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Nacht, offen Feld.

Saust, Mephistopheles, auf schwarzen Pferden daherbrausend.

Fauft.

Was weben die dort um den Rabenstein?

Mephistopheles.

Weiß nicht, was sie kochen und schaffen.

Faust.

Schweben auf, schweben ab, neigen sich, beugen sich.

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V. 4042. Der Rabenstein (s. Spr. Sal. 26, 8) ist die gemauerte Stelle des Richtplatzes (Galgens), wo die Hinrichtung erfolgt; denn der leichenfreffende Rabe ist ein Galgenvogel.

Die Raben ziehen krächzend zumal

Nach dem Hochgericht, zu halten ihr Mahl.

(Chamisso I, 202.)

V. 4044. Dünßer (I, 377) erinnert treffend an die verwandte Stelle in Bürger's Lenore:

Sieh da! Sieh da! Am Hochgericht

Tanzt' um des Rades Spindel

Halb sichtbarlich bei Mondenlicht

Ein luftiges Gesindel.

V. 4046. Parodie kirchlichen Brauchs: das Weihen vom Wasser und Rauchwerk, das Streuen von zauberischen Kräutern. Wollte man gute Geister annehmen, so würde in dem dann ernsthaft zu verstehenden „Streuen und Weihen" die Vorausverkündigung liegen, daß Gretchen, wenn auch „gerichtet", Doch gerettet" sein werde.

Kerker.

Fauft (mit einem Bund Schlüffel und einer Lampe vor einem eisernen Thürchen).

Mich faßt ein längst entwohnter Schauer,

Der Menschheit ganzer Jammer faßt mich an.

4050 Hier wohnt sie, hinter dieser feuchten Mauer,
Und ihr Verbrechen war ein guter Wahn!
Du zauderst, zu ihr zu gehen!
Du fürchtest, sie wiederzusehen!

4055

4060

Fort! Dein Zagen zögert den Tod heran.

(Er ergreift das Schloß. Es singt inwendig., Meine Mutter, die -,

Die mich umgebracht hat!

Mein Vater, der Schelm,
Der mich geffen hat!
Mein Schwesterlein klein

Hub auf die Bein'

An einem kühlen Ort;

Da ward ich ein schönes Waldvögelein;

Fliege fort, fliege fort!

V. 4051. Vergl. Thl. II, 5, V. 1009: „die nicht ahnte, daß fie fehle“. V. 4055-63. In den verschiedensten Volkssagen wird die Seele des Getödteten in Vogelgestalt gedacht. Die Strophe ist dem auch Goethen in seiner Jugend bekannten Märchen vom Machandelboom, dem besonders heiligen Wachholder, entnommen. Sie lautet bei Grimm (Kinder- und HausMärchen Nr. 47):

Mein' Mutter, die mich schlacht,

Mein Vater, der mich aß,

Mein' Schwester de Marlenichen

Sucht alle meine Benichen,

Bind't fie in ein seiden Tuch,

Legt's unter den Machandelboom.

Kywitt! Kywitt!

Wat vör'n schön Vogel bin ick!

(Vgl. R. Köhler's Abhdlg. „Die Europ. Volksmärchen“, in den Weim. Beitr. 1865, S. 184 und 185.) Noch heute in einem provençalischen Kinderliede:

Ma mayre m'a tuat,

Mon payre m'a mangat,

Ma sure Margarideta m'a pleurat.

Ri outschiou tschiou [outschiou, uccello, Vogel]

En cara soui viou [Encore je suis vivant, sono vivo].

Faust (aufschließend).

Sie ahnet nicht, daß der Geliebte lauscht,

4065 Die Ketten klirren hört, das Stroh, das rauscht. (Er tritt ein.)

Margarete (sich auf dem Lager verbergend).
Weh! Weh! Sie kommen. Bittrer Tod!

Faust (leise).

Still! Still! Ich komme, dich zu befreien.

Margarete (sich vor ihn hinwälzend).

Bist du ein Mensch, so fühle meine Noth!

Faust.

Du wirst die Wächter aus dem Schlafe schreien!
(Er faßt die Ketten, sie aufzuschließen.)

Margarete (auf den Knieen).

4070 Wer hat dir Henker diese Macht

Ueber mich gegeben!

Du holst mich schon um Mitternacht.
Erbarme dich und laß mich leben!
Ist's morgen früh nicht zeitig genung?

(Sie steht auf.)

4075 Bin ich doch noch so jung, so jung!

Und soll schon sterben!

Schön war ich auch, und das war mein Verderben.

Nah war der Freund, nun ist er weit;

Zerrissen liegt der Kranz, die Blumen zerstreut.

4080 Fasse mich nicht so gewaltsam an!

Schone mich! Was hab' ich dir gethan?

Laß mich nicht vergebens flehen,

Hab' ich dich doch mein' Tage nicht gesehen!

Faust.

Werd' ich den Jammer überstehen!

Margarete.

4085 Ich bin nun ganz in deiner Macht.
Laß mich nur erst das Kind noch tränken.
Ich herzt es diese ganze Nacht;
Sie nahmen mir's, um mich zu kränken,
Und sagen nun, ich hätt' es umgebracht.
4090 Und niemals werd' ich wieder froh.

Sie fingen Lieder auf mich! Es ist bös von den Leuten!
Ein altes Märchen endigt so,

Wer heißt fie's deuten?

Faust (wirft sich nieder).

Ein Liebender liegt dir zu Füßen,

4095 Die Jammerknechtschaft aufzuschließen.

Margarete (wirft sich zu ibm,

laß uns knien, die Heil'gen anzurufen!

Sieh! Unter diesen Stufen,

Unter der Schwelle

Siedet die Hölle!

4100 Der Böse,

Mit furchtbarem Grimme,

Macht ein Getöse!

Gretchen! Gretchen!

Faust (laut).

Margarete (aufmerksam).

Das war des Freundes Stimme!

(Sie springt auf; die Ketten fallen ab.)

4105 Wo ist er? Ich hab' ihn rufen hören.

Ich bin frei! Mir soll Niemand wehren.
An seinen Hals will ich fliegen,

An seinem Busen liegen!

Er rief Gretchen! Er stand auf der Schweile. 4110 Mitten durchs Heulen und Klappen der Hölle, Durch den grimmigen, teuflischen Hohn Erkannt' ich den süßen, den liebenden Ton.

V. 4091-3. Nimmt man an, die Wärter haben alte Märchen gesungen, so würden das andere gewesen sein als das Lied und Märchen vom Machandel boom. Gretchen würde das für sie so sehr verletzende Lied sicher den Leuten nicht nachgesungen und dieses nicht die böse Stiefmutter, sondern das verführte und zur Kindsmörderin gewordne Mädchen, einen im Volksliede und im vorigen Jahrhunderte von Schiller, Bürger, Maler Müller u. A. so vielfach behandelten Stoff, betroffen haben. Ansprechender ist Mosen's aus dem Charakter der ganzen Kerkerscene geschöpfte Vorstellung, daß die Wächter wir wissen nur von einem Thürmer —, ein Gretchen rerhöhnendes Lied überhaupt nicht gesungen, daß ihr vielmehr ihr eigenes Lied als von Andern gesungen und die von ihrem eignen Schuldbewußtsein eingegebne Beziehung der That der Stiefmutter auf ihre That als von Andern herrührend erscheine, daß sie auch hier Objektives und Subjektives vermische.

Ich bin's!

Faust.

Margarete.

Du bist's! O sag es noch einmal!

(Ihn faffend.)

Er ist's! Er ist's! Wohin ist alle Qual? 4115 Wohin die Angst des Kerkers? Der Ketten? Du bist's! Kommst, mich zu retten!

Ich bin gerettet! Schon ist die Straße wieder da,
Auf der ich dich zum ersten Male sah,

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Wie? Du kannst nicht mehr küssen?

Mein Freund, so kurz von mir entfernt,
Und hast's Küssen verlernt?

Warum wird mir an deinem Halse so bang,

4130 Wenn sonst von deinen Worten, deinen Blicken
Ein ganzer Himmel mich überdrang

Und du mich küßtest, als wolltest du mich ersticke::?
Küsse mich!

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