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Judenheze brachte. Aber wohl zu verstehen ist doch folgender Ausspruch, den er kurz vor seinem Ableben gethan hat: „Ich habe Lust, Berlin für immer zu verlassen, denn ich bin Jude, und ich ertrage es nicht, meine Glaubensgenossen mit solcher Rohheit, wie es tagtäglich hier geschieht, geschmäht und verachtet zu wissen. Daß so etwas heute noch möglich sein könnte, hatte ich nicht gedacht; es steckt in dem Haß, der ge= schürt wird, Bestialität in so hohem Maße, daß darunter, ich sage es ganz offen, meine Nerven gelitten haben. Ich bin an der Wahrnehmung, daß das Skandalosum schon ein volles Jahr und länger andauert, krank geworden. Jeden Tag frage ich mich: ist die Welt um uns her ein Tollhaus geworden? Und ist es denn zu fassen, daß Lessing und Spinoza und Schleiermacher ohne Einfluß auf die Menschheit geblieben sein sollen? Ich muß es bejahen, so schwer mir's fällt, und ich bekenne es ganz offen: seitdem die Judenfrage die Köpfe verwirrt hat, bin ich irre geworden an Berlin, irre geworden an Deutschland.. Soll ich dafür, daß eine jüdische Mutter mich an ihr Herz drückte, verhöhnt werden? Soll ich mich schief ansehen, mich verlässtern lassen? Es zieht mich fort von hier. Lieber will ich in tiefster Verborgenheit, von Allen vergessen, auf fremder Erde leben, als mitansehen, wie der Religionshaß, von einem christlichen Priester allabendlich geschürt, immer weiter sich ausdehnt. Mir war eigentlich, so lange ich meine kleinen Sachen schrieb, niemals der Gedanke nahe getreten, welcher Religion ich eigentlich angehöre, Jude, Christ, ein Mensch mit möglichst anständigen Gesinnungen zu sein, das war mein Bemühen, und in welcher Kongruenz der Empfindungen, wie Vorstellungen befand ich mich doch mein Lebtag mit den erlauchtesten Christen! Das ist jezt anders geworden und es schmerzt mich tief; ich sage es mit größter Seelenruhe : das Leben hat keinen Reiz mehr für mich, ich berge in meinem Herzen unendlichen Gram und Kummer.“

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Das große Thier der Offenbarung.

Bei der lezten Pfarrwahl in Bern hatte der pietistische Vorsteher der Lerberschule in Bern die Liebenswürdigkeit, öffentlich zu verkünden, das Reformerthum sei in seinen Augen das Antichristenthum. Wir sind große Freunde der Aufrichtigkeit. Als der selige Abt Motschi in Mariastein durch eine gedruckte Predigt der Welt verkündigte, daß der Herr Jesus Christus

selbst in seinem Kloster die erste Messe gelesen habe, freute uns diese offene Aussprache einer ehrlichen Ueberzeugung, obschon wir sie nicht zu theilen vermochten. So geht es uns auch mit dem neuesten Spruch des Herrn von Lerber in Bern. Die Frage, wer der Antichrist der Offenbarung sei, hat seit Jahrhunderten unzählige fromme Gemüther beschäftigt, und es sind Viele, die darüber den Verstand verloren haben. Zur Zeit der großen Eroberungen Mohameds hielt man allgemein den Türken für den Antichrist. In den Tagen des Arnold von Brescia und des Johannes Huß bewies man dem Papst in Rom, daß er das große Thier sei. Billigerweise rächten sich die Päpste mit dem Nachweis, daß nach allen Anzeichen Luther, Zwingli und Calvin mit dem schrecklichen, siebenköpfigen Ungeheuer gemeint seien. Vor hundert Jahren bewies man in den schwäbischen Konventikeln, daß nur der böse Rationalismus das Thier sein könne. Nach der französischen Revolution mußte es diese Revolution sein und als der große Napoleon das morsche Staatengebäude in Europa zusammenhieb, war er es. Noch die lezten Tage kam mir per Post eine Broschüre des englischen Pfarrers M. Barter zu, die auf ihrem Titelblatt das siebenköpfige Thier trägt und beweist, daß nur der dicke französische Prinz Jerôme Napoleon vom Apostel gemeint sein könne. Wir müssen es Herrn von Lerber überlassen, den Bruder Barter eines Bessern zu belehren und beschränken uns auf folgende Erklärung: Die guten Pietisten haben immer das, was ihnen besonders zuwider war, für das große Thier der Offenbarung gehalten, natürlich muß es jetzt das Reformerthum sein, „und der Himmel voller Huld trägt auch dieses in Geduld." Sollte aber der geneigte Leser zu wissen verlangen, was die wissenschaftliche Bibelauslegung zu alledem sagt, so ist es dies: Die Offenbarung Johannis ist unter dem Eindruck der furchtbaren, neronischen Christenverfolgung geschrieben. Ihr Verfasser wollte den Namen des den Christen so furchtbaren Kaisers aus guten Gründen nicht offen aussprechen und bezeichnete ihn und das römische Weltreich darum mit dem Bilde eines Thiers, dessen Zahl 666 sei. Und wirklich: zählt man den Zahlenwerth der hebräischen Buchstaben der beiden Worte „Kaiser Nero“ zusammen, so ergibt sich die Zahl 666. Für Alle, welche sehen wollen, ist damit das große Thier der Offenbarung erklärt. Es ist weder der Türke, noch der Papst, noch der Luther, noch der dicke Prinz, noch das Reformerthum, sondern Nero war in den Augen des Apostels der Antichrist.

A.

Der Wohldiener.

Ein richtiger Parteimann ist etwas Wohlthuendes. Man weiß stets, woran man mit ihm ist und kann sich auf ihn verlassen. Offen und entschieden tritt er für seine Ueberzeugung ein, er stimmt immer für flares und entschlossenes Handeln; eine ehrliche Niederlage ist ihm tausend Mal lieber, als ein auf Umwegen erkünftelter Sieg. Sein entschiedenes und schroffes Auftreten verschuldet nicht selten den Mißerfolg seiner Sache, aber selbst daun ist sein Wesen eine Wohlthat, wirkt luftreinigend und erfrischend, wie das Gewitter. Unter diesen Parteimännern finden sich die edelsten Charaktere von goldlauterm Gemüth und grenzenloser Selbsthingabe an die Sache, den Grundsaß, die erkannte Wahrheit.

Es gibt Vermittler, die es von Haus aus, durch Anlage und Bedürfniß, von Gottes Gnaden sind. Ohne sie würde im unvermeidlichen Widerstreit menschlicher Meinungen und Strebungen noch ungleich mehr Kraft unnüß sich aufreiben, und die Entwicklung müßte sich noch weit stoßweiser zu einem Gang durch lauter Extreme gestalten. Sie sind das mildernde Del in's heiße Räderwerk der menschlichen Fortschrittsbewegung, die Beförderer ge= sunder Mittelmäßigkeit, die Spender schattigkühler Ruheorte für den berganstürmenden Pilger. Gegen sie kein Wort. Gott hat sie geschaffen. Ein Geschöpf ganz anderer Art ist der Wohldiener. Seine Naturgeschichte betrachten ist die Sektion eines Leichnams und der Leichengeruch ist unvermeidlich.

Die Geschichte des Wohldieners beginnt frühe. Sie hebt an mit dem Kinde, das sich gegen die Spielgenossen nie anders wehrt, als durch Flucht zur Schürze der Mutter, bei der es die wilden Genossen verklagt in der Hoffnung auf ein sanftlohnendes Streicheln. In die Schule gekommen, geht der junge Wohldiener auf die Gunst des Lehrers los, wie der Sperber auf seine Beute, und wenn es zu einer bessern Censur beiträgt, so schwärzt er frischweg seinen besten Kameraden an. Zum Jüngling geworden siehst Du den aufblühenden Wohldiener nicht im Kreise fröhlich singender und zechender Genossen; wenn diese spät Abends aus ihren lauten, aber offenen Versammlungen heimkehren, sehen sie eine Gestalt längs der Häuser sich heimdrücken. Der junge Wohldiener hat im Stillen gefumpft oder beim Vorgesetzten sich um eine Beförderung beworben. Ist der Wohldiener endlich zur selbstständigen Ausübung seines Berufes gelangt, so kommt sein Wesen erst recht zur Entfaltung. Sein Geschäft zu fördern und seine Waare abzusetzen, ist sein einziges Ziel. Was er unternimmt, wo er sich

anschließt, an was er sich auch betheiligt, ob unter der Fahne geselliger, gemeinnüßiger, politischer oder kirchlicher Zwecke, er hat nur seinen Geschäftsabsatz im Auge. In allen Dingen versteht er es meisterhaft, die Wasser der Nachbaren und Kollegen auf seine Mühle zu leiten. Ueber die Freundschaft lacht er im Stillen; Wahrheit und Recht, für die er zu fechten vorgibt, müssen ihm nur dazu dienen, seine Person zu erhöhen. Wenn es darauf ankommt, verräth er jede Sache, für die er den Namen einschreiben läßt. Im Rathssaal späht er nur auf die Gelegenheit, mit einem ge= schickten Antrag sich als Mann der Situation aufzuspielen. In einer Parteiversammlung am Abend predigt er entschiedenes und energisches Vorgehen, am darauffolgenden Morgen macht er dem Führer der Gegenpartei einen Besuch und beklagt sich über die Einseitigkeit seiner Genossen und holt sich das Kompliment, daß er der Einzige sei, mit dem sich reden und leben lasse. In diesem Wasser der allseitigsten Treulosigkeit schwimmt er täglich als in seinem Element. Es gibt hinter Schloß und Riegel Viele, die in einem bösen Augenblick zum Verbrecher geworden sind, aber so innerlichst unsittlich, wie dieser Wohldiener, ist keiner von ihnen.

(H. W. Beecher.)

Zur Beleuchtung der Heidenmission und ihrer Erfolge. Auf seiner Reise zur Erforschung der Nilquellen traf der Engländer Sam. White Baker unter dem Kytschstamme am weißen Nil eine österreichische Missionsstation an. Er bemerkt über dieselbe Folgendes:

„Die Station besteht aus etwa zwanzig Grashütten auf einem Stück trockenen Bodens dicht am Flusse. Die Kirche ist eine kleine Hütte, aber nett eingerichtet. Der Vorsteher Morlang anerkannte, daß unter solchen Wilden die Mission durchaus nuglos sei; er habe eine lange Reihe von Jahren mit vielem Eifer gearbeitet, aber die Eingebornen seien äußerst unlenksam; sie ständen weit unter den unvernünftigen Thieren, da die leßtern doch Zeichen der Zuneigung gegen diejenigen an den Tag legten, die freundlich gegen sie sind, während die Eingebornen gegen alle Gefühle der Dankbarkeit völlig abgestumpft seien; je mehr sie bekommen, desto mehr wollen sie haben, aber sie mögen nichts dafür thun. Dreißig derselben lagen mit Asche beschmiert, völlig nackt, mit zugespizten Käulen von hartem Holz bewaffnet, müssig um die Station herum. Herr Morlang verkaufte diesen Morgen das ganze Dorf sammt der Missionsstation an einen Türken für dreitausend Piaster (zweihundert Thaler). In der Nähe befinden sich die

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Gräber mehrerer Mitglieder der Mission, die ihre Gebeine in diesem schrecklichen Lande gelassen haben, während von ihrer Station aus kein einziger Mensch zum Christenthum bekehrt worden ist. Es ist erbarmenswerth, wenn man das Selbstopfer ansieht, das viele edle Männer in solchen Gegenden ohne den geringsten Erfolg dargebracht haben.

An einer andern Stelle fagt Baker: „Wahres Christenthum kann nicht ohne Civilisation bestehen; die Ausbreitung des Christenthums muß daher von der Ausdehnung der Civilisation abhängen und diese Ausdehnung hängt vom Handelsverkehr ab.“ M.

Konsequent. Es ist gewiß ein erfreulicher Zug an der öffentlichen Meinung, daß sie die Aufhebung der weltbekannten Spielhölle in Monaco laut fordert, und der italienische Bischof, welcher in einem besondern Hirtenbrief gegen das unheilvolle Institut zu Felde zieht, ehrt damit die römische Kirche. Aber wir möchten die Kenner fragen: Ist denn das heute massenhaft betriebene „Geschäft“, wobei man, auf das Steigen oder Fallen eines Papiers spekulirend, in vier Wochen zwei Mal reich und arm werden kann, ist dieses Geschäft“ bei uns so viel besser, als jenes verpönte „Spiel“ auf Monte Carlo? Lotter ist Lotter. Es sind dem Moloch des Börsenspiels doch wohl schon genug Opfer gefallen, daß die öffentliche Meinung dagegen sich erheben könnte. Es ist gut, die Sünde in der Ferne zu verdammen, aber man sollte ihr dabei auch im eigenen Hause entsagen.

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Aus Deutschland. Rom hat im Kulturkampf wieder einen großen Sieg zu verzeichnen. Denn das preußische Abgeordnetenhaus stellte den Gesandtschaftsposten beim Papste her mit einer Jahresbesoldung von 90,000 Mark. Damit ist der Papst wieder als ein weltlicher Fürst anerkannt von Preußen und der protestantische Bauer, der auf dem märkischen Sande ein mühseliges Dasein fristet, muß mit dem Schweiße seines Angesichts nicht nur die ungeheuren Militärlasten tragen, sondern auch noch den Glanz des päpstlichen Hofes erhöhen helfen. Ist das eine Welt!

L. St. L.

Versammlung Mittwoch den 22. März 1882, Abends acht Uhr, im großen Saal zu Safran, Vortrag von Herrn Professor P. Schmidt.

Mitglieder und Freunde werden zu diesem Vortrag freundlichst eingeladen.

Die Commission.

Druck und Expedition: Vereinsbuchdruckerei, Spalenvorstadt 3, Basel.

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