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denn ein Redner, man begnüge sich hier mit bloßem Predigen nicht, sondern wünsche auch Antworten aus der Gemeinde. Der Pfarrer von St. Theodor habe am letzten eidgenössischen Bettag auch über das Wort des verlorenen Sohnes gepredigt: „ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen“, aber was das eigentlich nüße, wenn kein Verlorner wirklich sich aufmacht ? Wer also in der Versammlung von der Gnade angefaßt worden sei, der soll es hier laut dem Heiland bezeugen, welcher schon dafür sorge, daß hier nichts als die Wahrheit bezeugt werde. Da erhob sich deun auch wirklich ein junger Mensch, der sich als Malergeselle bekannte, und erzählte im schwäbischen Accent in einer Art, die durchaus an's Theater erinnerte, seine frühere Sündenlaufbahn unter Schauspielern und Schauspielerinnen, malte ausführlich die Nacht aus, in welcher ihn die Gnade anfaßte, öfteres Lachen hervorrufend, und schloß mit der immer wiederholten Erklärung, daß er jezt abgewaschen sei im Blute des Lammes und bat inständig Alle, sich auch waschen zu lassen in diesem Blute, weil es ihm jezt ganz überaus und unsäglich wohl sei in seinem Gnadenstand.

Bei Verkündigung des leßten Liedes gegen die zehnte Stunde machte einer der leitenden Herren bekannt, Diejenigen, welche den Frieden in Christo gefunden, sollen während des Liedes hinausgehen, die aber, welche nach der Gnade in Christo erst noch verlangen, möchten zurückbleiben, man wolle für sie und mit ihnen noch besonders beten. Jeden Abend, so wird mir versichert, blieben noch ziemliche Schaaren zurück, bei Gebet auf den Knien wurde dann aus ihrer Vielen der „Teufel ausgetrieben“ und die „Befehrung“ vollendet. Einer meiner Freunde, der an der Thüre die Austretenden von ferne ein wenig sich ansehen wollte, bemerkte einen Menschen, der sich laut johlend ihm näherte. Er fürchtete zuerst, es sei ein muthwilliger Störer und merkte erst nachher, daß es ein Erweckter war, welcher von einem Bein auf das andere sprang und im Takt auf- und abspringend sang: „Gottes Gnad' und Christi Blut machen allen Schaden gut."

Und soll ich nun noch ein Wort sagen vom Eindruck, den diese Art der Verkündung des christlichen „Heils" auf mich machte, so bekenne ich mich zu den Toleranten, welche glauben, Eines schicke sich nicht für Alle. Es gibt in einer Stadt, wie Basel, so viel arme, alleinstehende, mühselige und beladene Leute, die sich an solchen Massenversammlungen erwärmen, an ihren traulichen Liedern sich erquicken und bei den gemüthlichen Ansprachen das Elend des Lebens eine Stunde vergessen. Es ist ferner auch wahr, daß, besonders in Städten, die Sünde in vielerlei sehr reizenden Gestalten an junge Leute herantritt und es gibt viel Verlorene, wie sie die Erwecker in ihren Ansprachen schildern; keine Kirche vermag es, sie zu

erreichen, weil wir Pfarrer leider oft über Köpfe und Herzen wegpredigen, und es ist wohl denkbar, daß diese sinnliche Operationsart der Methodisten da und dort Einen sonst für alle Religion verlorenen Menschen zum Bewußtsein bringt, er gehe auf Wegen, die in Elend und Schande hineinführen. Aber das steht mir auch fest, daß diese nächtlichen Monstreversammlungen ihre ungeheure Anziehungskraft doch nur der Anwendung einer kraßsinnlichen, sensualistischen und materialistischen Gesinnung auf die Religion verdanken. Ich bin ferner fest überzeugt, daß nicht nur freisinnige, sondern auch strenggläubige Christen eine große, sittliche Gefahr darin sehen, wenn das bloße Nachsprechen einer Phrase, wie die vom Sichabwaschen im Blut Jesu Christi schon als Bekehrung taxirt wird, während ein wirkliches Christenleben doch wohl in der Nachfolge Jesu, in der Liebe zu Gott und dem Nächsten liegt. Diese grenzenlos oberflächliche Art, in Bekehrung zu machen, steht doch wohl auf gleicher Stufe, wie das mittelalterliche Verfahren, das Kruzifix füssen zu lassen, oder wie die indische Praxis, das Baden im Wasser des Ganges als den Eingang in's Heil zu erklären. Es ist eine mit biblischen Redensarten verbrämte, in feinere Formen gegossene Wiederholung des Ablaßhandels vor der Reformation: Kommet Diebe, Mörder, Meineidige, Wucherer, Hurer u. s. w. kommet, hier wird Alles vergeben! Beim Dominikaner Tehel kostete es schweres Geld, in der Burgvogtei und im Vereinshaus bloß eine Phrase und eine Geberde. Das halten wir für die sittlich gefährliche Seite an dieser neuen Art, das „Heil in Christo“ zu verkünden. A.

Das Armenwesen der Reformation.

(Schluß.)

Man sieht aus den angeführten Bestimmungen der reformatorischen Armenordnungen, wie sehr anders als die katholische Frömmigkeit, und in welch' radikaler, auf Aufhebung der Armuth gerichteten Weise die Reformation die Regelung des Armenwesens an die Hand genommen hat. Gewiß ist nicht zu läugnen, daß auch die katholische Kirche in ihrer Weise den christlichen Gedanken im Auge gehabt und befolgt hat, jedenfalls gegenüber dem Kastengeist und der selbstsüchtigen Armenverachtung der alten Welt ein wesentlicher Fortschritt; aber prinzipiell angefaßt und rationell geübt wurde die christliche Liebesthätigkeit erst im Protestantismus. Der Unterschied, auf dessen Hervorhebung es uns hier vor Allem ankommt, läßt sich nicht besser bezeichnen, als es Riggenbach in seiner Arbeit mit

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folgenden Worten gethan hat. An die Stelle der aus selbstsüchtigen Motiven hervorgehenden, bequemen, schnellfertigen, aber gedankenlosen und eben darum entweder ohnmächtigen oder gar unheilvollen Almosen und Stiftungen ist eine vom lebendigen Christenglanben beseelte Hingebung an die Armen getreten. Und diese läßt sich die Mühe nicht verdrießen, den Ursachen der Armuth sorgfältig nachzuforschen und derselben zu begegnen durch umsichtige Anhandnahme der entsprechenden Mittel: Armenerziehung, Arbeitszuwendung, hebung des Handwerks, Erleichterung des Gründens einer selbständigen Existenz. Jene Hingebung scheut aber auch nicht davor zurück, für die Linderung und Minderung der Armuth zu sorgen, welche sich nicht mehr gänzlich heben läßt, indem sie mit vieler Selbstverläugnung die nöthigen Vorkehrungen trifft und ausführt, um die verschämten Hausarmen: schwerbelastete Familien, Alte und Kranke ausfindig zu machen und zweckmäßig zu unterstüßen. Gewiß, wir können der Reformation das Zeugniß nicht versagen, daß sie nach Kräften bestrebt war, den Vorsatz auszuführen, der einen integrierenden Bestandtheil ihres großen Planes zu totaler religiöser und sozialer Erneuerung des ganzen Volkslebens bildete, und dem Bürgermeister und Rath der Stadt Basel in ihrer Reformationsordnung vom 1. April 1529 einen so schönen Ausdruck gegeben haben mit den Worten: „deßhalb wir fürohin mit Gottes hilff kein Bilder uffrichten lassen, aber ernstlich nachgedenkens haben werden, wie wir die armen Dörfftigen, so die ware und lebendige Bilder Gottes sind, tröstlich versehen mögen."

Der Verfasser der genannten Arbeit hat sich am Schluß derselben veranlaßt gefunden, über den heutigen Gegensatz zwischen katholischer und protestantischer Kirchlichkeit und speziell über den Kulturkampf seine Ansichten auszusprechen. Wir gehen darauf nicht näher ein, können uns aber nicht enthalten, einige andere Bemerkungen hier beizufügen, die uns beim Anhören jenes Vortrages sich aufgedrängt haben.

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Es ist erfreulich, zu sehen, wie unerbittlich durchgreifend und konsequent reformirend die protestantische Kirche auch in dieser Sache vorgegangen ist. Stellen wir uns auch nur ein wenig vor, wie tief die damaligen Reformen in's Leben und Gefühl der durch's Mittelalter erzogenen Generation müssen eingeschnitten haben, so ist Alles das, was man etwa heute als Forderung der Neuzeit ein- und durchzuführen strebt, wie Nichts dagegen. Denke man sich z. B, die totale Abschaffung der Bilderverehrung, mit der so schönen Motivirung, daß hinfort die armen Gemeindeglieder als die wahrhaften, lebendigen Bilder betrachtet werden sollen, welch' ein Entseßen mag sich Tausender von ängstlich-gläubigen Gemüther bemächtigt haben. Decolampad

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erzählt, daß die Altgläubigen über die Entfernung der Bilder hätten Blut weinen mögen! Und nun erst dieser ganz andere Gottesdienst, den Armen zur Befreiung von ihrer Armuth auf staatlichem Wege zu verhelfen! Das ist sicher nicht so leicht verarbeitet worden und es wundert uns keineswegs, wenn Georg Wizel erzählt, es sei damals bei den Armen zur sprichwörtlichen Rede geworden, sie wollten ihre vorigen Mönche auf dem Rücken wiederum holen." An der Wahrheit dieses Zeugnisses zu zweifeln, haben wir keinen Grund; nur hat dasselbe keine Beweiskraft gegen das reformatorische Armenwesen, sondern viel eher für dasselbe. Der Jngrimm der frühern Bettlerhorden und ihre Sehnsucht nach den Fleischtöpfen des Mittelalters zeigt unverkennbar, daß die Armenordnungen der Reformation rasch feste Wurzel gefaßt hatten und in energische Wirksamkeit getreten waren. Eine Opposition von jener Seite konnte den Reformatoren nur willkommen sein, als Bestätigung für die Richtigkeit ihrer Anschauungen." Wie viel Muth und Entschlossenheit läßt sich aus diesem Vorgehen der Reformatoren schöpfen für das Bischen Reform, das wir heutzutage anstreben!

Wenn wir die Art und Weise, wie heute die Armenpflege besorgt wird, vergleichen mit den Grundsägen der reformatorischen Anordnungen, so finden wir, zumal in Basel, noch ungefähr denselben Stand, Leider sogar auch noch vielfach die gedankenlose „Wohlthäterei", welcher sie damals ein Ende machen wollten. Wie viel wird noch von gutmeinenden, aber unverständigen Männern und namentlich Frauen in's Blaue hinein gegeben,

nicht etwa, um wirklich der Armuth die Wurzel abzuschneiden, sondern um sie förmlich zu erhalten, und dabei einestheils sich einzureden, dieses Uebel müsse immer bestehen und andererseits sich insgeheim seines Reichthums und seines Christensinns bewußt zu werden! Man sollte doch jezt, nach nahezu vier Jahrhunderten, auch wieder um einen Schritt weiter gekommen sein, und sich nicht bloß damit begnügen, mechanisch nachzumachen, was unsere Vorväter in reformatorischem Muthe begonnen haben. Wie ein solcher Fortschritt geschehen könnte, ergibt sich von selbst, wenn wir diejenigen Bestimmungen in's Auge fassen, welche in jenen Armenordnungen als bloße fromme Wünsche bereits ausgesprochen sind, aber nicht wirklich durchgeführt werden konnten. Diese bildeten als unentwickelte Keime die Anknüpfungspunkte für die Zukunft, und an uns ist es, zuzusehen, ob aus ihnen nicht noch etwas zu machen ist.

Als solche Keime betrachten wir:

1. Den Grundsaß, daß die Armenpflege voll und ganz Sache der staatlichen Gemeinschaft und nicht mehr der Kirche sein solle.

2. Den Grundsatz, daß namentlich die Krankenpflege unentgeltlich und durch Aerzte, die vom Staat, resp. von der als Versicherungsverein organisirten Gemeinschaft besoldet sind, gleichmäßig besorgt werden sollte.

3. Der Grundsaß, daß der Bettel, wie überhaupt die unterstüßungsbedürftige Armuth als im Prinzip ungehöriges betrachtet und auf Mittel gedacht werde, dieselbe aufzuheben.

4. Den Grundsaß, daß jedem Verstorbenen, von der Gemeinschaft aus das zu seiner Bestattung Nöthige als Leistung der Gemeinschaft zugesichert sein soll.

Wenn wir diese Grundsätze in's Leben einführen könnten, so wären wir unserer Väter würdig und übten ein Christenthum, welches nicht bloß ein Zehren von dem von früherer Zeit erworbenen Gut, sondern eine kräftige und segensreiche Fortsetzung der Reformation zu nennen wäre.

Eine liberale Christin im Verborgenen.

L.

Die deutsche Prinzessin Elisabeth Charlotte heirathete im Jahr 1671 den Bruder des französischen Königs Ludwig XIV. und lebte, nachdem sie zum Katholizismus übergetreten, fortwährend an dessen Hof, also als Schwägerin des Königs, der das Toleranzedikt von Nantes aufhob und die protestantischen Christen mit Feuer und Schwert aus ganz Frankreich_ver= trieb. Sie unterhielt mit ihren Eltern in Deutschland einen Briefwechsel, der jest in zwei Bänden veröffentlicht ist, und es ist lehrreich, was sie denselben unter dem Siegel des Postgeheimnisses als ihre wahre Ueberzeugung anvertraute.

Sie schrieb im Jahr 1697: die Priester können nicht ohne Streit sein. Ich für mich halte mich an das Wort, das mir der gute und rechtschaffene Oberst W. zu wiederholen pflegte: es gibt nur eine wahre Religion in der Welt, und die läßt sich unter allen Formen der Gottesverehrung finden, es ist die Religion der rechtschaffenen Leute. Diese sind allenthalben gleicher Ansicht, und weil man fein rechtschaffener Mensch sein kann, ohne die Lehren des Evangeliums zu befolgen, so finde ich in diesen die wahre Religion. Die Priester aber wünschen die Vereinigung aller christlichen Kirchen nicht, denn wenn alle Menschen der gleichen Religion wären, hätten Priester und Bischöfe nichts mehr zu sagen.

Sie schrieb im Jahre 1704: was die verschiedenen Richtungen in der christlichen Religion betrifft, so halte ich sie für eine Streitfache unter den Geistlichen, mit der die rechtschaffenen Leute nichts zu thun haben. Die Sache dieser ist es, christlich zu leben, barmherzig zu sein und die Tugend zu üben. Ich gestehe, so oft ich den König in den Predigten dafür loben höre, daß er die Reformirten verfolgt hat, macht es mich unruhig; ich kann es nicht leiden, daß schlechte Handlungen gelobt werden und daß Könige sich einbilden, deshalb Gott wohlzugefallen, weil sie beten. Dazu hat er sie nicht auf den Thron gesezt, sondern daß sie das Gute thun, Recht und Gerechtigkeit üben, das wäre ein rechter Gottesdienst für Könige. Dazu sollten sie wachen über den Priestern, daß diese beten und sich in andere Angelegenheiten nicht mischen. Denn es ist eine traurige Sache, daß die Christen durch ihre Priester dazu getrieben werden, einander mit gezogenem Schwert gegenüber zu stehen. Wenn es auf mich ankäme, dürfte man in den drei christlichen Religionen sich nicht darum bekümmern, was die Andern glauben, sondern sie müßten einfach sorgen, daß man gemäß dem Evangelium lebe und gegen diejenigen predigen, welche das nicht thun. Man sollte die verschiedenen Christen sich untereinander heirathen lassen und sie in die Kirche gehen lassen, wohin sie wollen, ohne jeden Zwang. Auf diese Art gäbe es mehr Einigkeit unter den Christen, als jezt der Fall ist.

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