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Wissenschaftliche Beilage zum Programm des Berlinischen Gymnasiums zum Grauen Kloster. Ostern 1891.

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Wüfsten wir nicht, dafs Goethe mit vielen und zum Teil sehr grofsen Unterbrechungen am Faust gearbeitet hat, so würde es uns die Komposition des ersten wie des zweiten Teiles der Dichtung lehren. Wir stofsen auf Widersprüche, wir vermissen für viele dramatische Vorgänge eine Erklärung, wir beklagen den lückenhaften Zusammenhang einzelner Scenen und ganzer Akte, wir haben bei der Betrachtung des Gesamtplanes die Empfindung, dafs dem Gewollten nicht überall die Ausführung entspricht. Kurz, wir gewinnen die Überzeugung, dafs es dem Dichter nicht gelungen ist, bei der endgültigen Zusammenstellung der zu den verschiedensten Zeiten entstandenen Partieen ein organisches Ganzes zu schaffen. Goethe selbst sagt in einem Epilog zur Dichtung, der um das Jahr 1800 geschrieben ist:

Des Menschen Leben ist ein ähnliches Gedicht:
Es hat wohl einen Anfang, hat ein Ende,
Allein ein Ganzes ist es nicht1).

Wenn wir trotzdem den Faust zu dem Höchsten rechnen, was Menschengeist geleistet hat, so beweist dies nur, dafs das, was wir als Mängel empfinden, nicht das Wesen der poetischen Kunst ausmacht. Und soviel auch schon über Goethes Werk geschrieben und gesagt ist, wir werden nicht müde, uns an der Lösung der Probleme, die es bietet, zu versuchen. Unter diesen steht die Frage nach den Entwürfen des Dichters und der dem Drama zu Grunde liegenden Idee obenan.

I.

Wir besitzen den Faust, wenn wir von allem Einzelnen, was der Nachlafs bietet, absehen, in drei verschiedenen Fassungen: Goethes Faust in ursprünglicher Gestalt nach der Göchhausenschen Abschrift (herausgegeben von Erich Schmidt 1887), das Fragment vom Jahre 1790 und die fertige Dichtung, welche als Ganzes erst nach dem Tode des Meisters erschien.

In den einundzwanzig oder, streng genommen, zwanzig Scenen, welche durch die. Abschrift des Fräulein von Göchhausen auf uns gekommen sind, ist im wesentlichen das enthalten, was Goethe zwischen 1773 und 1775 vom Faust vollendet hat; mögen auch einige Skizzen dem Fräulein von Göchhausen nicht vorgelegen haben, fertige Scenen, die sich

1) Goethes Werke, herausgegeben im Auftrage der Grofsherzogin Sophie von Sachsen XV1, S. 344.

in das Ganze hätten einfügen lassen, waren es schwerlich'). Die Grenze für den Beginn der Faustdichtung wird hauptsächlich bestimmt durch die poetische Epistel Gotters, welche schliefst

Schick' mir dafür den Doktor Faust,

Sobald dein Kopf ihn ausgebraust,

und durch die Angabe des Dichters in dem römischen Briefe vom 1. März 1788, dafs es ein ander Ding sei, das Stück jetzt oder vor fünfzehn Jahren auszuschreiben. Dafs 1775 bereits die Kerkerscene fertig war, geht daraus hervor, dafs sie Heinrich Leopold Wagner für sein 1776 erschienenes Trauerspiel „Die Kindesmörderin" benutzt hat"); die letzte Notiz des jungen Goethe über Arbeiten am Faust stammt aus einem Briefe an Merck vom Oktober 1775. Wir können mithin, wenn wir berücksichtigen, dafs Goethe bald darauf nach Weimar übersiedelte, und dafs für die Zeit von 1776 bis 1786 ein Weiterschaffen am Faust nicht nachweisbar ist, den Abschlufs der ersten Fassung in das Jahr 1775 setzen 3). Die einundzwanzig Scenen des Urfaust sind folgende:

1. Nacht („Hab nun ach die Philosophey" bis ,,Und froh ist wenn er Regenwürmer findet"). In Versen.

2. Mephistopheles im Schlafrock eine grose Perrücke auf. Student (,,Ich bin alhier erst kurze Zeit" bis ,,Dir wird gewiss einmal bey deiner Gottähnlichkeit bange"). In Versen. 3. Auerbachs Keller in Leipzig (,,Will keiner sauffen keiner lachen!"). Der Anfang acht Zeilen in Versen, das übrige, die eingestreuten Lieder abgerechnet, in Prosa. 4. Land Strase (,,Was giebts Mephisto hast du Eil?")). In Versen.

5. Strase (,,Mein schönes Fräulein darf ichs wagen"). In Versen.

6. Abend (,,Ich gäb was drum wenn ich nur wüsst"). In Versen.

7. Allee) (,,Bey aller verschmähten Lieb! Beym höllischen Element!"). In Versen. 8. Nachbarinn Haus (,,Gott verzeihs meinem lieben Mann"). In Versen.

9. Faust Mephistopheles) (,,Wie ist's? Wills fördern wills bald gehn?"). In Versen.

1) Vergl. Erich Schmidt a. a. O. S. VIIIff. Ein zwingender Grund zu der Annahme, dafs es einen Prosafaust gegeben habe, der noch früher als die Vorlage der Göchhausenschen Abschrift gedichtet worden sei (vgl. Deutsche Litteraturzeitung vom 25. Oktober 1890), ist schlechterdings nicht vorhanden. Die Existenz eines Prosafaust wird meiner Ansicht nach schon durch das widerlegt, was E. Schmidt S. XIX betont, dass Goethe mit dem auf alte Tradition gegründeten Monolog zweifelsohne seine Faustdichtung begonnen habe. Man vergleiche nur, abgesehen von dem, was der Dichter im 10. Buch von Dichtung und Wahrheit über die Entstehung des Faust sagt, den Anfang des Puppenspiels:

Soweit hab ichs nun mit Gelehrsamkeit gebracht,

Dafs ich allerorten werd ausgelacht.

Alle Bücher durchstöbert von vorne bis hinten

Und kann doch den Stein der Weisen nicht finden.
Jurisprudenz, Medicin, alles umsunst,

Kein Heil als in der negromantischen Kunst.

Was half mir das Studium der Theologie?

Wenn darum auch die Göchhausensche Abschrift nicht alles enthält, was von dem ersten Entwurfe Goethes vorhanden war, so können wir sie doch, wie es schon Schmidt gethan hat, als Urfaust bezeichnen. Vgl. auch Kuno Fischer: Die Erklärungsarten des Goetheschen Faust, S. 117 ff.

2) Dichtung und Wahrheit, Buch XIV.

3) Die genauere Untersuchung über die Chronologie des Urfaust bei E. Schmidt a. a. O. S. XIV ff.

4) Fehlt im Fragment, wie in der fertigen Dichtung.

5) Im Fragment und in der fertigen Dichtung in Spaziergang" geändert.

6) Im Fragment und der fertigen Dichtung mit der Überschrift „Strafse" versehen.

10. Garten (,,Ich fühl es wohl dafs mich der Herr nur schont"). In Versen.

11. Ein Gartenhäusgen (,,Er kommt!") In Versen.

12. Gretgens Stube (,,Meine Ruh ist hin"). In Versen.

13. Marthens Garten (,,Sag mir doch Heinrich!"). In Versen.

14. Am Brunnen (,,Hast nichts von Bärbelgen gehört?"). In Versen.

15. Zwinger (,,Ach neige"). In Versen.

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Exequien der Mutter Gretgens (,,Wie anders Gretgen war dirs").

17. und 18. Nacht (,,Wenn ich so sas bey 'em Gelag").') In Versen.

19. Faust, Mephistopheles ") (,,Im Elend! Verzweifelnd!"). In Prosa.

20. Nacht. Offen Feld (,,Was weben die dort um den Rabenstein?"). In reimlosen Versen.

21. Kerker (,,Es fasst mich längst verwohnter Schauer"). In Prosa.

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In Italien nahm Goethe die Arbeit am Faust wieder auf, wie aus vier Stellen der,,Italiänischen Reise" hervorgeht. Dafs er die Hexenküche" im Garten Borghese geschrieben habe, äufsert er zu Eckermann am 10. April 1829. Nehmen wir zwei Briefstellen aus seiner Korrespondenz mit dem Herzog Carl August hinzu, die eine vom 5. Juli 1789:,, Faust will ich als Fragment geben, aus mehr als einer Ursache, davon mündlich," die andere vom 5. November 1789:,,Faust ist fragmentirt, das heifst in seiner Art für diesmal abgethan Nun kann es an andre Sachen gehen," so unterliegt es keinem Zweifel, dafs das Fragment von 1790 eine Frucht der italienischen Wanderjahre ist. Wenn wir den Inhalt dieser neuen Fassung näher betrachten, so fällt uns zunächst eine Eigentümlichkeit auf, wodurch sie sich ebenso von dem Urfaust wie von der fertigen Dichtung unterscheidet: das Fehlen jeder Prosa. Es liegt auf der Hand, der Dichter, dem in Italien das Verständnis für die klassische Kunstübung aufgegangen war, verschmähte es, sich in einem Drama der Prosa zu bedienen. Daher verwandelte er die ganze Scene,,Auerbachs Keller" in Verse; die Scenen,,Faust, Mephistopheles" (Im Elend! Verzweifelnd!) und,,Kerker" liefs er dagegen ganz fort. Mit den genannten entfiel notwendigerweise auch die kleine Scene ,,Nacht, Offen Feld", obgleich sie rhythmisch gefafst vorlag. Aber auch die bereits in Versen begonnene Valentinscene (Urfaust 17 und 18) blieb unausgeführt; dagegen wurde ein Stück derselben,,,Nun frisch dann zu! Das ist ein Jammer" bis,,Stellt es sich gleich das Ende vor", zu der neugedichteten Scene,,Wald und Höhle" hinzugenommen, deren herrlicher Jambenmonolog sicher keiner früheren Zeit als derjenigen angehört, wo die Iphigenie in ihrer letzten Fassung und Tasso entstanden"). ,,Wald und Höhle" erhielt seinen Platz hinter dem Gespräch „Am

1) Unvollendet und Stücke aus „Wald und Höhle" enthaltend.

2) In der fertigen Dichtung mit der Überschrift „Trüber Tag. Feld" versehen.

3) Nach E. Schmidt wurde die „Hexenküche" im Sommer 1787 gedichtet (vgl. „Italiänische Reise". Hempel 24, 381 f). Unter der neuen Scene", von der Goethe in dem römischen Briefe vom 1. März 1788 spricht, haben wir wahrscheinlich das Gespräch zu verstehen, welches auf den Monolog von ,,Wald und Höhle" folgt (,,Habt ihr nun bald das Leben g'nug geführt?" bis „Auch selbst Gelegenheit zu machen"), und an das die Verse des Urfaust ,,Nun frisch dann zu! Das ist ein Jammer" bis,,Stellt es sich gleich das Ende vor" mit einigen stilistischen Änderungen angeschlossen wurden. Vgl. Kuno Fischer: Die Erklärungsarten des Goetheschen Faust, S. 113 ff.

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