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Zweiter Teil.

Naturverehrung.

Auf dem Untergrunde des Seelenglaubens und des Zauberwesens erhebt sich die Welt der Naturgeister und der Götter, der in den grossen Naturerscheinungen waltenden Mächte. und des reineren, feierlicheren Kultus. Der Versuch, sich das Unverständliche, Geheimnisvolle zu erklären, fand in den dürftigen, ärmlichen Vorstellungen des Seelenglaubens seine Schranken. Aus dem Menschen selbst, nicht aus der ihn umgebenden Natur sind die mythischen Anschauungen des Seelenglaubens hervorgegangen; die Natur kommt nur insoweit in Betracht, wie sie der Aufenthaltsort des abgeschiedenen Ahnherrn des Hauses ist. Für Nomaden, vor allem aber für Ackerbau treibende Völker, deren ganzes wirtschaftliches Leben vom Stande der himmlischen Gestirne abhängt, musste die Verehrung der grossen Naturkräfte hinzutreten. Vom einfachen Beobachten der Witterungserscheinungen verklärte sich diese Betrachtung immer mehr zu einer idealen Auffassung. Die Verehrung der himmlischen Erscheinungen und ihre dichterische Verwertung setzt eine schon fortgeschrittene Gesittung voraus. Aber auch diese Vorstellungen waren noch beschränkt, so lange das Leben eines Volkes sich mehr in einzelnen landschaftlichen Kreisen vollzog. Erst mit dem Eintreten des Volkes in die Geschichte erhält der Götterglaube seine ideale Ausprägung, entsteht eine nationale Mythologie. Darum sind die Gestalten des Seelenglaubens über

die ganze Erde verbreitet, die Naturgeister zeigen die charakteristischen Züge der Rasse und des Volkes und finden ihre Erklärung in der Gegend, wo sie entstanden sind; die Götter spiegeln die Eigenart des Volkes im allgemeinen, und die Stamm- und Hauptgötter die des Stammes im besonderen wieder.

,,In die Wildnis hinaus sind des Waldes Faunen verstossen,
Aber die Andacht leiht höheres Leben dem Stein".

Der Mensch sucht sich die Naturerscheinungen zu erklären. Wenn der Donner rollt, vernimmt er Toben und Krachen über sich in der Luft; Geschrei und Lärm kennt er selbst aus seinen eigenen Kämpfen; der Schluss liegt für ihn nahe: auch da droben wird gekämpft, der Donner ist der Lärm, den unsichtbare Gewalten machen. Er dichtet eine Schlacht, und aus dem Kreise des ihm Bekannten und von ihm Verstandenen dichtet er diesen Kampf weiter: es ist ein Streit um ein wertvolles Gerät, eine nützliche Waffe, um gestohlene Rinderherden, um geraubte Frauen. So wird das Gewitter mythisch erklärt. In dem Eindrucke, den Sonnenaufgang und Untergang auf den Menschen ausüben, den die Wiederkehr des Tages und der Nacht, der Kampf zwischen Licht und Finsternis, das ganze Sonnendrama mit allen seinen Einzelheiten hervorrufen, das jeden Tag, jeden Monat, jedes Jahr, im Himmel und auf Erden abgespielt wird, liegt der dunkle Same eines Glaubens an ein übermenschliches Wesen. Eine von Geschlecht zu Geschlecht aufsteigende und sich mehrende Naturbetrachtung entdeckt immer mehr Ordnung und Regelmässigkeit in der Natur und wird sich bewusst, wie sehr der Mensch unter ihrem Einflusse steht, ohne selbst auch nur im geringsten auf sie einwirken zu können. Die Naturkräfte werden personificiert, es tritt eine Vermenschlichung der gesamten Natur durch Personifikation ein; der Mensch fasst z. B. die wandelnde Sonne als wandelndes, menschenähnliches Wesen auf. Aber dieses Wesen wandelt da oben, wo hinauf kein Mensch zu steigen vermag, es leuchtet und erwärmt, es strahlt und funkelt; eine andere Naturperson stürmt, blitzt und donnert, kurz sie besitzt Eigenschaften, die dem Men

schen versagt sind; das Firmament, an dem die Wolken dahinschweben, vom Winde getrieben, ist sinnlich wahrnehmbar, es scheint vom hohen Berge aus so nahe zu sein und ist doch unerreichbar: überkräftig, übermenschlich muss also das Wesen sein, das diese Naturbegebenheiten vollbringt. Diese gewaltigen Naturkräfte sind von unermesslicher Macht, sie trotzen der Begierde des Menschen, sie können schaden und nützen, darum sucht man sie durch Gebet, Hymnen und Anrufungen gnädig zu stimmen. Der Mythus beschreibt, was das höhere Wesen gethan hat, der Ritus soll es bewegen, die gleiche That für seine Verehrer zu wiederholen. Darum lobt und preist man es nicht nur, sondern speist, tränkt und erfreut es durch Spiele. Einige Gebräuche suchen den himmlischen Vorgang nachzuahmen, umgekehrt wird der himmlische Vorgang nach irdischem Muster ausgemalt. Der Dichtkunst kommt also ein hoher Anteil an der Ausbildung des Mythus zu, und diese religiös-poetischen oder poetisch-religiösen Anschauungen von der umgebenden Natur und den in ihr wirken. den Kräften riefen die vornehmste Gattung der alten Poesie ins Leben, die hymnischen Lieder, und diese wurden bei den Indogermanen von der versammelten Menge im Chore zum feierlichen Opferreigen gesungen.

Zwischen Seelenglaube und Naturverehrung befindet sich also ein gewaltiger Abstand. Nicht mehr der Mensch ist Gott, sondern die Natur ist das Göttliche. Die Naturerscheinungen sind nicht mehr Äusserungen des Wohlwollens oder des Zornes der Abgeschiedenen, sondern alles Sein ist einer an Gesetze gebundenen Naturnotwendigkeit unterworfen. Der Naturmythus ist an ein Volk mit Ackerbau und Viehzucht geknüpft. Himmel und Erde, Tag und Nacht, Gewitter, Sturm, Wolkenzug und Nebelflor, Luft im Laub und Wind im Rohr, das Zwielicht und das Feuer, des Menschen freundlicher Hausgenosse, werden zu überirdischen Wesen. Wohnungs- und Klimawechsel, besonders der Wandel der geistigen Kultur und Lebensweise, die Entstehung eines Staates, die Bildung fester Stände, sowie die geschichtlichen Schicksale geben dem Mythus ein eigenartiges, von andern Völkern

unterscheidendes Gepräge. Alle Völker der Erde haben den Seelenkultus geübt, gerade hier müssen die Überlieferungen aller Indogermanen wie aller Germanen, südlich oder nördlich der Ostsee, am genauesten übereinstimmen. Bei fast allen Völkern sind Ansätze zur Naturvergötterung vorhanden, aber nur bei den Indogermanen ist diese Naturverehrung zur vollen Blüte gekommen. Bei den Griechen und den Germanen, den Trägern des Idealismus, erlangt der Naturmythus seine höchste Weihe und durchdringt veredelnd Poesie und Kunst, häusliches und staatliches Leben. Den grossartigsten und schönsten Mythus haben die Deutschen im Siegfriedmythus geschaffen, den tiefsinnigsten, von hoher Heldentragik verklärten, in der Auffassung vom Weltende. Wie die Nibelungensage nicht nur den Untergang des Helden schildert, sondern mit ihm das Erlöschen eines ganzes Volksstammes verknüpft, so hängt mit dem Ende der Götter auch das Ende des Alls zusammen. Gebührt den Hellenen der Vorrang in der Kunst, die auf Grund der Naturanschauung entstandenen Götter plastisch darzustellen, in Sprache wie in Marmor, so kommt den Germanen der Ruhm zu, das tiefsinnigste Gottesideal aufgestellt zu haben und dem Christentum am nächsten gekommen zu sein.

Naturerscheinungen als leblose Gegenstände aufgefasst.

Die den Menschen umgebende Natur rief die Vorstellung von Wesen hervor, die mächtiger waren als er selbst, aber sie schwankten noch zwischen übertierischen und übermenschlichen Wesen. Auch mit unbelebten Gegenständen konnte sie verglichen werden, wie die Sonne mit einem Rade, ihre Strahlen mit einem Schwerte, der Blitz mit einer Waffe, einer Keule oder einem Hammer, Wolkengebilde mit einem Baume, einem Berge, mit Burgen, Türmen, Wällen und Mauern. Über ganz Deutschland verbreitet ist die Vorstellung von einer im Wasser versunkenen Stadt, Burg oder einem Kloster. Noch jetzt nennt man eine sich auftürmende Wolkenburg einen weissen Turm oder Grummelturm. Der Zusammen

bruch der Wolkenburg im Gewitter, das Verschwinden der schweren, weissen Wolken, die noch heute Mauern heissen, ihr Versinken in den himmlischen Gewässern rief die zahlreichen Sagen von untergegangenen Städten hervor. Im Wasser ist Vineta oder Arcona verschwunden, kommt aber von Zeit zu Zeit wieder herauf; wenn das Wetter neblig ist, hört man noch jetzt von Arcona die Rede: die alte Stadt wafelt. Am Ostermorgen kann man die ganze Stadt Vineta sehen, wie sie früher gewesen ist; dann steigt sie mit allen ihren Häusern aus dem Wasser hervor, zu andern Zeiten kann man das Läuten der Glocken hören (vgl. D. S. Nr. 280). Die irdische Lokalisation wurde durch den zwischen Himmel und Erde wogenden Nebel vermittelt. Wohl weiss man hier und da noch, dass sich die Glocken der versunkenen Kirche zur Zeit eines Ungewitters vernehmen lassen, aber erst der Nebel ist imstande, das tief poetische Bild der aus dem See herauf läutenden Glocken immer wieder aufzufrischen. Aus Nebeln bauen sich die Geisterkirchen und Geisterburgen auf, und von Nebelmauern sind die Burgen umschlossen. Daher darf man in diesen Versinkungssagen den See nicht ohne weiteres als Abbild des Wolkensees, die Burg als Erinnerung an die Wolkenburg, die Glocke als Nachhall des Donners fassen, wenn auch der Schall des Donners vielfach mit dem einer Glocke verglichen wurde, ja die Glocke auch der Trägerin des Windes und des Gewitters, der Wolke selbst, gleichgesetzt wurde. Die Glocken mancher untergegangenen Stadt hört man noch jeden Mittag, namentlich mittags im Sommer: wer denkt nicht an das zitternde Summen und Weben eines heissen Sommermittages? Auch der eigentümlich glockenartige Ton, den die Feuerunke am Teich und Weiher hervorbringt, wird wie das Gewitter und der Nebel immer wieder derartige Auffassungen erneuert haben.

Wind und Sturm werden in der volkstümlichen Auffassung alter und neuerer Zeiten vielfach als Musik dargestellt.

Die mecklenburgischen Seeleute sagen bei starkem Sturm : Nu hebben de Jungens den Sack wedder apen makt. Weit verbreitet ist bei der Ernte der Brauch, den Neuling nach

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