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Fünfter Jahrgang.

No 49. Samstag, 9. Dezember 1882.

Schweizerisches Proteftantenblatt

Herausgeber:

Pfr. A. Altherr und E. Linder in Basel, Pfr. Bion in Zürich.

Wir sollen nur nicht in Sinn nehmen, daß der heilige Geist gebunden
sei an Jerusalem, Rom, Wittenberg oder Basel, an deine oder eine andere
Person. In Christo allein ist die Fülle der Gnade und Wahrheit.
Decolampad an Futher.

Erscheint jeden Samstag. Man abonnirt auf jedem Postamt der Schweiz und des Auslandes. Preis halbjährlich franko zugesandt 2 Fr. Wer das Blatt in Basel gratis erhalten will, kann dasselbe in der Buchdruckerei J. Frehner, Steinenvorst. 12, abholen.

Im Advent.

Bekanntlich ist die alte kirchliche Eintheilung des Jahres eine andere, als die bürgerliche. Das „Kirchenjahr“ beginnt mit dem ersten Adventsonntage, d. h. mit dem vierten Sonntage vor Weihnachten, mit dem Sonntage, welcher die Vorbereitungszeit auf das Weihnachtsfest einleitet. Diese Jahreseintheilung ist nun freilich veraltet, aber es liegt ihr ein schöner Gedanke zu Grunde. Wann eigentlich Christus geboren wurde, weiß Niemand, aber die alte Christenheit hat seinen. Geburtstag auf denjenigen Tag verlegt, an welchem die Tage sich wieder zu verlängern beginnen, sinnige Andeutung davon, daß mit dem Evangelium Jesu das Licht wieder über die Finsterniß zu triumphiren begann. Und die Adventzeit ? Sie ist das alljährlich wiederkehrende Denkmal der Thatsache, daß gerade in den dunkelsten Zeiten die Hoffnung der Christen ihre größte Berechtigung hat und am lebendigsten ihre Schwingen entfaltet.

eine

Die Hoffnung der Christen! Jawohl, denn wer ein glaubensfreudiger und hoffnungsreicher Christ ist, kann in dem, was vergangen ist und hinter ihm liegt, niemals die ganze und volle Offenbarung der göttlichen Gedanken erkennen. Einen Anfang wohl, einen Keim, welcher eine reiche Entwicklung verspricht, aber niemals eine fertige, ein für alle Mal abgeschlossene Offenbarung. Seine Augen richten sich, bei aller Anerkennung und Dankbarkeit für das, was bereits geschehen, doch stets auf das, was noch kommen soll; er ist nie zufrieden mit der Gegenwart, er sehnt sich nach bessern Zuständen, und er glaubt an solche, weil er weiß, daß in den in die Welt geworfenen Grundgedanken des Evangeliums der Anstoß zu einer ewigen Bewegung enthalten ist. „Advent", d. h. das fortwährende Kommen des Gottesreiches, ist der Glaube und das Streben des wahren Christen. Und

je dunkler die Zeit, um so lebendiger, je weniger die Zeitumstände eine solche Weiterentwicklung des Guten und Wahren zu begünstigen scheinen, um so fester ist seine Ueberzeugung: „Es muß doch Licht werden!" je dro= hender die der Fortentwicklung des Gottesreiches feindlichen Gewalten ihr Haupt erheben, um so mehr erhebt der Christ auch sein Haupt und blickt über den Jammer der Gegenwart prophetisch hinweg auf eine bessere Zeit. Advent“ ist das Loosungswort der hoffnungsfreudigen Christenheit.

Es kommt aber sehr darauf an, welche Vorstellung man von dem Kommen des Gottesreichs habe. Mag auch sonst, wo nur der freudige Glaube vorhanden ist, die Vorstellungsform mehr oder weniger gleichgültig sein, hier ist sie es wahrlich nicht. Es gibt eine Denkweise vom Christenthum, welche als ihr Hauptelement und als wesentlichen Bestandtheil der Offenbarung das Wunder ansieht und deshalb kein anderes Kommen des Gottesreiches, als durch ein übernatürliches Eingreifen göttlicher Hand erwarten kann. Und es gibt wiederum einen Adventsglauben, welcher in der natürlichen Entwicklung der Dinge allein die bauende und regierende Hand Gottes erblickt und ein Kommen des Gottesreiches ohne Wunder hofft. Jene wird ewig getäuscht sein und diese wird ewig Recht behalten. Und es ist doch wahrlich nicht dasselbe, ob man sich fortwährend täusche oder nicht.

Die erstere, wundersüchtige Vorstellung war diejenige der Zeitgenossen Jesu. Genährt durch die überlieferten Prophetenworte, welche je länger, je mehr buchstäblich verstanden wurden, erwartete man damals eine Wunderthat ersten Grades, ein Zerreißen des Himmels, ein Herabkommen der ganzen Engelwelt und in ihrer Mitte die Erscheinung des Messias als eines Alles in Besiß nehmenden und die ganze Welt umgestaltenden Königs. Ein Repräsentant dieser Richtung war selbst noch Johannes der Täufer. Obgleich er, verschieden von den übrigen Schriftgelehrten, auf Sinnesänderung drang und die bloße Abstammung von Abraham als eine reine Zufälligkeit gering schäßte, konnte er doch nicht umhin, von dem neu auftretenden Jesus irgend eine wunderbare That als Bezeugung seiner Messiasstellung zu erwarten. Aus seinem Gefängniß schaute er sehnsüchtig nach solchen „Zeichen“ aus und ungeduldig ließ er Jesus fragen: „Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir eines andern warten ?" Der gute Mann täuschte sich; es geschah kein Wunder, denn das, worauf ihn Jesus in seiner Antwort hinwies: „Die Blinden sehen, die Lahmen gehen, die Todten stehen auf" u. s. w. ist doch zu deutlich von der inneren geistigen Umwandlung zu verstehen, welche durch die Verkündigung des Evangeliums bewirkt wurde.

Und so haben sich seither alle Diejenigen getäuscht, welche das Kommen des Gottesreiches auf dem Wege übernatürlicher Ereignisse erwarteten. Es hat eben niemals solche gegeben und wird niemals solche geben. Es ist zwar ganz begreiflich, wenn die Wundersucht eben Wunder sucht und zu sehen glaubt in Dingen, welche vom herkömmlichen Gang der Dinge ab= weichen. Wenn Christus ehemals Wunder gethan hat, warum sollte er deren aus seinem hohenpriesterlichen Heiligthum herab nicht jezt noch thun können, ja thun müssen? Daher die Leichtigkeit, mit welcher heutzutage wieder künstlich gemachte Gemüthseffekte oder Aenderungen in der Lebensweise, ja in der Stimmabgabe bei Wahlen als „Wunder" gerühmt werden. Aber diese Dinge erweisen sich in der Regel bald nachher als augenblickliche Rührungen oder als durch Drängen und Zwang bewirkte Nachgiebigkeiten, immerhin als Täuschungen. Mögen noch so oft Massenerweckungen in Szene gesetzt werden, das Reich Gottes kommt nicht durch Wunder und Zeichen; wer darauf wartet, wird sich jederzeit getäuscht sehen und wird niemals eine freudige Anerkennung des gegenwärtigen Lebens und Strebens gewinnen können. Seine leßte Hoffnung wird stets nur die sein, auf ein baldiges Weltende und auf ein Strafgericht über Alles, was nicht mit der alt= kirchlichen Weltanschauung stimmt. Das ist aber keine fröhliche Adventshoffnung.

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Die wahre Adventshoffnung ist die Anerkennung des göttlichen Wirkens in dem natürlichen Gang der Entwicklung. Das hat Jesus in jenem Worte deutlich ausgesprochen: „Die Blinden sehen, die Lahmen gehen, die Todten stehen auf; und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert!" Ja, wenn wir diese Geisteswirkungen des evangelischen Wortes und des christlichen Geistes als Wunder bezeichnen wollen, dann freilich geschehen Wunder alle Tage und Stunden. Die Ausbreitung des Christenthums, die Umgestaltung menschlicher Verhältnisse, Geseße und Sitten durch die christliche Gerechtig= keit und Liebe, die vorwärts strebende, bildende und heiligende Macht christlicher Gesinnung, die Veredlung des Familienlebens, der Kindererziehung, der sozialen Verhältnisse, alles das ist alsdann ein Wunder, aber ein folches, das begreifbar und glaubwürdig ist, weil es sich nachweisen, weil es sich sehen läßt, dann ist auch die Adventshoffnung, d. H. die freudige Hoffnung auf eine fortwährende Weiterentwicklung des christlichen Sinnes und Lebens keine trügerische und der Gedanke an die Zukunft ist dann frei und rein von jeglichem Pessimismus. Man sieht, was schon geworden ist durch das Evangelium, und erblickt in unabsehbarer Perspektive, was noch werden wird durch dasselbe. Keine Zeit ist fertig mit den Aufgaben des Gottesreiches; niemals darf man stille stehen und sagen: es ist genug ; immer stellen sich neue Aufgaben.

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So geht es fort und fort. Verheißung und Erfüllung wechseln in "gewissen Zeiträumen immer mit einander ab. Alles Wahre und Gute „bligt zuerst nur vereinzelt auf, da und dort, wie fernes Wetterleuchten: das sind dann eben Verheißungen, Feuerzeichen, Prophetenstimmen, Weis"sagungen der Zukunft. Sie versinken vielleicht wieder spurlos in dunkle "Nacht; sie verhallen vielleicht ungehört, wie eine Stimme in der Wüste, bis unversehens die Sonne hinter den Bergen emporsteigt und der Morgenruf durch die Welt schallt: „Mache dich auf, werde Licht, denn dein Licht "kommt!" Die Zeit der Erfüllung ist da! Aber dann ist die Sache erst "wieder nicht fertig, es fängt wieder eine neue Entwicklung an; es tauchen wieder neue Fragen, neue Bedürfnisse, neue Aufgaben und Zielpunkte auf, „aus demselben Geiste geboren, aus dem ewigen, nie ruhenden Geist der Entwicklung und des Fortschritts. So gibt es immer wieder neue Verheißungen und neue Erfüllungen und wieder Verheißungen und wieder „Erfüllungen fort und fort bis an's Ende der Tage."

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Das ist die Ebbe und Fluth im geistigen Leben der Menschheit, die „sich ablösen nach wunderbarer, ewiger Ordnung; das ist der majestätische "Wellenschlag der Weltgeschichte, dessen Wogen sich heben und senken in ,, erhabenem Gleichmoß; das sind die Stationen in der göttlichen Erziehung „des Menschengeschlechtes. Es wird immer wieder Advent und wird immer ,,wieder Weihnacht in der Welt, und im Hinblick auf diese erhabene Gottes"ordnung rufen auch wir mit dem Apostel: Wie groß und wunderbar sind ,,deine Wege!"*)

So sei uns gegrüßt und jedes Jahr hoch willkommen, du schöne Adventszeit. Du gießest frohe Hoffnung in's bange Herz; dem Kinde eröffnest du die Aussicht auf nahe Festfreude, und dem Manne zeigst du auch in trüber Zeit eine schönere Zukunft !

Die Schwestern vom rothen Kreuz.

I.

Als Gehülfin des Arztes.

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Unser Freund, Pastor Kradolfer in Bremen, hat daselbst eine bereits im prächtigsten Gedeihen stehende Anstalt von solchen Diakonissinnen gegründet, welche die Krankenpflege ohne pietistische Propaganda in rein christlich-humanem Geiste besorgen. Da auch in Zürich dieser Tage eine solche Anstalt ins Leben tritt, gegründet vom zürcherischen Verein für freies Christenthum, so werden unsere Leser gerne etwas aus dem Vortrag vernehmen, den Kradolfer jüngst über die Aufgabe der Schwestern vom rothen Kreuz gehalten hat. Er weist diesen Schwestern eine dreifache Aufgabe zu, als Gehülfin des Arztes, des Armenpflegers und des Seelsorgers zu wirken. Daß die Gemeindeschwester in erster Linie die Gehülfin des Arztes ist, sollte kaum noch eines Beweises bedürfen. Den größten Theil

*) Zwingli Wirth, alte Wahrheit für die neue Zeit, pg. 5.

ihrer Berufsbildung hat sie am Krankenbette empfangen. Weitaus in den meisten Fällen ist es das Auftreten einer mehr oder weniger heftigen Krankheit, was ihr Erscheinen in einem Hause veranlaßt. Entweder sind es die Angehörigen des Kranken, welche ihren Nath und ihre Hülfeleistung sich erbeten haben, oder aber der Arzt selbst hat ihre Dienste in Anspruch ge= nommen. Sie soll die Temperatur eines Kranken messen, denselben verbetten, ihn vor dem Durchliegen schützen, sie soll dem Arzt bei einer Operation behülflich sein, eine Wunde verbinden helfen. Nicht selten ist sogar der größte Theil der Behandlung und Verantwortung in die Hand der Schwester gelegt. Lassen wir uns von einer derselben ein Beispiel als Beweis geben.

Irgendwo auf dem Laude, in einem einsamen Gehöft, ist der Typhus ausgebrochen. Der Arzt wohnt Stunden weit davon entfernt und kann höchstens einmal des Tages dahinkommen. Er requirirt eine Schwester, gibt ihr die nöthigen Anweisungen, auf welche Symptome sie besonders zu achten, wann sie die Kranken zu baden, wie sie ihre Diät einzurichten hat, und überläßt sie mit ihren Pflegebefohlenen ihrem Schicksal. Je den zweiten, dritten Tag verspricht er vorzukommen, wenn nicht etwas Besonderes seine Gegenwart ihr nothwendig erscheinen läßt.

Beim Eintritt in das Haus hat die Schwester sich bald überzeugt, daß die Eine ihrer Patienten hoffnungslos ist. Es ist die Mutter des Hauses, eine Frau von fünfzig Jahren, welche zuerst von der Krankheit ergriffen wurde. Ein heftiger Schüttelfrost stellt sich bei ihr ein, durch welchen eine akute Lungenentzündung eingeleitet wird. Den andern Tag ist sie gestorben. Wer weiß, ob sie nicht gerettet worden wäre, wenn man nicht, wie dies leider auf dem Lande beinahe die Regel ist, zu spät nach dem Arzte geschickt, wenn Hilfe und Pflege gleich zur Stelle gewesen wären !

Die ganze Aufmerksamkeit der Schwester ist nun auf die übrig ge= bliebenen Patienten gerichtet. Ein Sohn der Verstorbenen befindet sich entschieden auf dem Wege der Besserung; Fieber sind nur noch des Abends. Schwierig wird die Pflege nur dadurch, daß der Patient sich nicht nach den diätetischen Vorschriften richten will; sein Appetit steht mehr nach dem eingesäuerten Kohl, nach Speck, Wurst und geräuchertem Fleisch, als nach der Bouillon, welche die Schwester ihm bereitet. Da gilt es für diese sich in Respekt zu sehen und darauf zu achten, daß nicht hinter ihrem Rücken gesündigt wird.

Bei umsichtiger Behandlung bessert sich der Kranke zusehends, aber die Hoffnung, daß mit der Genesung des Sohnes die Seuche besiegt sei, hat sich als eine trügerische erwiesen. Nach und nach werden fast sämmtliche Hausgenossen von derselben ergriffen. Die Kräfte Einer Schwester, die zugleich den größten Theil der Wirthschaft führen muß, wenn nicht Alles drunter und drüber gehen soll, reichen nicht mehr aus; eine zweite Schwester wird aus der Anstalt hergeholt, und nun theilen sich die beiden in die Arbeit. Die Patienten fangen jest an, die Wohlthat einer guten Pflege anzuerkennen: die Genesenden suchen sich auf alle mögliche Weise erkenntlich zu zeigen, und die Schwestern selbst freuen sich, wie es in den Räumen, die sie wie eine große Stallung vorgefunden, immer eleganter und behag= licher wird.

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