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Ach, es ist traurig“, sagt Fäsch an einer andern Stelle, daß man unter Menschen, die nur dadurch Menschen sind, daß sie Vernunft haben, die Vernunft zu vertheidigen genöthigt ist, aber wir dürfen nur gewisse Schriften unsrer Tage lesen, und hin und wieder gewisse Vorträge anhören, um uns zu überzeugen, daß diese Vertheidigung für jeden Freund der Wahrheit und mehr noch für jeden Lehrer der Religion heilige Pflicht sei. Hat uns Gott den gesunden Menschenverstand nur deswegen gegeben, daß wir denselben unter einen Scheffel sehen, oder gar unter den Tisch werfen sollen? Hat uns Christus die vernünftigste aller Neligionen nur deßwegen verkündigt, daß sie uns verwirrt machen, Trennungen unter uns veranlassen, in Schwärmer und Sektirer uns verwandeln soll? Nur deutliche Begriffe, nur richtige Bestimmungen und praktische Anwendungen der Glaubenslehren sind des Menschen und des wahren Jüngers Jesu würdig. Aber was empfängt man, was liest man, was hört man da, wo die Vernunft verachtet und verkannt wird? Einen Schwall von heiligscheinenden, aber hirnlosen Worten, Blumeleien, Liebeleien, Tand- und Seifenblasen; die ganze christliche Religion, wie sie da geglaubt und verkündigt wird, ist weiter nichts als Spielwerk, Blendwerk einer verdorbenen überspannten Einbildungskraft; das wahre Wesen der Religion besteht nicht darinnen, daß mau bloß über die Größe und Menge seiner Missethaten seufze, jammere und doch sich keine Mühe gibt, auch nur einer einzigen los zu werden, daß man bloß über die Verblendung und Lasterhaftigkeit der argen Welt losziehe, und doch durch keine Tugenden vor derselben sich auszeichne, daß man bloß auf Jesu unschäzbares Verdienst sein Vertrauen sege und selbst ohne Verdienst bleibe; nein, das wahre Wesen der Religion besteht in der Liebe zu Gott, in der treuen Erfüllung aller unsrer Pflichten, in einem rastlosen Bestreben zu wachsen an Weisheit und Tugend, in der Gnade und Erkenntniß Jesu Christi.“

„Verdächtig sei uns daher jeder, der uns die Vernunft verdächtig, verächtlich zu machen sucht; und desto eifriger unser Bestreben, unsern Verstand auszubilden, unsere Vernunft ihres göttlichen Ursprungs würdig zu machen; unser Christenthum sei ein vernünftiges Christenthum; nicht bloße Gedächtnißsache, nicht bloßes Nachplappern der Meinungen anderer, nicht Lippendienst, aber auch nicht Empfindelei, nicht Weystizismus, nicht Schwärmerei, sondern die Frucht reifen Nachdenkens und der innigsten Ueberzeugung! So gelangen wir zu einem Glauben, der niemals wanket, zu einer Hoffnung, die nie zu Schanden wird, zu einer Freude, die Niemand von uns nimmt !"

So predigte, in seelsorgerlichem Gewissensdrang gegenüber dem eindringenden vernunftfeindlichen und wundersüchtigen Pietismus J. J. Fäsch, Hauptpfarrer zu St. Theodor, im Jahre 1817. Und was predigte er eigentlich? Nichts anderes, als was die Reformer von heutzutage predigen: die Berechtigung der Vernunft und der von ihr geübten Kritik gegenüber der Ueberlieferung und dem Buchstaben, den ge= sunden Menschenverstand gegenüber den Verirrungen wundersüchtiger Schwärmerei, das Festhalten an der Landeskirche gegen= über ungesunder und hochmüthiger Separation, die Heiligung der Gesinnung gegenüber dem Pochen auf Phrasen und Ceremonien!

Fäsch stand mit seinen Ansichten so ziemlich allein; die meisten seiner Amtsbrüder waren anderer Ansicht und dem auftauchenden Pietismus zugeneigt. Und dennoch lesen wir nichts von einer Abendmahlztrennung unter den damaligen Geistlichen, nichts von Parallelgottesdiensten gegenüber den Predigten von Fäsch, nichts von Stadtmissionaren, die seine Wirksamkeit verdächtigt hätten! Das war vor 60 Jahren. Sind wir denn wirklich seither um 60 Jahre zurückgekommen? 2.

Zur Pfarrwahl in Richen.

In dem freundlichen, eine Stunde von Basel gelegenen und zum Kanton Baselstadt gehörenden Dorf Niehen wurde vor sechs Jahren Herr Gottlieb Linder von Basel zum Gemeindepfarrer erwählt. Laut § 3 des Basler Pfarrwahlgesetzes vom 2. Februar 1874 sind alle seither gewählten Geistlichen bloß auf sechs Jahre erwählt und nächsten Sonntag soll es sich zeigen, ob Riehen seinen bisherigen Geistlichen wieder wählt oder einen andern ihm vorzieht. So nämlich ist die Erneuerungswahl eingerichtet, daß diese ganz so behandelt wird, wie wenn die Stelle durch Tod oder Wegzug erledigt wäre. In andern Kantonen, wo die periodische Erneuerungswahl der Geistlichen ebenfalls vorgeschrieben ist, wird diese ganz anders und in einem viel mildern Sinne ausgeübt. Dort werden die Wähler gefragt, ob sie den bisherigen Geistlichen bestätigen wollen, und sie antworten darauf mit einem Ja oder Nein durch die Abstimmungskarte, und erst wenn ein Mann von seiner Stelle weggewählt ist, schreitet die Gemeinde zu deren Wiederbesetzung an einem spätern Wahltag. Und dazu kommt noch, daß alle diejenigen Stimmberechtigten, welche sich der Stimmabgabe aus irgend welchen Gründen enthalten, im Kanton Zürich zu denen gezählt werden, die mit Ja, also für Bestätigung des bisherigen Geistlichen gestimmt haben. Bei diesem Verfahren, das leuchtet ein, ist dem Inhaber einer Stelle ein gewisser Vorzug eingeräumt und hält es ziemlich schwer, ihn von heute auf morgen vor die Thüre auf die Gasse zu stellen. In Basel dagegen hat dies milde und rücksichtsvolle Verfahren nicht beliebt, denn da wird ganz so verfahren, als ob der seit sechs Jahren in der Gemeinde wirkende Geistliche nicht da wäre, jeder Wähler schreibt den ihm beliebenden Nanien auf seine Karte, die der Wahl sich Enthaltenden werden nicht als ebensoviel bestätigende Stimmen gezählt, und wo irgend eine bedeutende, in der Agitation geübte Minderheit einer nicht eben so rührigen Mehrheit gegenüber steht, da kann sie mit aller Leichtigkeit einen Geistlichen von heute auf morgen vor die Thüre stellen. Und diesem, wie man zugeben wird, bittern Schicksal sind nicht etwa alle Geistlichen Basels ohne Unterschied ausgesetzt; der Kanton Zürich allerdings, der hat alle, auch die für lebenslänglich angestellt gewesenen Geistlichen dem Gesetz der Neuerungswahl unterworfen, in Basel hingegen schwebt das Damoklesschwert bloß über den seit dem 2. Februar 1874 Gewählten, während die vorher Gewählten in ihrer Stellung lebenslänglich geschützt und somit höhern Rechtes sind.

Warum sagen wir das jetzt? Wahrlich nicht, weil wir die periodische

Erneuerungswahl bekämpfen möchten; wir halten diese im Gegentheil für ein gutes und unantastbares Recht der Gemeinde, es scheint uns gefährlich und verderblich, daß Jemand, und wäre es auch ein Pfarrer, sich als unabsehbar und nicht wieder wegbringbar wissen soll, denn es ist sehr zu fürchten, daß er sich dieses hohen Vorrechts nicht immer würdig erweist, und es fehlt kaum an Beispielen, daß Geistliche durch unwürdiges und fanatisches Treiben das religiöse und sittliche Leben des Volkes unsäglich schädigen und auf dem sichern Felsen ihrer Lebenslänglichkeit sich Alles gegen eine Gemeinde erlauben, welche sie, wenn sie das Recht dazu hätte, von Gottes und Rechts wegen wegwählen würde. Also jeder Gedanke, am guten Rechte der Gemeinde zu rütteln, liegt uns vollständig ferne. Und ebensowenig kann, wer uns nur ein klein wenig kennt, den Verdacht schöpfen, wir fürchten etwa für die eigene Haut, denn keinem freisinnigen Pfarrer in Basel würde es, weggewählt von seinem jezigen Posten, die ge= ringste Mühe machen, irgendwo im schönen Schweizerland wiederum ein stilles Dorf zu pastoriren; es ist für ein den Frieden liebendes Gemüth besser in Galiläa sein, als in Jerusalem, dessen Gassen immmer wiederhallen vom: Kreuzige ihn! Nein, aus Sorge für die eigene Stellung schreiben wir auch nicht. Sondern das wollten wir sagen: die Art und Weise, wie das gute Gesetz betreffend periodische Erneuerungswahl bei uns ausgeübt wird, die in ihrer Schroffheit einzig dastehende Praxis, sie ist in einer Stadt, wie Basel, wo der Wahn eines alleinberechtigten und alleinseligmachenden Glaubens noch so bedenkliche Macht hat und wo man die Unterdrückung oder geistige Ueberwindung" der freisinnigen Richtung offen proklamirt und fast jedes dahin zielende Mittel für erlaubt zu halten nur allzu geneigt ist, sie ist unter solchen Umständen eine Gefahr, weil sie bei jeder periodischen Erneuerung das Thier der Agitation wieder aufweckt. Und falls etwa am nächsten Sonntag in Riehen ein Mann von musterhafter Pflichttreue und von mildem, jeder Schroffheit abgeneigtem Wesen und von untadelhafter, würdiger Lebensführung durch die Parteigänger einer rücksichtslosen Orthodoxie auf die Gasse gesetzt werden sollte, so wird, was wir geschrieben haben, vielen und namentlich auswärtigen Lesern die leichte Möglichkeit eines solchen Vorgangs einigermaßen erklären.

Zu den Wählern der Kirchgemeinde Riehen haben wir das Vertrauen, daß sie die nicht glänzende, aber treue und ächt evangelische Lehr- und Lebensweise ihres bisherigen Geistlichen durch festes Zusammenstehen in ihrer Mehrheit anerkennen werden. Dem wackern Mann und Freund sagen wir zu seinem Schicksalstag den alten, schönen Christenspruch: „Befiehl du deine Wege und was dein Herze kränkt, der allertreusten Pflege deß, der den Weltkreis lenkt. Der Wolken Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann. A.

Der Kirchenzeddel fällt wegen Raummangel weg.]

1. St. L. Bereinssitung Montag den 6. November, Abends 8 Uhr, im großen Saal • der Safranzunft. Vortrag von Herrn Huber, Sekundarlehrer, über den Referendumssturm gegen Ausführung des Schulartikels, § 27 der schweiz. Bundesverfassung. Alle Vereinsmitglieder, sowie andere freisinnige Bürger und Einwohner Basels sind zu dieser Versammlung freundlich eingeladen. Es gilt sich zu orientiren und zu sammeln für den nahenden Tag der Abstimmung über diese Angelegenheit, die für unser Gesammtvaterland von hoher Wichtigkeit ist. Die Commission.

Druck und Expedition von J. Frehner, Steinenvorstadt 12, Basel.

Fünfter Jahrgang.

No 46. Samstag, 18. Novbr. 1882.

Schweizerisches Proteftantenblatt

Herausgeber:

Pfr. A. Altherr und E. Linder in Basel, Pfr. Bion in Zürich.

Wir sollen nur nicht in Sinn nehmen, daß der heilige Geist gebunden
sei an Jerusalem, Rom, Wittenberg oder Basel, an deine oder eine andere
Person. In Christo allein ist die Fülle der Gnade und Wahrheit.
Decolampad an Futher.

Erscheint jeden Samstag. Man abonnirt auf jedem Postamt der Schweiz und des Auslandes. Preis halbjährlich franko zugesandt 2 Fr. Wer das Blatt in Basel gratis erhalten will, kann dasselbe in der Buchdruckerei J. Frehner, Steinenvorst. 12, abholen.

Am Grabe einer Ermordeten.

In der Nacht vom 1./2. November wurde, während ihr Mann zur Synode in Zürich weilte, Frau Pfarrer Emma Jäggli, geb. Appenzeller, in ihrem Pfarrhaus Glattfelden, Kanton Zürich, ermordet. Sie war aus St. Gallen gebürtig, 35 Jahre alt, seit 5 Jahren glücklich verheirathet, Mutter dreier kleiner Kinder, innig geliebt von Mutter, Geschwistern und Gatte, von der ganzen Gemeinde geachtet und verehrt, eine Pfarrfrau, wie sie sein soll. In der genannten Novembernacht kam die Pfarrersmagd Auguste Lehmann zum Gemeindspräsidenten und zeigte den Mord an, sie habe sich mit dem kleinen Kinde mit einem Sprung durch's Fenster gerettet. Die schnell in's Pfarrhaus geeilten Männer fanden das Geldpult erbrochen und die arme Frau erwürgt und mit den Spuren sonstiger Mißhandlung neben ihrem Bette am Boden. Das Entsetzen in Gemeinde und Kanton, der namenlose Schmerz der betroffenen Familie, besonders des Gatten, dem man die mißhandelte Leiche nicht zu zeigen wagte, läßt sich denken. Sonntag den 5. November fand unter ungeheurer Theilnahme von Nah und Fern die Beerdigung der Ermordeten statt, wobei Herr Pfarrer Wild in Eglisau im Anschluß an Nöm. 5, 1 eine seither gedruckte Leichenrede hielt. Nach einer Schilderung des durch die Frevelthat gestörten Familienglücks fährt der Prediger folgendermaßen fort:

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Wie ein dumpfer Bann liegt es noch auf der Gemeinde! O, daß er nur nicht aus ihrem Gebiete stamme, der das Schreckliche gethan, daß nicht diese Schmach haften bleibe auf der Kirchgemeinde! So seufzte manch' beklommenes Herz in diesen Tagen.

Noch ist der Schleier nicht gelüftet über die Einzelheiten des Verbrechens; doch ob es so oder anders sich ereignet habe, ob Manches noch aufgehellt werde, -es bleibt uns immer grauenvoll und unbegreiflich, wie ein Mensch solch' eine unmenschliche That begehen konnte. Wir können es nicht verstehen, wie ein Ruchloser ein so schönes Glück zertrümmern, einem Gatten sein Theuerstes, seine Gattin, den armen Kindlein ihr Bestes, ihre Mutter, rauben und ein schwaches Weib in der Blüthe seiner Jahre auf so abscheuliche Weise in den Tod bringen konnte. Wir bitten Gott, daß er's dem menschlichen Richter gelingen lasse, den Verbrecher zu entlarven*), damit die That gesühnt und jeder falsche Verdacht entfernt werde, damit das gebrochene Recht wieder zu seinem Ansehen gelange und Friede wieder einkehre in die aufgebrachten Gemüther. Auch der Verbrecher selbst wird dann erst seinen Frieden wiederfinden, wenn er seine Strafe abgebüßt; denn er kann niemals der göttlichen Strafgerechtigkeit entgehen, die furchtbarsten Qualen des Gewissens müssen ihn je und je wieder peinigen. „Der Wind im Hain, das Laub am Baum saust ihm Entseßen zu." Sollte der Arm menschlicher Gerechtigkeit zu kurz sein, so überlassen wir die Rache dem, der in's Verborgene sieht, und flehen ihn an um Trost und Licht, um Muth und Kraft für die schwer betroffenen Hinterlassenen, daß sie das Schreckliche ertragen Lernen.

Zu ihm erhebe sich das arme Herz, wenn eine in's Innerste dringende Wunde ihm den Frieden raubt. Thräne und Seufzer sind ein Geschenk der Gottheit, sie helfen den Schmerz lösen. Gerne lassen wir sonst auf unsere Herzenswunden als milden Balsam niederträufeln das Trosteswort: Was Gott thut, das ist wohlgethan, es bleibt gerecht sein Wille, wie er fängt meine Sachen an, will ich ihm halten stille!" Aber wie schwer wird es in unserm Falle, dieses Wort anzunehmen. Gott hat doch nicht das Gottlose gethan? Und wie hat er es auch nur zulassen können! Warum ist er nicht dem Mörder in den Arm gefallen und hat dieses grauenvolle Verbrechen gehindert ? Fragen und Zweifel thürmen sich auf, unser Glaube will wankend werden und fein Trostwort findet mehr Gehör.

Und doch müssen wir auch nach solch' einem Erlebniß unsern Frieden mit dem Himmel wiederfinden und dürfen unser Gottvertrauen nicht durch Zweifel zerseßen lassen. Der durchgekämpfte Zweifel ist das Salz des Glaubens und die Feuerprobe des Seelenfriedens. Der Zweifel aber, der uns besiegt, führt zur Verzweiflung und zur Skepsis (Zweifelsucht), der nichts mehr feststeht und die allmälig nicht nur unsere heiligsten Ueber*) Anmerkung. Nach neuesten Berichten ist die Magd selbst des Mordes überführt und hat sie denselben eingestanden.

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