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religiöse Leben, sei es auch in verkümmerter oder gar entstellter Form, gewissermassen erhalten blieb. Dies zu erkennen und sich verständlich zu machen erleichtert man sich dadurch, dass man das, was hier rudimentär vorkommt, mit gleichartigen Erscheinungen bei andern Völkern vergleicht, wo sie noch voll erhalten sind. Die anthropologische Vergleichung gibt also der geschichtlichen Forschung ihren Ausgangspunkt.

Fragen wir nun, was denn eigentlich die griechische Religion zu einer solchen gemacht hat, so bemerken wir, dass es eben jenes tiefe Bedürfnis nach geistiger Autonomie war, was den Charakter der griechischen Kultur hauptsächlich bestimmt hat. Wie schwer es den Griechen fiel, sich einer äusseren Autorität unterzuordnen, wurde schon angedeutet. Geistig wollten sie die Welt beherrschen. Sie brachten am liebsten alles auf den eigenen menschlichen Massstab zurück. Vor allem wünschten sie Klarheit und Ordnung in ihren Vorstellungen, was auch in einer tief in ihrem Wesen begründeten ästhetischen Betrachtungsweise der Dinge zum Ausdruck kam. Die Definition des Griechentums als „, Verstand, Mass und Klarheit" besteht denn auch zu Recht. Selbstverständlich aber nur insoweit, als damit die allgemeine Richtung der griechischen Kulturentwicklung angedeutet wird; vollends gelangt eine derartige geistige Bewegung wohl niemals zu ihrem Ziele. Auch war, wie gesagt, die Auffassung geistiger Freiheit derart, dass auch ganz andere, sogar entgegengesetzte Tendenzen sich Bahn brechen konnten.

So war denn auch die Hauptrichtung, in welcher die Religion sich entwickelte, die einer zunehmenden Aufklärung die z. B. dem Zauber seine Bedeutung nahm, eines zunehmenden Anthropomorphismus, einer Vergöttlichung des Menschlichen, einer zunehmenden, man könnte sagen, Verweltlichung des Religiösen. Gerade dieser Umstand ist es, der uns, die in so ganz andern Anschauungen erzogen sind, das Verständnis für die griechische Religion wohl am meisten erschwert hat. Man konnte sich nicht vorstellen, dass es den Griechen mit dem religiösen Charakter gewisser Kultformen, wie dramatischer Aufführungen und Wettkämpfe, wirklich Ernst gewesen sei, und nahm z. B. für letztere eine besondere Art, sozusagen profaner Tempel (Agonaltempel) an (BÖTTICHER). Es ist aber deutlich, dass nur die Religiosität der Griechen eine andere war als die unsere. Nicht ganz mit Unrecht meint man, dass der strenge Anthropomorphismus tiefe religiöse Empfindung ausschliesse, aber doch geht man völlig fehl, wenn man deshalb annehmen wollte, dass die Religion den Griechen nicht von grösster Bedeutung gewesen wäre. Das Gegenteil ist wahr:

in höchstem Grade beschäftigte sie seine Phantasie und bestimmte sie seine Handlungen. Seine staatlichen Institutionen beruhten durchgängig auf der Religion, auch das häusliche und gesellschaftliche Leben fanden in ihr immer eine gewisse Stütze. Er lebte stets mit seinen Göttern, und möge es der Religion geschadet haben, dass manches, was wir zum Alltagsleben rechnen, in ihre Kreise gezogen wurde, das Alltagsleben selbst wurde dadurch gehoben und verherrlicht. Auch dass, wie gesagt, jene Hauptrichtung im griechischen religiösen Leben niemals die einzige wurde, dass der Geist auch in so hohem Grade offen blieb für Eindrücke ganz anderer Art, und jener Prozess der Umgestaltung der ursprünglichen Naturreligion niemals völlig zum Ziele kam, übte einen mächtigen Einfluss auf das griechische religiöse Leben. Es kannte der griechische Geist, nicht ausschliesslich in den Mysterien, auch manche tieferen religiösen Gemütsregungen, und besonders im Kultwesen, worin man sich von dem Altherkömmlichen am wenigsten losgesagt hatte, pulsierte noch immer viel von jenem uralten religiösen Gefühlsleben.

Doch braucht kaum gesagt zu werden, dass bei den Griechen, bei ihrer Auffassung von geistiger Freiheit, nicht von einer das Leben beherrschenden Religiosität die Rede sein kann. Der griechische Genius war nicht in erster Reihe religiös inspiriert, und dies war zugleich seine Schwäche und seine Stärke. Wir wissen, in welchem Masse die Griechen das Volk der literarischen und bildenden Kunst waren. Frei durchstreifte ihr Geist die Regionen von Wahrheit und Dichtung, und es war ihnen das tiefste Bedürfnis, dem, was sie wahrgenommen und empfunden hatten, jenen ästhetischen Ausdruck zu geben, durch den es, anstatt eine drückende Bürde, ein geistiges Besitztum ward, das sogar die freiwaltende geistige Kraft erhöhte. Doch waren Kunst und Poesie fast nirgends in so hohem Grade mit der Religion verwachsen, wie bei den Griechen. Wie könnte man sich eine griechische Literatur denken ohne jenen fast unendlichen Reichtum an Mythen und Sagen, welche als die heilige Geschichte der griechischen Religion zu betrachten sind. Man könnte beinahe behaupten, dass diese Mythen und Sagen die griechische Literatur selbst seien, eine gewaltige dichterische Volksschöpfung, die in den Gesängen der namhaften griechischen Künstler nur ihren Gipfelpunkt erreichte. Ebenso ist die griechische Religion der Lebensgeist der griechischen bildenden Kunst gewesen. War diese idealistisch oder realistisch? Fast niemals verschmolzen Idealismus und Realismus sich so sehr wie in ihr. Die anthropomorphische Religion in ihrer höchsten Potenz war Verherrlichung des menschlichen Daseins in seiner schönsten ErscheinungsChantepie de la Saussaye, Religionsgeschichte. 3. Aufl. II.

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form, wobei Geist und Materie in unzerbrechlicher Einheit einander durchdrangen. Man war nur dann göttergleich, wenn man schön und klug, massvoll und von erhabener Gesinnung war. Freilich schuf der Künstler Gestalten, wie sie vom leiblichen Auge niemals gesehen wurden. Doch gelten diese ihm nicht als die willkürlichen Schöpfungen einer dichterischen Phantasie; denn die Heroen der Vorzeit mussten diesen ganz ähnlich gewesen sein, und in voller Realität lebten derartige Wesen noch immer auf dem Olympos.

Ebenso bezeichnet es die hohe Bedeutung, welche die eigentümliche griechische Geistesfreiheit für die geistige Entwicklung der Menschheit gehabt hat, dass durch sie, wie die Kunstübung, auch das Denken und Forschen des menschlichen Geistes zuerst von allen hieratischen Fesseln gelöst wurde. Die Griechen waren auch das Volk der Philosophie und Wissenschaft.

Müssen wir die Schattenseite einer solchen Entwicklung des geistigen Lebens bezeichnen, so ist sofort deutlich, welche grossen Schäden das religiöse Bewusstsein dabei erleiden musste. Es lag im Wesen dieser vermenschlichten Religion, dass sie gleichsam vermöge ihrer eigenen Schwere immer tiefer zur Erde herabsank. Götter, Heroen, Menschen, der Uebergang war so leicht. Lysander war nach dem Geschichtschreiber Duris der erste, der ganz wie ein Gott mit Gebet, Opfer, Paianen, Festspielen gefeiert wurde. Auch die Vergötterung Alexanders war - wie viel aus dem Gedankenkreis des ägyptischen und persischen Königtums sich dabei später eingemischt haben mag doch ursprünglich eine Frucht griechischen Bodens. Er galt als ein Sohn des Zeus, ganz nach der Art der Heroen, besonders des Herakles. Menschenkult wurde in der Diadochenzeit etwas ganz Allgemeines und er war dies im wahren Sinne, nicht so, dass ein Mensch etwa als Vertreter der Gottheit galt. Es sank aber das göttliche Ideal auch innerhalb der eigenen Sphäre. Von der erhabenen Menschlichkeit der Götter des Phidias kam man zu den stärker spezifizierten Göttergestalten des Praxiteles, von diesen zu den Typen gewöhnlicheren Menschenschlages, wie sie in der Diadochenzeit vorkommen. Auch ist das menschlich Schöne ein sehr ungleichwertiger Ausdruck für das Göttliche, und es lässt sich ästhetische Bewunderung nicht an die Stelle der religiösen Scheu setzen. Wie wenig am Ende die aufgeklärte Religion der Griechen den tieferen geistigen Bedürfnissen entsprach, äussert sich wohl darin, dass beim Sinken des Heidentums sich eben diese zuerst auslebte. Merkwürdigerweise wendete man sich damals nicht nur fremden Kulten zu, sondern es kamen auch Orphismus und Mysterien, welche doch von einer tieferen Reli

giosität zeugten, immer mehr in Aufschwung, und sogar die Rudimente des ursprünglichen, primitiven Glaubens, die den gebildeten Griechen als reiner Aberglauben erscheinen mussten, wurden unerwartet zu einem neuen Leben auferweckt.

Auch die Griechen haben ein göttliches, über ihnen stehendes Sittengesetz erkannt. Ebenso waren sie mit dem Gedanken der Askese ziemlich vertraut, auch ausserhalb des Orphismus und der Mysterien. Während des ganzen Lebens aber sich einem göttlichen Willen unterzuordnen oder das irdische Leben mit einem göttlichen Ideale wirklich in Uebereinstimmung zu bringen, war ihnen bei ihrer Geistesart geradezu unmöglich. Sie konnten nicht, wie die Juden, unter dem Gesetz leben. Bei ihnen war es undenkbar, dass der Kampf gegen das Böse und Unreine sie jemals so in Anspruch genommen hätte, wie die Perser. Auch rächte es sich, dass, wenigstens nach der mythologischen Auffassung, das göttliche Ideal so niedrig stand. Dass die moralischen Schwächen der Götter, die unsittlichen Handlungen, ja grausamen Freveltaten, welche von den Göttern erzählt wurden, in bedeutendem Masse eine Entsittlichung der Nation herbeigeführt hätten, lässt sich nicht behaupten. Es war auch die Mythologie für die Vorstellungen, die man sich von der Gottheit bildete, durchaus nicht ausschliesslich massgebend. Jedenfalls aber waren die Götter doch auch nicht, was sie sein sollten, ein Vorbild, dem man im eigenen Leben zu folgen hatte. Ferner war auch für das sittliche Leben das Vorwiegen der ästhetischen Gefühle verhängnisvoll. Bei den Griechen war Schönheit beinahe eine Tugend, und auch diese selbst wurde von ihnen nicht zum wenigsten von der Seite ihrer äusseren Erscheinung betrachtet. Einen herrlichen Anblick bot der tapfere Mann in der Mitte der Vorfechter. Die Männertugend betrachtete man in Olympia als ergötzendes Schauspiel. Ernst, Mässigung, Selbstbeherrschung, ein edles Gefühl der Menschenwürde, die ganze griechische owppuoóvn offenbarte sich gleichsam in Gang, Haltung, Geberden, Gesichtsausdruck, besonders auch in der Weise, wie man sich die Kleider umschlug. Man war schön und gut (xaλoxayadós) vor Göttern und Menschen, am meisten jedoch vor diesen. Und wie sich bei den Griechen in ihrem ganzen Betragen einander gegenüber leicht etwas vom Wettkampfe beimischte, so gilt dies auch von der Tugendbetrachtung, nicht ausschliesslich in Olympia. Die griechische Tugend ging so leicht in Ehrsucht, potuía, auf. Ohne Bedeutung für das Sittliche ist das Aesthetische durchaus nicht, und sogar mit jener Forderung eines schönen Aeussern für die Tugend hatte man nicht ganz und gar unrecht. Ohne Zweifel hütete auch ihr hochästhetischer Sinn die Griechen vor Roheit. Milde, Wohl

wollen, Freundlichkeit trugen viel dazu bei, auch das gesellschaftliche Leben harmonisch zu gestalten, jene Verfeinerung der Gesittung zum Ausdruck zu bringen, welche das Hellenentum von den Barbaren unterschied. Wie sehr aber trotz alledem das Wesen des Sittlichen verkannt wurde, braucht kaum gesagt zu werden. Unter der Herrschaft solcher Auffassungen musste sich der Sinn für das „du sollst“ des Sittengesetzes leicht abstumpfen.

Wir machen jedoch nochmals darauf aufmerksam, dass bei den Griechen eine vorherrschende Geistesrichtung schwerlich völlig zu einer die Geister einengenden Fessel hätte werden können. Auch im Religiösen und Sittlichen konnte sich der Geist der Griechen zum Edelsten und Erhabensten aufschwingen. Tief haben auch sie über Götter und Welt nachgedacht. Den Ernst des Lebens haben sie nicht übersehen, vielmehr erreicht ihre Dichtung ja ihren Gipfelpunkt in einer religiösen Scheu vor den unerbittlichen Mächten, die die Frevler mit göttlicher Notwendigkeit verfolgen. Es lässt sich kaum sagen, wieviel Grosses und Herrliches auch in religiöser und sittlicher Beziehung in einem Griechengeiste aufkommen konnte. Man könnte behaupten, dass dies, wenn nicht ausschliesslich, doch besonders bei Männern wie Sokrates und Plato der Fall gewesen wäre, welche, wenn auch der Volksreligion nicht abgewandt, in ihr doch nicht ihre höchste Inspiration fanden. Eines aber gereicht dem Griechentum als einem Ganzen doch immer zur ewigen Ehre: die griechische Freiheit hat sich durchaus nicht in jeder Hinsicht bewährt, doch war sie, wie fast keine andere, von dem Bewusstsein durchdrungen, dass sie sich ideale Ziele zu stellen und dadurch sich selbst zu beschränken hatte. Dies gab ihr einen hohen ethischen Wert.

Die ganze folgende Darstellung wird eine weitere Ausführung der hier gegebenen Charakteristik sein.

§ 2. Quellenübersicht.

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Im Vordergrunde des Interesses steht heutzutage auch für religionsgeschichtliche Untersuchungen die archäologische Forschung. wir nennen z. B. Die grossen Ausgrabungen der letzten Jahrzehnte, die der Deutschen in Olympia, die der Franzosen in Delos und Delphi, die der Griechen in Eleusis, Epidauros, auf der Akropolis, haben uns die wichtigsten heiligen Stätten der Griechen wie aus unmittelbarer Anschauung kennen gelernt. Zahllos sind die Heiligtümer, Tempel, Altäre, Weihgeschenke, die ebenfalls zu den Religionsgebäuden zu rechnenden Theater, welche an allen Orten der antiken Welt zu Tage getreten sind. Die Götter und Heroen, die Mythen und Hel

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