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Diese Worte setzen einen Vertrag voraus, an dem ein so erhabenes Wesen wie der Erdgeist, selbst mittelbar, unmöglich beteiligt sein kann. Dafs Faust sich mit Mephistopheles nur verbunden hat, um seine Kräfte sich dienstbar zu machen, zeigen ferner die Worte:

Hätt ich nur sieben Tage Ruh
Braucht keinen Teufel nicht dazu
So ein Geschöpfgen zu verführen.

Diese Auffassung erhält ihren schärfsten Ausdruck in der Anrede,,gnädger Herr", der sich Mephisto bedient, als ihm Faust wegwerfend zuruft:

Sey Teufel doch nur nicht wie Brey

Und schaff einen neuen Schmuck herbey.

Sie ist sicher ironisch gemeint, aber es ist zu beachten, dafs der scenische Vermerk ,,Faust ab" erst hinter Mephistos Antwort steht. Die herrische Art, wie Faust den ersten Schmuck für Gretchen fordert, ,,als wär er ein Fürsten Sohn", und die Schimpfworte, mit denen er bei verschiedenen Gelegenheiten den Gefährten überhäuft (Tier, Ungeheuer, Spottgeburt von Dreck und Feuer, Hund, Abscheuliches Untier, Schandgeselle), lassen gleichfalls keinen Zweifel, dafs in seinen Augen Mephistopheles nur sein Untergebener, ein niedriger Helfershelfer ist. Endlich tritt in Goethes Jugendentwurf überhaupt Mephistopheles hinter Faust zurück; überall, wo sie zusammen auftreten, ist dieser, wenn auch nur scheinbar, der Haupthandelnde. Während z. B. im Fragment und der fertigen Dichtung der Verkehr Fausts mit den Studenten in Auerbachs Keller sich auf die Begrüfsungsworte beschränkt, ist in der ersten Fassung er es, der die Tische anbohrt und die Weinproben liefert, die aus den überfliefsenden Tropfen emporlodernde Flamme bespricht und den rohen Burschen Weinberge vor die Augen zaubert. Er stellt, ohne dafs ein besonderer Hexentrank die Begier in ihm entfacht hätte, an den Gefährten das Verlangen, ihm Gretchen zu schaffen und sich zu dem Zweck an ihre Nachbarin zu hängen. Er kehrt nach dem Tode der Mutter Gretchens, von Gewissensbissen getrieben, zu der Geliebten zurück, um freiwillig ihr Los zu teilen:

Mag ihr Geschick auf mich zusammenstürzen

Und sie mit mir zu Grunde gehn.

Und als er erfährt, dafs sie im Kerker schmachte, zwingt er den Diener der Hölle, ihm bei ihrer Rettung behilflich zu sein. Dafs am Schlufs der Kerkerscene die Worte „Her zu mir!" fehlen, soll wenigstens erwähnt werden.

Ob sich freilich der Teufel selbst als Untergebener fühlt und danach handelt, ist eine andere Frage. Er weifs, an wen er sich gebunden hat. Blinde Leidenschaft und kalte Berechnung, so stehen sich Faust und Mephistopheles in der Jugenddichtung gegenüber; dafs der zügellose Sinn des ersteren der teuflischen Arglist gegenüber den kürzeren ziehen wird, ist mit Sicherheit vorherzusagen. Die ganze Selbstüberschätzung Fausts ist in den Worten ausgedrückt, die wir als das Thema des ersten Entwurfs bezeichnen können: Ich fühle Muth mich in die Welt zu wagen All Erden weh und all ihr Glück zn tragen,

Mit Stürmen mich herum zu schlagen

Und in des Schiffbruchs Knirschen nicht zu zagen.

So spricht kein Mensch, der auf der Höhe des Lebens steht, der auf allen Gebieten des Wissens,,mit heisser Müh" gearbeitet und ,,an die zehen Jahr als Lehrer der studentischen Jugend gewirkt hat, so kann nur der heifsblütige Jüngling reden, der für die strenge Wissenschaft noch nicht reif ist, sondern leben, d. h. geniefsen will. Wehe aber dem Jüngling, der, frei von den Fesseln der Moral und der Gesellschaft, seinen ungebändigten Trieben folgt und einen schwankenden, leicht bestimmbaren Charakter hat. Da, wo er zu herrschen wähnt, wird er geleitet werden, und sieht es der böse Genosse seines Lebens darauf ab, ihn zu sich herabzuziehen, so werden sehr bald die Wogen des Lasters über ihm zusammenschlagen. So wird er zu der Erkenntnis gebracht, dafs er geprahlt hat, wenn er wähnte, alles Erdenweh tragen zu können; denn weit entfernt, im Schiffbruch nicht zu zagen, empfindet er schaudernd das ,,innere Grauen der Menschheit“. Dies ist der Gedanke, der durch die Person des Faust, wie sie im ersten Entwurf gezeichnet ist, veranschaulicht wird.

Hiermit steht freilich die Angabe, dafs Faust seit längerer Zeit eine Professur bekleidet und den Ruf eines bedeutenden Gelehrten geniefst, im Widerspruch. Aber dieses äufsere Zeugnis ist nur das Gewand, mit dem der Dichter seinen Helden drapiert hat, es kann gegenüber seinen Worten und Thaten nicht in Betracht kommen. Man wird im Urfaust keinen Gedanken finden, den nicht ein fünfundzwanzigjähriger Jüngling, welchen wir uns mit hohen Gaben ausgestattet denken, äufsern könnte, wohl aber manchen, der in dem Munde eines gereiften Mannes fremdartig klingen würde, wie, wenn Faust zu Wagner sagt:

Was Vortrag! der ist gut im Puppenspiel

Mein Herr Magister hab er Krafft!

Sey er kein Schellenlauter Thor!

Und Freundschafft, Liebe, Brüderschafft,

Trägt die sich nicht von selber vor.

Wie die beiden ersten Verse im Fragment und der fertigen Dichtung geändert worden sind, ist bereits erwähnt; statt der beiden letzten lesen wir jetzt:

Es trägt Verstand und rechter Sinn

Mit wenig Kunst sich selber vor.

Die ganze Art, wie Faust in dem Gespräch mit Wagner der Wissenschaft jeden wahren. Wert abspricht, ist das Gebaren eines Menschen, dem noch Freundschaft, Liebe, Brüderschaft höher als die Wissenschaft steht. Hierzu pafst auch das Glaubensbekenntnis, das Gretchen dem Geliebten entlockt; Glück, Herz, Liebe, das nennt er gleichbedeutend mit Gott, seine Weltanschauung fafst er in den Satz zusammen:,,Gefühl ist alles“.

Diesem jungen Manne steht es unzweifelhaft besser als einem gereiften, dafs er im Studentenkeller den Zauberkünstler spielt; einem in vorgeschrittenem Alter stehenden würde Mephistopheles schwerlich bei dieser Gelegenheit den Vorschlag machen:,,Wenn dirs gefällt, dergleichen Sozietät schaff ich dir Nacht nächtlich." Diesem Faust braucht der Dichter nicht in einer Hexenküche dreifsig Jahre vom Leibe zu schaffen, um ihn zur Verführung Gretchens geschickt zu machen. Schnell ist in dem Jüngling die Leidenschaft zu dem Mädchen entfacht, Mephisto weifs jetzt, wie er seinem Opfer beikommen kann. Leicht läfst sich Faust überreden, in Gretchens Zimmer einzudringen und hier

Graues Kloster 1891.

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das Schmuckkästchen zurückzulassen, um damit den ersten Versuch zu ihrer Verführung zu machen. In kurzer Zeit ist der heifsblütige Liebhaber so ,,eingeteufelt", dafs er sich bereit erklärt, einen falschen Zeugeneid zu leisten, und der Geliebten einen Schlaftrunk für die Mutter aufnötigt, dessen Anwendung mindestens gefährliche Folgen haben kann. Kaum aber haben wir die Gewifsheit von Gretchens Fall erlangt, so erhalten wir auch schon die Andeutung, dafs Faust das unglückliche Mädchen im Stich lassen wird'); ja ihre Verzweifelung vor der Mater dolorosa ist erst unter der Voraussetzung, dafs sie in der That von ihm verlassen ist, recht verständlich. Wo Faust weilt, wissen wir nicht, doch der Vorwurf, den der von Reue Gemarterte später dem bösen Ratgeber macht: ,,Und du wiegst mich indess in abgeschmackten Freuden ein, verbirgst mir ihren wachsenden Jammer, und lässest sie hülflos verderben", giebt für sein Verhalten wenigstens eine Erklärung. Aber der Verrat an Gretchen ist nicht die letzte Schuld, welche Faust auf sich geladen hat: er mufs noch den Tod der Mutter und des Bruders') der Geliebten auf sein Gewissen nehmen, ehe er der Hölle genug gethan. Die Schauer des Todes, die ihn im Kerker der unglücklichen Kindesmörderin umwehen, können ihm einen Vorgeschmack von den Qualen geben, die ihm Mephistopheles im Jenseits zugedacht hat.

Fassen wir noch einmal die charakteristischen Merkmale des ersten Faustentwurfs zusammen. Vor allem fällt die Anlehnung des Dichters an das Volksbuch und das Puppenspiel in die Augen, die sich besonders darin zeigt, dafs Mephistopheles ein Geschöpf Luzifers ist und dafs er zu Faust nur in dem Verhältnis eines unterthänigen Gehilfen steht. Faust selbst erscheint überall handelnd. Ein jugendlicher Titan, dem die Wissenschaften noch keine Befriedigung gewähren können, beginnt er die Jagd nach dem Genufs, sieht sich aber bald von Schuld zu Schuld fortgerissen, bis er reif erscheint, der Hölle, mit der er einen Bund geschlossen hat, überliefert zu werden.

Als Goethe in Italien sich seinen Plan zum Ausbau der Jugenddichtung machte er bezeichnet seine Aufgabe mit dem Ausdruck,,das Stück auszuschreiben" -, konnte ihm der Widerspruch zwischen dem Gebaren des Faust und der Angabe, dafs er ein ernster Gelehrter in vorgeschrittenen Jahren sei, nicht entgehen. Wollte er also der Überlieferung treu bleiben und seinen ersten Entwurf, namentlich die ganze Gretchentragödie aufrecht erhalten, so mufste er neue Züge erfinden, wodurch er die Persönlichkeit seines Helden und seine Handlungsweise erklärlich machte. Derartige Züge sind allerdings in denjenigen Partieen der Dichtung, welche im Fragment hinzugekommen sind, vorhanden. Zunächst wird das vorgeschrittene Lebensalter Fausts von ihm selbst in der Hexenküche ausdrücklich bestätigt; die Worte

Und schafft die Sudelköcherey

Wohl dreyfsig Jahre mir vom Leibe?

1) Ich finde diese Andeutung in dem Gespräch Gretchens mit Lieschen, von den Worten an: ,,Er nimmt sie gewiss zu seiner Frau". Auch das Gespräch des Meph. mit Faust (Urfaust S. 53) enthält bereits einen Hinweis auf die Untreue des jugendlichen Verführers.

2) Der Schlufs der Valentinscene ist zwar im Urfaust nicht vorhanden, aber wenn Mephistopheles seinem Opfer droht:,,Wisse dafs auf der Stadt noch die Blutschuld liegt, die du auf sie gebracht hast“, so kann wohl kaum etwas anderes als die Ermordung Valentins damit gemeint sein.

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stempeln ihn zu einem Fünfzigjährigen. Er hat sein Leben nur hinter den Büchern verbracht, in die Welt weifs er sich nicht zu schicken und gerät vor Fremden in Verlegenheit, selbst sein Äufseres hat er vernachlässigt:

Allein mit meinem langen Bart

Fehlt mir die leichte Lebensart.

Es wird mir der Versuch nicht glücken;

Ich wufste nie mich in die Welt zu schicken.

Vor andern fühl' ich mich so klein;

Ich werde stets verlegen sein.

Ihm ist das wüste Treiben der Leipziger Studenten ebenso zuwider wie das tolle Zauberwesen der Hexenküche, er verhält sich gegen beide Reizmittel ablehnend. Wenn ein solcher Mann endlich der Leidenschaft zum Opfer fällt, so werden sicher auch die Stunden der Ernüchterung nicht ausbleiben, und dann wird er zur Wissenschaft zurückkehren, die ihm von neuem Befriedigung gewähren wird. In der Scene,,Wald und Höhle" tritt uns in der That Faust als derselbe Klausner vor Augen, der in der fertigen Dichtung von seinem Spaziergang abends heimkehrt und in der Stille seines Studierzimmers das höchste Glück findet. Aber dieser Klausner besitzt einen hochfliegenden Geist, das Studium der Wissenschaften war ihm nicht Selbstzweck, sondern nur ein Mittel, in den Zusammenhang der Dinge einzudringen:

Ihm hat das Schicksal einen Geist gegeben,

Der ungebändigt immer vorwärts dringt,

Und dessen übereiltes Streben

Der Erde Freuden überspringt.

Daher verstehen wir es, dafs es ihm schier das Herz bricht, zu sehen, dafs wir nichts
wissen können. Sein brennender Durst nach Erkenntnis verlangt jedoch Befriedigung:
er ergiebt sich der Magie, und wirklich gelingt es ihm, die Geheimnisse des Makrokosmus
zu ergründen, in die Gesetze des Weltalls einen Blick zu thun, so dafs er, berauscht
von seiner Vorstellung, ausruft;,,Bin ich ein Gott?" Doch in dem Hochgefühl dieses
Erfolges verlangt sein Geist bereits nach neuer Erkenntnis. Die Welt der Gedanken hat
sich ihm erschlossen, wie noch keinem Sterblichen, aber völlig fremd blieb ihm bisher
die Welt der Sinne. So erscheinen ihm plötzlich die Freuden des Geistes schal gegen
die Genüsse des Erdenlebens, und es erwacht ebenso plötzlich der Wunsch in ihm, sich
in die Welt zu wagen und unmittelbar aus den Quellen des Lebens zu trinken. Die
Worte, in die sich dieser Wunsch kleidet, sind zwar im Monolog des Fragments genau
dieselben wie diejenigen, welche wir als das Thema des Urfaust und als einen Ergufs jugend-
licher Überhebung bezeichnet haben. Aber die Dichtung vom Jahre 1790 hat daneben,
an der Spitze der Scene,,Faust. Mephistopheles", eine andere Fassung, welche dem Pro-
gramm eines gereiften, wenn auch leidenschaftlichen Mannes besser entspricht:

Und was der ganzen Menschheit zugeteilt ist,
Will ich in meinem innern Selbst geniefsen,
Mit meinem Geist das Höchst' und Tiefste greifen,
Ihr Wohl und Weh auf meinen Busen häufen,
Und so mein eigen Selbst zu Ihrem Selbst erweitern,
Und, wie sie selbst, am End' auch ich zerscheitern.

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Hier hat der Schlufs eine versöhnlichere Form; denn Faust ist sich bewufst, dafs seine zügellose Begier mit seinem Untergange enden müsse. Wie in diesen Versen, so erscheint in der ganzen Unterredung mit Mephistopheles Faust reifer als in dem inhaltlich verwandten Zwiegespräch mit dem Erdgeist. In jugendlicher Vermessenheit stellt er sich in der Scene, welche auf den Monolog folgt, dem Gotte an die Seite, und obgleich er unter der Wucht der Worte,,Du gleichst dem Geist, den du begreifst, nicht mir!" zusammenbricht, läfst doch die Fülle der Gesichte", deren er gewürdigt worden ist, das Bewusstsein titanischen Vermögens in ihm zurück. Der Faust des Fragments spricht und empfindet menschlicher. Er will alles, was die Brust eines Sterblichen bewegen kann, in seinem eignen Innern erleben und fragt wohl auch: ,,Was bin ich denn, wenn es nicht möglich ist, der Menschheit Krone zu erringen?" Aber als ihm Mephistopheles antwortet:,,Du bist am Ende was du bist", da ist er völlig entmutigt und klagt, dafs er fühle, wie alles Wissen ihn dem Unendlichen um nichts näher gebracht habe.

Mit grofsem Geschick läfst der Dichter gerade an dieser Stelle den Versucher sein Werk beginnen. Betrachten wir die Rolle, welche der Lügengeist im Fragment spielt, genauer, so werden wir finden, dafs sie der veränderten Persönlichkeit Fausts entsprechend umgestaltet ist. Mephistopheles ist selbstverständlich der Teufel geblieben, mit dem der ruhelose,,Übermensch" einen Vertrag geschlossen hat; es genügt, zum Beweise hierfür auf die Hexenküche, wo er ,,Junker Satan" genannt wird, und auf die Verse, welche der Schülerscene unmittelbar vorausgehen, hinzuweisen:

Und hätt er sich auch nicht dem Teufel übergeben,

Er müfste doch zu Grunde gehn!

Aber um einem in rastlosem Wissensdrang sich verzehrenden Gelehrten beizukommen, mufste er mit der ganzen Ruhe und Überlegenheit des welterfahrenen Mannes ausgestattet werden. Überschwenglicher Idealismus und nüchterne Kritik, das ist daher der neue Gegensatz, in welchen im Fragment Faust und Mephistopheles zu einander treten. Wie wahr sind die Worte, durch welche der Skeptiker den Phantasten von der Unausführbarkeit seines Verlangens zu überzeugen weifs:

Glaub' unser einem, dieses Ganze

Ist nur für einen Gott gemacht!

Setz' dir Perrücken auf von Millionen Locken,

Setz' deinen Fufs auf ellenhohe Socken,

Du bleibst doch immer was du bist.

Und wie fein weifs er seinen Gedanken in ein Gleichnis zu kleiden: so wenig des Löwen Mut und des Hirsches Schnelligkeit, des Italieners feurig Blut und des Nordens Dauerbarkeit sich in einem Wesen vereinigt findet, und Grofsmut mit Arglist sich verbinden läfst, so wenig werden sich die Träume des Idealisten verwirklichen. Da tritt der Augenblick ein, wo Faust sein bisheriges, der Wissenschaft geweihtes Leben als zwecklos verurteilt, wo ihn Mephistopheles, wie er sich später ausdrückt, vom Kribskrabs der Imagination geheilt glaubt. Wie einst die Schlange in Eva Mifstrauen gegen Gott zu erwecken wufste, so ist es Mephistopheles gelungen, den Menschen

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