ภาพหน้าหนังสือ
PDF
ePub

geht ein paar Schritte weiter bis zur Augsburger oder helvetischen Konfession, bis zum lutherischen oder Heidelberger Katechismus. Hier, sagt er, in den Bekenntnißschriften der Reformation, haben wir das positive Christenthum, und nun macht er seinerseits wieder den Strich, wo die Entwicklung aufhört, und erklärt Alles, was darüber hinausliegt, insbesondere die neuere Theologie und den freisinnigen Protestantismus, als Negation und Auflösung des Christenthums. — Lassen wir sie ihre Striche machen und ihre Grenzpfähle aufrichten: der im Himmel sizet, lachet ihrer, und der Geist der Weltgeschichte spottet ihrer!

Wir sagen dagegen: der römische Katholizismus war einmal positiv, damals, als er mit der Macht seiner Autorität, mit der Zucht seiner eisernen Disziplin, mit dem Glanze seines Kultus, mit dem Reichthum seiner Symbole und dem Zauber seiner Mysterien noch ein nothwendiges Erziehungsmittel der unmündigen Völker war. Allein seitdem er mit der ganzen Kulturentwicklung der Menschheit in unversöhnlichen Widerspruch gerathen ist und in diesem Widerspruch sich verhärtet hat, seitdem er zu Allem „Nein“ sagt, was der menschliche Fortschritt zu Tage fördert, und gegen alle Errungenschaften der Neuzeit protestirt: seitdem ist er (nicht als Religion, als katholische Frömmigkeit, aber als jesuitische Kirche, als römisches System) die große Negation, der schwere Hemmschuh der menschlichen Entwicklung geworden, und der positive Geist der Wahrheit und des Fortschritts schreitet über ihn hinweg. Aehnlich verhält es sich mit der protestantischen Orthodorie. Gewiß, sie war einmal positives Christenthum. Jener absolute Bibelglaube, den kein Zweifel berührte, jene festgegliederte Glaubenslehre, jene monumentalen Bekenntnißschriften, jene kategorischen Antworten auf alle Fragen des menschlichen Geistes, sie waren einmal etwas Sicheres, Festes, Unzweifelhaftes und sind es jetzt noch für Alle, die in dieser übernatürlichen und doch so sinnlichen Wunderwelt sich heimisch fühlen und mit findlicher Unbefangenheit daran festhalten. Wir anerkennen gerne, daß heute noch die innigste und lebendigste Frömmigkeit mit dieser veralteten Vorstellungswelt verbunden sein kann. Aber die letztere gehört nun einmal nichtsdestoweniger der Vergangenheit an, und man kann doch Lehrsäge und Glaubensvorstellungen, die mit der ganzen Weltanschauung der Gegenwart im Widerspruch stehen, Bekenntnisse, von denen auch der orthodoxeste Theologe kaum einen Artikel mehr unterschreiben kann, ohne allerlei Vorbehalte dabei zu machen: das kann man doch nicht mehr mit Recht „positives Christenthum" nennen.

Und wenn man dagegen für die ewigen Gedanken des Christenthums neue, dem Denken der Gegenwart entsprechende Formen sucht; wenn man die Größe und Majestät Gottes nicht mehr in äußern Wundern findet, die den Naturzusammenhang aufheben, sondern in der viel wunderbarern Gesetzmäßigkeit, die das Weltall durchdringt; wenn man die göttliche Weisheit und Gerechtigkeit nicht mehr in vereinzelten, äußern Rettungen oder Züchtigungen erblickt, die das eine Mal eintreten und das andere Mal ausbleiben und die zwischen dem Frommen und Gottlosen keinen Unterschied machen, sondern vielmehr in der unzerbrüchlichen sittlichen Weltordnung, die im Segen des Guten und im Fluche des Bösen keine Lücke und keine Willkür

[ocr errors]

kennt; wenn wir in Christus nicht mehr den verkleideten Gott verehren, aber den gottgeeinigten Menschen, in Kampf und Versuchung bewährt und vollendet, das leuchtende Urbild und Vorbild der Gotteskindschaft und Bruderliebe; wenn der freisinnige Protestantismus, nach dem anerkennenden Zeugniß eines Vermittlungstheologen, „auf die Versöhnung der Religion mit der Wissenschaft, der Kirche mit der Humanität, auf Ueberbrückung der Kluft zwischen dem weltlichen Bewußtsein der Gegenwart und dem religiös-kirchlichen Leben hinarbeitet, damit auch die Vielen, welche demselben entfremdet sind, wieder mit ungetheiltem Herzen auch in dem gegenwärtigen Zeitalter dem ewigen Reiche Gottes und der Kirche Jesu Christi anzugehören den freudigen Muth wieder finden können"; wenn unsere Zeit überhaupt in ihren besten Elementen darnach strebt, über die konfessionellen und dogmatischen Scheidewände hinauszukommen und mehr die einfachen, unumstößlichen, vereinigenden sittlich-religiösen Grundgedanken des Evangeliums auf den Leuchter zu stellen: sind das nicht ebenso klare, positive Wahrheiten, Ziele, Bestrebungen, als irgend eine frühere Form des Christenthums sie besessen hat? Oder gehört denn das, was unsere Zeit bedarf und was ihren Bedürfnissen und Anschauungen entspricht, nicht eben so gut zur Entwicklung des Christenthums, als das, was den Bedürfnissen und Anschauungen des Mittelalters oder des sechszehnten und fiebenzehnten Jahrhunderts entsprochen hat?

Also, um das Gesagte kurz zusammenzufassen: jede Lehrform, Glaubensform, Kirchenform, die das Christenthum im Laufe seiner geschichtlichen Entwicklung annimmt, ist positives Christenthum so lange, als sie innerlich gesund und lebenskräftig ist und dem geistigen Verständniß wie dem religiösen Bedürfniß entspricht. Wenn aber ihre Zeit vorüber ist, wenn ihre Wurzeln im Volksgemüthe absterben und die geistige Entwicklung über sie hinwegschreitet, dann hört sie eben auf, wahrhaft positiv zu sein, und wenn sie sich gegen jede Erneuerung und Fortentwicklung sträubt, so wird sie schließlich eine negative Macht, ein Hemmschuh, „ein dumm gewordenes Salz." Die Gegenwart ist schließlich das Positive und nicht die Vergangenheit; das Lebendige ist das Positive und nicht das Abgestorbene, oder ge= nauer gesprochen: der christliche Geist, der bei allem Wechsel der Formen derselbe bleibt, der innerste Kern der Religion Jesu, die in Gott frei gewordene Persönlichkeit und die Verbindung dieser freien Persönlichkeiten durch den heiligen Geist der Liebe, oder die Botschaft von der Gotteskindschaft und vom Gottes reich, das ist das ewige Evangelium, das in jeder dogmatischen und kirchlichen Gestalt nur sehr unvollkommen zur Erscheinung kommt und hoch über ihnen allen schwebt in unvergänglicher Schönheit; das ist das Sichere, Feste, Unzweifelhafte, das wahrhaft positive Christenthum.

Wenn wir nach dem positiven Christenthum fragen, so gehört aber auch dem Zeugniß der täglichen Erfahrung, des praktischen Lebens noch ein kurzes Wort. Mehr als irgendwo sonst gilt es ja in der Religion: Grau, Freund, ist alle Theorie, doch grün des Lebens gold'ner Baum“. Die Religion ist ihrem innersten Wesen nach nicht Theorie, sondern Praxis, nicht Erkenntniß, sondern Gesinnung, nicht Glaubenskorrektheit, sondern Lebens- und Liebeskraft. Das positivste Christen

thum, weit positiver, als die unumstößlichste Theorie, ist also das praktische, das Christenthum der Humanität, der Gerechtigkeit, der sozialen Hülfe; das Christenthum jener frommen Herzen, jener einfachen, treuen Seelen, die zwar weder Zeit noch Lust haben, sich viel mit theologischen Fragen und Streitigkeiten zu befassen, aber in aller Stille die von Gott ihnen gegebene Aufgabe erfüllen; das Christenthum jener gemüthswarmen und thatkräftigen Menschen, die jederzeit bereit sind, Hand an's Werk zu legen, wo es einer guten Sache zu dienen gilt; es ist vor Allem das Christenthum, das im Kreuze sein herrlichstes Symbol und seinen höchsten Ausdruck gefunden hat, das Christenthum der Solidarität, der Aufopferung, der helfenden, rettenden That, die hinabsteigt in die Abgründe des menschlichen Lebens, in die dunkeln Tiefen der Gesellschaft im Sinne des Apostels: „Einer trage des Andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen“.

Ja, dieses praktische Christenthum ist jedenfalls das positivste, und dieses ist am allerwenigsten an irgend eine Kirchen- oder Glaubensform gebunden. Es findet sich in allen Kirchen und Konfessionen, Richtungen und Parteien; es tritt uns nicht nur im Ordens- oder Diakonissenkleid entgegen, sondern ebensogut auch im bürgerlichen und Alltagsgewand; wir finden es nicht nur in dem, was man innere Mission“ oder „christliche Werke und Anstalten" in besonderem Sinne nennt, sondern überall, wo man ein Herz hat für das Wohl der Gesammtheit, für das Heil des Volkes, für den Schuß und Trost der Kleinen und Schwachen, für die sozialen Fragen und Aufgaben und an deren Lösung treu und redlich mitarbeitet. Wir erinnern 'an das schöne Wort Schellings, wo er von den verschiedenen Zeitaltern oder Entwicklungsphasen des Christenthums spricht und sagt, daß auf die judenchristliche Kirche des Jakobus und auf die römische Gesetzeskirche des Petrus und auf die protestantische Glaubenskirche des Paulus die Menschheitskirche des liebenden Johannes folgen werde, und die lettere wird wohl auf keinem weniger soliden Boden stehen, und nicht weniger segensreich wirken, als irgend eine der vorangegangenen.

Wir leben in einer Zeit, wo der Ruf nach festen, sichern, positiven Lebensfundamenten und Lebensmächten um so lauter ertönt, je zahlreicher und mächtiger anderseits die negativen Strömungen sind, die hier in blinder Rohheit gegen alle überlieferten Ordnungen in Staat, Kirche, Gesellschaft anstürmen, dort im glänzenden Philosophenmantel als wissenschaftlicher Materialismus und Pessimismus jede religiöse und ideale Lebensauffassung zu untergraben suchen. In solcher Zeit der Gährung und Verwirrung flüchtet man sich gern auf einen festen Boden; man frägt nach unerschütterlichen Autoritäten, nach sicheren Garantieen für die höchsten Güter der Menschheit, und eine der sichersten und zuverlässigsten erblickt man in der Wiederherstellung des positiven Christenthums.

Gewiß mit Recht. Aber das positive Christenthum, das unsere Zeit bedarf, wächst wahrlich nicht auf dem Sumpfboden politischer oder kirchlicher Reaktion; es ruht nicht auf äußeren Stüßen irgendwelcher Art, nicht auf Staats- und Kirchenmacht, nicht auf vergilbten Pergamenten und todten Buchstaben, nicht auf einem Glauben, den man nicht mehr glaubt, nicht auf Bekenntnissen, die man nicht mehr bekennt: das sind Alles morsche

Säulen. Positiv ist die ernste, ruhige, aber auch freie, nur an ihre eigenen Gesetze gebundene Wissenschaft; positiv sind die Resultate unbefangener Forschung und die Ergebnisse geschichtlicher Entwicklung; positiv ist die Macht des Gewissens in der Menschenbrust und der Geist der Wahrheit, der in den Denkmälern der Vergangenheit wie im Ringen und Suchen der Gegenwart wirkt und schafft; positiv ist das Evangelium Jesu vom Gottesreich, das den ewigen Bedürfnissen der Menschennatur und darum den Bedürfnissen jeder Zeit entspricht; positiv ist vor Allem das Christenthum der That, das an dem Aufbau dieses Gottesreiches arbeitet mit unablässiger Treue und das der zerrissenen Welt auf ihre zweifelnde Johannesfrage: „Bist du, der da kommen soll ?" antworten fann: Sehet und höret: die Blinden sehen, die Lahmen gehen, die Aussäßigen werden rein, die Tauben hören, die Todten stehen auf und den Armen wird gute Botschaft verkündigt !“ Das ist nicht nur ein sogenanntes, sondern ein wirklich positives Christenthum, das, wir dürfen dessen überzeugt sein, alle falschen Negationen, aber auch alle trügerischen Positionen unserer Zeit überdauern und überwinden wird.

Sprühe.

Du schiltst den Armen, weil des Branntweins Gift
Ihm Leib und Seele häßlich hat zerfressen.
Ludst du ihn auch zu Suppe, Fleisch und Wein
An deinen Tisch, sich einmal satt zu essen?

[blocks in formation]

Hörst einen Priester du laut um ein Dogma eifern:

Die Frömmsten unsers Gotts wird stets sein Mund begeifern.

[blocks in formation]

Orthodoxie erbaut sind; das ist ein Fundament, von dem mit ungleich größerem Recht das Wort gilt: „Auf diesen Felsen will ich bauen meine Gemeinde."

2. Mit dem Losungswort vom „positiven Christenthum" meint man aber noch etwas Anderes. Man verlangt damit nicht nur eine positive Grundlage desselben, sondern auch einen positiven Glaubensinhalt, d. h. eine sichere, unzweifelhafte Wahrheit, wobei dann die Meinung obwaltet, daß nur das orthodoxe Christenthum diesen sichern Halt, diese feste, unwandelbare Wahrheit darzubieten vermöge, während die freisinnige Auffassung des Christenthums den, der ihr huldigt, auf ein nebelvolles und stürmisches Meer unsicherer Menschenmeinungen hinausstoße. Damit kommen wir auf den eigentlichen Kern der Sache, zu den unmittelbar religiösen Bedürfnissen und Interessen, und so wollen wir denn auch in dieser Hinsicht etwas genauer sehen, wo wir das positive Christenthum zu suchen haben.

Vor Allem anerkennen wir auch hier die volle Berechtigung dieses Postulats. Gewiß, jede Wahrheit ist etwas Positives, ist ein „Ja“. Die Negation ist zwar unter Umständen sehr nothwendig, aber die ganze, volle Wahrheit ist sie nimmermehr. Allen Respekt vor den Männern der unerbittlichen Kritik, der scharfen Logik, der rücksichtslosen Konsequenz; sie ebnen den Weg, sie säubern den Boden, sie sind die Vorläufer der Propheten, aber doch nur die Vorläufer. Wer auf irgend einem Gebiete etwas Neues geschaffen und die Menschheit um einen Schritt vorwärts gebracht hat, das sind nicht die „Erasmus“, sondern die „Luther“, es sind nicht die kritisirenden und sezirenden, sondern die positiven Naturen, die Menschen mit großen, heiligen Ueberzeugungen, mit klaren, festen, positiven Zielen. In ganz besonderm Grade findet das seine Anwendung auf dem religiösen Gebiet. Auch hier zwar ist die Arbeit des nüchternen Verstandes nothwendig, um die Luft von den trüben Dünsten des Wahnes zu reinigen, um die Nebel des Aberglaubens und Vorurtheils zu zerstreuen; aber das religiöse Bedürfniß des Gemüthes ist damit noch nicht befriedigt, der Durst der Menschenseele nicht gestillt. Der Mensch verlangt nun einmal in seinen Fragen und Zweifeln nach einer positiven Antwort, in seiner Schwachheit nach einem positiven Beistand, in seinem Schuldbewußtsein nach einer positiven Gnadenversicherung, in seinem Schmerz und Weh nach einem positiven Trost, in den Stürmen des Lebens nach einem positiven Halt und Anker. Und sehen wir auf Jesus, Panlus, die Reformatoren. Auch die schärfste Kritik, die sie an dem Kirchenwesen ihrer Zeit übten, war ihnen nur der Weg zu positivem Wirken, zu religiös-schöpferischer That. Wie viel altes Gemäuer sie beseitigten, sie thaten es nur, um den Boden frei zu machen für den Bau eines schönern Tempels. In der einen Hand das Schwert, in der andern die Maurerkelle: so standen sie da; „nicht auflösen, sondern erfüllen": das war ihre Losung.

Das gilt auch für unsere Zeit, und wir, die wir das protestantische Recht der freien Forschung und der persönlichen Ueberzeugung über Alles hochhalten, wir haben allerdings doppelte Ursache, es zu beherzigen: mit dem bloßen Neinsagen ist's nicht gethan; religiöser Freisinn und religiöse

« ก่อนหน้าดำเนินการต่อ
 »