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Im zweiten Teil der Fauftdichtung stellt gleich der Anfang Zutrauen und Geduld des Lesers auf eine harte Probe. Die Rolle, die Faust am kaiserlichen Hofe als Maskenheld und Geisterbeschwörer spielt, scheint eines ernsthaften Mannes ganz unwürdig und nach dem furchtbaren Abschluß des ersten Teiles unerträglich. Es ist auch nicht klar, welchem Zweck die ganze Szenenreihe dienen soll. Was gewöhnlich als ihr Ergebnis bezeichnet wird, Fausts Verlangen nach der Verbindung mit Helena, steht in einem sonderbaren Mißverhältnis zu der Länge des Aktes mit seinen 2000 Versen. Ausgedehnte Szenen haben mit Helena gar nichts zu tun; sie wären also in dem Gefüge der Handlung überflüssig.

Das läßt sich aber mit Goethes künstlerischen Grundsätzen nicht gut vereinigen. Nach ihnen gleicht das Kunstwerk einem lebendigen Organismus, in dem kein Glied entbehrlich ist. Auch bemerkte der Dichter einige Wochen vor seinem Tode, als er die noch nicht veröffentlichte Dichtung noch einmal durchging, in seinem Tagebuch: „Neue Aufregung zu Faust in Rücksicht größerer Ausführung der Hauptmotive, die ich, um fertig zu werden, allzu lakonisch behandelt hatte." Darnach dürfte Weitschweifigkeit der geringste Fehler der Dichtung sein, vielmehr wird die scheinbare Unverständlichkeit der Kaiserhoffzenen mit dem von Goethe selbst empfundenen Mangel zusammenhängen, auch hier wird das, was er wollte, nicht ganz deutlich herausgearbeitet sein.

Unter diesen Umständen verdienen die Skizzen und Entwürfe des Dichters, die in dem Goethearchiv erhalten und gerade für diesen Abschnitt des Dramas sehr zahl: und umfangreich sind, ein besonderes Interesse. Sie sind von Erich Schmidt im 15. Band der Ausgabe der Großherzogin Sophie von Sachsen größtenteils zum ersten Male veröffentlicht. Diese Paralipomena sollen hier zuerst betrachtet, und sodann soll versucht werden, die Absichten zu bestimmen, die der greise Dichter bei der endgültigen Gestaltung der Kaiserhoffzenen verfolgte.

I.

Pläne und Entwürfe.

In Wielands Roman „Der goldene Spiegel" läßt sich der Sultan Gebal, der schlecht einschlafen kann, allabendlich von seiner Umgebung lehrreiche Geschichten vorlesen oder vorerzählen. Er sieht darin ein gutes Schlafmittel, und wenn er dreimal gegähnt hat, dürfen sie aufhören und ihn allein lassen. Der Hosphilosoph Danischmend, unbekannt mit dem Zweck, dem seine Unterhaltung dienen soll, hält die Gelegenheit für günstig, um dem Sultan die höchsten Wahrheiten mit Wärme und Schwung vorzutragen. Während seiner begeisterten Rede schläft der Sultan alsbald ein, sogar ohne gegähnt zu haben.

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Der junge Goethe hatte an diesem säuerlichen Spaß ein besonderes Wohlgefallen. Er hebt ihn in den Frankfurter gelehrten Anzeigen" bei der Besprechung des Romans (1772) ausdrücklich hervor, ja er plante sogar, dieses Motiv für die Fauftdichtung zu verwenden. Faust sollte am Kaiserhof eine ähnliche Erfahrung machen wie der Philosoph Danischmend beim Sultan. Nach einer Erzählung des Dichters hatte er einmal folgende Szene im Sinne: Mephisto bestimmt Faust, bei dem Kaiser um eine Audienz nachzusuchen. Beide gehen ins Audienzzimmer und werden auch wirklich vorgelassen. Faust seinerseits, um sich dieser Gnade wert zu machen, nimmt Alles, was irgend von Geist und Kenntnis in seinem Kopfe ist, zusammen und spricht von den erhabensten Gegenständen. Sein Feuer indessen wärmt nur ihn; den Kaiser selbst läßt es kalt. Er gähnt einmal über das andere und steht sogar auf dem Punkte, die ganze Unterhaltung abzubrechen. Dies wird Mephistopheles noch zur rechten Zeit gewahr und kommt dem armen Faust versprochenermaßen zu Hülfe. Er nimmt zu dem Ende dessen Gestalt an.. Nun sezt er das Gespräch genau da fort, wo Faust geendigt hatte; nur mit einem ganz andern und weit glänzendern Erfolge. Er raisonniert nämlich, schwadroniert und radotiert so links und rechts, so kreuz und quer, so in die Welt hinein und aus der Welt heraus, daß der Kaiser vor Erstaunen ganz außer sich geräth und die umstehenden Herren von seinem Hofe versichert, das sei ein grundgelehrter Mann, dem möchte er wohl tage- und wochenlang zuhören, ohne jemals müde zu werden. Er als Kaiser müsse bekennen, einen solchen Schatz von Gedanken, Menschenkenntnis und tiefen Erfahrungen nie in einer Person, selbst nicht bei dem weisesten von seinen Räthen, vereinigt gefunden zu haben.“1)

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Also Faust erlebt hier mit seinem ehrlichen Idealismus eine gründliche Enttäuschung. Mephisto weiß besser, wie man reden muß, um in der Welt etwas zu gelten. In etwas anderer Gestalt zeigt denselben Gedanken die Skizze, die Goethe am 20. Dezember 1816 diktierte, um bei der Schilderung der Frankfurter Zeit in Dichtung und Wahrheit“ klarzulegen, wie er sich als Jüngling die Fortsetzung des "Faust" gedacht habe. Auch hier lockt Mephisto seinen Genossen an den Hof. „Fauft wird angemeldet und gnädig aufgenommen. Die Fragen des Kaisers beziehen sich alle auf irdische Hindernisse, wie sie durch Zauberei zu beseitigen. Fausts Antworten deuten auf höhere Forderungen und höhere Mittel. Der Kaiser versteht ihn nicht, der Hofmann noch weniger. Das Gespräch verwirrt sich, stockt, und Faust, verlegen, sieht sich nach Mephistopheles um, welcher sogleich hinter ihn tritt und in seinem Namen antwortet. Nun belebt sich das Gespräch, mehrere Personen treten näher, und jedermann ist zufrieden mit dem wundervollen Gast.")

Die Ausführung der geplanten Audienzszene bereitete dem Dichter große Schwierigkeit. Faust hätte vor dem Kaiser reden müssen wie Marquis Posa vor dem König Philipp. Solche rhetorische Ergüsse entsprachen nicht der Weise des Dichters. Auf einen Versuch, der Schwierigkeit auszuweichen, deutet das Paralipomenon 68, ein Gespräch zwischen Faust und Mephisto, worin Mephisto eventuellen Bemühungen um den Kaiser einen gründlichen Mißerfolg prophezeit:

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Faust.

Auch diesmal imponirt mir nicht

Die tiefe Wuth mit der du gern zerstöhrtest,
Dein Tigerblick, dein mächtiges Gesicht.

So höre denn wenn du es niemals hörtest:
Die Menschheit hat ein fein Gehör,

Ein reines Wort erreget schöne Thaten.

Der Mensch fühlt sein Bedürfnis nur zu sehr

Und läßt sich gern im Ernste raten.

Mit dieser Aussicht trenn' ich mich von dir,
Bin bald und triumphirend wieder hier.

Mephist.:

So gehe denn mit deinen schönen Gaben!

Mich freuts wenn sich ein Thor um andre Thoren quält.

Denn Rath denkt jeglicher genug bey sich zu haben,

Geld fühlt er eher wenns ihm fehlt.“

Als Goethe diese Verse entwarf, hatte er wohl vor, Fausts entscheidendes Gespräch mit dem Kaiser hinter die Szene zu verlegen. Seine Enttäuschung konnte dann in einem späteren Dialog mit Mephisto, der durch Fausts lezte Worte schon vorbereitet wird, bequem zur Darstellung gebracht werden.')

Aber daneben beschäftigte den Tichter der Gedanke, der Schwierigkeit nicht auszuweichen, sondern Fausts für den Kaiser bestimmten Ratschlägen eine Form zu geben, die sie aus dem Gebiet der Rhetorik in das der Poesie erhebe. Erhalten ist ein sehr flüchtiger und oft unverständlicher Entwurf einer Prosaszene (Paralipomenon 65), worin Faust und Mephisto vor dem Kaiser die Geister tüchtiger Regenten erscheinen lassen. Die zitierten Gespenster äußern edle Gesinnungen, die nach einer Bemerkung des an= wesenden Bischofs an die Selbstgespräche des Mark Aurel erinnern. Faust verfährt also hier wie der Zauberer Prospero in Shakespeares Sturm (IV 1), der den für ein junges Paar bestimmten Lehren und Wünschen dadurch besonderen Nachdruck verleiht, daß er sie von seinen Geistern aussprechen läßt, die als Iris, Juno, Ceres und Nymphen auftreten. Wie Prospero kann auch Faust sagen:

„Geister, die mein Wissen

Aus ihrem Reiche rief, um ́vorzustellen
Was mir gefällt.“

Fausts so hübsch eingekleidete Weisheit verfehlt aber die gewünschte Wirkung auf des Kaisers Majestät durchaus. Der Marschall macht ihn darauf aufmerksam, daß der Kaiser während der Aufführung sachte eingeschlafen sei: „Redet nicht so laut der Kaiser schläft Ihre Majestät scheinen nicht wol". Hier ist der Einfluß der oben erwähnten Wielandschen Erzählung von dem Philosophen Danischmend besonders deutlich.

II.

Staatsrat und Mummenschanz.

Zwischen dem Kaiser der Faustdichtung und dem Kaiser der Entwürfe besteht eine unverkenn= bare Achnlichkeit. Als eine oberflächliche Natur war er für den Dichter auch bei der Vollendung des

1) Vgl. Morris, Goethestudien II 124 f.

Werks der Gegenstand einer versteckten Satire. In ihm ist ein Fürst dargestellt, der alle möglichen Eigenschaften hat sein Land zu verlieren. „Das Wohl des Reichs und seiner Unterthanen macht ihm keine Sorge; er denkt nur an sich und wie er sich von Tag zu Tag mit etwas Neuem amüsire. Das Land ist ohne Recht und Gerechtigkeit, der Richter selber mitschuldig und auf der Seite der Verbrecher, die unerhörtesten Frevel geschehen ungehindert und ungestraft. Das Heer ist ohne Sold, ohne Disciplin und streift raubend umher, um sich seinen Sold zu verschaffen und sich selber zu helfen, wie es kann. Die Staatskaffe ist ohne Geld und ohne Hoffnung weiterer Zuflüffe. Im eigenen Haushalte des Kaisers sieht es nicht besser aus: es fehlt in Küche und Keller. Der Staatsrath will Sr. Majestät über alle diese Gebrechen Vorstellungen thun und ihre Abhülfe berathen; allein der gnädigste Herr ist sehr ungeneigt, solchen unangenehmen Dingen sein hohes Ohr zu leihen; er möchte sich lieber amüsiren. Hier ist nun das wahre Element für Mephisto".) Er begünstigt die Schwächen des Kaisers in der unver= schämtesten Weise. Die Geldnot im Reiche und am Hofe zu beseitigen, welche Kleinigkeit! Liegen doch überall im Boden vergrabene Schäße, die man nur zu heben braucht Der Schalk weiß sie so anschaulich zu schildern, daß dem Kaiser und seinen Räten das Wasser im Munde zusammenläuft. Es wäre ja freilich bequemer, durch einige Zauberkreise und unsinniges Gemurmel der Not des Reiches abzuhelfen, als durch Sparen und geordnete Tätigkeit. Der Kaiser kann es gar nicht abwarten, daß das Wunder geschicht, und drängt Mephisto zu einem sofortigen Versuch:

„Nur gleich, nur gleich! Wie lange soll es währen!“

Doch läßt er sich schließlich dazu bestimmen, seine Ungeduld bis zum Ende der Fastnachtszeit zu zügeln. Am Aschermittwoch soll das große Schaßgraben beginnen. In der frohen Erwartung, daß dann alle Verlegenheit ein Ende haben soll, feiern sie nur luftiger das wilde Karneval.

In diesen Kreis, wo die Torheit herrscht, der es nicht einfällt, daß sich das Glück mit dem Verdienst verkettet, tritt Faust, erfüllt von der Gesinnung, zu der er sich in dem Eingangsmonologe des zweiten Teiles bekennt, indem er der erwachenden Erde zuruft:

,,Du regst und rührst ein kräftiges Beschließen,

Zum höchsten Dasein immerfort zu streben.“

Der Dichter schildert nicht, wie Faust von Mephisto am Hofe eingeführt wird. Die auf den Staatsrat folgende Szene „Mummenschanz" sezt die Einführung als geschehen voraus; denn Faust könnte an dem Maskenfest der Hofgesellschaft doch nicht teilnehmen, wenn er mit dem Kaiser nicht schon bekannt wäre. In der Rolle, die er bei diesem Maskenfest spielt, spiegelt sich die Auffassung, die er von seiner Aufgabe am Kaiserhofe hat. Diese indirekte Darstellung ist ein eigentümlicher Kunstgriff des Dichters, durch welchen er den widerstrebenden Gegenstand nach mancherlei Versuchen künstlerisch gestaltet hat. Fausts Beteiligung an der Maskerade erfordert deshalb sorgfältige Aufmerksamkeit.

Wie der Herold am Anfange des Maskenfestes mitteilt, hat der Kaiser bei seiner Romfahrt den Karneval kennen gelernt und läßt ihn nun von der Hofgesellschaft reproduzieren. Er hält es mit seiner kaiserlichen Würde für vereinbar, dabei selbst in der Maske des Pan mit einem sehr ausgelassenen Gefolge zu erscheinen.

Von dem festlichen Treiben der Hofgesellschaft sondern sich die Gruppen der Victoria und des Plutus durch die bei ihnen vorkommenden Zaubereien deutlich ab. Sie werden auch von dem Herold

1) Goethe zu Edermann 1. Oft. 1827.

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