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vester keine Schwestern, und meine Eltern hätten in Stellung, Lebensführung und Familie nichts von den Eltern des Herrn von Geyer an sich. Man hat mir glauben müssen, aber ich weiß, daß vielen die Sache doch etwas rätselhaft erschien.

Nun ist es ja für den Verfasser eines Romans sehr schmeichelhaft, wenn man die Arbeit für so naturgetreu hält, daß man sich einbildet, alles das müßte notwendigerweise der Verfasser selbst erlebt haben. Aber es ist der alte Irrtum, der jenem Bauer widerfuhr, der nach der Vorstellung der „Räuber“ am Bühnenausgang lauerte, um dem Darsteller des Franz Moor eine tüchtige Tracht Prügel zu versehen, weil er ihn für einen so niederträchtigen Kerl hielt.

Wenn ich einen Mord schildere, so bin ich deswegen noch nicht zum Mörder geworden, und der beste Beweis, daß hier kein Zusammenhang vorliegt, dürfte, um zu meinem Thema zurückzukehren, der sein, daß am Schluß des Romanes Sylvester von Geyer, der arme junge Offizier, stirbt und zwar mit (glaube ich) 24 Jahren, während ich selbst dieses traurige Ereignis um 15 Jahre überlebt habe.

Also die Möglichkeit, ich selbst sei der arme Sylvester, ist schon deshalb ausgeschlossen. Da gegen wäre es denkbar, daß ich einen Freund, einen Bekannten gehabt hätte, den ich im Sylvester porträtiert haben könnte.

Auch dieses entspricht nicht der Wirklichkeit, und ich möchte gern einmal schildern, wie ich überhaupt dazu gekommen bin, jenen Roman zu schreiben.

Ich betrachte das als kleinen Beitrag, um die Legende des Modells und Porträtiertwerdens zu zerstören, unter der viele von uns, die die Feder führen, zu leiden haben.

Ich hatte während meiner Dienstzeit, die in einem bevorzugten Kavallerieregimente von statten ging, oft Gelegenheit, mit Infanterieoffizieren zusammenzukommen.

Wir standen mit keinem Infanterieregimente in einer Garnison. Es war uns sogar nicht einmal eines benachbart, aber ich sah Kameraden von der anderen Waffe oft, ich lag mit ihnen im Biwak zusammen, ich traf sie beim Manöver, ich hatte Verwandte, alte Schul- und Kadettenkorpskameraden, die Infanterieoffiziere waren.

Nun bin ich in einer gewissen Zeit meines Lebens eine leichtsinnige Fliege gewesen.

Nebenbei gesagt, finde ich es furchtbar töricht, so etwas in späteren Jahren, wenn man einiger maßen zur Vernunft gekommen ist, zu leugnen und den Ölgößen, die Pagode, den Philister, den Sittenrichter und den Heiligen zu spielen.

Ich weiß ganz genau, was ich für Dumm heiten gemacht habe und vielleicht noch macheaber ich sehe wirklich gar keinen Grund, mich weiß zu brennen. Eine Tugend, die nicht angegriffen wurde, ist überhaupt keine. Und wenn man z. B. davon hört, wie mir vor kurzem erzählt wurde, daß ein überaus leichtsinniger junger Mann plöglich ins Kloster geht, so sehe ich darin gar nichts Lächerliches, sondern nur eine Reaktion, ein zur Erkenntnis Kommen, eine Abwendung von der Welt, auf die der allerdings nie zu kommen

pflegt, der als ehrpußlicher Pflastertreter keinen Seitensprung machte.

Also in dieser Zeit, wo ich fünf gerade sein ließ und nicht die geringste Anlage zum Vermögensverwalter zeigte, wo wir alle jung und lustig waren und von unserem Tier auf das Gehudel unter uns herabschauten, da begegneten mir oft ernste Naturen, stille Menschen, abseits vom großen Getriebe, die nichts mitmachten, weil sie es nicht konnten. Der nervus rerum fehlte.

Die haben mir damals Eindruck gemacht, und wenn ich sah, wie sie einen Zehnpfenniger umdrehten, während wir das mit weitaus größeren Münzsorten nicht taten, so ward ich nachdenklich. Manchmal kam wohl im Kameradenkreise das Gespräch darauf, und ich glaube sagen zu können, daß alle für diese Entbehrungsmänner eine gewisse Hochachtung hegten.

Dann sagte wohl irgend ein leichter Vogel: „Ich würde das nicht können."

Mir sind allerdings auch Leute begegnet, die für den ärmeren Kameraden von der hohen Nummer eine gewisse milde Herablassung hatten. Es waren dies aber, wie ich zu unserer aller Ehre gestehen muß, seltene Ausnahmen.

Ob diese Menschen, wenn sie mit nichts in der Tasche auf das Pflaster gefeßt worden wären, nicht womöglich Hungers gestorben wäre, will ich nicht behaupten. Man macht die Erfahrung, daß nur derjenige keine Achtung vor dem Gelde hat, der nicht weiß, wie schwer es unter gewissen Umständen sein kann, auch nur eine Mark zu verdienen.

Dann sah ich verschiedentlich, wie Offiziere, die ersten Regimentern angehört hatten, eines Tages wegen Kränklichkeit, auch wegen Nichteignung zu einem höheren Posten, gezwungen waren, den Abschied zu nehmen.

Ich sah, wie diese Menschen, die in einem gewissen Bannkreis groß geworden waren und dadurch im Erwerbsleben gar keine Erfahrungen der Notwendigkeit befanden, auf irgend eine Weise hatten, sich plößlich staunend und erschrocken vor Geld zu schaffen.

Bei einem machte ich die Erfahrung, daß ihn ein gewisser törichter Dünkel abhielt, nach einer Stellung, die sich ihm geboten hätte, zu greifen.

Ich erfuhr, wie jemand in seinem neuen Zivilberuf sich rohen, rüpelhaften Proßen gegen übersah, Menschen, die nur das Geschäft als Richtschnur kannten und die jener wirklichen Vornehmheit entbehrten, die nach oben den Rücken steift und nach unten die Hand freundlich sich ausstrecken läßt.

Ich erlebte, wie ein ehemaliger Offizier ganz grundlos von einem solchen Mann ohne Zartgefühl und ohne Manier schlecht behandelt wurde und wie er dann, an den difficilen Ehrenpunkt des Offizierstandes gewöhnt, mit ihrem Brotgeber aneinander geriet.

Mir begegnete ein untätiger Mann, ein guter, braver Mensch, der aber so, wie er als höherer Offizier unfähig gewesen wäre, sich auch unfähig fand, nach seiner Verabschiedung irgend einen Beruf zu ergreifen.

Ich wurde als Fähnrich nach Engers auf Kriegsschule geschickt und lernte dort zum ersten mal den Rhein kennen. Ich traf wiederum und dieses Mal in engerer Berührung mit Kameraden zusammen, die es bitter schwer hatten, sich durchzubringen.

Ein Fähnrich der Infanterie ist mir besonders im Gedächtnis geblieben; er ist längst tot, und ich kann darüber sprechen. Dieser Arme hungerte, ja er hungerte buchstäblich, denn er nahm außer den üblichen Mahlzeiten, die auf der Kriegsschule gemeinsam eingenommen wurden, fast nichts zu sich. Es war ein sehr ernster, sehr stiller, fast verschlossener Mensch, mit dem ich einmal, wie so der Zufall es im Leben gibt, in timer sprach, obgleich ich vorher, ich weiß nicht mehr warum, geradezu eine gewisse Abneigung gegen ihn gehabt hatte.

Und dieser Mensch, der nicht immer zu Abend essen konnte, der Sonntags nicht ausging, um sich teine Ausgaben zu verursachen, zeigte sich von so herzlich aufrichtiger Heiterkeit, von solcher Zufriedenheit mit seinem Schicksal, daß ich mich fast schämte, auch nur ein Glas Bier zu trinken.

Ein anderer, wohlsituierter Kamerad suchte ihn auf zarteste Art und Weise einmal zu helfen, und als er Geburtstag hatte und von zu Hause eine Sendung mit allerlei Näscherei bekam, lud er ihn ein, zuzugreifen.

Er tat es ohne Zieren, aber ein paar Tage darauf hatte auch er eine kleine, sehr bescheidene Sendung Aachener Printen erhalten, und jener andere bekam sein Teil ab. Als er den Armen nicht berauben wollte, war der so verleßt, daß er schnell zugriff und sich von dem bedürftigen Kameraden beschenken ließ.

Ich weiß aber, daß jener stille, arme Mensch nicht etwa Geburtstag hatte. Diese zufällige Sendung Aachener Printen, war bestellte Arbeit, und wer kann sagen, durch welche Entbehrungen das Loch in der Kasse zugestopft worden ist.

Die Jahre vergingen, und ich bezog die Kriegsakademie in Berlin. Da geschah mir et was, das unauslöschlich in meinem Gedächtnis geblieben ist.

Im gleichen Hörsaal wie ich saß ein Infanterieoffizier, auf den ich nie geachtet hatte. Wir gingen verschiedene Wege, auch von der Kriegsakademie aus nach Haus, denn er wohnte in einem ganz anderen Stadtteil Berlins als ich.

Am Anfang, bei der allgemeinen Vorstellerei der vielen kommandierten Offiziere, die da zusammenkamen, hatten wir gegenseitig wohl unsere Namen genannt, aber damit waren unsere Beziehungen zueinander erschöpft. Wir saßen auch im Hörsaal weit voneinander entfernt. Zum Frühstüc ging er niemals hinunter, kurz, wir liefen so nebeneinander her und haben uns ein ganzes Jahr lang nicht gesprochen.

Wir waren ja so viele!

Da kam ich eines Tages bei irgend einer Gelegenheit, ich wüßte nicht mehr zu sagen wie, mit ihm zusammen, und seine Art gefiel mir. Er hatte etwas Sicheres, überaus Ruhiges, Vernünftiges; er galt allgemein als einer der Kameraden, denen bei der großen Auslese, die unter

uns nach drei Jahren getroffen werden sollte, der Generalstab sicher war.

Ich weiß jezt nicht, ob ich mich nicht vielleicht aus einem egoistischen Grunde ihm näherte, ob ich z. B. etwas von ihm wissen wollte. Unsere Annäherung an Menschen geschieht doch gestehen wir es nun ein oder nicht so ungeheuer oft aus selbstsüchtigen Motiven. Sei es nun, daß wir uns langweilen, sei es, daß ein anderer uns nüßlich sein soll, sei es, daß wir glauben, daß einer den gleichen Strang zieht wie wir, oder, bei ach so vielen Menschen, daß wir uns einbilden, der andere spiele eine gewisse Rolle, und diesen gesuchten, bedeutenden oder gerade in der Mode befindlichen Menschen wäre es gut, auch zu kennen.

Genug, wir unterhielten uns sehr gut, und ich sprach seitdem öfters mit ihm. Und jedesmal gewann er in meinen Augen. Er war immer gut angezogen, er hatte etwas, auch für den Offizier außergewöhn lich Gepflegtes, so daß man nicht auf die Vermutung gekommen wäre, daß es ihm pekuniär nicht gut ging. Aber eins fiel mir auf: Eine Anzahl Bücher, die die meisten von uns besaßen, hatte er sorgfältig in Papier eingeschlagen, und es stellte sich heraus, daß er sie aus dieser oder jener Bibliothek entlichen hatte.

Einmal hatten wir von der Dorotheenstraße aus denselben Weg. Wir gingen durch den Tiersehr heiß oder fing es an zu regnen, kurz, ich garten. Ich erinnere mich nicht mehr, war es schlug vor, die Pferdebahn zu benußen.

ich darauf bestand, sagte er: „Ich fahre niemals Er wollte lieber gehen und schließlich, als Pferdebahn. Das ist mir zu teuer."

Nun wurde ich aufmerksam, und ich erfuhr durch andere, daß er weit draußen in einem Vorort wohnte und den Weg stets zu Fuß zurücklegte. Man erzählte mir, von seinem Gehalt, der bei diesem Berliner Kommando durch Zulagen aufgebessert war, schicke er einen beträchtlichen Teil seiner Mutter, einer Offizierswitwe.

Und noch etwas geschah. Es war eine neue Verschärfung des Verbotes gekommen, Zivil zu tragen. Jeder von uns machte darüber seine Bemerkungen; ein paar junge Sausewinde regten sich entseßlich auf, ein paar ältere oder vernünftigere fanden es außerordentlich gerechtfertigt, und dieser Kamerad, von dem ich erzähle, der nach seiner sonstigen Art entschieden dafür hätte sein müssen, schien über diese verschärfte Bestimmung geradezu traurig.

Ich begriff ihn nicht, denn ich sah darin eine Inkonsequenz, aber da sezte er mir etwas auseinander, das mich traf wie ein Schlag. Er sagte ganz offen, daß für ihn diese Bestimmung sehr peinlich sei, denn sie hindere ihn daran, seine bisherige Lebensweise fortzusehen. Und er erzählte mir, daß er bisher immer zu Haus Zivil angezogen hätte und in ganz kleine Restaurants essen gegangen sei, anständige Lokale, aber die er sich doch hätte scheuen müssen, in Uniform zu besuchen. Und es kam dabei heraus, daß ihm sein Mittagsessen in diesen Restaurants, soviel ich mich erinnere, auf 50 Pfennige zu stehen gekommen ist.

Ich war vollkommen starr; so etwas hatte ich nicht für möglich gehalten, und ich weiß, daß mir

das einen sehr tiefen Eindruck machte. Einen Eindruck, der mir später das Bild dieses damaligen Kameraden vollkommen verschoben hat und zwar dermaßen, daß er in meiner Phantasie ein Mensch geworden ist, zu dem ich die verschiedensten Wesenszüge gethan hatte, und der dann mit dem, was er in Wirklichkeit war, nicht die geringste Ähnlichkeit mehr besaß.

Das Merkwürdige ist, daß ich heute tatsäch lich nicht mehr weiß, wie er aussah, nicht mehr weiß, wie er hieß, sondern ein vollständiges Phantasiebild vor mir steht, das in vielem, sehr vielem durchaus des späteren Sylvester von Geyer Züge trägt.

Als ich den Abschied genommen hatte und Gelegenheit fand, in eine Menge anderer Lebensverhältnisse hineinzublicken, so wie es ein Offizier nicht kann oder nicht tut, stellte ich Vergleiche an. Ich erfuhr, was ein Verkäufer im Laden, der mit einem Generalstabsoffizier an Anlagekapital der Erziehung, an Wissen, sich auch nicht im entferntesten vergleichen kann, oft für einen Gehalt bezieht. Ich machte die Erfahrung, daß in unserer sozialen Zeit, wo man sich bald um die Altersversorgung der Insekten kümmern wird, in unserer Zeit, wo das Gewissen der Geldmenschen aufgewacht ist, oder wenigstens daran gerüttelt wird, oft riesige Gehälter gezahlt werden an Leute, deren Tätigkeit in gar keinem Verhältnis steht zu dem, was an Leistung, Lebensmark, an Verbrauch von Nerven, Energie 2c. den meisten heutzutage abgefordert wird, die des Königs Rock tragen.

Und ich hatte das Gefühl, als müßte wirk lich einmal darauf aufmerksam gemacht werden, wie das Schicksal eines solchen armen braven Jn fanterieoffiziers sich abspielt.

Das konnte ja in der verschiedensten Weise geschehen: durch Wühlereien, in soziologischer Studie, im Pamphlet, durch Brandschriften, oder indem man irgend ein Mitglied des Reichstags dafür interessierte.

Nun jeder macht eben das nach seiner Begabung. Für mich war allein der Weg offen, ein solches Menschenschicksal im Romane darzustellen.

Ich wollte dies in möglichster Einfachheit tun, wollte jede Tendenz vermeiden, und ich habe mir lange den Kopf darüber zersonnen, wie das geschehen könnte.

Es galt vor allen Dingen, einen Hintergrund zu finden, wo die Geschichte sich abspielte. Da kam mir der Gedanke, den Ort zu wählen, an dem ich einen Teil meiner Schuljahre verbracht habe: Dresden.

Endlich mußte ich für meinen Sylvester eine Garnison haben. Um jede mögliche Anspielung zu vermeiden, wählte ich eine Stadt innerhalb Sachsens, in der sich gar keine Garnison befand. Denn das Jägerbataillon, das früher dort gelegen hatte, stand in Meißen nicht mehr.

Meißen besaß noch den Vorteil, daß ich diesen Ort genauer kannte, als manchen anderen. Einmal war er von meiner früheren Garnison nicht sehr weit entfernt, und ich war während meiner Husarenjahre oft hinüber gefahren. Und dann lag dort auf dem Sparberge die Besißung

einer Tante, wo ich oft in den Ferien gewesen bin, wo ich zur Weinlese den Duft der Kelter eingeatmet habe, oft, so oft das alte Schloß vor mir sah und in der Porzellanfabrik die Entstehung des Zwiebelmusters beobachtete. Ich war infolgedessen imstande, den Sylvester dort leben zu lassen, als ob ich selbst dort gelebt hätte.

Es machte mir bald Spaß, meinen Plan auszubauen. Ich gründete eine große Infanteriekaserne, legte einen Exerzierplaz an, und die Beziehung zwischen Engers am Rhein, wohin Sylvester natürlich auch auf Kriegsschule ging, dieses Engers, das nicht weit von Köln lag, zu jenem winzigen Cölln a/E. war bald gefunden.

Am Schluß meines Buches stirbt der arme Sylvester nach jenem Wort, das Friedrich Hebbel auf dem Totenbette sprach, daß, wenn man den Becher hat, einem der Wein fehlt, und hat man den Wein, so mangelt der Becher.

Ich habe mir überlegt, sollte ich Sylvester am Leben lassen oder nicht.

Der Dichter hat ja das Majestätsrecht der

Begnadigung. Es wäre gewiß für viele Leser der versöhnliche Schluß gewesen: Friede, Freude, Einigkeit, sie kriegen sich, und nun ist alles gut.

Aber bei dem Lebensschicksal, das ich begonnen hatte zu zeichnen, wäre nicht alles gut gewesen.

Wir sind alle Produkte unseres Blutes, und auf das Blut, das Herkommen dieses Geyers, wollte ich einen besonderen Wert legen. Dieses Blut spricht mit beim deutschen Adel. Wer es nicht glauben will, soll nur die Züchter fragen; die Rasse ist kein leerer Wahn. Wer jahrelang mit Pferden zu tun gehabt hat, kann gar nicht anders denken. Es gibt Zuchtprinzipien.

Sie zeigen uns Vorteile und Nachteile. Ein junges Geschlecht, das herauskommt, das bisher unten gewesen ist, das mehr oder weniger wahllos sich vermischt hat, muß notwendigerweise roher, ungeschliffener sein, muß noch Masseninstinkte in sich tragen. Blut ist wirklich dicker als Wasser. Bauernblut bleibt Bauernblut. Aber es bringt Vorteile mit sich, es ist widerstandsfähiger, es ist weniger nervös, es ist nicht degeneriert, es ist nicht durch Inzucht verdorben.

Und die Folgen der Inzucht spielen in Sylvester von Geyer mit. Dieses Geschlecht ist nun einmal so und wird auch so bleiben. Hätte ich Sylvester am Leben gelassen, so hätte ich auch zeigen müssen, wie der Ahn sich in ihm regt.

Er wäre möglicherweise wie der Vater verabschiedet worden, wer weiß, er hätte Kinder in die Welt gesezt, denen es ebenso ergangen wäre, wie ihm. Warum sollte ihn nicht Krankheit seinem Berufe entrissen haben? Und ob er dann glücklich geworden, gerade er, der versprach, ein tüchtiger Offizier zu sein, das scheint immer noch die Frage.

Dann überlegte ich: Ist es wirklich unbedingt ein Glück, sein Dasein zu Ende zu führen? Sind wir Menschen nicht auf der Erde wie ein Bienenvolk, ein Ameisenstaat? Wir dienen doch alle einem Ganzen, auf das einzelne Schicksal kommt es nicht an. Erleben wir es nicht täglich, daß einer aus seiner Laufbahn herausgerissen wird? Müssen sämtliche Keime Bäume

werden? In der Auslese, im Kampf ums Dasein, gehen Millionen zu Grunde.

Endlich: hätte ich nicht des armen Syl vester Leben weiterführen müssen, in demselben Stil, in derselben Art? Und hätte das nicht bis zu seinem Tode noch zwanzigtausend Bände gegeben? Also eine rein technische Frage.

Ich wollte auch den Sylvester nicht einem unbestimmten Schicksal überlassen, mußte ihn bis zu Ende verfolgen, und als er auf seinem kleinen eisernen Feldbett gestorben war, habe ich über ihn, den ich selbst gerichtet, geheult wie ein Schloßhund.

Aber nun das Wichtigste: Des Sylvester' Leben war ein bescheidenes Dasein. Es ist der Harmonie wegen auf einen Ton gestimmt. Seine ganze Existenz war ein Becherfehlen. Warum sollte der Becher im legten Augenblick vom Himmel fallen? Ich habe die Schlußfolgerung gezogen, und ich glaube, sie paßt zu der ganzen Figur. Ich wenigstens könnte es mir nicht anders denken. Das Leben ist eben, wie ich den Arzt am Ende sagen lasse, kein Lustspiel. Und wenn beschauliche Naturen, die nur ja aus ihrer Ruhe nicht herausgerissen sein wollen, sich einmal ernst lich überlegen, wie scheinbar ungerecht, wie graujam in ihrer Umgebung das Dasein sich oft abgespielt hat, so glaube ich, werden sie dem recht geben müssen, der die törichten Spiele des Zufalls, die uns treffen, kränken und beleidigen, als ein Geseß betrachtet, dem wir Menschen unterworfen sind in dieser unvollkommensten aller Welten.

Was nun die anderen Personen des Romanes betrifft, so sind auch sie keine Modelle, sondern tausend Eindrücke, die das Leben geprägt, wurden zusammengetragen, um diese oder jene Figur auf die Beine zu stellen.

Daß man dabei nur die Züge benußt, die für die betreffende Gestalt passen, ist ja selbst verständlich, und die Schwierigkeit, die Kunst, oder wie man es nennen will, liegt eben gerade in der Auslese. Möglich ist alles, geschehen ist auch alles schon, aber wir müssen den Anschein erregen, als könnte in diesem Augenblick eben nichts anderes geschehen, als was wir geschehen lassen.

Die ganze Tätigkeit des Schriftstellers beruht darin, aus Millionen Vorkommnissen und Erfahrungen auszuwählen, und wenn er seiner Phantasie die Zügel schießen läßt, sie so zu leiten, daß fie in den Grenzen bleibt, die wir für möglich, wahrscheinlich, richtig halten.

Man sündigt dagegen, ich glaube es aus eigener Erfahrung genügend zu wissen, aber das find eben die Grenzen, die unserer Begabung gejezt sind.

Und hierbei komme ich zu den weiteren Schick salen des Buches, die erst anhuben, als der Schlußpunkt gesezt war.

Ich glaubte, daß dieser Roman nicht viel schlechter wäre als so manches, was in Zeitschriften gedruckt wird; aber es ist mir nicht gelungen, für den Abdruck irgend ein Blatt zu erwärmen. Das lag einmal an dem Umfang, dann aber auch an der Einfachheit, der bis zu gewissem Grade vorhandenen Handlungsarmut und dem Umstand, daß der Roman nur schwer in Fortsetzungen zerrissen werden konnte.

Die Anforderungen, die unsere Zeitschriften stellen müssen, sind eben wegen der Erscheinungsweise solche, daß Arbeiten dieser Art ausgeschlossen scheinen.

Es gibt Autoren, die darüber schimpfen und die womöglich den Herausgebern unserer Blätter daraus einen Vorwurf machen, als ob diese Leute von vornherein schlechten Willen mitbrächten. Ich halte dies für unrichtig; es ist die gleiche Sache wie beim Theater. Der richtige Bühnenmann verlangt Handlung und Handlung und dreimal Handlung, und er hat damit vom praktischen Standpunkte aus vollkommen recht. Denn es ist nun einmal ein alter Erfahrungssaß, daß nur eine geringe Anzahl erlesener Theaterbesucher sich an rein dichterischer Schönheit, an Stimmungsmalerei, an Feinheit, Grazie, an tiefen und fein geschliffenen Gedanken ohne Handlung erheben und erfreuen kann.

Ein Theaterdirektor mag ein Stück, das gar keine Handlung besißt, dagegen von hohem dichterischen Werte ist, vielleicht als eine Liebhaberei, sogar als persönliche Schwäche, als noble Passion geben, wie jemand, der sich eine Separatvorstellung vorspielen läßt; Kasse wird er dabei nicht machen.

Nun, bei den Zeitschriften ist es nicht anders, nur daß ein solcher Roman, der den größten Teil der Abonnenten zur Verzweiflung und möglicherweise zur Abschaffung des Blattes bringt, nicht gut wie ein Theaterstück abgesezt werden kann.

Der Sylvester von Geyer hat vor seinem Erscheinen als Buch eine lange Leidensfahrt angetreten. überall ward ihm die Tür gewiesen, er hatte es also auch nach seinem Tode schlecht. Ich erinnere mich nicht mehr genau, bei wieviel Redaktionen er anklopfte, aber an der Dekade wird nicht viel fehlen. Auch die Herausgeber dieser Hefte, die, wie ich weiß, diesem Buche bis heute treue Freunde geblieben sind, mußten nein sagen. Sie waren so traurig darüber, daß sie es sogar fertig brachten, dieses Manuskript von soundsoviel Kilo Gewicht ein zweites Mal zu lesen, aber sie blieben bei der Ablehnung, und sie taten recht daran.

In homöopathischen Dosen abgegeben, hätte der Roman vielleicht gar den Untergang von Velhagen & Klasings Monatsheften bedeutet.

Diese allgemeine Ablehnung steckte an: Verfasser sowohl wie Verleger versprachen sich nichts von dem Ding. Der Verleger hat im stillen wohl das Gefühl gehabt, er müsse es zwar schandenhalber bringen, könnte aber dabei am Ende noch die Druckkosten aus eigener Tasche bezahlen müssen.

Und ich kann sagen, ich selbst war so geknickt, so entmutigt, so vom Unwerte meiner Arbeit überzeugt, die mir monatelang Tage und Nächte gekostet hatte, daß ich schon daran dachte, diesen Kelch an uns allen vorübergehen zu lassen und den Wälzer in den Ofen zu werfen.

Da kant ein Wunder: das Buch fand nicht nur Leser - es fand Freunde.

Habent sua fata libelli! Seitdem sind nun mehrere Jahre vergangen, und in meinen Beziehungen zu Sylvester von Geyer geschahen allerlei Wandlungen.

Zuerst freute ich mich über das unerwartet günstige Schicksal des Werkes; dann aber, als es

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mich drängte, nicht stehen zu bleiben, sondern weiter zu arbeiten, kam eine gewisse Gleichgültig feit über mich, und jezt ist mir dieser Roman völlig fremd. Ich weiß zwar, daß ich ihn auf dem Gewissen habe, aber manchmal kann ich mir gar nicht vorstellen, daß ich ihn wirklich geschrieben haben sollte.

Ich bin nicht imstande, wieder einen Blick hineinzuwerfen. Es quält mich förmlich, peinigt mich, und als ich es einmal tun mußte, weil mich jemand auf einen Fehler aufmerksam machte, der in einer neuen Auflage beseitigt werden sollte, da überschlich mich ein geradezu unheimliches Gefühl: ich fand alles zu breit, langweilig, unbedeutend, albern, ich hätte am liebsten Säße, Seiten, Kapitel gestrichen. Doch wenn ich dem nachgäbe, würde von dem armen Sylvester über». haupt nichts mehr übrig bleiben.

Ich sagte mir, das müßte anders gemacht werden und jenes; aber wahrscheinlich, wenn ich das dicke Buch nochmals schreiben sollte, würde es schlechter, als es ist.

Es hat sogar Momente gegeben, wo ich mich über den Roman ärgerte, wo er mir geradezu im Wege stand, denn eine stille Qual, ich möchte es fast nennen, eine Tragik des künstlerischen Schaf fens ist jenes entseßliche,,rêver mieux", das einen peinigt und quält, etwas Besseres auf die Beine zu stellen, immer etwas Besseres, bis einem der Sensenmann die Feder aus der Hand nimmt.

Vielleicht ist das nötig, um überhaupt weiter arbeiten zu können, so wie viele sich immer ein bilden, daß ihre leyte Arbeit die beste wäre. Aber wiederum, wenn die Hoffnung nicht existierte, könnte man sich ja begraben lassen, und es bleibt ein Ansporn, sich zu überbieten.

Da gehen nun unter Umständen Jahre hin, man macht allerlei Kroppzeug, und der Wurf gelingt einem nicht wieder. Woher kam er? War es ein Zufall? War es die Gunst der Stunde? Griff man zufällig etwas auf, das in der Luft lag und nur eben ausgesprochen werden mußte? Ist es das gewesen, was eine gewisse Rolle beim Schauspieler bedeutet: er spielt sich selber?

Nun glaube ich, daß bei jeder menschlichen Leistung von uns Durchschnittsleuten wenigstens, die wir eben nicht zu den Großzen zählen es ein ewiges Auf und Ab gibt. Und daß wir vielleicht in einer ganzen Periode unseres Lebens nur ein einziges Mal etwas fertig kriegen, das nach dem Maßstab unseres Könnens gemessen, etwas bedeutet. Und daß uns etwas Ähnliches

Vollmondnacht, mit schwarzen Schatten
Die Allee den Weg durchgittert,
Blasses Gold auf fable Matten,

Auf die Garben ringsum zittert.

nur wieder gelingt, wenn wir nach Jahren in eine andere Lebensepoche eingetreten sind, vielleicht in einen ganz anderen Anschauungskreis, oder wenn uns irgend etwas besonders Tiefgehendes geschah im Glück oder Unglück, daß die alten Nerven einmal aufgekraßt wurden.

Die Ärzte sagen uns, daß der Mensch eine gewisse Anzahl Jahre braucht, um seine Haut zu erneuern. Vielleicht ist das auch seelisch und geistig so, daß wir, wie in einem Schlangenleben, die Haut abwerfen, unser Wesen und unsere Art, und daß uns als neuer Mensch wieder einmal irgend etwas auf die alte Höhe führt oder gar, älter und reifer geworden, höher hinauf.

Darüber muß aber wohl ein armer Teufel

sterben.

Aber wenn es einem auch nicht glücken sollte, soll man die Hoffnung aufgeben?

Es heißt also arbeiten, arbeiten und noch einmal arbeiten! Zum mindesten trägt man dann die innere Befriedigung davon, daß man sein nicht verpflichtet. Möglichstes getan hat, und zu mehr sind wir doch

Ein Trost für uns dii minorum gentium bleibt der, daß in Wirklichkeit auch von den Großen nur einzelne Hauptwerke übrig bleiben.

Wenn also unsereinem vom Mittelwuchs einmal etwas leidlich gelungen ist, so daß die Tüchtigen unserer Zeit damit nicht ganz unzufrieden sind, so werden ihm vielleicht gnädige Richter verzeihen, wenn das meiste Übrige neben solchem Schlumpschuß nur so lala aussiel. Verzagen braucht man deswegen noch nicht; denn gewöhn lich pflegt auch der, der in der Lotterie einmal mit dem Einsaße herausgekommen ist, weiter zu am Ende ein zweites Mal glücklicher sein und spielen in der vermessenen Hoffnung, er könnte einen Taler gewinnen.

ich

Dann gilt immer noch die Grabschrift, die mir einmal im Scherz gesezt habe:

Vollmond.

„Hier ruht ein deutscher Dichter.
War er's? Wir wissen's nicht!
Er schrieb nur schlechte Romane,
Verlegt bei F. Fontane,
Und selten ein Gedicht.

Er war nicht stark von Ohren:
Gras wachsen hört' er nicht!
Ward Dreiundsechzig geboren,
War Tor nur unter Toren,
Und starb als armer Wicht!"

Grillen zirpen allerwegen,

Frösche rufen fern im Teiche,

Und die Uhr mit dumpfen Schlägen Kündet, dass die Zeit noch schleiche:

Ist's doch, als ob stille stehe

So zur Nacht der Lauf der Zeiten

Und das goldne Auge spähe

In die blauen Ewigkeiten.

Gottfried Doehler.

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