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Aristoteles lebte unter Alexander dem Grossen; im Anfang der Diadochenzeit gründeten zu Athen Zeno und Epikur die stoische und die epikureische Schule. Diese zwei Schulen stimmen in mehreren Punkten miteinander überein: beide bieten eine materialistische Welterklärung, beide wenden sich entschieden den ethischen Problemen zu, beide betrachten den Menschen viel mehr als Individuum als in seinem Verhältnis zum Staat. Uebrigens sind sie in mancher Hinsicht Gegenfüssler und haben für die Religion eine entgegengesetzte Bedeutung gehabt.

Die Stoa, deren drei ersten Lehrer Zeno von Kypros, Kleanthes und Chrysippos waren, erklärte die Welt aus der Mischung der vier Elemente: der zwei aktiven (drastischen, to notоD, Feuer und Luft) und der zwei passiven (pathetischen, tò mάoxov, Erde und Wasser). Die Weltanschauung war hier eine monistische, indem die Stoa alles stofflich, aber zugleich logisch erklärte: der Logos, welcher Ordnung und Harmonie bewirkt und alle Wesen bildet und durchdringt, ist mit dem materiellen Feuer identisch. Dieser feurige Logos ist das Leben und der Same aller Wesen, Weltprinzip, Weltvernunft, Weltgesetz: er vertritt zugleich die Stelle der Gottesidee und des ethischen Prinzips. Mitunter feiern die Stoiker dieses Weltprinzip noch unter dem Namen des Zeus, wie in der bekannten Hymne des Kleanthes. Da nun der Logos nach dieser Lehre alles in der Welt ohne Ausnahme zusammenfügt und ordnet, so muss man notwendig das Uebel leugnen oder es so erklären, dass es sich als vernunftmässig herausstellt. Bei dieser Theodicee nun beruft sich die Stoa auf die Vollkommenheit des Ganzen, von welchem man die einzelnen Teile nicht isolieren dürfe: wie der Schatten das Licht begleite, ohne die Harmonie zu stören, so betrachte man auch das Uebel; man unterscheide die allgemeinen Zwecke, προηγούμενα, von den begleitenden Umständen, ἑπόμενα. Im ganzen erwies sich die stoische Lehre als eine Stütze für die Religion durch ihren sittlichen Ernst, ihre Einschärfung des Pflichtgefühls, noch mehr aber durch ihre apologetischen Bestrebungen, indem sie die Hauptgedanken der Religion, namentlich die Mantik, philosophisch zu begründen suchte.

Einen ganz andern Charakter trug die epikureische Philosophie, welche die Welt aus der Bewegung von Atomen im Raum erklärte, ohne dabei die Ideen von Zweck oder Vernunft anzuwenden. Die Götter lebten als ewige und selige Wesen in den Intermundien, dem Raum zwischen den Welten, sie kümmerten sich aber nicht um die weltlichen Angelegenheiten. Durch diese Lehre trat die Schule der bestehenden Religion feindlich entgegen. Epikur lebte still, mässig

und genügsam in einem Kreis von Schülern und war bestrebt, durch ein anspruchsloses, von der Freundschaft verklärtes Leben das Glück zu verwirklichen.

Die praktische Tragweite des Stoizismus und des Epikureismus tritt in der römischen Gesellschaft am Ende der Republik und unter den Kaisern zu Tage. Dort werden wir die beiden Schulen wiederfinden.

§ 18. Religion und Moral.

Literatur. K. KÖSTLIN, Geschichte der Ethik (I, 1887); L. SCHMIDT, Die Ethik der alten Griechen (2 Bde, 1887).

Es liegt uns nicht ob zu erörtern, wie die Griechen die geistigen Güter und Pflichten aufgefasst, die Tugend bestimmt, die sittlichen Verhältnisse geordnet haben. Schon gelegentlich berührten wir manche ethischen Ideen, wie die Literatur sie uns vorführt. Hier haben wir bloss noch einiges über den Zusammenhang zwischen Religion und Moral nachzuholen, obgleich auch darüber gelegentlich Bemerkungen gemacht worden sind. Unsere Kenntnis davon ist beschränkt; denn im einzelnen den Einfluss der Religion auf die Ideen, Gefühle und Handlungen der Griechen zu bestimmen, sind wir nicht im stande. Nur das wissen wir, dass auch hier keine religiöse Autorität, kein Kanon die bunte Mannigfaltigkeit des Lebens zu einer gewissen Einheit gebracht hatte. Die verschiedenen Perioden, Gegenden und Kreise gingen in den sittlichen Anschauungen weit auseinander. Das heroische Zeitalter hatte andere Ideale als die Blütezeit der Kultur zu Athen. Es begründete einen grossen Unterschied, ob man mit Homer den Schwerpunkt des Menschen im Körper oder mit Plato in der Seele suchte, ob die Moral in einer Staatslehre gipfelte wie in der klassischen Zeit, oder individuell gefasst wurde wie in den späteren Schulen. Dennoch können wir trotz aller dieser Differenzen in allgemeinen Zügen eine Charakteristik entwerfen, da die Griechen, durch die Grenzen ihrer Anlage bestimmt, sich doch in einer gewissen Richtung entwickelten und auch ihrer Sittlichkeit einen bestimmten Typus aufprägten.

Die Griechen versuchten wohl die Sittlichkeit auf die Religion zu gründen, aber diese genügte den sittlichen Bedürfnissen nicht, und so stiessen beide oft zusammen. Die Normen der Sittlichkeit waren Herkommen (dos) und Gesetz (vópos), und beide hatten eine religiöse Sanktion. Von grundlegender Bedeutung war im ganzen griechischen Leben der Eid. Die Ordnungen in der Familie, in der Gesellschaft, im Staate standen unter göttlicher Obhut: das solonische deos tipa, Tovéas aidoo gehört zusammen. Der Grieche empfand die Schranken, welche das gesetzliche, gesittete Leben dem Individuum stellt, als gött

liche Ordnungen, die der einzelne mit Ehrfurcht und Scheu wahren muss. Die Frömmigkeit fasste er daher nicht bloss als ein Vollbringen der Kultuspflicht auf, wobei die Götter ihre Gebühr empfingen, als rituelle Reinheit beim Kultus, sondern als ein gerechtes Verhalten, das im ganzen Leben auf den göttlichen Willen Rücksicht nahm. Daher gehörten botos und dixxtos zusammen und hatte siceẞs die Doppelbedeutung von frommer Gesinnung, die sich im ganzen Leben, und die sich besonders durch Opfer und Gebet betätigte. Der fromme und gerechte Wandel bestand nun wesentlich im Wahren der geordneten Verhältnisse, schloss aber auch die Barmherzigkeit gegen Fremde und Schutzflehende als eine eminent religiöse Pflicht ein. Die griechische Sittlichkeit war aber nicht absolut an die bestehenden Ordnungen gebunden, sondern erkannte auch an, was darüber hinausging. Dies sehen wir aus der Ehrfurcht, mit der sie bisweilen den positiven Gesetzen die vóuot άуpañτо als höhere gegenüberstellte. Nicht bloss Sophokles' Antigone, auch mehrere andere griechische Autoren predigen1, dass es neben, ja über den Geboten des Staates allgemein gültige göttliche Gesetze gebe, denen man mehr als jenen gehorchen müsse. Ein Mittel zur Erkenntnis dieser höheren Norm und einen Massstab, um den Zusammenhang zwischen diesem ungeschriebenen Recht und den bestehenden Ordnungen zu beurteilen, weist aber diese Literatur nicht auf. Ueberhaupt gelang es den Griechen nie, eine feste Grundlage für die Sittlichkeit zu finden. Die Sophisten hatten das Problem gestellt, Plato hatte es tief und breit gefasst, im Volksbewusstsein aber war es nie gelöst.

Die Stütze, welche die Moral in den religiösen Vorstellungen fand, war sehr unzulänglich. Die Hauptforderung der Moral an die Religion ist eine Gottesidee, welche dem Gedanken einer gerechten Weltregierung Ausdruck gibt. Gerade diese fehlte aber den Griechen. Zwischen den Gestalten der Mythologie und den Hütern der sittlichen Gesetze in der Welt bestand kein anderer Zusammenhang, als dass sie dieselben Namen trugen, und diese Gleichheit der Benennung gereichte vielen zum Aergernis. Göttern, welche ihren Privatinteressen nachgehen, untereinander uneinig sind und allerlei Schändliches verüben, kann man als Regierern der Welt kein Zutrauen schenken, und doch schrieb man dem Zeus und den Göttern diese Weltregierung zu. Wo man diesen Widerspruch empfand, wählte man unbestimmte, unpersönliche Redensarten, um die Weltregierung zu bezeichnen: Moira, Dike, Themis, einer der Götter, wer er auch sei. Aber nicht bloss die Subjekte der Weltleitung, auch ihr Inhalt, ihre Richtung blieben grösstenteils in

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Nebel gehüllt. Die Griechen kannten keine bösen Götter, die ihrem Wesen nach und immer den guten feindlich gegenüberstanden, aber sie schrieben ihren Göttern selbst neben willkürlichen auch verderbliche Taten zu. Dies führte einerseits zur scharf zugespitzten Lehre Herodots vom Neid der Götter, anderseits zur Opposition Platos, der nur das Gute von den Göttern herleitete, damit aber die Welt und das Leben grösstenteils auf sich selbst stellte. So haben die Griechen den religiösen Gedanken der Vorsehung nicht zu fassen vermocht.

Die Götter, welche dem Bedürfnis einer gerechten Weltleitung nicht entsprachen, taugten ebensowenig zu ethischen Vorbildern. Wir sahen bereits, wie viel Anstoss die unsittlichen Geschichten der Mythologie erregten. Die Götter waren wohl zu Idealbildern verklärt, aber bloss von einem ästhetischen, nicht von einem ethischen Standpunkt aus; nur die Geschichte des Herakles brachte ethische Gedanken zum Ausdruck. Hiermit hängt es wesentlich zusammen, dass die Griechen sich mit ihren Göttern so wenig innig verbunden fühlten. Bezeichnend ist der Spruch: ἄτοπον ἂν εἴη εἴ τις φαίη φιλεῖν τὸν Δία'. Die Götter konnten keine anziehende Kraft, keinen läuternden Einfluss ausüben. Wohl stellten die Pythagoreer und Plato die ópoiwots dos dem Leben als Ziel; diese Gottähnlichkeit hatte aber nur einen mageren Inhalt.

Man könnte versucht sein, den Einfluss, den der Gedanke des Jenseits in den Mysterien auf das Leben übte, für eine befriedigende religiöse Begründung der Moral zu halten, und unzweifelhaft haben die mystischen Werke auch zur Vertiefung des sittlichen Bewusstseins beigetragen. Es wurde aber oben bereits auf die innerlichen Schwächen auch der Mysterienreligion gewiesen. Um das Leben wirklich ethisch gestalten zu können, dafür wurde die Kraft jener Weihen doch zu äusserlich und zu magisch aufgefasst. Auch war der Mysterienkultus immer einer neben vielen andern Kulten. Erst in späterer Zeit erhielt er etwas von einer das ganze Leben beherrschenden Religion; grundsätzlich wurde er schwerlich jemals zu einer solchen. Sich weihen zu lassen, war für die meisten eine Sache vorübergehender Bedeutung. Im Kreise dieser Religionsübungen wurde der Geist für die Erkennung des absolut Geltenden, ohne welchen sich auch keine wahre Sittlichkeit denken lässt, nur schwach erzogen.

So haben die Griechen die Orientierung des sittlichen Lebens in der Religion gesucht, aber nicht gefunden. Ihre Haupttugenden, σοφία, ἀνδρεία, σωφροσύνη, δικαιοσύνη, bezogen sich nur indirekt auf die Götter. Die Sünde war dem hochstrebenden Volke mit seinem un

1 Aristoteles, Eth. 22 11.

gebundenen Freiheitssinn hauptsächlich das Nichtachten der Schranken, die Ueberhebung, ßps. Besonders in einer Hinsicht rächte es sich, dass diese Moral so schwach in der Religion begründet war. Für das sittliche Leben ist das gesellschaftliche Zusammenleben von Menschen gewiss von der höchsten Bedeutung; auch die Griechen übten ihre Tugend vor den Augen der Götter und der Menschen aus. Bei der geringen Bedeutung der Götterfurcht für das sittliche Leben wurde dafür die Rücksicht auf das Urteil des Nebenmenschen manchmal allzusehr massgebend. Die griechische potuía, es wurde darauf schon hingewiesen, lehrte den äusseren Schein vor den Menschen höher achten als die ewige Wahrheit vor der Gottheit. Ungeachtet aber aller dieser sittlichen Schwächen haben doch die Griechen auch um die Ethik nicht zu unterschätzende Verdienste erworben. So haben sie feine ethische Probleme zu fassen und unter einen religiösen Gesichtspunkt zu bringen gewusst, wie z. B. aus der eingehenden Beschäftigung mit der Theodicee hervorgeht. Kein Volk des/Altertums hat sich in ethischer Hinsicht so hohe Ziele gesteckt und hat seine Mängel so tief gefühlt. Die Griechen haben die sodapovía in einem harmonischen Dasein erstrebt, wie sie sich ihre Götter als Selige, páxapes, dachten. Die Bedingungen dieses Glücks haben sie aber nicht gefunden und die Hindernisse nicht erklärt.

§ 19. Die hellenistische Periode.

Beschäftigen wir uns zum Schluss noch kurz mit der Zeit der Nachblüte der griechischen Kultur in der sog. hellenistischen Periode. Wie die Römer zuletzt das Erbe der griechischen Kultur antraten, wird später erörtert werden.

In der zweiten Hälfte des 5. Jahrh. erreichte, wie wir wissen, das griechische Leben seinen Höhepunkt. Seitdem befand es sich in stetigem Niedergang. Mit dem Königsfrieden (386) wurde der grosse Nationalgedanke, Freiheit des Griechentums gegenüber den Barbaren, aufgegeben. Man suchte dafür wenigstens die eigene städtische Freiheit und Demokratie zu erhalten, verfiel aber der makedonischen Hegemonie.

Es folgen die Eroberungszüge Alexanders des Grossen. Mit diesen hält gleichsam die griechische Kultur ihren festlichen Einzug in Asien. Wiederholt wurden auf diesen langen Kriegszügen an verschiedenen Orten gymnische und musische Wettkämpfe abgehalten; überall wurde den griechischen Göttern geopfert; sogar am Ufer der Hyphasis, am Endpunkt seines Siegeszuges, wurden zwölf Altäre für die olympischen Götter errichtet. Der Orient lernte zugleich griechische Religion und griechische Festfreude kennen. Der griechischen Sprache und

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