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Seit Dr. Martin Luthers grofsem Reformationswerke hat die von ihm verdolmetschte Bibel Jahrhunderte lang des deutschen evangelischen Volkes literarischen Haupthausschatz gebildet; haben doch aus ihr fast allein lange Zeit die breitesten Schichten unseres Volkes ihre geistige Nahrung gesogen. Die Bibel ist zugleich dem evangelischen Christen stets der Inbegriff des Höchsten und Heiligsten gewesen, was jemals dem Menschengeschlechte durch die Schrift übermittelt worden ist. Wegen ihres göttlichen Ursprungs, und weil ihr Zweck die Heiligung ist, nennen wir sie auch die „heilige Schrift", und weil sie inbezug auf unser wahres Seelenheil die sämtlichen weltlichen Bücher aufwiegt, bezeichnen wir sie auch als „das Buch der Bücher", als das Buch" oder „die Schrift". Tausende und Abertausende von Büchern sind nach der Bibel im Druck erschienen: kein einziges ist jemals als „das Buch" schlechtweg der Bibel gleichgestellt worden. Wohl aber hat man ganz vorzügliche Werke gottbegnadeter Geister, um sie als das Vollkommenste hinzustellen, was Menschengeist auf diesem Gebiete hervorzubringen imstande sei, der Bibel verglichen, dabei jedoch auf den untilgbaren Unterschied zwischen Gottes- und Menschenwort durch eine beschränkende Beifügung zu dem Worte Bibel hingewiesen. So spricht man auch in unserer Literatur hie und da von einem ganz hervorragenden Dichterwerke als von einer weltlichen" Bibel. Mit diesem Zusatze ist nun aber zugleich der Inhalt eines solchen Werkes gekennzeichnet. Während uns die Bibel über Gott und göttliche Dinge belehrt, sowie über das Verhältnis des Menschen zu Gott und über Zweck und Ziel seines Erdenwallens, während sie uns auf das Ueberirdische und das Jenseits hinweist, hat die weltliche Bibel als Hauptinhalt den Menschen in seinem Verhältnis zu dem Menschen, zu der ihn umgebenden Welt, zum Diesseits; die weltliche Bibel handelt von der Menschennatur, vom Menschenleben und den mannigfaltigen Wechselbeziehungen desselben. Gleich jener aber soll diese mit ihrem Inhalte das Geistesleben des Volkes durchdringen und befruchten, auf die Lebensanschauung ihrer Leser nicht nur belehrend, sondern auch veredelnd und erziehend einwirken, kurz ein Volksbuch im höchsten Sinne werden.

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Eine Dichtung, die als weltliche Bibel gelten und wirken soll, muss dementsprechend ganz besondere Vorzüge haben. Die Grundlage eines solchen Werkes, das in den weitesten Kreisen seiner Leser eine so hohe Aufgabe erfüllen soll, muss ein reicher, aber echt volkstümlicher Stoff sein; in diesen muss der Dichter grofsartige, aber doch leichtverständliche, reinmenschliche Ideen verweben; dabei muss er eine aufserordentliche

Fülle von fruchtbaren Gedanken darbieten; seine Darstellungsweise muss einfach und schlicht, seine Sprache volkstümlich sein. Eine weltliche Bibel kann also selbst der bedeutendste Dichter nicht in einer kurzen Spanne Zeit schaffen, sie muss vielmehr das poetische Erzeugnis eines gröfseren, ereignisvollen Zeitabschnittes im Leben eines hervorragenden Dichters, oder wohl gar das eigentliche Lebenswerk desselben sein, ein Dichtwerk, in welches der Dichter nach und nach alle während seines reich bewegten Lebens gesammelten Eindrücke und Lebenserfahrungen, alle seine Lebensansichten und sein ganzes eigenes Geistesleben verflicht. Eine solche Dichtung pflegt dann nicht nur ein Spiegel zu sein von dem inneren Leben des Dichters und den Bestrebungen seiner Zeit, sie wird nicht nur der Mitwelt ihr eigenes Spiegelbild vorhalten, sondern sie wird zugleich für die Nachwelt eine reiche Fundgrube der Lebensweisheit werden und den Spätergeborenen eine Menge heilsame Lehren über und für das Leben übermitteln.

Wir wollen nun im Folgenden untersuchen, inwiefern Goethes Faust den Anforderungen entspricht, die wir soeben an eine weltliche Bibel gestellt haben.*

Goethes Faust trägt schon seiner ersten Grundlage nach die Eigenschaft einer weltlichen Bibel in sich: der Dichtung liegt ein echt volkstümlicher Stoff zu Grunde, die Faustsage, die in unserm Volke eine mehr als zweihundertjährige Entwickelung durchgemacht und sich von der Reformationszeit bis zu Goethes Tagen fast ununterbrochen im Geistesleben des Volkes fortgepflanzt hat. Der Teufelsglaube, wie er uns in der Faustsage entgegentritt, und der Glaube an Zauberer war im Mittelalter allgemein. An eine geschichtliche Persönlichkeit, an Joh. Faust, der als abenteuernder Scholast ein unstetes Gauklerleben führte, heftete sich dann die Zaubersage des Volkes an; auf ihn übertrug dieses alle Zaubergeschichten und allerlei Züge, frühere sowohl, wie solche, die über gleichzeitige Zauberer umliefen, so dafs sich bald um die Person Fausts ein ganzer Sagenkreis bildete, der den Geist unseres Volkes lebhaft beschäftigte. Nachdem sich der Stoff der Faustsage längere Zeit mündlich weitervererbt hatte, fand er Aufzeichnung in Volksbüchern, die nicht nur von unserm Volke begierig gelesen, sondern auch ins Französische, Englische, Niederländische, Dänische übersetzt wurden. So erweiterte sich die ursprünglich deutsche Volkssage zu einer Art Weltsage, und aus dem deutschen Sagenhelden Faust wurde bald ein durch die ganze Welt berufener Erzschwarzkünstler und Zauberer." Auch die Bühne bemächtigte sich der Faustsage als eines volkstümlichen Stoffes, und das Puppenspiel machte darauf die Persönlichkeit Fausts beim niederen Volke zu einer so beliebten Erscheinung, dafs selbst die Aufklärung, die später den Teufels- und Zauberglauben tief erschütterte, es nicht vermochte, das allgemein verbreitete Andenken an den Helden der Zaubersage zu verwischen. Der volkstümlich gewordene Stoff übte auch auf die Dichter unserer zweiten klassischen Literaturzeit grofse Anziehungskraft aus. Deutschland war damals, wie uns Lessing in seinen Literaturbriefen berichtet, trotz aller Aufklärung in seinen Faust noch ebenso verliebt wie früher. In unserem Dichterfürsten

* Die folgenden Abschnitte bis S. 8, die ich eingehender behandelt hatte, gebe ich wegen Mangels an Raum nur auszugsweise wieder.

Goethe aber sollte die Faustsage dann den Meister finden, der ihr den höchsten künstlerischen Ausdruck verlieh und sie zu einem Weltgedichte umgestaltete. Goethe hat jene Sage mit ihrem Zaubertreiben, wie es sich der Volksglaube im Laufe der Jahrhunderte ausgebildet hatte, zum Abschluss gebracht und so eine Dichtung geschaffen, zu der die nie rastende Phantasie des Volkes in langer Thätigkeit die Vorarbeiten geliefert hat.

Die Faustsage ist der eine mächtige Strom, der nach weitem Laufe durch grofse Gebiete der Vergangenheit und unseres Volkslebens in unser Faustdrama einmündet; einen andern inhaltsreichen Zufluss erhielt dasselbe aus dem Geistesleben der unmittelbaren Gegenwart, aus der Sturm- und Drangperiode, deren Bestrebungen Goethe wie einen gewaltigen, alles mit sich dahin reifsenden Strom in seine Dichtung sich ergiefsen liefs.

Die zweite Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts war bekanntlich eine Zeit grofser Umwälzungen, nicht nur auf staatlich-gesellschaftlichem Gebiete, auf dem sich die französische Revolution abspielte, sondern auch im Bereiche von Kunst und Wissenschaft, wo sich neue Grundsätze und Anschauungen geltend machten, sowie in der Religion, wo an Stelle des Autoritätsglaubens der Vernunftglaube gesetzt wurde. Originalität, Genialität, Natürlichkeit waren während dieses heftigen Gärungsprozesses die Schlagwörter in unserer Dichtkunst, Schlagwörter, die damals von der aufstrebenden Jugend mit ganz besonderer Begeisterung aufgegriffen, aber, wie das ja stets geschieht, auf die Spitze getrieben wurden. Ein mächtiger Sturm gegen alles Bestehende brach los, ein Aufruhr gegen die ganze Zeitbildung. Urnatur gegen Unnatur! war die Losung. Es war die Zeit, die Goethe in Wahrheit und Dichtung die „fordernde" nennt; es war eine Zeit, wo man an sich und andere Forderungen stellte auf das, was noch kein Mensch geleistet hatte, und wo die unmittelbare Ansicht der Natur und ein darauf gegründetes Handeln als das einzige Gute und Erstrebenswerte galt. Man suchte damals Natur, Welt und Menschenleben in ihren innersten Tiefen zu erfassen und das eigene Ich zu einer ganzen Welt zu erweitern. Das Streben nach titanischem Schaffen bemächtigte sich auch unserer Dichter, insbesondere auch Goethes, der, in seiner Jugend selbst eine Titanennatur, eben jenen Titanen der alten Zaubersage, welcher Adlersflügel nahm und alle Gründe von Erde und Himmel durchforschen wollte, zum Träger seines eigenen Titanentums und der Bestrebungen seiner Zeit sich auserwählte. So wurde sein Faust in seinen ersten Bestandteilen zugleich die gewaltigste Geistesäufserung und grofsartigste Dichtung der Sturm- und Drangperiode, jener Zeit, die einer geistigen Wiedergeburt unseres Volkes vorangehen sollte, und dieses ist ein zweiter Grund, aus dem wir uns seine aufserordentliche Wirkung zu erklären haben.

Goethe behandelt ferner in seinem Faustdrama den reinmenschlichen, aller Herzen tief ergreifenden Gedanken von des Menschen Sünde und Schuld, von seiner Läuterung und Rettung, einen Gedanken, der sich ja auch wie ein roter Faden durch die ganze heilige Schrift hindurchzieht. Es ist dies ein Thema, welches seit Jahrtausenden Geist und Gemüt der Besten und Edelsten beschäftigt und bewegt hat, und welches unerschöpflich sein wird, so lange noch Philosophie und Glaube Kopf und Herz des

Menschen erfüllen. Während uns aber die Faustsage einen Menschen zeigt, der, durch Drang nach Erkenntnis bewogen, sich dem Teufel überliefert und von diesem durch wüste Sinnlichkeit hindurch geradeswegs zur Hölle geführt wird, stellt uns Goethe in seinem Drama einen Helden dar, der in dem Begehren, Natur und Welt unmittelbar zu erleben, zwar auch auf schlimme Irrwege gerät und mit dem Teufel ein Bündnis eingeht, in dem aber doch die bessere Natur, die göttlichere Hälfte seines Wesens, wieder zur Geltung kommt, so dass er sich von der Knechtschaft des Bösen zu befreien und auf verschiedenen Läuterungsstufen zu einer solchen sittlichen Höhe emporzuarbeiten sucht, welche ihn nach Ansicht des Dichters und vieler Weltmenschen der Aufnahme in den Himmel würdig erscheinen lässt. So hat Goethe die Faustsage vertieft und ihr einen reicheren Ideengehalt verliehen. Dadurch aber, dass er die auf einem beschränkteren Standpunkte stehende Volkssage durch eine mehr philosophische Behandlung verallgemeinert und Faust als Vertreter des Menschen und der Menschheit überhaupt hinstellt, hat er seinem ganzen Drama einen allgemein menschlichen Charakter aufgeprägt, es zum Weltdrama gemacht und ihm einen Anspruch auf besondere Wertschätzung bei den Gebildeten aller Kulturvölker erworben.

Ein anderer Grund für die hohe Bedeutung des Faust ist darin zu suchen, dass dieses Drama das Lebenswerk Goethes ist, die grofsartigste Schöpfung, welche der hervorragendste und vielseitigste Dichter der Welt während seines langen, inhaltsreichen Lebens geschaffen hat. Am Faust hat der grofse Meister nicht weniger als sechzig Jahre, also zwei volle Menschenalter, gearbeitet; der Faust ist diejenige Dichtung Goethes, die ihn durch sein ganzes Leben hindurch begleitet und sein Sinnen und Dichten, wenn auch mit häufiger Unterbrechung, doch immer wieder bis gegen sein Ende in Anspruch genommen hat. Schon während seines Aufenthaltes in Strafsburg hatte die Faustsage Goethes erwachenden Dichtergeist lebhaft angezogen und beschäftigt; die bedeutende Puppenspielfabel, so berichtet er uns selbst, summte damals gar vielseitig in ihm wieder. Im Jahre 1773 trat er dann dem Plane näher, die Schicksale Fausts dramatisch zu gestalten. Zwar liefs er die Arbeit wiederholt ruhen, so oft sich jedoch neuer Lebensgehalt in seinem Innern angesammelt hatte, hauchte er ihn seinem Drama ein, dessen erster Teil in der reifsten Zeit seiner geistigen Entwickelung zum Abschluss kam. Dem zweiten Teile des Dramas, den er in noch gröfseren Zwischenräumen bruchstückweise fortsetzte, hat er vor allem die letzten Jahre seines Lebens gewidmet. So hat Goethe das Drama, das er als Stürmer und Dränger in brausender Jugend begonnen, in der besten Schaffenskraft des Mannesalters weitergeführt und erst dicht vor der Schwelle des Todes in ernster, angestrengter Arbeit vollendet. Dafür hat er aber auch in diesem höchsten und reichsten Erzeugnis seiner Muse der Welt das schönste Vermächtnis seines grofsen Dichtergeistes hinterlassen, ein Werk für Jahrhunderte, eine Dichtung von ganz aufserordentlicher kulturhistorischer Bedeutung. Er selbst, der so rastlos Thätige, hatte nach Vollendung des Faust das beruhigende Gefühl, dass er nun am mühevoll erstrebten Ziele angekommen, und dass seine Lebensaufgabe gelöst sei.

Der Faust ist jedoch nicht nur Goethes Lebenswerk, sondern auch sein Lebensspiegel; er ist der ausführlichste und deutlichste Ausdruck von einem der bedeutend

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