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Gleichgültigkeit sind nicht dasselbe. Das wäre ein armseliger Ruhm, nur niederzureißen, was frühere Zeiten mühsam aufgebaut und als Heiligthum gehütet haben; das wäre eine trostlose Aufklärung, die nur lehren würde, unhaltbare Ueberzeugungen preiszugeben, ohne haltbarere dafür zu gewinnen, über veraltete Glaubensvorstellungen mit stolzem Siegesgefühl hinweg zu schreiten, ohne etwas Anderes und Besseres an deren Stelle zu sehen. Mit dem Postulat eines festen Glaubensinhaltes, einer sicheren, zuverlässigen religiösen Wahrheit sind wir also vollkommen einverstanden.

Aber welches ist denn nun diese positive christliche Wahrheit? Man antwortet: Nun, das ist eben die göttlich geoffenbarte Wahrheit, wie sie in Christus erschienen und im Neuen Testament urkundlich niedergelegt ist. — Gewiß; aber damit sind wir noch um keinen Schritt weiter gekommen. Jede Wahrheit ohne Ausnahme ist eine geoffenbarte. Wir können ja die Wahrheit nicht machen, sondern nur erkennen, nicht erfinden, sondern nur finden. Wer also irgend eine Wahrheit zuerst erkennt und findet, ist in diesem Punkte der Träger einer neuen Offenbarung, und daß Jesus auf religiösem Gebiet der Höhepunkt dieser Offenbarung und im Neuen Testa= ment das urkundliche Zeugniß derselben zu finden ist, daran zweifelt Niemand, der noch auf den Christennamen Anspruch macht. Es bleibt also immer noch die Frage: welches ist denn diese geoffenbarte Wahrheit? woran erkennen wir sie? wo liegt die Garantie für ihre Gültigkeit ? Kann es auf protestantischem Boden eine andere Wahrheits-Autorität und Wahrheits-Garantie geben, als das Zeugniß des Geistes in uns, das Zeugniß der Geschichte hinter uns und das Zeugniß des praktischen Lebens um uns her?

Wohlan, so fragen wir diese drei Zeugnisse um Rath.

Das Zeugniß des Geistes in uns. Wie sehr schon Luther auf dieses innere Zeugniß sich gestützt und von da aus die biblischen Bücher beurtheilt hat, ist bekannt. Nicht minder haben sich die spätern Dogmatiker auf dieses Zeugniß berufen. Auch der gläubigste Bibelleser nimmt doch vor Allem das aus der Schrift heraus, was ihm selbst wichtig und unentbehrlich scheint, und wo ist je eine Meinung aufgetaucht, die sich nicht auf die Bibel berufen hätte? Schon vor zweihundert Jahren hat darum der Basler Theologe Samuel Werenfels von der Bibel gesagt: << Hic liber est, in quo quisque sua dogmata quaerit, Invenit et iterum dogmata quisque sua.»>

(Dies ist das Buch, worin Jeder seine eigenen Glaubensüberzeugungen sucht und auch findet.) Und so liegt denn der lezte Maßstab, das lezte Kennzeichen der religiösen Wahrheit doch immer in uns selbst, in unsrer Vernunft, unserm Gewissen, unserm innersten religiös sittlichen Fühlen und Empfinden.

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Aber - sagt man uns damit verzichtet ihr ja eben auf alle sichere, positive Wahrheit und gebet Alles der Willkür jedes Einzelnen preis! Aber ist denn die Wahrheit ein so nebelhaftes Ding, daß man mit ihr machen kann, was man will? „Wer für die Wahrheit geboren ist", sagt Tholuck irgendwo, „der erkennt sie trotz aller Beulen und Entstellungen an ihrem Königsblick." Liegt es in deiner Willkür, ob du die physikalischen Gesetze,

die mathematischen Lehrfäße, die logischen Regeln anerkennen willst? Kannst du auch behaupten, zwei Mal zwei sei gleich fünf, oder die Winkel eines Dreiecks machen mehr oder weniger als zwei Rechte aus, oder eine Raphael'sche Madonna, eine Beethoven'sche Symphonie, ein Schiller'sches Drama, ein Kölner Dom verlegen deinen Schönheitssinn? Und sollte es mit der sittlich-religiösen Wahrheit anders sein? Hängt es von meinem Belieben ab, ob ich den Goldgehalt der Bibel, ihren Ernst wider die Sünde und ihre Gnadenbotschaft für den Sünder, den Ausdruck der Demuth, des Gottvertrauens, der Glaubenszuversicht, der sie überall durchzieht, anerkennen, ob ich insbesondere die Worte Jesu, die Bergpredigt, die Gleichnisse, unvergleichlich wahr, sein Leben und Lieben, sein Dulden und Opfern groß und erhaben finden will? Muß ich es nicht thun, wenn ich nicht allen Wahrheitssinn verleugnen will, und gibt es überhaupt einen andern Beweis für die Wahrheit, als ihre eigene Ueberzeugungsskraft ?

Positive Wahrheit ist also nichts, was von Außen her, unter dem Schuße einer fremden Autorität an uns herantritt, sondern nur das, was, in den Geseßen der Natur und des Geistes begründet, sich uns selbst als wahr und gut zu erkennen gibt. Positives Christenthum ist nicht das jenes Gebildeten, der, über seine Rechtgläubigkeit interpellirt, erklärte, er mache es mit den kirchlichen Dogmen, wie mit einer Arznei, die er ohne nähere Untersuchung hinunterschlucke, wie bitter sie auch sei, und ebensowenig das jenes norddeutschen Beamten, der auch in seiner religiösen Ueberzeugung der Ordre folgte und das glaubte, was Bismarck und der Kaiser glaubt; sondern das ist wahrhaft positiv, was in mir selbst lebendigen Wiederhall findet, was meinen Geist bereichert, mein Gemüth erhebt, mein Gewissen trifft, wovon ich und jedes ehrliche Menschenkind bekennen muß: „Das sind Worte des ewigen Lebens !"

Das ist wenigstens protestantische Auffassung. Der Protestantismus ist ja in seinem Ursprung und Wesen nichts Anderes, als das Christenthum der persönlichen Ueberzeugung, des persönlichen Glaubens. Auf diesem Standpunkte ist also überhaupt keine objektiv gegebene Dogmatik, aber jede redliche Ueberzeugung, jedes lebendige religiöse Gefühl, jeder auf innerer Erfahrung ruhende Glaube positive Frömmigkeit, positives Christenthum.

Fragen wir weiter das Zeugniß der Geschichte. Dieses sagt: positives Christenthum ist das, was das jeweilige nothwendige Resultat geschichtlicher Entwicklung ist. Man geht auf der sogenannten „positiven“ Seite von der Voraussetzung aus, das Christenthum sei als etwas ein für allemal Fertiges, Abgeschlossenes, Vollendetes in die Welt gekommen, als etwas, das völlig unberührt bleibe vom Strom der menschlichen Geschichte, ohne Bewegung, ohne Entwicklung, in absoluter Unveränderlichkeit! Ein solches Christenthum gibt es aber überhaupt nicht. Was einmal in die Geschichte eingetreten ist, das steht unabweisbar unter dem allgemeinen Gesetz der Entwicklung; was einmal eingesenkt ist in den Strom des geistigen Lebens der Menschheit, bewegt sich weiter in und mit diesem Strom.

Es gibt also heutzutage gar kein Christenthum, das nicht die Spuren einer Jahrhunderte langen Entwicklung an sich trüge. Oder ist denn nicht Vieles längst erledigt und gegenstandslos geworden, was in früheren Zeiten

die Gemüther der Christenheit bewegte? Wo ist der Gegensatz zwischen Judenchristen und Heidenchristen, der einst in der Urzeit so gewaltige Wellen schlug? Wer macht heute noch dem Paulus sein apostolisches Ansehen streitig, das er einst mit so großem Kraftaufwand gegen seine Gegner vertheidigen mußte? Wo sind doch die Positiven, die mit den ersten Christen von heut auf morgen die Wiederkunft Christi erwarten, die den Kampf zwischen Gottesreich und Weltmacht noch in der phantastischen Weise sich vorstellen, wie die Apocalypse ihn schildert, die die Inspirationslehre noch in altorthodorem Sinne festhalten? Oder wenn wir an die gewaltigen Kämpfe über die Gottheit Christi denken, die einst über ein Jahrhundert lang das allgemeine Interesse vom Kaiserpalast bis zu den Barbierstuben Alexandriens in Anspruch nahmen, an die Haarspaltereien der mittelalter= lichen Scholastik, oder an die Abendmahlsstreitigkeiten zwischen Lutheranern und Reformirten: wo sind die Positiven, die an all' diesen theologischen Spitfindigkeiten noch ein lebendiges Herzensinteresse nähmen? Sind das nicht vergangene, für immer erledigte Dinge?

Es gibt eben eine Entwicklung. Das Christenthum ist nicht als etwas Fertiges in die Welt gekommen; wir kennen kein Lehrsystem, keine Dog= matik, kein Glaubensbekenntniß, keine Kirchenordnung, die Jesus aufgestellt und hinterlassen hätte. Keime hat er ausgestreut, lebensvolle Keime, große, schöpferische, zukunftsreiche Gedanken: von der Anbetung Gottes im Geiste und in der Wahrheit, von der Versöhnung des sündigen Menschen mit Gott durch Buße und Sinnesänderung, von der rettenden Liebe, die das Verlorene sucht, von der Berufung aller Menschen zur Gotteskindschaft und zu einem Reiche der Liebe. Solche Samenkörner hat er ausgestreut durch Wort und That und mit seinem Blute sie befruchtet; aber alles Weitere hat er der Zukunft überlassen. Ich hätte euch noch viel zu sagen", spricht er nach dem Evangelium Johannes zu den Jüngern, aber ihr könnet es jezt noch nicht tragen; wenn aber der Geist der Wahrheit kommen wird, der wird Euch in alle Wahrheit leiten." Also die Entfaltung jener Grundgedanken in Lehre und Leben, ihre dogmatische Ausgestaltung und vor Allem ihre praktische Verwirklichung in allen Verhältnissen des Lebens, das hat Jesus noch nicht gegeben, das ist eben Sache der Entwicklung, langsamer, Jahrhunderte langer, kämpfereicher Entwicklung.

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Wie nun? Ist die Entwicklung einer Sache weniger positiv, weniger sicher, gültig, glaubwürdig, als der Anfang? Ist die Aehre weniger positiv als das Samenkorn, die Aeste und Zweige mit ihren Früchten weniger als der Stamm und die Wurzel? Wer will denn in der Entwicklung des Christenthums in der Menschheit irgendwo einen Strich machen und sagen: bis hicher geht das positive Christenthum und nicht weiter? Ja, die Menschen machen solche Striche. Der ultramontane Katholik hält die römische Kirche mit ihrem unfehlbaren Oberhaupt für das wahrhaftige und allein positive Christenthum. Da macht er seinen Strich und sagt: was darüber hinausgeht, die ganze Reformation, der ganze Protestantismus in all' seinen verschiedenen Formen ist Negation, Auflösung, und darum ist der Protestantismus die Quelle alles Materialismus, Nihilismus, Atheismus, aller grundstürzenden Mächte der Gegenwart. Der orthodoxe Protestant

Fünfter Jahrgang.

N. 8.

Samstag, 25. Febr. 1882.

Schweizerisches Proteffantenblatt

Herausgeber:

Bfr. A. Altherr u. Pfr. E. Linder in Basel, Pfr. Bion in Zürich.

Wir sollen nur nicht in Sinn nehmen, daß der heilige Geist gebunden sei an Jerusalem, Rom, Wittenberg oder Basel, an deine oder eine andere Person. In Christo allein ist die Fülle der Gnade und Wahrheit.

Decolampad an Luther.

Erscheint jeden Samstag. Man abonnirt auf jedem Postamt der Schweiz und des Auslandes. Preis per Vierteljahr franko zugesandt 1 Fr. Wer das Blatt in Basel gratis erhalten will, kann dasselbe in der Vereinsbuchdruckerei, Spalen 3, abholen.

Licht in der Krankenstube.

In der Dachkammer einer volkbelebten Hauptstraße liegt eine Wittwe hochbetagt und krank. Wenn gegen Mitternacht die Fenster der Reihe nach dunkel werden, behält das Dachfensterlein seinen Schein, den das Nachtlicht neben dem Bett der Wittwe verbreitet. Ihr Arzt, einer von denen, welche auch des ärmsten Patienten sich gewissenhaft annehmen, hat ihr längst erklären müssen, daß das Uebel nicht mehr zu repariren ist, aber noch viele Jahre währen kann. Noch viele Jahre dreihundertfünfundsechszig Mal eine Nacht hindurch muß der Kranken das Lichtlein leuchten, ein schwimmender Docht auf einer Oelschicht im Glas Wasser. Und doch ist sie wohlgemuth und wünscht sich nicht den Tod. In ihr Kämmerlein scheint eben noch ein anderes Licht herein, die kindliche Liebe und Dankbarkeit ihres einzigen Sohnes. Derselbe hat in einem guten Geschäftshaus zu Odessa eine Anstellung. In einer Stadt, die reich an Verführungen ist, spart der Sohn für die Mutter und schreibt ihr Briefe voll ächter, unverfälschter Kindesliebe. Und wenn von Monat zu Monat in das arme Stübchen so ein Brief kommt, worin steht: Liebes Mütterlein, glaube doch nicht, daß ich Dich je vergessen könne, Du bist und bleibst mir das Liebste auf Erden, Du mußt am Leben bleiben, bis ich heimkehren und Dich umarmen kann, laß Dir nichts abgehen und hole auf der Sparkasse, so viel Du brauchst, Gott und Dir verdanke ich ja alles Gute auf Erden, wenn die Kranke das liest und der Sohn sie sogar in naiven, herzlichen Gedichten besingt, daun wird es alle Mal um das welke Mütterlein und in ihrer Seele wundersam helle. Das schönste Licht in einer Krankenstube ist halt doch die Liebe.

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A.

Alttestamentliche Sagenbildung.

Nachdem früher schon an dem Beispiel der Erzählung vom „Wasser aus dem Felsen" ein Beispiel von Sagenbildung auf biblischem Boden erwähnt wurde, so soll dies Mal ein anderes aufgezeigt werden, nämlich der Durchgang der Israeliten durch's rothe Meer. Wir werden zu demselben Resultate gelangen: daß nämlich ein ursprünglich ganz natürlicher, wenn auch ungewöhnlicher Vorgang im Lauf der Zeit als ein buchstäbliches Wunder aufgefaßt und dieses bis in's Groteske ausgebildet wurde. Die Einsicht in diese Werkstätte des dichtenden Volksgemüths wird uns von dem drückenden Gefühl befreien, als ob wir mit unserm Unglauben gegen das Wunder auf dem Frrwege seien, ohne uns doch die Hochachtung vor jener Auffassungsweise zu rauben, welche mit der Wunderdarstellung die Dankbarkeit gegen Gott ausdrücken wollte.

Der Durchgang der Israeliten durch's rothe Meer, jenes für das Schicksal des ausgewanderten Volkes entscheidende Ereigniß, ist im 14. Kapitel des 2. Buches Mose erzählt. Es ist unzweifelhaft, daß diese Erzählung ein Wunder im eigentlichen Sinne des Wortes schildern will. Wie die Israeliten an's Meer kommen und hinter sich die verfolgenden Aegypter wahrnehmen, so befällt Schrecken das ganze Volk und der erste Gedanke ist der, daß ein Entrinnen unmöglich sei. Da hebt Mose auf Gottes Befehl seinen Stab, und in Folge dessen, sowie auch durch einen Wind veranlaßt, theilt sich das Meer, um den Flüchtigen einen Durchgang zu eröffnen. Als dieser bewerkstelligt war, wollen die Aegypter nachrücken, werden aber durch die zusammenschlagenden Meereswellen verschlungen. Dabei wird geschildert, wie die Wasser zu beiden Seiten wie Mauern still gestanden seien während des Durchzugs der Ifraeliten, wie der Engel des Herrn und die Wolkensäule sich zwischen Israel und die Aegypter gestellt und so den Zus sammenstoß verhindert habe, und endlich, wie Gott selbst die Räder von den ägyptischen Kriegswagen gestoßen habe, um ihren Untergang desto sicherer und schneller zu bewerkstelligen.

Wenn man nun freilich diese Erzählung in einer deutschen Ueberseßung oder gar in einer im Auszug gegebenen „biblischen Geschichte“ liest, so erscheint dieselbe als eine einheitliche Schilderung, die höchstens einige überflüssige Wiederholungen enthält. Ganz anders liest sich aber dieser Abschnitt im hebräischen Urtext. Dieser Urtext zeigt nämlich Jedem, der einigermaßen der hebräischen Sprache kundig ist, zwei verschiedene Style oder Schreibweisen, welche bis auf die Worte von einander unterschieden werden können

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