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Von allem Wissensqualm entladen

In deinem Thau gesund mich baden!

Weh! Steck' ich in dem Kerker noch?
Verfluchtes dumpfes Mauerloch,
Wo selbst das liebe Himmelslicht
Trüb durch gemalte Scheiben bricht!
Beschränkt von diesem Bücherhauf,
50 Den Würme nagen, Staub bedeckt,
Den bis ans hohe Gewölb' hinauf
Ein angeraucht Papier umsteckt;
Mit Gläsern, Büchsen rings umstellt,
Mit Instrumenten vollgepfropft,
55 Urväter Hausrath drein gestopft

Das ist deine Welt! Das heißt eine Welt!

Und fragst du noch, warum dein Herz
Sich bang in deinem Busen klemmt,
Warum ein unerklärter Schmerz
60 Dir alle Lebensregung hemmt?
Statt der lebendigen Natur,

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Da Gott die Menschen schuf hinein,
Umgiebt in Rauch und Moder nur
Dich Thiergeripp und Todtenbein.

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V. 52. Es sind die geschriebenen, papiernen und pergamentnen Rollen aus der Zeit vor der Anwendung des Drucks gemeint; vergl. V. 325: „Du alte Rolle, du wirst angeraucht“, und V. 755: „entrolist du gar ein würdig Pergamen".

V. 66fg. Nostradamus, Michel de Notre-Dame (1503–1566), wie Paracelsus einer der berühmtesten Astrologen und Aerzte des 16. Jahrhunderts, Zeitgenosse des historischen Fanst. Da einige seiner Prophezeiungen eintrafen, kam er in den Ruf eines Zauberers und Geisterbeschwörers. Noch heute werden Handschriften von ihm in Frankreich aufbewahrt. Es wird angenommen, Faust besitze ein dem Nostradamus zugeschriebenes Beschwörungsbuch handschriftlich.

Ist dir es nicht Geleit genug?
Erkennest dann der Sterne Lauf,
70 Und wenn Natur dich unterweist,
Dann geht die Seelenkraft dir auf,
Wie spricht ein Geist zum andern Geist.
Umsonst, daß trocknes Sinnen hier
Die heil'gen Zeichen dir erklärt:
75 Ihr schwebt, ihr Geister, neben mir,
Antwortet mir, wenn ihr mich hört!

(Er schlägt das Buch auf und erblickt das Zeichen des Makrokosmus.)

Ha! Welche Wonne fließt in diesem Blick

Auf einmal mir durch alle meine Sinnen!,
Ich fühle junges, heil'ges Lebensglück

80 Neuglühend mir durch Nerv'- und Adern rinnen.
War es ein Gott, der diese Zeichen schrieb,

Die mir das innre Toben stillen,

Das arme Herz mit Freude füllen

Und mit geheimnißvollem Trieb

85 Die Kräfte der Natur rings um mich her enthüllen? Bin ich ein Gott? Mir wird so licht!

Ich schau' in diesen reinen Zügen

Die wirkende Natur vor meiner Seele liegen.
Jezt erst erkenn' ich, was der Weise spricht:

90 Die Geisterwelt ist nicht verschlossen;
Dein Sinn ist zu, dein Herz ist todt!
Auf, bade, Schüler, unverdrossen
Die ird'sche Brust im Morgenroth!"

(Er beschaut das Zeichen.)

V. 77. Nach der Lehre des Mittelalters steht dem Mikrokosmus (unten V. 1448), dem Menschen, der kleinen Welt, die Himmel und Erde in fich begreifende Natur als Makrokosmus, große Welt, gegenüber: zwei in sich abgeschlossene, aber mit einander sympathisirende, sich gegenseitig beeinflussende und nach dem gleichen Grundgesetz dreitheilig konstruirte Welten (Lessing's Paracelsus 1839, S. 91, 100, 105). Das Zeichen des Makrokosmus konnte Faust bei Nostradamus finden, da Dieser in den Sternen vermittelst des Punktirens die irdischen Schicksale der Menschen las und danach die Zukunft

deutete.

V. 89-93. Der Weise ist unbestimmte Bezeichnung; es hätte auch gesagt werden können: was der Magier spricht, was die Magie lehrt, wie

Wie Alles sich zum Ganzen webt!

95 Eins in dem Andern wirkt und lebt!

Wie Himmelskräfte auf und nieder steigen
Und sich die goldnen Eimer reichen!
Mit segenduftenden Schwingen
Vom Himmel durch die Erde dringen,
100 Harmonisch all' das All durchklingen!

Welch Schauspiel! Aber ach, ein Schauspiel nur!

"

V. 1574: „Der Philosoph, der tritt herein“. Die Anführungszeichen sollen die Rede eines Andern in Faust's Monolog, nicht ein eigentliches Allegat bezeichnen. Wollte man aber in dem Weisen eine bestimmte Persönlichkeit erblicken, so könnte mit Dünger nur der eben genannte Nostradamus angenommen werden. Dann jedoch nicht so, daß Goethe einen Ausspruch desselben wiedergäbe, sondern nur so, daß er die allgemeinste Lehre und die Grundlage aller Magie, daß es nämlich möglich sei, in die Geisterwelt einzudringen, frei an Jenes Namen knüpfte. Das Baden im Morgenroth ist höchster Ausdruck für: Studium der Magie. Morgenroth hieß ein bestimmtes magisches Experiment. Goethe konnte davon in Widman's Faust (Th. I, Kap. 1) gelesen haben: Zur Uebung brauchte er auch an hohen Festtagen, wann die Sonne zu morgens früh auf ging, das crepusculum matutinum [Morgenroth] und andre mehr Zauberstücke“. Das Experiment sollte zum Stein der Weisen (dem philosophischen Stein) führen. Denn Welling lehrte Unsere Materie liegt der ganzen Welt vor Augen, alle Menschen leben in dem philosophischen Meer", und mit Hinweisung auf Fabri secreta secretorum pag. 5: „Dasjenige Wesen, welches die Weisen den nicht gemeinen Vitr. nennen, wird bei Aufgang der Sonne in größester Menge ausgebreitet und sehr häufig durch die ganze Welt zerstreuet angetroffen" (Opus mago-cabb. S. 561). Diese Lehre steht im Zusammenhange mit der kabbalistischen Kosmogonie, wonach der Makrokosmus drei Welten umfaßt; zwischen der Welt um Gott und der Welt der zwölf Kreise der himmlischen Heerschaaren (bei Welling S. 97 in besondrer Figur dargestellt) liegt die Welt Lucifer's, des Sohns der Morgenröthe, so genannt als der herrlichste der Geister, d. h. als das herrlichste Produkt des aus Gott strömenden Salzes. Dies Salz wird einem lieblich leuchtenden Lichte verglichen und Morgenröthe genannt (Welling S. 36): Gold, Schamajim in kabbalistischer Sprache, der Stein der Weisen. Die Scholastik und Theosophie verband alle höhere Erkenntniß, alles Schauen, mit dem Morgenroth; Thomas von Aquino, aus der Kabbala schöpfend und noch auf Schelling wirkend, nennt alle Erkenntniß a priore morgendlich, cognitio matutina, später Jakob Böhme sein Hauptwerk Morgenröthe im Aufgang", Erasmus Francisci sein Lehrbuch Gegenstrahl der Morgenröthe" und ähnlich Andre.

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Wo fass' ich dich, unendliche Natur?

Euch, Brüste, wo? Ihr Quellen alles Lebens,
An denen Himmel und Erde hängt,

105 Dahin die welke Brust sich drängt

Ihr quellt, ihr tränkt, und schmacht' ich so vergebens?

(Er schlägt unwillig das Buch um und erblickt das Zeichen des Erdgeistes.)

Wie anders wirkt dies Zeichen auf mich ein!

Du, Geist der Erde, bist mir näher;

Schon fühl ich meine Kräfte höher,

110 Schon glüh' ich wie von neuem Wein.

Ich fühle Muth, mich in die Welt zu wagen,
Der Erde Weh, der Erde Glück zu tragen,
Mit Stürmen mich herumzuschlagen

Und in des Schiffbruchs Knirschen nicht zu zagen.

115 Es wölkt sich über mir

Der Mond verbirgt sein Licht

Die Lampe schwindet!

Es dampft! Es zucken rothe Strahlen

Mir um das Haupt Es weht

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120 Ein Schauer vom Gewölb' herab

Und faßt mich an!

Ich fühl's, du schwebst um mich, erflehter Geist!
Enthülle dich!

Ha, wie's in meinem Herzen reißt!

125 zu neuen Gefühlen

All' meine Sinnen sich erwühlen!

Ich fühle ganz mein Herz dir hingegeben!

Du mußt, du mußt, und kostet' es mein Leben!

(Er faßt das Buch und spricht das Zeichen des Geistes geheimnisvoll aus. Es zuckt eine röthliche Flamme, der Geist erscheint in der Flamme.)

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Geist.

Du flehst erathmend mich zu schauen,
Meine Stimme zu hören, mein Antlig zu sehn;
135 Mich neigt dein mächtig Seelenflehn:

Da bin ich! Welch erbärmlich Grauen
Faßt Uebermenschen dich! Wo ist der Seele Ruf?
Wo ist die Brust, die eine Welt in sich erschuf
Und trug und hegte? Die mit Freudebeben
140 Erschwoll, sich uns, den Geistern, gleich zu heben?
Wo bist du, Faust, deß Stimme mir erklang,
Der sich an mich mit allen Kräften drang?
Bist du es, der, von meinem Hauch umwittert,
In allen Lebenstiefen zittert,

145 Ein furchtsam weggekrümmter Wurm!

Faust.

Soll ich dir, Flammenbildung, weichen?
Ich bin's, bin Faust, bin deines Gleichen!

Geist.

In Lebensfluthen, im Thatensturm

Wall' ich auf und ab,

150 Wehe hin und her!

Geburt und Grab,
Ein ewiges Meer,
Ein wechselnd Weben,

Ein glühend Leben,

155 So schaff' ich am sausenden Webstuhl der Zeit

Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.

Faust.

Der du die weite Welt umschweifft,

Geschäftiger Geist, wie nah fühl ich mich dir!

Geist.

Du gleichst dem Geist, den du begreifft,

160 Nicht mir! (Verschwindet.)

V. 156. Kleid Gottes bildlich, Jesaias 51, 6; Licht ist dein Kleid, das du [Jehovah] anhast, Psalm 104, 2. Goethe in „Grenzen der Menschheit": Küß ich den letzten Saum seines Kleides.

V. 159-64. Schiller (Würde der Frauen):

Seiner Menschlichkeit vergessen,

Wagt des Mannes eitler Wahn,

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