wenn die Reform ausdrücklich jeden Glaubenszwang innerhalb der Kirche be= kämpft, damit zu so vieler Noth nicht auch noch Gewissensnoth geschaffen und zu so vielen Sünden nicht auch noch Heuchelei erzeugt werde, so ringt sie nur um so ernstlicher darnach, daß die großen und heiligen Lehren Jesu Christi, die Gotteskindschaft und die Bruderliebe im Leben verwirklicht werden. Die Reform möchte die Menschen aus Feinden Gottes, die seinen Geboten widerstreben, und aus Knechten Gottes, die seinen Willen nur mit Seufzen und ans Lohnsucht thun, zu Gottes Kinder machen, denen das Gute zum innern Trieb und Bedürfniß geworden ist. Die Reform dringt auf Anwendung der Bruderliebe auf das Leben in Familie und Staat. Sie ist nicht so thöricht, das aus der Welt schaffen zu wollen, daß es beim Bau eines Hauses Meister, Gesellen und Handlanger gibt, Denker und Handarbeiter, Leitende und Gehorchende; aber sie möchte es dahin bringen, daß die Starken überall der Schwachen Gebrechlichkeit freundlich tragen, und daß die Vielvermögenden auch viel leisten, daß die Jungen für die Alten sorgen, die Gefunden für die Kranken arbeiten müssen. Ich möchte nur einmal einem Menschen begegnen, der zu behaupten wagte, das sei nicht ein gutes, hohes, heiliges Ziel, des Schweißes der Edelsten werth, ja wenn es sein muß, auch des Kampfes werth bis auf's Blut.

Nun, so sei du gerne und mit Freuden und Stolz ein Reformer und eine Reformerin. Je mehr und je besser und je völliger du das im rechten Sinn bist, ein desto edlerer Mensch und desto bräverer Bürger und desto frömmerer Christ bist du auch. Und wo du im Namen dieser ernsthaften, wohlmeinenden und treu gesinnten Reform zu einer That, einem Werke aufgerufen bist, da folge solchem Rufe in der frohen, felsenfesten Ueberzeugung, daß du damit nach einem großen Ziel ringst und einer der heiligsten Angelegenheiten der Menschheit dienst, siegend wie unterliegend, lebend wie sterbend.

น.

Eine Parabel.

In Zeiten, wo eine fortschrittliche, religiöse Richtung einer andern strenggläubigen gegenüber steht, greift man gern auf Beispiele früherer Zeit zurück, gewöhnlich auf Luther und andere Reformatoren. Aber Luther ist uns nachgerade zu lutherisch, und auch Zwingli und seine Genossen kämpften mehr gegen die römischen Mißbräuche. Wir kämpfen gegen die protestantische Verirrung, d. h. gegen dasjenige System, wonach das Christenthum mit dem Glauben an die Unfehlbarkeit der Bibel, mit dem blinden Glauben an die kirchlichen Bekenntnisse und mit der Unduldsamkeit gegen Andersdenkende, als eins und dasselbe erklärt wird.

Wie wir heutzutage stehen, berufen wir uns lieber auf Lessing; er ist im Kampfe gegen traditionelles Kirchenthum unser Mann. Darum sei für dies Mal seine berühmte Parabel" hier mitgetheilt, welche die Verwechslung der Religion mit dem spezifischen Kirchenthum zum Gegenstand hat.

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Ein weiser, thätiger König eines großen, großen Reiches hatte in seiner Hauptstadt einen Palast von ganz unermeßlichem Umfange, von ganz befondérer Architektur.

Unermeßlich war der Umfang, weil er in selbem Alle um sich versammelt hatte, die er als Gehülfen oder Werkzeuge seiner Regierung brauchte. Sonderbar war die Architektur, denn sie stritt so ziemlich mit allen angenommenen Regeln; aber sie gefiel doch und entsprach doch.

Sie gefiel vornehmlich durch die Bewunderung, welche Einfalt und Größe erregen, wenn sie Reichthum und Schmuck mehr zu verachten, als zu entbehren scheinen.

Sie entsprach: durch Dauer und Bequemlichkeit. Der ganze Palast stand nach vielen, vielen Jahren noch in eben der Reinlichkeit und Vollständigkeit da, mit welcher die Baumeister die lezte Hand angelegt hatten, von außen ein wenig unverständlich, von innen überall Licht und Zu= sammenhang.

Was Kenner von Architektur sein wollte, ward besonders durch die Außenseiten beleidigt, welche mit wenig hin und her zerstreuten, großen und kleinen, runden und viereckigten Fenstern unterbrochen waren, dafür aber desto mehr Thüren und Thore von mancherlei Form und Größe hatten.

Man begriff nicht, wie durch so wenige Fenster in so viele Gemächer genugsames Licht kommen könne. Denn daß die vornehmsten derselben ihr Licht von oben empfingen, wollte den Wenigsten zu Sinne.

Man begriff nicht, wozu so viele und vielerlei Eingänge nöthig wären, da ein großes Portal auf jeder Seite ja wohl schicklicher wäre und eben die Dienste thun würde. Denn daß durch die mehreren kleinen Eingänge ein Jeder, der in den Palast gerufen würde, auf dem kürzesten und unfehlbarsten Wege gerade dahin gelangen solle, wo man seiner bedürfe, wollte den Wenigsten zu Sinne.

Und so entstand unter den vermeinten Kennern mancherlei Streit, den gemeiniglich diejenigen am hißigsten führten, die von dem Innern des Palastes viel zu sehen die wenigste Gelegenheit gehabt hatten.

Auch war da Etwas, wovon man bei dem ersten Anblicke geglaubt hätte, daß es den Streit nothwendig sehr leicht und kurz machen müsse, was ihn aber gerade am meisten verwickelte, was ihm gerade zur hartnäckigsten Fortsegung die reichste Nahrung verschaffte. Man glaubte nämlich verschiedene alte Grundrisse zu haben, die sich von den ersten Baumeistern des Palastes herschreiben sollten; und diese Grundrisse fanden sich mit Worten und Zeichen bemerkt, deren Sprache und Charakteristik so gut als verloren war.

Ein Jeder erklärte sich daher diese Worte und Zeichen nach eigenem Gefallen. Ein Jeder setzte sich daher aus diesen alten Grundrissen einen beliebigen neuen zusammen, für welchen neuen nicht selten Dieser oder Jener sich so hinreißen ließ, daß er nicht allein selbst darauf schwor, sondern auch Andere darauf zu schwören bald beredete, bald zwang.

Nur Wenige sagten: „was gehen uns eure Grundrisse an? Dieser oder ein anderer: sie sind alle gleich. Genug, daß wir jeden Augenblick erfahren, daß die gütigste Weisheit den ganzen Palast erfüllt, und daß sich aus ihm nichts, als Schönheit und Ordnung und Wohlstand auf das ganze Land verbreitet."

Sie kamen oft schlecht an, diese Wenigen! Denn wenn sie lachenden Muths manchmal einen von den besonderen Grundrissen ein wenig näher beleuchteten, so wurden sie von Denen, welche auf diesen Grundriß geschworen hatten, für Mordbrenner des Palastes selbst ausgeschrieen.

Aber sie kehrten sich daran nicht und wurden gerade dadurch am ge= schicktesten, Denjenigen zugefellt zu werden, die innerhalb des Palastes arbeiteten, und weder Zeit noch Lust hatten, sich in Streitigkeiten zu mengen, die für sie keine waren.

Einsmals, als der Streit über die Grundrisse nicht sowohl beigelegt, als eingeschlummert war, einsmal um Mitternacht erscholl plötzlich die Stimme der Wächter: Feuer! Feuer in dem Palaste!

Und was geschah? Da fuhr Jeder von seinem Lager auf, und Jeder, als wäre das Feuer nicht in dem Palaste, sondern in seinem eigenen Hause, lief nach dem Kostbarsten, was er zu haben glaubte,

risse. „Laßt uns den nur retten! dachte Jeder. nicht eigentlicher verbrennen, als er hier steht!"

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nach seinem Grund

Der Palast kann dort

Und so lief ein Jeder mit seinem Grundrisse auf die Straße, wo, anstatt dem Palaste zu Hülfe zu eilen, einer dem andern es vorher zeigen wollte, wo der Palast vermuthlich brenne. "Sieh', Nachbar! hier brennt „er! Hier ist dem Feuer am besten beizukommen. Oder hier vielmehr, „Nachbar, hier! Wo denkt ihr Beide hin? Er brennt hier! Was „hätt' es für Noth, wenn er da brennte? Aber er brennt gewiß hier! „Lösch' ihn hier, wer da will. Ich lösch' ihn hier nicht.

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-

Und ich hier

Ueber diese geschäftigen Zänker hätte er denn auch wirklich abbrennen können, der Palast, wenn er gebrannt hätte. Aber die erschrockenen Wächter hatten ein Nordlicht für eine Feuersbrunst gehalten.

Was bedeutet diese Parabel?

Der Palast ist nichts Anderes, als die christliche Religion; die verschiedenen Grundrisse desselben sind die Kirchen und Sekten; bei dem ge= ringsten Lichtschein glauben die Wächter dieser Grundrisse den Palast in Gefahr, und halten schließlich ein bloßes Nordlicht für eine Feuersbrunst !

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Ist's nicht heute noch dasselbe ? Jede geoffenbarte Religion, jede einzelne Kirchengemeinschaft und Sekte behauptet, ihr Bekenntniß sei Gottes Wort und allein selig machend; und wo dasselbe, fei's an welchem Punkte es wolle, angegriffen wird, glauben sie die christliche Religion überhaupt angegriffen. Sie rufen: Feuer! und der Palast brennt doch nicht, die christliche Religion wird nicht im Mindesten zerstört. Was zerstört wird, ist nur der Bekenntnißzwang und die Engherzigkeit des Konfessionalismus. Und das Licht, welches den beschränkten Nachtwächtern als zerstörendes Feuer erscheint, ist nicht die Flamme, welche zerstört, sondern das Licht der wissenschaftlichen Erkenntniß, das die Finsterniß vertreibt und in alle Winkel hinein Klarheit bringt. Wie thöricht also, ein solcher ängstlicher Nachtwächter zu sein, der Feuer ruft, wo keine Gefahr ist! Wie thöricht ein Zionswächter, der über den Untergang des Christenthums jammert, wo dasselbe erst recht über dem Horizont aufgeht!

L.

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