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geradezu kleinlich-pedantisch, um nicht mehr zu sagen, zu sein. Als ob nicht ein Luther mit seinen Freunden auch bei den ernstesten Verhandlungen über heilige Fragen ein Kännchen Bier getrunken und wohl auch geraucht hätte, wenn damals schon das edle Tabakskraut bekannt gewesen und ihm geschmeckt hätte; als ob nicht ein weit Größerer und Gerechterer, als Luther und wir Alle sind, bei Gastmahlen seine erhabenen Lehren verkündigt hätte; (wofür er denn freilich von den „Pharisäern“ auch scharf getadelt wurde) als ob nicht in unsern Tagen ganz allgemein auch bei ernsten Verhandlungen über wichtige und selbst religiöse Fragen, welche längere Zeit andauern, getrunken und geraucht würde! (sogar in geistlichen Kapiteln und Pastoralversammlungen.)

Die Hauptsache bei der Versammlung der kirchlichen Volkspartei war denn doch die, daß diese Versammlung von gegen 2000 Männern stundenlang mit der größten Aufmerksamkeit und Stille den gehaltenen Vorträgen lauschte, und die lebhaften, oft stürmischen Aeußerungen der Zustimmung sind ja am Ende nur ein Zeugniß für das vorhandene große Interesse. Wenn nun hie und da ein kräftiges Wigwort fiel und Gelächter erregte, so darf man dies bei einer Volksversammlung von Berlinern, welche hierin bekanntlich stark sind, ruhig mit in den Kauf nehmen. Ein gemeines, frivoles Wort wurde nicht gesprochen. Das Derbste, was unsers Wissens und zwar nicht von der Tribüne aus, sondern von einem stämmigen Bürger aus dem Schooße der Versammlung heraus gesagt wurde, lautete: „Stöcker rede vom Rauschen des preußischen Aars, das sich in der von ihm hervor gerufenen Bewegung kundgebe und es sei dies doch nur das Rauschen einer Nachteule." Da hat denn ein Luther wahrlich oft viel derber sich_ausgedrückt, und wird in den Versammlungen der lutherisch-orthodoxen Partei und in deren Organen noch ganz Anderes über die freisinnige Nichtung ausgesprochen. Ueber solche Aeußerlichkeiten, die übrigens manche in der Versammlung anwesende Freunde der Sache selbst lieber bei Seite gelassen gesehen hätten, woran sie aber doch kein Aergerniß nehmen konnten, sollten sich wirklich freisinnige und gebildete Männer hinwegsehen können. Auf den Referenten, der eine profane Behandlung heiliger Dinge, so entschieden als nur Jemand verwirft, machte die Versammlung im großen Ganzen einen erhebenden, mitunter geradezu ergreifenden Eindruck. Es wehte durch die selbe etwas von reformatorischem und prophetischem Geiste. Allerdings war dies kein vornehmes Theekränzchen, wo nur in gewählten Worten gesprochen wird, sondern eine richtige Volksversammlung, in der oft ein ungesuchtes Wort als der Ausdruck unmittelbarer erregter Stimmung geredet wurde, aber dafür auch Leben und Begeisterung herrschte. Wenn in einem Blatte des Protestantenvereins die Manen von Lang und Bizius gegen die Volkspartei aufgerufen werden, so muß dies uns Schweizern geradezu komisch vorkommen, indem Niemand mehr als eben diese Männer am Vorgehen der kirchlichen Volkspartei und an der Versammlung vom 24. Sept. ihre helle Freude gehabt hätten. Bigius sprach übrigens nicht lange vor seinem Tode noch gegenüber Dr. Kalthoff seine lebhafte Zustimmung zu dessen Bestrebungen aus. Der Berichterstatter hat auch die feste Ueberzeugung, daß die schweizerischen Freunde des freien Christenthums insge

sammt denselben guten Eindruck von der Versammlung der kirchlichen Volkspartei bekommen und dieselbe, wie er, mit dem Gefühle verlassen hätten: Das ist Geist von unserm Geiste ! “

Nebst der Form der Versammlung wird nun auch das Programm derselben heftig angefochten. Da dasselbe beinahe nichts enthält, als was wir in der Schweiz selbst eifrig angestrebt und schon errungen haben und bei dem wir uns gut befinden, so kann für uns nur noch in Frage kommen, ob dies Programm für preußische Verhältnisse angemessen sei oder nicht. Darüber zu entscheiden müssen wir unsern Gesinnungsgenossen in Deutschland allerdings überlassen. Immerhin aber ist zu bedenken, daß dieses Programm sehr vernünftige und christliche Forderungen enthält, und wenn es vorderhand eben als ein Programm, als ein Ziel, das man sich stellt und von dem man nicht meint, es müsse sogleich erstürmt und gänzlich erreicht werden, angesehen und behandelt wird, es gewiß auch seine zeitge= mäße Berechtigung hat. Es wird nun Alles davon abhangen, wie die neue Partei vorgeht. Sucht sie wirklich nichts anderes, als die Grundsäße evangelischer Wahrheit, Freiheit und Liebe in fester und besonnener Weise zu verbreiten und zu verwirklichen, wofür der ernste, ideale, tief religiöse Sinn so Vieler ihrer Angehörigen und namentlich auch leitender Persönlichkeiten bürgt, so wird sie ein Salz für die Kirche Deutschlands werden und großen Erfolg haben. Dürfen wir ihr einen Nath geben, so wäre es der, sich einerseits von allen unlautern Elementen ferne zu halten und zu reinigen, welche sich so gerne jeder derartigen Bewegung anhängen, und andererseits mit dem deutschen Protestantenverein in kein feindseliges Verhältniß zu treten, sondern sich als dessen linker Flügel zu betrachten, der mit ihm stets Fühlung behält und, wo es immer nur angeht, gemeinschaftlich kämpft und baut. Denn ein Bruch zwischen dem deutschen Protestantenverein und der kirchlichen Volkspartei käme am Ende ja nur ihrem gemeinsamen Gegner zu gute. Und ist uns schließlich erlaubt, auch den Führern des deutschen Protestantenvereins ein wohlmeinendes Wort zu sagen, so wäre es das: unterschäßet und verachtet nicht diese aus dem Volke hervorgegangene religiös-kirchliche Bewegung, sondern sucht sie zu verstehen und zu würdigen, und so weit ihr sie verstehen und würdigen könnt, auch zu unterstüßen; denn sie verdient solches. Durch eine aus augenblicklicher Mißstimmung hervorgehende anhaltende feindselige Behandlung der neuen Partei würdet ihr euch nur die Wurzeln eures eigenen Lebens untergraben und wir Schweizer, die wir zu euch seit Jahren in so herzlich-freundschaftlichem Verhältnisse stehen, müßten zu unserm größten Bedauern Luther gegenüber Zwingli Recht geben und schmerzlich fühlen: „Wir Schweizer haben einen andern Geist."

B.

Zur Abendmahlsfeier.

Die reformirte Synode von Basel-Stadt hat in ihrer Sizung vom 19. Oktober mit 33 gegen 31 Stimmen in Sachen der Abendmahlsfeier beschlossen, daß die gemeinsame Feier desselben durch die Gemeindegeist= lichen als Regel und die Aufkündung der Gemeinschaft als Ausnahme zu gelten habe und zu dulden sei. Künftig in die Landeskirche gewählte Geistliche dürfen also nicht mehr ohne Weiters von sich aus ihren freisinnigen Kollegen an derselben Gemeinde die Gemeinschaft verweigern, sondern müssen sich dazu jeweilen vom Kirchenrath ermächtigen lassen.

Der Vorschlag der kirchenräthlichen Mehrheit lautet: „Der Geistliche, der die Predigt zu halten hat, an welche sich die Freiheit des heil. Abendmahls anschließt, hat für die Zudienung zu demselben, sowie für die Vorbereitung auf dasselbe zu sorgen." Der von der kirchenräthlichen (freisinnigen) Minderheit vorgeschlagene und nun beschlossene Zusah lautet: „Die Zudienung liegt zunächst den Geistlichen der betreffenden Gemeinde ob. Sollte die gegenseitige Unterstützung bei der Abendmahlsfeier bei einem Geistlichen Gewissenbedenken hervorrufeu, so hat er dieses dem Kirchenrath anzuzeigen, welcher Disspensation bewilligen, beziehungsweise die Beiziehung anderer hiezu berechtigter Personen gestatten wird."

Daß der Beschluß mit bloß 33 freisinnigen Stimmen gegen die große Minorität von 31 Stimmen und nur mit einem vier Stunden langen Redekampf errungen werden konnte, das mag der kirchlich freisinnigen Bevölkerung die Augen darüber aufthun, welchen schweren Stand, troß des guten Ausfalls der lezten Wahlen, ihre Vertreter immer noch haben. Eine ersprießliche Arbeit derselben wird noch wesentlich erschwert durch den geseßlichen, aber widersinnigen Umstand, daß die Mehrheit im Kirchenrath_ihre Anträge von ihrem orthodoxen Standpunkt aus formulirt und so in allen wichtigen Punkten Unter- und Oberbehörde zum vornherein widereinander find. Alle Geduldsproben, Kunststücke und Schreckschüsse, welche die Verhandlungen mit sich bringen, durchzumachen, das ist eine Ascese, mit der man hoffentlich den Himmel verdient.

A.

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Fünfter Jahrgang.

No 43. Samstag, 28. Oktober 1882.

Schweizerisches Proteftantenblatt

Herausgeber:

Pfr. A. Altherr und E. Linder in Basel, Pfr. Bion in Zürich.

Wir sollen nur nicht in Sinn, nehmen, daß der heilige Geist gebunden
sei an Jerusalem, Rom, Wittenberg oder Basel, an deine oder eine andere
Person. In Christo allein ist die Fülle der Gnade und Wahrheit.
Oecolampad an Suther.

Erscheint jeden Samstag. Man abonnirt auf jedem Postamt der Schweiz und des Auslandes. Preis halbjährlich franko zugesandt 2 Fr. Wer das Blatt in Basel gratis erhalten will, kann dasselbe in der Buchdruckerei J. Frehner, Steinenvorst. 12, abholen.

Zu Allerheiligen und Allerseelen.

Das Grab ist tief und stille und schauderhaft sein Rand;
Es deckt mit schwarzer Hülle ein unbekanntes Land.
Das Lied der Nachtigallen tönt nicht in seinen Schooß;
Der Freundschaft Rosen fallen nur auf des Hügels Moos.
Verlaß'ne Bräute ringen umsonst die Hände wund;
Der Waisen Klagen dringen nicht in der Tiefe Grund.
Doch sonst an keinem Orte wohnt die ersehnte Ruh':
Nur durch die dunkle Pforte geht man der Heimat zu.

Das arme Herz hienieden, von manchem Sturm bewegt,
Erlangt den wahren Frieden nur, wo es nicht mehr schlägt.
(Salis.)

Die katholische Kirche weiß nichts von diesem Frieden im Grabe, denn wenn sie die nächsten Tage wieder Allerheiligen und Allerseelen feiert, so thut sie es auf Grund ihrer Lehre, daß alle verstorbenen Christen zu ihrer Läuterung in das Fegfeuer kommen. Nur einzelne Fromme, die sich durch gute Werke, wie z. B. die Vertilgung der Kezer in besonderm Maße ausgezeichnet haben, nur sie bedürfen der Reinigung nicht mehr, sondern gehen direkt zur Seligkeit ein. Die Fürbitte dieser Heiligen ist ein kräftiges Mittel, die Seelen aus dem Fegfeuer zu erlösen; auch die Gebete der Hinterlassenen und ganz besonders die bezahlten Messen helfen wesentlich mit, die Qual der Verstorbenen abzukürzen. Durch diese Lehre ist die katholische Kirche zu ihren immensen Reichthümern gekommen, denn der gutmüthige Mensch, der Vater und Mutter, Bruder und Schwester, Kinder und Freunde in der Qual des Fegfeuers weiß, läuft, was er kann, und wirft, was er an irdischer Habe besigt, freudig der Kirche und ihren Heiligen zu Füßen, um ein treugeliebtes Herz recht schnell in den Himmel

einzukaufen. Auf einen der heiligsten Züge der Menschennatur, auf die bis in den Tod treue Liebe, baut die Kirche das allergrößte, einträglichste Geschäft und einen Reichthum auf, dem gegenüber jüdische Rothschilde und christliche Monarchen arme Schlucker sind. Auf diesem heilig - unheiligen Dogma vom Fegfeuer ruht aber auch eins der gemüthreichsten, katholischen Feste: der Zug der Gemeinde auf den Gottesacker vor die mit den leßten Blumen des Jahres geschmückten und mit dem ewigen Lichtlein erleuchteten Gräber, das Gebet um die Seelenruhe derer, welche in der Erde dunkeln Kammern wohnen ohne Frieden. Wer kennte nicht das rührende Gedicht von Saphir:

-

Möchte wissen, wenn ich bald begraben werde sein,

Und auf meinem Grabe steht ein Kreuzchen oder Stein,
Und man vor Riedgras kaum das Grab zu seh'n vermag:
Ob sie wohl kommen wird am Allerseelentag ?
Ob sie den feuchten Blick wohl senket niederwärts?
Ob sie bei sich nicht denkt: hier ruht ein treues Herz ?
Ob sie um meinen Stein ein kleines Kränzchen flicht?
Ob sie für meine Ruh' ein Vater Unser spricht ?
Gewiß, sie wird wohl kommen, zu beten, auf mein Grab,
Sie weiß, daß ich sonst keinen für mich zu beten hab'.

Die Reformation hat das Dogma von dem Uebergangszustand zwischen Hölle und Himmel verworfen und sich auf die Bibelworte gestellt, welche das Loos der Gestorbenen als für alle Ewigkeit entschieden erklären: Etliche werden auferstehen zum ewigen Leben, Etliche zu ewiger Schmach und Schande. In der protestantischen Kirche hat folglich der großartige Handel, in welchem für Gebete und Geld der Hinterlassenen ihre lieben Todten zur Seligkeit gelangen, ein jähes Ende genommen. Damit sank auch die Poesie der Heiligenverehrung, der Todtenmessen, der Blumen, Lichter und Gebete am Allerseelenfest folgerichtig dahin. Aber der moderne, protestantische Christ, wenn ihm noch der Glaube an ein persönliches Fortleben übrig geblieben ist, hat die freie Wahl, sich auch dieses Fortleben als eine Fortentwicklung, als ein Leben der Vollendung zu denken, in welchem der großartige Grundgedanke der katholischen Kirche von einem Zwischenreich ohne Fürbitte und Messe zu seinem Recht kommt.

Wer selig wär', und müßt' unselig And're wissen,
Die eig❜ne Seligkeit wär' ihm dadurch entrissen.
Und der Gedanke nur gibt Seligkeit auf Erden,
Daß die Unseligen auch selig sollen werden.

(Fr. Rückert.)

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