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§ 1. Vorbemerkungen.

Wer die römische Religion historisch zu skizzieren versucht, findet sich grossen Schwierigkeiten gegenübergestellt. Wohl scheint beim ersten Blick das römische Altertum im Lichte einer reichen historichen Ueberlieferung deutlich erkennbar zu sein, allein nirgends ist der Abstand zwischen der traditionellen Geschichte und dem durch die neuere kritische Forschung historisch Sichergestellten grösser als hier. Sodann behandelt die römische Geschichte vorwiegend die Staatsverfassung, während sie die Religion meist nur als eine Unterabteilung derselben betrachtet; auch kennen wir von der römischen Religion fast ausschliesslich den Kultus, der ja zum Staatsleben gehörte. Eine philosophische und religiöse Lehre haben die Römer erst spät und nie selbständig ausgebildet. Eine ausgiebige Literatur, welche uns die Kraft religiöser Gedanken und Motive im Gemütsleben sehen lässt, existiert erst für die späteren Jahrhunderte, überhaupt erst für die Zeit des Verfalls des echt römischen Lebens. So bleiben wir fast ganz auf die Behandlung des Staatskultus angewiesen. Hier bietet aber sowohl das Detail als die Entstehungsgeschichte bedeutende Schwierigkeiten, welche sowohl in dem mangelhaften Zustande der Quellen, als in der Entwicklungsgeschichte des römischen Volkes selbst liegen.

Bekanntlich gehören die Römer zu den sog. Italikern. Dass diese mit den Griechen ursprünglich zusammen eine besondere Abteilung der Indogermanen bildeten, ist durch neuere Forschungen unwahrscheinlich geworden. Zu der italischen Völkergruppe rechnet man nicht alle alten Einwohner Italiens, z. B. nicht die Japyger und Messapier Calabriens und Apuliens, welche man neuerdings mit den Illyriern in Verbindung bringt, sondern bloss die latinischen und die umbro-samnitischen Völkerschaften, welche in Mittelitalien an beiden Seiten der Apenninen ihre Sitze hatten. Die Sprachdenkmäler haben zwar die Unterscheidung dieser beiden Gruppen mit der Subdivision der letzteren in Umbrier und Samniter (umbrisch und oskisch) veranlasst, sie reichen aber bis jetzt nicht aus, einen vollständigen Stammbaum der italischen Völkerschaften zu entwerfen. Soviel ist wohl sicher, dass die Stadt Rom eine vorwiegend latinische Stadt gewesen ist, in welcher das sabinische Element zwar uralt war, aber nur in zweiter Linie stand. Der römische Staat kam nun schon früh in Italien selbst mit Etruskern und Griechen in Berührung. Ueber die Herkunft der Etrusker (Rasener) sind bis jetzt noch die besten Forscher im unsicheren; die Sprache der in einem griechischen Alphabeth abgefassten

Inschriften bleibt im grossen ganzen noch immer unverständlich; fest steht aber, dass Rom schon sehr frühe von dorther bedeutend beeinflusst worden ist.

Die griechische Kultur hat, wie die Funde zeigen, wenigstens schon seit dem Anfang des ersten vorchristlichen Jahrtausends auf die fast aller Völker Italiens eingewirkt. Die wichtigsten Vermittler sind seit etwa dem 9. Jahrh. die Chalkidier gewesen, welche auch Cumae gründeten. Später gab es rege Handelsbeziehungen mit Korinth und Athen. Ganz Süditalien war schon seit ziemlich alter Zeit von zahlreichen griechischen Kolonien übersät. Rom hat unzweifelhaft von der Zeit seiner Gründung an die griechische Kultur gekannt. Auch indirekt empfand es griechische Einflüsse, insoweit die Kultur der Etrusker, der es so viel verdankte, ausserordentlich viel Griechisches in sich aufgenommen hatte.

Es braucht kaum gesagt zu werden, dass die Versuche, in den ältesten religiösen Vorstellungen und Kulten der Römer sowohl das allgemein Italische, als das Lateinische und Sabinische scharf zu sondern, ziemlich aussichtslos sind. Etwas anders steht es mit den etruskisch-griechischen und unvermischt griechischen Einflüssen. Es gibt in der Weltgeschichte nur sehr wenige Beispiele einer Kultur, welche sich einer andern so vollends und so absichtlich anzupassen und sich ihr gleich zu machen versucht hat, wie seit sehr alter Zeit die römische der griechischen. Den Griechen galt Rom bereits im 4. Jahrh. als eine „griechische Stadt", war es auch nur eine wenig bekannte an der Peripherie der zivilisierten Welt. Wenigstens waren seit etwa dem ersten vorchristlichen Jahrhundert für den gebildeten Römer die griechische und die römische Religion im Grunde dieselbe. Die griechischen Sagen und Mythen galten fast auch als das geistige Besitztum der Römer, und die ursprüngliche eigentümlich römische Art der Götterverehrung war vor der griechischen so stark zurückgetreten, dass sie in mancher Hinsicht nicht einmal mehr genau gekannt wurde. Manche Priestertümer und alte Kultformen waren halb erloschen. Die Römer selbst haben dies deutlich erkannt, und in ihrer geschichtlichen Tradition, welche das Werk absichtlicher Rekonstruktion ist, wie nur wenige andere, wird die tarquinische Herrschaft als der Anfangspunkt dieser mächtigen, jahrhundertelang anhaltenden Bewegung bezeichnet. Indem nun aber die Art dieser Neuerung noch ziemlich deutlich erkannt werden kann, lässt sich auch noch einigermassen über die ursprünglicheren, diesen vorangehenden religiösen Zustände urteilen, derjenigen, welche den religiösen Ordnungen des Numa zugeschrieben wurden. Ueber diese aber hinauszugehen und auch sie in ihrer geschichtlichen

Entwicklung, wie sie sich aus verschiedenen Elementen zusammengesetzt hat, zu erklären, ist, wie bemerkt wurde, vorderhand unmöglich.

Jedenfalls aber ist der allgemeine Charakter der ursprünglichen römischen Religion unter allen griechischen Ueberwucherungen noch ziemlich deutlich erkennbar, ja sogar macht das, was sie in der griechischen so gewaltig anzog, uns sofort auf ihre eigenen Mängel und dadurch auf ihr eigentümliches Wesen aufmerksam. Die Religion der Römer ist, - soweit sich eine solche Erscheinung des Geisteslebens mit kurzen Worten charakterisieren lässt, die eines ziemlich flachen verstandesmässigen Sinnes für Nützlichkeit und Ordnung. Man ist bei ihr die Furcht vor dem Uebermenschlichen los geworden, indem man dieses in der vollständigsten Weise erkannt zu haben glaubte. Die Lösung aller Weltprobleme geschah mit jener naiven Leichtigkeit, welche dem kindischen Rationalismus aller Zeiten eigen ist. Wo man einen Gott brauchte, da erkannte man einen, und mit der einfachen Namengebung war die Frage gelöst. Fortwährend aber ist den göttlichen Mächten gegenüber Vorsicht geboten. Man muss genau wissen, wie man zu opfern und zu beten hat, zu welchen Göttern, in welcher Reihenfolge. In der genauesten Weise hat man auf die Zeichen zu achten, damit man gegen den göttlichen Willen nicht verstosse. Dies alles hatte man. zu einem System ausgebildet, welches alle möglichen Vorkommnisse umfasste. Ganz vollständig konnte dies nicht sein; wiederholt wurde man durch Ereignisse überrascht, für die ein Mittel der Vorsorge erst gefunden werden musste. Im allgemeinen aber besass der Römer eine sehr ausgedehnte und immer mit der grössten Leichtigkeit sich weiter ausbreitende Kenntnis der göttlichen Wesen, und seine peinlich genau umschriebenen zeremoniellen Satzungen boten ihm eine recht starke Gewähr für ein ruhiges Weiterleben, die Sicherheit, dass er in seinem Ackerbau und seiner Viehzucht, in seinem ständigen Kampfe mit seinen Feinden der göttlichen Hilfe wohl nicht entbehren würde. Die römische Frömmigkeit war einfach und praktisch mit nur sehr wenig mystischer Färbung, aber sie war sehr ernsthaft gemeint und wirkte in hohem Grade bestimmend auf das Leben ein. Die Vorstellungen von dem Göttlichen waren sehr einseitig begrifflich. Was der griechischen Kultur den Römern gegenüber ihre grosse Ueberlegenheit verlieh, das war eben der so mächtige poetische Geistesschwung, welcher es den Griechen möglich machte, wie das eigene Leben, so auch die Götterwelt so unendlich schön und reich zu gestalten. Der Römer fühlte, was ihm fehlte, und selbst ausser stande, sich dies zu verschaffen, wendete er sich zu den Griechen. Kein eigentliches religiöses Bedürfnis trieb ihn dazu, aber die allgemeine Ueberzeugung, dass das so über

legene Griechentum auch wohl das Wesen der Götter noch besser erkannt haben werde als er, und die schützende Macht ihrer Kultgebräuche doch wohl grösser sein müsste. Wie tief diese Ueberzeugung ging, zeigt sich wohl darin, dass man gerade in den Zeiten der schwerIsten Not, so in den ersten Jahren des hannibalischen Krieges, am meisten geneigt war, seine Götter zu griechischen Göttern zu machen und sie nach griechischer Weise zu verehren. Man meinte sie dadurch am günstigsten zu stimmen und sah darin das geeignetste Rettungsmittel.

§ 2. Quellenübersicht.

Der oben geschilderte Charakter der römischen Religion erleichterte einerseits ihre Erforschung, anderseits erschwerte er sie. Als die gelehrten Studien der späteren Zeit sich ihr zuwendeten, war das ursprünglich Römische in ihr für die damals lebenden Menschen in mancher Hinsicht fast unerkennbar geworden, doch waren der Quellen für die damalige Forschung viele und vielerlei. Die äusserst genaue Art, in der Jahrhunderte hindurch alles, was den Kult betraf, verzeichnet worden war, die scharfe, ins einzelne gehende juristische Präzisierung bei allen das Kultwesen betreffenden Anordnungen machten die Archive der Priester zu wahren Fundgruben der Forschung. Besonders kommt hier das Archiv der obersten Kultbehörden, der Pontifices, in Betracht. Dies bewahrte das heilige Recht, jus sacrum, sowohl den ältesten Teil desselben, als die später hinzugekommenen leges templorum, welche Vorschriften für den Kultus in verschiedenen Heiligtümern gaben. Auch waren die Sühnungen und Strafen für bestimmte Sakraldelikte festgestellt; Bestimmungen dieser Art wurden den alten Königen zugeschrieben und deshalb leges regiae genannt, von welchen später ein Teil unter dem Namen jus papirianum veröffentlicht worden ist. Wie die Gesetze, so wurden auch die juristischen Gutachten der Pontifices, welche in verschiedenen zweifelhaften Fällen abgegeben worden waren, gesammelt, damit sich über solche Fragen eine feste Jurisprudenz bildete. Dies war der Inhalt der sog. comentarii pontificum. Die Pontifices bewahrten auch den Kalender, in dem alle religiösen Feste, welche zu verschiedenen Zeiten des Jahres abgehalten werden mussten, verzeichnet standen. In diesen waren somit auch die Tage angegeben, welche den Göttern geweiht waren, deren profane Verwendung also ein nefas, Unrechtmässiges, bedeuten würde, dies nefasti, und die, an denen es Rechtens (fas) war, den bürgerlichen und häuslichen Geschäften obzuliegen, dies nefasti. Am Anfang eines jeden Jahres wurde vom Pontifex maximus in seinem Amtslokal, der Regia, eine weisse, d. h. mit Gips überzogene,

diesen Kalender enthaltende Tafel aufgestellt und mit den Namen der Magistraten des betreffenden Jahres überschrieben. Die in diesem Kalender verzeichneten Kultakte waren die, welche zur Erhaltung des guten Einvernehmens mit den Göttern für bleibend notwendig erachtet wurden. Aber unvorgesehene Ereignisse, Sonnen- und Mondfinsternisse, Pest, Prodigien verschiedener Art, Kriegsunglücke, Triumphe usw. erheischten besondere kultliche Fürsorgsmassregeln, und solche ausserordentlichen Opfer, Gebete, Sühnungen, Dankfeste wurden dann nachträglich auf jener weissen Kalendertafel unter den betreffenden Tagen aufnotiert. Dies geschah mit Erwähnung der Veranlassung, und indem auf diese immer mehr Gewicht gelegt wurde, erwuchs aus allen diesen weissen Kalendern, welche von den Pontifices aufbewahrt wurden, eine förmliche Stadtchronik. Erst der Pontifex maximus Mucius Scaevola, zur Zeit der Gracchen, hat diesen Brauch der Aufstellung solcher Kalender aufgehoben. Dem späteren Altertum aber lag der Inhalt dieser Tafeln in einer grossen Gesamtpublikation von 80 Büchern redigiert vor, welche den Namen annales maximi führte. Für die religionsgeschichtliche Forschung von noch höherer Bedeutung waren diejenigen heiligen Formeln, welche unter dem Namen indigitamenta bekannt sind und die wichtigsten Aufschlüsse über die römische Götterwelt gaben. Nach den Notizen von späteren, wie Varro, Servius, Censorinus, zu urteilen, waren diese indigitamenta, incantamenta vel indicia (Paulus) die Formeln, welche unveränderlich für die Anrufung der einzelnen Gottheiten mit Erwähnung ihrer Eigenschaften feststanden. Mutmasslich haben die indigitamenta sämtliche oder wenigstens alle älteren Gottheiten genannt, wenn sich auch dieses nur für einige Gruppen urkundlich nachweisen lässt. Die Zahl dieser Gottheiten muss ungeheuer gross gewesen sein, da „jedem einzelnen Zustande, wie jedem Momente einer Tätigkeit, ein besonderes göttliches Wesen vorstand" 1. Die indigitamenta bekunden, wie sehr bei den Römern das menschliche Leben, Tun und Treiben in allen seinen einzelnen Momenten mit der Religion verbunden war, und wie stark das Formelwesen die Religion beherrschte.

Indigitare bedeutet demnach die Götter, deren Hilfe in einem bestimmten Fall erheischt wird, in der richtigen Folge mit den dafür er

1 J. A. AMBROSCH, Ueber die Religionsbücher der Römer (1843, aus der Zsch. für Philos. u. kath. Theol.). Eine ausführliche allgemeine Untersuchung und ein alphabetisches Verzeichnis der Indigetes gibt R. PETERS Artik. Indigitamenta in ROSCHERS Lexikon. Jetzt ist zur Charakteristik dieser Indigitationen auch anzuführen H. USENER, Götternamen (1896).

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