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nach Boston begibt, um nach dem Muster der englischen Anstalten Asyle für entlassene Sträflinge und verwahrloste Kinder zu gründen!“

Die innigste Freundschaft Desor's mit Parker ist uns wie eine schöne Verheißung, daß ächte Naturwissenschaft und gesunde Religiösität sich immer wieder finden werden. Desor konnte mit Parker sich verständigen, weil dieser nicht einen Gott des Mirakels, sondern der Gesetzmäßigkeit verehrte. Und Parker hatte eine so große Freude an Desor, weil dieser gründliche Forscher den geistigen Grund der Welt nicht leugnete. Im August des Jahres 1856, nachdem Parker Karl Vogts „zoologische Briefe“, „physiologische Briefe" und „Thierleben“, gelesen, schrieb er an Desor mit großem Freimuth: „Karl Vogt hat große Fähigkeiten und schreibt für einen Deutschen ungewöhnlich gut; aber was er schreibt, ist so maßlos materialistisch und atheistisch, daß es mich traurig stimmt. Da ist Alles Natur, aber kein Geist. Er leugnet nicht blos diesen oder jenen Gott, Jehova, Zeus, Odin oder Thor, sondern jeden Gott, Gott an sich. Da gibt es kein Bewußtsein der Welt, keinen Grund des Immerwerdens mehr. Alles ist planlos und wüst. Die Natur sieht vom Standpunkt eines altgläubigen Lutheraners zwar auch traurig aus, sein Gott ist eine ungeheure Willkür ; aber Vogt's Ansicht vom Weltall ist für mich noch viel unbefriedigender, denn sie läßt keinen ordnenden Geist und Willen im Universum mehr zu, weder Ordnung, noch Ordner. Das ist an dem so gelehrten, genialen und freiheitsliebenden Mann höchst unwissenschaftlich. Und ebenso traurig ist seine Ansicht vom Menschen. Das Menschenleben ist so kurz hier, das Alter so hoffnungslos, steif und starr, wenn es keine Vollendung, keine Unsterblichkeit gibt!“

Jawohl, die sogenannte moderne Weltanschauung, welche auf der Ge= sezmäßigkeit alles Geschehens fußt und das Wunder im Sinn der kirchlichen Dogmatik durchaus ausschließt, verträgt sich gar wohl mit der innigsten, tiefsten Religiösität. Diese ist keine Feindin des vernünftigen Denkens, sondern dessen Vollendung, Blüthe und herrlicher Lohn. Denn ob man auch Alles aus seinen natürlichen Ursachen erkläre, das Werden und Ver= gehen, Gesundsein und Sterben, Ernte und Mißwachs, Bergsturz und Erdbeben, wer nicht auf halbem Wege stehen bleibt mit seinem Denken, der erkennt doch, wie alles Geschehen von einer natürlichen und sittlichen Weltordnung getragen ist, und diese Ordnung, die kein Mensch erfunden hat, ist der Gedanke und die Offenbarung und der in die Erscheinung tretende, ewige Gotteswille, und Alles, was gefeßmäßig geschieht, ist deshalb auch ein Thun Gottes, so daß faktisch kein Sperling vom Dach fällt und kein Haar von unserm Haupte ohne ihn. Es ist wahr, die Erde bring

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von sich selber hervor zuerst das Gras und dann den Halm und die Aehre; aber die Kinder, welche um das Habermus versammelt beten: „Aller Augen warten auf dich, o Herr, und du gibst ihnen Speise zu seiner Zeit", fie dringen in ihrer Glaubenseinfalt doch tiefer. Der Arzt hat vollkommen Recht, an der Leiche eines erloschenen Lebens den Tod aus natürlichen Ursachen, alsda sind Erkältung, Fieber u. s. w. zu erklären; aber wer den wunderbaren Organismus des Menschen und das Gesetz seines Gesundseins und Krankseins als das Werk Gottes auffaßt, der tritt der Wahrheit noch um einen Schritt näher, und er hört nicht auf, vernünftig zu denken, wenn er nach dem Weggang des Arztes neben der theuren Leiche niederfällt und seinen Seelenschmerz in das Glaubenswort ausströmen läßt: Vater, dein Wille geschehe! Durch die Erkenntniß eines gesetzmäßigen Verlaufs aller Dinge im Himmel und auf Erden, und im Glauben an den im Geset verborgenen Schöpferwillen hat man erst recht einen ewigen, unveränderlichen, allgegenwärtigen und allmächtigen Gott, man ist religiös nicht ärmer, sondern viel reicher geworden. Möchte doch das in der Freundschaft zwischen Parker und Desor lieblich prophezeite Einverständniß zwischen wahrer Naturforschung und wirklicher Frömmigkeit immer weitere Kreise umfassen und überall den Frieden zwischen Wissenschaft und Religion verwirklichen, nach dem Ausspruch Goethes :

Wer oberflächlich die Natur betrachtet,

Sich leicht im grenzenlosen All' verliert;

Doch wer auf ihre Wunder tiefer achtet,

Wird stets zu Gott, dem Herrn der Welt, geführt.

A.

Seltsame Predigten.

And're Zeiten and're Vögel,

And're Vögel and're Lieder!

singt der Dichter. Sein Wort gilt auch vom Worte, das von der Kanzel ertönt. Jede neue Zeit, d. h. eine neue geistige Strömung und Bewegung auf religiösem, theologischem und kirchlichem Gebiete, aber nicht minder auf den andern Arbeitsfeldern des Menschengeistes, schafft neue Prediger und die neuen Prediger schaffen neue Predigten: neu in der Form,

neu in der Art und Weise, wie das Bild Christi und seiner Religion in ihrem Innern sich abspiegelt. Ihr Text ist zwar immer derselbe: das alte, ewig junge Evangelium; aber die Melodien wechseln, in welchen es vorgetragen wird. Die Prediger einer begrabenen Zeit,

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umsonst macht die in der Kirche besonders heimische Alterthümelei Versuche, sie wieder auferstehen zu lassen, verkündigten einst allerlei übernatürliche Thaten, Mirakel, welche Gott gethan haben sollte, die vom modernen Geiste erfüllten Prediger der Gegenwart rühmen die ewigen Geseße und unverbrüchlichen Ordnungen Gottes, welche wie eine Perlenschnur von einem Ende der Welt bis zum andern laufen und Alles in sich einschließen. Nur die Melodie ist verschieden, der Text ist derselbe: die Allmacht Gottes. Die Prediger der Vorzeit haben zu ihrem Kirchenvolke geredet von dem Gotte Jesus, welcher Mensch geworden sei; der Prediger der Neuzeit redet von dem Menschen Jesus, welcher durch Kampf und Versuchung, durch Leiden und Sterben zum Gottessohne dem Geiste nach heranreifte. Nur die Melodie ist verschieden, der Text ist derselbe: die Bestimmung der Menschenseele zur Lebenseinheit mit Gott.

Eine jede Zeit verlangt eine Predigtform, welche dem Stand ihrer Bildung entspricht. Wenn die Apostel Petrus und Paulus auferstünden und beabsichtigten, ihre einst in Jerusalem, in Antiochia, in Athen, in Korinth, in Rom gehaltenen Predigten dem Publikum unserer Tage nochmals zu halten, ich würde es ihnen bei all' meiner aufrichtigen Ehrfurcht vor ihren Persönlichkeiten dennoch abrathen, ja sogar entschieden abrathen, wenn sie das vor einem orthodoxen Publikum zu thun gedächten. Und den wirklich bibelgläubigen Pastoren des sechszehnten und siebzehnten Jahrhunderts, falls sie ihren Gräbern entstiegen, möchte ich bei allem Respekt in aller Wohlmeinenheit dennoch die Mühe ersparen, ihre Predigten nochmals zu memoriren. Sie wären wohl bald allein in der Kirche. Nicht einmal die Vertreter der heutigen Orthodoxie würden mehr als einmal kommen. Und wenn es auch heute noch in mancher Kirche dem Prediger zur Empfehlung gereichen mag, wenn er nichts ist, als der Verwalter einer mittelalterlichen Sammlung und zugleich der Erklärer derselben in der Sprache des Mittelalters, so wird doch sein Wort für das praktische Christenthum, für das Christenleben ganz gewiß verloren sein.

Wir haben jüngst solche alte Predigten durchblättert. Es waren Geisteserzeugnisse vom Ende des siebzehnten, vom Anfang des achtzehnten Jahrhunderts. Die Lektüre derselben hat uns mit möglichster Schärfe den Gegensatz klar gemacht, welcher zwischen der damaligen Bildung, dem damaligen Geschmacke und dem heutigen besteht. Jene Predigten sind für

uns veraltete Musik, für die es nur noch ein geschichtliches Interesse gibt. Sie zwingen uns vielleicht ein fröhliches Lachen ab, aber das Herz versteht diese Töne nicht mehr. Einige Beispiele mögen dies zeigen.

Zuerst ein Beispiel aus der reformirten Schweizerkirche.

Im Jahre 1713 starb der Antistes der Zürcher Kirche, Antonius Klingler, Pfarrer am Großmünster. Seine Predigten sind das widerliche Abbild seiner eigenen, aufgedunsenen Persönlichkeit, Muster eines ganz und gar verdorbenen Geschmackes, der aber gerade damals Geschmack war. Als er seiner Zeit die Helferstelle am St. Peter zu Zürich antrat, ließ er sich also hören: „Wenn ich das höchstgefährliche, mühsame und höchst wichtige Amt betrachte, so stehen mir meine Haare zu Berge, mein Eingeweide wallet, brauset und brennet, meine Haut zittert, mein Fleisch bebet, meine Lenden erschüttern, meine Schenkel wackeln, mein Herz sinkt, meiner Seele wird angst und bang!" Diese Bescheidenheit ist um so verwunderlicher, wenn unmittelbar vorher zu lesen ist: „ich will dennoch mit all' der Ehr' aufgenommen sein, die einem Ambassadeur Gottes zukommt." Einige Jahre später, bei seinem Antritt als Pfarrer und Antistes am Großmünster, war diese Bescheidenheit bereits herabgestimmt: „Diese Kanzel soll mir sein der liebliche Berg Gottes, ab welchem Friede und Heil über dies mein Israel soll gesprochen werden, aber auch der Fluchberg Hebals, der Strahl- und Donnersberg Sinai, darab ich der Unbußfertigkeit als ein Löwe begegnen werde, ihre himmelschreienden Sünden auszubrüllen und die ewigen Strafen über sie auszudonnern!" so ließ er sich damals vernehmen. Wenn er das große Glück schildern will, ein reformirter Christ zu sein, so ruft er aus: „Uns allein läßt Christus predigen durch seine Diener das pure, lautere Wort der Seligkeit; wir allein wissen, was wir anbeten; andern Nationen gönnt er Anderes: den Moskovitern köstliche Felle und Häute, den Mohren Zucker und Spezereien, den Spaniern herrlichen Wein und Früchte, den Indianern Gold und Silber. Wenn wir so viel Zungen hätten, als Argus Augen gehabt und jedes Haar unseres Hauptes wäre ein Leben und jedes Leben so lang, wie das Methusalems, es wäre zu kurz, Gott und Christo dafür zu danken." Den Sündenfall aber und die dadurch veranlaßte Erlösung macht er in einem Bilde klar, welches würdig wäre, in dem Bankierblatt einer reichen Stadt zu stehen. Er stellt das Ganze dar als „den Bankeroft eines Handelshauses, dem die Handlung in dem Himmel aufgekündet ist, dem Jesus durch seinen Verdienst neuen Kredit erworben und neue Kapitalien verschafft, so daß wir neuen Paß und Repaß haben. Wie herrlich ist es für die gläubige Seele, daß sie Kommerzien treiben, Waaren verschicken und beschicken kann in und aus dem Himmel.“ Eine

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bessere und vernichtendere Kritik des Dogmas vom Versöhnungstode des Gottmenschen ist noch nie geschrieben worden. Ueber alles Maß aber geht es hinaus, wenn er in einer Predigt über den Propheten Jonas ausmalt, wie Jonas im Wallfischbauche unter Fischen, Kröten, Schlangen, Ungeziefer wohnte, wie Jonas dann im weiten Bogen durch die Luft ausge= spieen worden und das Ganze dann angewendet wird auf das Auswerfen des Sünden-Unrathes in Kraft des Abendmahles, das für uns eine geistliche Purgaz sein soll!" So redete dieser Klingler im abgeschmacktesten Treibhausstyl, fuhr auf großen Wassern der Rede daher und blies mit vollen Backen die Posaunen des Weltgerichtes Sonntag um Sonntag.

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Aehnliche Geschmacklosigkeiten ließen sich aber auch Prediger der lutherischen Kirche Deutschlands in derselben Zeit zu Schulden kommen. PredigtThemata, wie: „Von dem Zucker und der Ruthe des Christkindleins“, „Maria als lieblich singende Nachtigall“, „des Herrn Jesu Abschieds-Kantate aus b-dur und b-moll" waren damals beliebt.

Zur Kennzeichnung zwei größere Beispiele.

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Heinrich Müller, Professor und Superintendent zu Rostock gab 1702 seine Predigten heraus. In einer derselben ist das Gleichniß von der Henne und den Küchlein folgendermaßen ausgeführt: Es ist kein lieblicher Bild in der ganzen Schrift, als dieses. Die Henne seßt sich selbst über die Eier, sie auszubrüten. Von selbst hat sich Christus für uns in Noth und Tod geseßet. Eine Henne sezt sich nicht nur über ihre eigenen, sondern auch fremde Eier. Christus ist gestorben nicht blos für das jüdische Volk, sondern auch für die Heiden. Die Henne gibt den Küchlein das Leben, Christus unser Leben. Die Henne verändert sich um der Küchlein willen. Sie nimmt ab, daß die Küchlein zunehmen, wirft die Federn ab, daß fie Federn seßen, wird mager, daß sie feist werden, seßt sich in den Frost und Regen, daß die Küchlein Schuß und Wärme haben, wird häßlich und ungestalt, läßt die Flügel hangen, mattet sich ab, daß die Küchlein an Kräften zunehmen. Dies Alles hat Christus auch für uns gethan“, was nun noch im Einzelnen ausgeführt wird. Im Weitern heißt es dann: „Die Gluckhenne haben wir beschanet, lasset uns nun auch beschauen die Küchlein. Jene Christi, diese ein Bild der Christen. Die Küchlein verlassen sich nicht auf ihr Leben und Laufen, sondern auf die Flügel der Henne. Wir müssen uns weder auf unsern Glauben, noch auf unser Thun verlassen, sondern zu Christo halten und seine Gerechtigkeit zu unserm Schirm wählen. Die Küchlein arten und folgen der Henne nach; die Henne glucket, das Küchlein auch; die Henne scharret in der Erde, die Küchlein auch; die Henne streitet mit den Flügeln, die Küchlein auch. Nur die sind für wahre

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