ÀҾ˹éÒ˹ѧÊ×Í
PDF
ePub

jenem alten Hause erinnern, das wie eine Arche Noah in der Trogener Niederen liegt.

Joh. Georg Schoch, der still begrabene Mann, übernahm die Direktion dieser Kantonsschule im Jahr 1857, wo sie ziemlich herabgekommen war. Er hatte damals etwas über 40 Jahre und kam von der berühmten Erziehungsanstalt Hofwyl her, wo er 15 Jahre lang des Herrn Emanuel von Fellenberg Schüler, Anstaltslehrer und vertrauter Privatsekretär gewesen. Das war sein Seminar, in welchem der hochbegabte Jüngling durch Selbstunterricht, lebendigen Verkehr mit hervorragenden Schulmännern und den Söhnen höherer Stände nicht nur eine ungewöhnliche wissenschaftliche Bildung sich aneignete, sondern auch vor Allem aus die seltene Kunst lernte, mit jungen Leuten, namentlich mit verwöhnten und verbildeten Früch ten moderner Kultur richtig umzugehen, sie durch seine mächtige Intelligenz und sittliche Energie aus Weichlichkeit und Verschrobenheit aller Art herauszureißen. Seine Uebernahme der Kantonsschule und des damit verbundenen Pensionats inaugurirte ein schnelles Gedeihen der Anstalt nach außen und innen, das sie vor ihm nie erlebt und von dem sie nach seinem Weggang ebenso schnell wieder auf das normale Mittelmaß zurücksank. Ich weiß manches Elternhaus diesseits und jenseits des Ozeans und der Alpen, das nie bereuen wird, ihm den Sohn, sehr häufig ein Sorgenkind der Familie, anvertraut zu haben, denn über der Thür seiner Erziehungsanstalt durfte das Wort stehen, das ich in Arbon über der Hausthür eines Arztes las: Hier wird man gesund!

Mehr freilich als der Kantonsschule kam des Mannes geistige Eigenart der damit verbundenen Erziehungsanstalt zu Gute. Denn jene war in ihrer Entwicklung durch die Kleinheit des Kantons und durch die Kargheit der Mittel natürlich gehemmt, sie hatte Mühe, sich über die bessern Realschulen des Landes wesentlich zu erheben. Immerhin wird es den Ein= sichtigern unter denen, welche die Schule in den Jahren 1857-75 gekannnt und Hunderten von Männern des Appenzellerlandes unvergessen bleiben, welch einen frischen Lebenshauch die Seele des Direktors seinem Unterricht verlieh. Nicht das, was er uns in Rechnen und Lesen, Geometrie und Englisch lehrte, sondern unendlich vielmehr, wie er uns lehrte, wie er die Trägen aufrüttelte, die Ungelenken in Fluß brachte, die Zuchtlosen bändigte, die Weichlichen hart schmiedete, wie er die Energie weckte und luftreinigend als ein Gewitter alle faulen Dünste unserer geistigen Athmosphäre aus Schulzimmer und Turnhalle und Schlafsaal vertrieb, dieser Geist und Leben weckende, sittlich hebende und veredelnde Einfluß seiner Persönlichkeit wird Allen unvergeßlich bleiben bis ans Ende der Tage. Er war kein öder Stundenhalter ums Geld, kein bloßer Miethling für Staatsgehalt, in seiner Seele brannte und seinen schmächtigen Leib verzehrte das heilige Feuer eines Lehrers und Erziehers von Gottes Gnaden. Er hat natürlich sein Ziel so wenig wie irgend Jemand an allen Schülern erreicht, aber die von ihm weg in ihr Verderben gingen, werden über seinem Grabe sich sagen: Du hast auch mir helfen wollen, aber ich hab nicht gewollt!

Doch was der Mann an der Kantonsschule nur theilweise erreichte, das wurde die Erziehungsanstalt ganz: sein Werk und das Kind seines

Geistes. Hier stand ihm die vor kurzem heimgegangene Gattin ebenbürtig zur Seite: ein wundersames Gemisch von außerordentlicher Strenge und grenzenloser Güte, eine Verkörperung des Geistes, den der Apostel einen Geist der Kraft, der Zucht und der Liebe nannte, ohne deren Hingebung das Haus nie seinen guten Namen erworben hätte. Es war ein bescheidenes Haus dort am Schattenhang des Dorfes Trogen, enge Gänge, schmale Treppen, kleine Fenster, buckelige tannene Böden; aber es sind viel moderne, prunkvolle Pensionspaläste, in denen keine Ordnung und keine sittliche Zucht, keine solche Mutterliebe und kein so männlich edler Geist lebt, wie in jenem alten Haus auf dem Niederen Grund. Es muß ja freilich in allen solchen Anstalten mehr oder weniger „nach der Uhr“ gehen, Aufstehen, Essen, Lernen, Spielen, Baden, Schlafengehen; aber so mit Leib und Seele von früh bis spät, von Anfang bis Ende des Jahres selber dabei und mitten drinne stehen werden in solchen Anstalten nicht viele Vorsteher wie „Herr Schoch und Frau Schoch". Sie hat außer an Sonntagen sich kein Buch zu lesen und keinen Brief zu schreiben erlaubt, und vor ihm war den ganzen Tag über, zwischen Aufstehen und Schlafengehen, in und außer dem Haus, auf dem Turnplatz und im schattigen Wäldchen kein Mensch kaum eine Viertelstunde sicher. Bald hier und bald dort tauchte die lange schmächtige Gestalt mit dem fliegenden schwarzen Haar auf und fuhr mit gefürchteter Stimme in Alles, was irgendwie nicht in der Ordnung. Lehnte irgendwo Einer mit den Händen in der Tasche herum, so faßte ihn die Hand des Direktors; hatte sich ein Anderer während den Pausen in den Winkel hinter die Bücher gemacht, so seßte ihn die gleiche Hand an die frische Luft unter die Menschen; kaum hatte sich's ein Dritter am heißen Mittag im Schatten recht bequem gemacht, so war der „Lazzaroni" entdeckt lebendig, am hellen Licht, in Spiel und Bewegung wollte Schoch die jungen Leute haben. Er selbst hat in seinen vorgerückten Mannesjahren noch wie ein Jüngling in Turnen und Ballspiel den Herrensöhnen es vorgemacht, was junge Kraft vermögen soll. Dem bequemen, faulen, dunkelmausigen Wesen spürte er nach bis in alle Ecken hinein, er war der Sturmwind und gelegentlich auch ein milder Thau, das allgegenwärtige Gericht in seinem Hause. Es klingt mir noch in den Ohren, wie er überall gegen das Fleisch und die ordinäre Sinnlichkeit“ publice et privatissime predigte, gegen ödes Schwaßen, Wirthshausgehen und das in Ost und West so beliebte Jassen; er fegte solche Dinge wie Spinngewebe mit kräftigem Besen überall weg, er verlangte von seiner Umgebung einen höhern Ton als der gewöhnliche, und unzählige Mal hat er der versammelten Knabenschaar, in der sich manch ein Sohn großer Kaufleute fand, zugedonnert, sie sollten ihm nur keine „Krämerseelen“ werden! Körperliche Strafen sette es im Jahr höchst selten einmal, und waren sie nur bei besondern Anlässen eine Art „pädagogischen Sakraments", das Monate lang nachwirkte: aber die gemeinsame Andacht, mit welcher jeder Tag anfing und schloß, und die der Mann nur in den seltensten Nothfällen der Frau überließ, wußte alle wichtigern Vorkommenheiten für die ganze Gesellschaft nußbar zu machen. Es waren nur ein paar Bibelsprüche oder kurze religiöse Lieder, die uns vorgelesen wurden, aber die Auswahl derselben richtete sich nach den Tageserlebnissen ein; in

dieser Orgel fehlte kein Register, vom süßen Flötenton bis zum erschütternden Donner. Und mit welcher Gewalt las der Mann vor! Hörst du es nicht heute noch deutlich, mein alter Schulkamerad, wie er am bösen Tag etwa aus den Sprüchen Salomos las: „Gehe hin zur Ameise, du Fauler, siehe ihre Weise an und lerne!"

Und dieser Mann hat sich die Mitwirkung der Kirche an seinem Grabe verbeten? Ich war anfangs auch erstaunt darüber, denn seine sittliche Strenge steht über allem Zweifel; er war vollkommen unterrichtet über den Segen der Religion für den Einzelnen wie für die Gemeinschaft; unter den zahllosen Büchern, die er mit dem Stift in der Hand und die Stube aufund abwandelnd las, fehlte auch das auf religiösem Gebiet Einschneidende nicht; ich weiß aus vielen intimen Unterhaltungen, wie fern seiner Seele der ordinäre Unglaube, besonders der lärmende war; aber Fühlung mit der glaubenden und anbetenden Gemeinde in politischer und kirchlicher Hinsicht hatte er wenig, ihm erschien, was unter ihm stand, leicht als „Quark“. Er hat, obwohl von Geburt ein Appenzeller, sein Leben lang schriftdeutsch gesprochen, im Dialekt verkehrte er blos mit Hausknechten, Mägden und Bauersleuten. Seine ganze erzieherische Arbeit war. auf Verstand und Willen gerichtet, wobei die Bildung des Gefühls wohl etwas zu kurz kam, es erschien ihm gar zu schnell als Sentimentalität. Er hat sich selbst von unten heraufgearbeitet, war ein self made man und sein Zuruf war unser tägliches Brot: help yourself! Hingegen daß die Kraft, sich zu helfen, selbst wieder Geschenk und Gnade Gottes ist, das mochte sein Herz nicht so lebendig fühlen als Viele. In unsern Betten hörten wir ihn Nachts oft noch stundenlang die Geige spielen, und er spielte, wie sein ganzes Weseu war, voll Feuer, aber er spielte für sich, nie für uns! Selbst wenn er beim Becher Wein saß und gemüthlich aufthaute, wollte er guten Wein und gewählte Gesellschaft, denn auch bei solchen Anlässen zog er gern irgend eine geistreiche Schrift aus der Tasche und las daraus vor. Es gibt wenig Schullehrer oder Pfarrer, die mehr und Besseres lasen als er; „Del in seine Lampe gießen" nannte er das; aber von den massenhaften wissen= schaftlichen Werken, die er in allen modernen Sprachen verschlang, ist der Gemeinschaft durch seine eigene schriftstellerische Arbeit fast nichts zu Gute gekommen. Er war gewissermaßen ein Aristokrat des Geistes und der Bildung und damit stimmt überein, wie er seine Forderung einer stillen Beerdigung begründet hat: „ich will nicht, daß jeder Beliebige hinter meinem Sarg her gehe und Theilnahme heuchle, die er nicht empfindet, sie schwagen doch gewöhnlich nur dummes Zeug mit dem Nachbar." So war er. Das Recht, auf seine eigene Façon selig zu werden, er hat es Andern gegönnt, gönnen wir es ihm auch. Ich sah ihn, nachdem er an seinem 68. Geburtstag das Leben ausgehaucht, auf seinem Todbett liegen, noch im Tode jugendlich. Ich konnte es dem Lebenden leider nicht mehr, nur noch dem Todten sagen: du hast Vielen Gutes gethan und mich hast du aus dem Staube gezogen! Gott vergelte es dir!

Es wäre nicht nach seinem Sinn, über ihm ein einzig Wort der Klage um ihn anzuheben. Was er von uns verlangt, ist, daß wir ihm an Geistes

frische und energischem Mannessinn nachfolgen. Darum, ihr Schüler und Freunde in aller Welt draußen:

Es grüne die Tanne, es wachse das Erz
Gott gebe uns Allen ein fröhliches Herz.

A.

Von Emil Zittel, Dekan in Karlsruhe, ist erschienen Dr. Martin Luther von 1483-1507. Also die Geschichte des jungen Luther bis zu seinem 30. Jahr. Leider ist keine Fortseßung zu erwarten, da sich der Verfasser durch ein Augenleiden zum Abbruch seines Werkes gezwungen sieht. Aber was er bietet, ist so überaus wohl erwogen und lebensvoll dargestellt, auch mit so köstlichen Auszügen aus Luther's Schriften über Kinderzucht, Studienzeit und Klosterleben gewürzt, daß das auf's Schönste ausgestattete Büchlein auch als Stückwerk ein werthvolles Ganzes bildet.

Dennoch Gott! Auf einem Freidenker-Kongreß in New-York wurde hundert Mal in Reden und Liedern das Thorenwort wiederholt: „es gibt keinen Gott!" Als es aber zum Schluß eine Kollekte zu Gunsten des Schreibers der Gesellschaft sezte, war der arme Mensch so überwältigt von Dankbarkeit für die freilich sehr bescheiden ausgefallene Gabe, daß er ganz aus seiner Rolle fiel und mit den Worten herausplaßte: „God bless you all!" Gott segne euch Alle!

[blocks in formation]

Einladung zum Abonnement.

Das „Schweizerische Protestantenblatt" hofft auch im neuen Jahr erscheinen zu können, wenn nämlich seine bisherigen Leser ihm treu bleiben. Kann Jemand in seinem Freundes- und Bekanntenkreis ihm einen neuen Leser gewinnen, so ermuthigt er die Herausgeber in ihrer nicht unbeträchtlichen Arbeit, für die ihre Zeit oft außerordentlich knapp bemessen ist, und er hilft eine Lebensanschauung verbreiten, welche den Frieden Gottes im Herzen drinn und in der Welt draußen schaffen helfen möchte.

Das Blatt kann auf jedem Postamt abonnirt, aber auch bei der Expedition, Steinenvorstadt 12, Basel, direkt bestellt werden. Preis halbjährlich 2 Fr.

Druck und Expedition von J. Frehner, Steinenvorstadt 12, Basel.

Fünfter Jahrgang.

No 52. Samstag, 30. Dezember 1882.

t

Schweizerisches Proteftantenblatt

Herausgeber:

Pfr. A. Altherr und E. Linder in Basel, Pfr. Bion in Zürich.

Wir sollen nur nicht in Sinn nehmen, daß der heilige Geist gebunden
sei an Jerusalem, Rom, Wittenberg oder Basel, an deine oder eine andere
Person. In Christo allein ist die Fülle der Gnade und Wahrheit.
Decolampad an Futher.

Erscheint jeden Samstag. Man abonnirt auf jedem. Postamt der Schweiz und des Auslandes. Preis halbjährlich franko zugesandt 2 Fr. Wer das Blatt in Basel gratis erhalten will, kann dasselbe in der Buchdruckerei J. Frehner, Steinenvorst. 12, abholen.

Wie die Geburt Jesu verschieden gefeiert wird.

1. Dunkle Weihnacht.

In einem kleinen Dorf an den Ausläufern des Jura wohnte Schuhmacher Dursli. Er hatte ein eigenes Häuschen, das er in den Jahren, wo sein Beruf gut ging, schuldenfrei gemacht. Seit Langem war aber sein Verdienst zurückgegangen. Die Leute bezogen ihre Schuhe immer mehr aus einer großen Fabrik des Auslands; Dursli bekam bloß noch zu flicken, und während er früher noch einen Gesellen dazu gebraucht, hatte er zuleht allein nicht mehr genug Arbeit. Das that ihm weh, er widerstand dem Schmerz nicht und wurde muthlos, muthlos ging ihm Alles schlechter von der Hand, die wenigen treuen Kunden fingen über ihn zu klagen an, er machte Schulden, denn fast jedes Jahr wuchs die Zahl seiner Kinder, und um das Elend zu vergessen, fing er an, in's Wirthshaus zu gehen. Au' dem sah sein treues Weib mit Bekümmerniß zu, sie drehte die Spindel desto fleißiger, aber der liederliche Mann verließ sich darauf und saß nur desto länger in seiner Kneipe. So kam der heilige Abend heran; aber in dem kleinen Häuschen war kein festlich Zeichen zu sehen. Die bleiche Mutter drehte hastig ihre Maschine, denn sie mußte das Stück noch fertig bringen, um mit dem Erlös noch Brod in's Haus zu schaffen für den morgenden Tag. Dursli flickte wortlos ein Paar Schuhe, trug sie um 8 Uhr fort und vergebens wartete das arme Weib auf seine Rückkehr bis um Mitternacht. Dann legte sie sich endlich nieder, aber Sorge und Angst ließen sie nicht schlafen. Ihr Man hatte den kleinen Erlös seiner Arbeit wieder in einer abgelegenen Schenke vertrunken. Erst nach Mitternacht riß er sich von den Zechbrüdern los und suchte den weiten einsamen Heimweg. Ein wilder Föhnsturm raste durch den Tannenwald und dicke Finsterniß umgab den taumelnden

« ¡è͹˹éÒ´Óà¹Ô¹¡ÒõèÍ
 »