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forderlichen Litaneien anrufen. Sehr allgemein wurden früher die sog. dii indigetes mit der indigitamenta in Verbindung gebracht. Sie wären demnach die Götter der Indigitamenta, und indigitare hiesse einen indiges schaffen, d. h. einen Gott oder eine göttliche Funktion, deren man in einem bestimmten Fall bedürftig war, durch gewisse Gebete, indigitamenta, hervorrufen. Jedoch steht es nach den Untersuchungen WISSOWAS fest, dass das Wort Indigetes nur einheimische Götter" bedeutet und mit den Indigitamenta nichts zu schaffen hat. Wie die Pontifices, so hatten auch die andern Priestertümer und Kultgenossenschaften ihre Archive. Leider fliessen alle diese Quellen für uns nur sehr spärlich und haben wir uns hauptsächlich mit den Schriften zu begnügen, ja sogar mit den wenigen Ueberresten der Schriften derjenigen späteren römischen Gelehrten, welche dieselbe in mehr oder weniger geschickter Weise benützt haben. Freilich hat die ganze Literatur, auch insoweit sie sich nicht eigentlich mit gelehrten Untersuchungen befasst, für unsere religionsgeschichtliche Forschung eine gewisse Bedeutung. In dieser spiegeln sich die religiösen oder irreligiösen Stimmungen der Autoren und ihres Zeitalters ab, und in diesem Sinne werden wir später von Cicero, Lukrez, Virgil, Horaz u. a. zu reden haben. Manche von ihnen haben aber zugleich mehr oder weniger altertümliches Material bearbeitet: bei Virgil ist von alten Bräuchen und Sagen vieles zu finden; Ciceros De divinatione ist viel interessanter durch die grosse Anzahl alter Geschichten und Verse, die er mitteilt, als durch seine philosophischen Bemerkungen; namentlich bieten Ovids Fasti, deren sechs Bücher leider nur das halbe Jahr umfassen, eine reiche Ernte, wenn man die Festbräuche und was ferner zum Kalender gehört, erforschen will'.

Als Vater der gelehrten Schriftstellerei in Rom gilt der ältere Cato, dessen Origines zuerst die römische Geschichte in Prosa behandelten und daneben auch manches Kulturhistorische enthielten. Wir kennen das Buch nur aus gelegentlichen Erwähnungen bei andern. Kaum hundert Jahre später war die Bildung in Rom verbreitet und vom griechischen Geist durchdrungen, wovor Cato vergeblich gewarnt hatte. Der Ritter L. Aelius Stilo kommentierte alte Denkmäler, darunter das Salierlied; der Pontifix Q. Scaevola war wohl in erster Linie als Jurist tätig, widmete daneben aber auch religiösen Fragen ein reges Interesse, beide Männer standen unter dem Einfluss stoischer Philosophie, beide waren sie Lehrer des Varro. Als die Gelehrten

1 Wegen ihrer wichtigen Einleitung empfiehlt sich die Ausgabe von R. MERKEL (1841).

schlechthin galten aber den Römern P. Nigidius Figulus und M. Terentius Varro, deren Blütezeit in die erste Hälfte des 1. Jahrh. v. Chr. fällt. Varro hat ein encyklopädisches Wissen besessen und in Prosa und Poesie 74 verschiedene Schriften verfasst, die uns freilich bis auf wenige verloren gegangen sind. Von der für uns wichtigsten Realiensammlung der römischen Altertumskunde besitzen wir glücklicherweise eine ausführliche Inhaltsübersicht und zahlreiche Anführungen bei Augustin, De civitate Dei'. Das Werk hiess antiquitates rerum humanarum et divinarum; die res humanae (25 Bücher) gehen voran, quod prius exstiterint civitates, deinde ab eis res divinae institutae sint. Die 16 Bücher über das Sakralwesen handeln nach einer Einleitung in 5 mal 3 Büchern über heilige Personen, Orte, Zeiten, über die sacra und endlich über die Götter, die in dii certi, incerti und selecti eingeteilt werden. Neben diesen Fragmenten aus Varro ist von grosser Bedeutung, was uns übrig geblieben ist von dem Reallexikon von M. Verrius Flaccus. Unter Augustus fügte Verrius in einem alphabetisch geordneten Buche, De verborum significatu, allerlei Notizen über das römische Altertum zusammen. Hiervon verfertigte S. Pompeius Festus einen Auszug, und Paulus Diaconus (im 8. Jahrh. n. Chr.) excerpierte wieder den Festus. Wir besitzen zwar nur dies Exzerpt samt Fragmenten des Festus, aber auch in dieser abgeleiteten Form bleibt das Werk eine wichtige Fundgrube2. Ebenfalls unter Augustus lebte der Freigelassene und Bibliothekar Hyginus, der auch schriftstellerisch nach mehreren Seiten tätig war, hier aber erwähnt wird, weil man ihm, freilich mit zweifelhaftem Recht, eine Sammlung von 277 fabulae zuschreibt, die, nach dem Muster der griechischen Mythographen verfasst, durchweg griechische Mythen, allerdings mit lateinischen Namen, enthalten3. Ungleich wichtiger als Quelle für die Kenntnis der altrömischen Religion ist der Virgilkommentar des Servius, der in der zweiten Hälfte des 4. Jahrh. schrieb und manches uns sonst Unbekannte über die religiösen Altertümer aus Varro u. a. mitteilt *.

Dies sind wohl die wichtigsten literarischen Quellen. Freilich sind auch Historiker wie Polybius, Livius, Dionysius v. Halik. und Gelehrte wie Plinius und Plutarchus zu Rate zu ziehen. Wiewohl nur aus zweiter oder dritter Hand arbeitend und untereinander von sehr un

1 Die Disposition bei Augustin VI 3.

2 Ausgabe: S. Pompei Festi de verborum significatione quae supersunt cum Pauli epitome, durch K. O. MÜLLER (1839).

3 ED. M. SCHMIDT (1872). Eine ältere Ausgabe der lateinischen Mythographen von G. H. BODE, Scriptores rerum mythicarum latini tres (1834).

Eine grosse Ausgabe des Servius von G. THILO und H. HAGEN (bei Teubner).

gleichem Wert, enthalten Autoren, wie im 2. Jahrh. Gellius, im 3. Censorinus (De die natali, aus dem Jahre 238), im 4. und 5. Macrobius (Saturnalia) u. a. wertvolle Nachrichten. Unter den Kirchenvätern haben der Rhetor Arnobius und namentlich sein Schüler Lactantius dem Heidentum eingehende Aufmerksamkeit gewidmet.

Doch wurde oben schon darauf hingedeutet, dass auch die primitiven Quellen für uns nicht völlig verloren gegangen sind. In dem durch die Berliner Akademie herausgegebenen Corpus Inscriptionum. Latinarum, der allein schon genügen würde, den Namen THEODOR MOMMSENS unsterblich zu machen, werden die in der ganzen Welt gefundenen lateinischen Inschriften so genau als möglich veröffentlicht. Eine Ephemeris epigraphica macht fortwährend die neuen Funde bekannt. Eine bequeme Handausgabe ausgewählter Inschriften sind die Inscriptiones selectae von DESSAU. Inschriftlich ist uns nun noch manches erhalten, was auch die religionsgeschichtliche Forschung fördern kann, und so besitzen wir noch in Stein ein Stück des schon erwähnten Stadtkalenders, etwa von der Schlacht bei Actium bis zum Kaiser Claudius, und in diesem Steinkalender ist, wie MOмMSEN nachgewiesen hat, schon an den grösseren Schriftzügen derjenige Teil erkennbar, der den ursprünglichsten Bestand des Kalenders bildete, der immer unverändert aus den älteren in jeden neueren Kalender überging. Es gibt diese die ursprüngliche, sog. von König Numa herstammende Religionsordnung wieder. Ein anderes höchst bedeutendes epigraphisches Hilfsmittel bieten die Protokolle über die Sitzungen der Priestergenossenschaft der Fratres arvales von Augustus bis Gordianus, welche in dem ehemaligen heiligen Hain derselben bei Rom, die ältesten Stücke 1570, aufgefunden wurden. Diese enthalten viel Hochaltertümliches, z. B. auch das uralte Kultlied dieser Bruderschaft. Dann sind noch die Ueberreste von den Akten über die Säkularspiele des Augustus und Septimius Severus zu erwähnen. Aber auch soweit sie keine sakralen Archivstücke sind, sind die Inschriften für die Kenntnis des Religionswesens von grosser Wichtigkeit. Dies gilt besonders von der Kaiserzeit. Hauptsächlich kommen dabei Weihinschriften in Betracht. Ebenso leistet auch die römische Numismatik der Forschung grosse Dienste und sind auch die archäologischen Funde von grosser Wichtigkeit, wenn auch nicht von einer gleichen wie bei den Griechen. Die Gräber, Tempel, Hauskapellen, Sakralbilder, wie sie besonders in Pompeji ausgegraben sind, geben uns mancherlei, ebenso Reliefs und Votivstatuen.

Indirekt für unsere Kenntnis der römischen Religion von Bedeutung sind die sog. tabulae iguvinae, sieben Tafeln von zusammen

447 Zeilen, welche 1444 in der Stadt Gubbii gefunden wurden. Sie enthalten in umbrischem und lateinischem Dialekt sowohl Vorschriften als Formeln eines umbrischen Kultus der attidischen Brüderschaft. Sie lehren uns einigermassen eine nicht römische, italische Religionsform kennen.

§ 3. Die Gottheiten der alten Römer.

Varro unterscheidet drei Klassen von Göttern, dii certi, incerti und selecti. Diese Einteilung aber ist nur von dem Standpunkt dieses Schriftstellers aus zu verstehen, aber keineswegs im Wesen der Sache selbst begründet. Sogar die Bedeutung dieser Unterscheidung ist nicht vollkommen durchsichtig. Die dii certi waren die altrömischen Gottheiten, deren Wesen und Wirksamkeit die priesterlichen Urkunden und Formeln deutlich beschrieben. In Gegensatz zu ihnen waren die dii incerti entweder diejenigen, die nicht ab initio certi et sempiterni, sondern erst durch Vergötterung oder Konsekration zu Gottheiten geworden waren, also konsekrierte Menschen (Castor, Pollux, Hercules) und Personifikationen von Tugenden (so PRELLER); oder sie waren einfach verschollene, auch dem Varro nur noch dem Namen nach bekannte Götter, wie Summanus, Furrina u. a. (so MARQUARDT). Die dii selecti waren die Hauptgötter, denen die grössten Tempel angehörten, und deren Dienst im Vordergrund stand; Varro kennt deren 20. Es ist deutlich, dass diese Unterscheidungen lediglich in äusseren Umständen, nicht in Charakterzügen der göttlichen Wesen selbst wurzelten. Freilich waren die des römischen Sakralrechts ganz andere. Die schon erwähnten in digetes sind die Götter der ursprünglichen, gewöhnlich dem Numa zugeschriebenen Religionsordnung; die in späterer Zeit eingeführten sind die sog. noven sides. Etwa im dritten vorchristlichen Jahrhundert wurde eine neue Götterklasse eingeführt, die der zwölf dii consentes Jupiter, Juno, Neptunus, Minerva, Mars, Venus, Mercurius und Ceres. Es sind dies die zwölf griechischen Hauptgötter, und diese erhielten auf dem Forum ihre Statuen, wie die zwölf Götter auch auf dem athenischen Markte verehrt wurden. Freilich kannten auch die Etrusker einen hohen Rat der Götter, die den Jupiter (Tina) berieten; diese waren zusammen entstanden und sollten zusammen untergehen; sie waren wiederum eine Klasse von höheren verhüllten Göttern einer geheimen Weltordnung (dii involuti) untergeordnet1. Doch sind diese Vorstellungen von denen der römischen consentes wesentlich verschieden, wenn auch auf die äusser

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1 Vgl. die spärlichen Notizen bei Seneca, Nat. Quaest. II 41; Festus s. v. manubiae; Arnobius III 40.

liche Gestaltung derselben, ebensogut wie bei den Römern, griechische Vorbilder eingewirkt haben können.

Die Wesen, welche die Römer verehrten, waren mehr numina als persönliche Götter. Es waren Kultusgötter, welche die Geschicke der Menschen bis ins einzelne lenken und den Staat beschützen; dei complures hominum vitam pro sua quisque portione adminiculantes, wie Censorin, de die natali, von den Göttern der Indigitamenten sagt. Weder Plastik noch Mythologie, weder gemütliches Bedürfnis noch vernünftige Reflexion hatte diese Wesen in die geistige Sphäre erhoben. Das Begriffliche tritt bei ihnen überaus stark in den Vordergrund. Auch untereinander bildeten sie weder eine Familie noch ein Gemeinwesen; schwerlich ging man in dieser Richtung weiter, als zur Zusammenstellung gleichartiger männlicher und weiblicher Götter. Und mag man nun auch diese Götterpaare: Saturnus und Ops, Saturnus und Luna, Quirinus und Hora, Vulcanus und Maja, Mars und Nerio, wohl Väter und Mütter genannt haben, so bezeichnete dies sie doch bloss als erzeugende und beschützende Mächte; ihre Verhältnisse zu einander wurden nirgends ausgesponnen. Viele Götter der Indigitamenten hatten gar nichts Individuelles; sogar die einzelnen Funktionen des menschlichen Lebens und Wirkens hatten ihre Götter1. In den Geistergruppen, welche man verehrte, unterschied man keine Individuen. Schon früh widmete man Abstraktionen (wie Juventus, Fortuna) einen eifrigen Kult. Die höchsten Götter, die einen, obgleich immer noch dürftig ausgeprägten, mehr persönlichen Charakter hatten, standen mit der Natur in Zusammenhang oder waren Schirmherren des Staates.

Die Zahl der Gottheiten, welche in den priesterlichen Indigitamenten aufgezählt waren, ist nicht zu bestimmen. Wohl nirgends ist die Vervielfältigung der göttlichen Wesen so ins Unendliche durchgeführt worden, wie bei den Römern; jeder einzelne Zustand, jede Handlung, ja jeder Teil einer Handlung, jede Klasse von Gegenständen hatte besondere Schutzgeister. AMBROSCH hat die Namen in diesen Gebetsformeln als die Bezeichnung derjenigen Eigenschaften oder Funktionen der Götter aufgefasst, welche man in bestimmten Fällen um Hilfe anrufen müsse; und dass es Indigitationen gab, welche im Grunde nur Beinamen von mehr persönlichen Göttern waren, ist nicht zu bezweifeln, so wissen wir, dass z. B. Jupiter von den Saliern als Lucetius, Faunus als Iunuus und Fatuus usw. indigitiert wurde. Wie bei der griechischen und sehr vielen andern Religionen, konnten auch die römischen Götter neue Beziehungen erhalten, die sich in neuen Bei

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Singulis actibus proprios deos praeesse sagt Servius, Aen. II 141.

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